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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

"Elektra/Elektron", Videoskulptur
Terminal Kunst – 1. Ausstellungsteil

'Gudrun Bielz Gudrun Bielz / 'Ruth Schnell Ruth Schnell

Technische Daten: 2 Monitore, 2 U-Matic-Player, Schwarzlicht und fluoreszierende Farbe, Gerüst. Dazu: Animationsmaterial (Grafiken), erstellt auf Commodore 64, digitalisierte Bilder, Bildmischer, Chroma Keyer. Gezeigt werden unter anderem folgende Videotapes:

1. "Plüschlove", 1984
Plüschlove ist eine Montage von realen, digitalisierten (das heißt durch den Computer entstandenen) und durch den Computer modifizierten Bildern. Thema: Trivialliebe.

Wer die Wirklichkeit filmt, ißt seine Suppe brav, denn er hat jene vorgesetzt bekommen wie diese. Wer Filme, also Bilder der Wirklichkeit bearbeitet, und sie mischt mit künstlich vom Computer erzeugten Bildern, liefert eine Ahnung von der Künstlichkeit der Realität. Die digitale Manipulation von Filmbildern spricht von der Veränderbarkeit der Bilder und der Wirklichkeit. In dieser digitalen Bildwelt ist auch die Liebe nur ein kalter Fusel einer alten Welt.

Gefälschte Papiere sind die Bilder der Welt und der Liebe. Aber immerhin auch der energetische Charme der Simulation. In einer Welt, die ein Hotel ist, wo jeder nur einen kalten Abgang kennt, sind die gefälschten Pässe (der Überlebensphantasie, des Spiels, der Flucht, der Liebe) vielleicht noch die einzige Chance, der Wirklichkeit zu entkommen. Ich schätze, der eigentliche Titel des Videos von Bielz und Schnell ist: Gefälschte Papiere. Er verrät den wahren Charakter der Ästhetik, der Bilder, der Welt.
Peter Weibel

2. "die tanzen und die toten", 1983
wenn SIE, genau SIE, der angesprochene, schon einmal leichen fotografiert haben
und der aufgestemmte schädel, sogar der, ist noch schön
bildertanz der leichenshots (die kamera ist bewegt)
ein tanzender (statische kameraführung)
lebenstanz – tanzen sie das leben totentanz – die toten tanzen im jenseits
(ein rühr-video)

3. "ZOONE", 1985
Installation für 2 monitore, 1 großbildprojektor und 2 abspielgeräte
8' 40"
musik/ton. franz k. theininger
wenn der elefant vom baum fällt, sind die ameisen tot
zoone – zone, zoo
schnell bewegte computerbilder ein kompositionsschema mit rhythmusveränderungen – bildschirm 1 variiert das hauptthema, bildschirm 2 variiert das hauptthema – schnelle bilder dringen unter die haut wie pfeilspitzen
baut sich auf, baut sich ab
jagen
aus der zone gibt es kein entkommen – tiere hinter gittern, video hinter gittern – wer betrachtet wen – dieses blauaufgelöste nashorn am bildschirm den betrachter – der betrachter die pfeile, die auf ihn abgeschossen werden

"Zwar haben Gudrun Bielz und Ruth Schnell für den 'steirischen herbst' einen Trickfilm zum Standardthema 'Gödel/Escher/Bach' gemacht, ohne sich jedoch dabei dem hirnrissigen Kult einer gottähnlichen Denkmaschine anzuschließen.

Klar, daß die Kybernetik der Anfang einer neuen Religion ist, die mit Star Wars ihre Apokalypse prophezeit. Dann freilich wirken Gudrun Bielz und Ruth Schnell wie zwei Atheisten, die in den Kathedralen der Technokratie heimlich schwarze Messen lesen. Das blasphemische Stichwort lautet: Demontage! Demontage der Bilder, Demontage der Realität.

Weil unsere Kultur unermüdlich eine Flut von überflüssigen Bildern generiert, die sich ständig und unaufhaltsam wiederholen, lkorlen von Stars, Pin-ups, Models und gestylten Prototypen, die das Wirkliche und das Emotionale parasitär aufsaugen deshalb stellt sich die Aufgabe, die ewige Jugend dieser unsterblichen Phantome effektiv zu zerstören. Elvis ist dafür kein schlechtes Beispiel. Gleichfalls Plüschlove, der erste Computer-Trickfilm von Schnell und Bielz, hier werden Zitate aus Filmklassikern aus dem Kontext gerissen, verfremdet, umfunktioniert und überarbeitet. 39 Steps (von Hitchcock) und High Sierra (von Raoul Walsh, übrigens die erste Hauptrolle von Humphrey Bogart), beide Filme beinahe ein halbes Jahrhundert alt, bieten auch heute noch unübertroffene Szenen von männlich/weiblicher Sehnsucht, Nähe und Entfernung an. Diese Bilder werden gerastert, mechanisch zerlegt, elektronisch zusammengesetzt, gefärbt, überzeichnet, zerdehnt und beschleunigt … unheimlich witzige Etüden über unsere produzierten Vor-Bilder.

High Technology verspricht Profit, Macht und Bequemlichkeit, das elektronische Paradies. Unter den Händen von Bielz und Schnell wird die Elektronik unbequem und widerspenstig. Sie gebrauchen die omnipotenten Illusionsmaschinen, um die maschinellen Illusionen aufzurollen. Die Bilder werden entmaterialisiert, die Erscheinung löst sich in Schein auf. Die beiden Künstlerinnen berufen sich darauf, daß automatische Rechner, Bildschirme und Telekommunikation unseren Alltag unauffällig unterwandern. Warum also nicht mit dem Zeug hantieren, das uns überall vor der Nase liegt?"
(Aus: Friedrich Geyrhofer, Der blamierte Computer, Wiener, November 1985.)