Die Bildplatte als Medium für Künstler
Terminal Kunst – 1. Ausstellungsteil
'Jürgen Claus
Jürgen Claus
"Die Wirklichkeit ist total, sie ist nicht darzustellen, aber wir können Antennen bauen." Adolf Luther Einige Medien – und dazu gehört die Bildplatte – werden nie in den Genuß kommen, von der brillanten Intelligenz des Marshall McLuhan auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt zu werden. Tatsächlich ist die Bildplatte ein Spätankömmling auf der Medienszene. Dafür hat sie das Raffinement und das "Alexandrinische" mancher Spätgeburten. Ja, sie stellt die Medienhierarchie auf den Kopf.
Ist nun die Bildplatte, die Elemente des Buches, des Films, des Fernsehens, der audiovisuellen Medien vereint, und überdies interaktiv gebraucht werden kann, ein heißes oder ein kühles Medium? So wie, in der Definition von McLuhan, das Radio oder der Film ein heißes, das Telefon oder das Fernsehen ein kühles Medium ist. Die Bildplatte kann als reines Speicherelement etwa eines Spielfilmes, einer Oper benutzt werden – sie kann aber, etwa im Unterrichtssektor und – dies ist für uns besonders interessant im Kunstsektor, als interaktives Medium, angebunden an Computer, persönliche Beteiligung erfordern.
Technisch gesehen sieht das so aus, daß unterschiedliches Ausgangsmaterial für die Herstellung der Bildplatte in Frage kommt. So sind ein 35–mm-Film oder Videoproduktionen auf 1 oder 2 Zoll MAZ (= Magnetaufzeichnungstechnik) ein ausgezeichnetes Grundmaterial, aber auch 16-mm-Film läßt sich verwenden. Dazu kommen Dias und Schriften. Vom entsprechend der Verwendung zusammengestellten Ausgangsmaterial wird eine "Master-MAZ" gezogen, die neben dem eigentlichen Programm alle für die Platte wichtigen Zusatzinformationen enthält.
Diese "Master-MAZ" wird auf eine Glasplatte mit photoempfindlichem Lack durch eine Laser-Schreibmaschine "beschrieben", dann mit einem dünnen Metallfilm bedampft. Daraufhin wird in einem galvanischen Bad ein Galvano gezogen, woraus schließlich die Preßmatrize entsteht. Sie wird in eine Spritzgußmaschine eingebaut und überträgt alle Informationen auf den sogenannten "Plattenrohling", der zunächst noch transparent ist, dann aber, um die zum Abspielen nötigen Reflexionen zu erreichen, im Vakuum mit Aluminium bedampft wird. Die doppelseitigen Bildplatten entstehen dadurch, daß zwei Einzelplatten verklebt werden.
Jede Plattenseite – das gehört zu den faszinierenden Leistungen dieses Mediums – hat eine Kapazität von 54.000 Bildern, das heißt genau: Einzelstandbildern. Jedes Bild kann, aber muß nicht, mit einer eingeblendeten Seitenzahl versehen werden und kann in wenigen Sekunden abgerufen und beliebig lange verzerrungsfrei betrachtet werden. Hier können also etwa von einem Museum sämtliche Objekte zusammengestellt, gespeichert und abgerufen werden. Mehr noch: Es können bei dreidimensionalen Objekten wie Skulpturen Rundumaufnahmen miteingegeben und betrachtet werden. Es gibt im übrigen schon Zusatzgeräte, die die Standbilder auf Papier ausdrucken.
Ein weiterer Vorteil der Bildplatte ist die doppelte Tonspur. So werden im Falle von Musikaufnahmen Stereomöglichkeiten einbezogen. Man kann die beiden unabhängigen Tonspuren aber auch benutzen, um eine zweisprachige Fassung (beispielsweise deutsch – englisch) zu erstellen. Durch eine besondere Kodierung ist es möglich, in das Masterband neben der Bild- und Kapitelnumerierung auch ein Autostop-Code einzugeben. So kann die Bildplatte auf Anhalten nach dem Ende einer Programmeinheit programmiert werden. Am Abspielgerät wird die Laufgeschwindigkeit vom Standbild bis zum Zeitraffer vor- und rückwärts stufenlos geregelt. Die Platte selbst, dies ein großer Vorteil gegenüber dem Videoband, kann ohne jeden Qualitätsverlust beliebig oft eingesetzt werden. Ebenfalls sind die Platten gegen Staub oder Fingerabdrücke unempfindlich. In der Praxis zeigt sich die Bildplatte anderen Medien an Komplexität der Speicher- und Abrufmöglichkeiten, an Robustheit, an Lebensdauer weit überlegen.
Obgleich die erste brauchbare Bildplatte von Teldec unter dem Namen TED mit 10 Minuten Spieldauer schon 1970 herausgebracht wurde, ist der wirkliche Durchbruch noch nicht vollzogen. Wenn man bedenkt, daß in unserer Zeit der Informationsschwemme verbaler, optischer, dokumentarischer Art auf insgesamt 10 Bildplatten (Vor- und Rückseite gerechnet) über eine Million Einzelbilder gespeichert werden können, so wird man mit einem verstärkten Einsatz rechnen können.
Noch sind die Herstellungskosten hoch, auf jeden Fall für den einzelnen Künstler, Designer, Architekten zu hoch. (Um 1982 lagen die Herstellungskosten unter einem Dollar pro Bildeinheit. Die Platte selbst kostet, je nach Auflage und Inhalt, zwischen 10 und 25 Dollar, wobei hier bewußt die Dollar-Relation angegeben wird. Die beiden ersten Platten, die über das Center for Advanced Visual Studies am MIT zu erhalten sind, also "Künstlerplatten", auf die ich noch zu sprechen komme, liegen im Verkauf um 40 Dollar.)
Das bei uns bislang gebräuchlichste System ist das von der Philips-Tochter Magnavox zunächst ab 1979 in den USA herausgebrachte Laser-Vision-System. Wie der Name sagt, wird die Platte im Abspielgerät – auf dem deutschen Markt ist beispielweise der Philips Bildplatten-Spieler VP 500 – durch einen feinen Laserstrahl abgetastet. Es handelt sich dabei um einen Helium-Neon-Laser von einem Milliwatt. Ein Mikroobjektiv bündelt den Lichtstrahl auf die verspiegelte Signalspur mit ihren mikroskopisch kleinen Vertiefungen, Pits genannt. Die reflektierten Signale werden über ein Spiegelsystem zu lichtempfindlichen Fotodioden zurückgeführt und in elektrische Impulse gewandelt. Diese erscheinen auf dem Fernsehmonitor als Signale mit Sendequalität. Die Long Play-Version (CLV) kann bis zu zwei Stunden Programm speichern beziehungsweise wiedergeben. Interessanter ist die Active Play-Platte (CAV) mit 36 Minuten Laufzeit pro Seite, bei der jedes Bild eine digital codierte Adresse hat und so angesteuert werden kann. (Die erwähnten Daten sind Vor- und Rückwärtslauf, Einzel- und Standbild, Zeitlupe, Zeitraffer, Suchlauf mit Bildnumerierung.) Durch die Kombination mit Computern kann eine vorprogrammierte Steuerfunktion, ein interaktiver Prozeß zwischen dem Benutzer und dem Bildplatten-System, übernommen werden.
Ein solches Software-Programm wurde Ende 1984 von der Firma Digital Equipment für das von ihr entwickelte IVIS eingesetzt, als eine erste Wanderausstellung im Osten der Vereinigten Staaten das Potential der künstlerischen Bildplatte vorstellte. IVIS steht dabei für "Interaktives Video-Informationssystem". Es gehören dazu nach dem Stand des Jahres 1985 ein Professional 350 Personal Computer, ein Abspielgerät für die Bildplatte, ein Farbmonitor und eine IVIS-Option, die es ermöglicht, daß der Benutzer über "DECtouch" direkt den Computer über den Bildschirm anstatt über die Tastaturen anspricht.
Die auf der Wanderausstellung vorgestellte Bildplatte selbst war "Skydisk", 1983 vom oben genannten Center for Advanced Visual Studies unter Leitung von Otto Piene hergestellt. Ihr war die Bildplatte "Centerdisk/Sky Art" vorausgegangen. Beide werden in Linz gezeigt. Gerade für die flüchtigen, oft nur Minuten, höchstens Tage dauernden Ereignisse der Sky Art ist es wichtig, daß sie aufgezeichnet, in koordinativen Zusammenhang gebacht werden. Bei der Sky Art Bildplatte wurden vier Kategorien geschaffen, die man über das "Menü" (jene listenartige Übersicht der gespeicherten Programme oder Datenarten) anwählen kann. Da sind zum einen Kommentare von Künstlern, Forschern, Architekten wie Otto Piene, Stan VanDerBeek, Charlotte Moorman, Aldo Tambellini. Dann als zweite Kategorie die eigentlichen künstlerischen Ereignisse einer in den Luftraum (und noch höher und weiter) aufsteigenden Kunst, etwa von Jose Maria Yturralde, Tom Van Sant, Vera Simons, Joe Davis. Künstlerische Telekommunikation ist im dritten Kapitel der Bildplatte "Skydisk" gespeichert. Hier sind Veranstaltungen, Ereignisse oder Videobänder von Piotr Kowalski, Vin Grabill (der, zusammen mit Rus Gant, die technische Abwicklung der Bildplatten-Produktion leitete), Sarah Dickinson und anderen Künstlerinnen und Künstlern aus dem Umkreis der Sky Art zusammengestellt. Ein viertes Kapitel erhält für den Benutzer der Bildplatte Bedeutung, der Querverbindungen aufspüren will.
Es ist zu erwarten, daß die Bildplatte als Medium für Künstler zunächst im Rahmen von großen Ausstellungen oder Kunst-Veranstaltungen auftreten wird, in Ergänzung zum Katalog; wobei jedoch, wie gezeigt, ihre Möglichkeiten, ihr Repertoire weit über Print-Medien hinausgehen. Es ist die für Künstler sich anbietende Form eines Mediums, das sowohl zur Gestaltung als auch zur Dokumentation hervorragend taugt. Es dürfte vorhersehbar sein, daß sich auch hier die Herstellung und Verbreitung vereinfachen und verbilligen werden. Denkbar und wünschenswert ist die Aufstellung von Abspielgeräten in Kunstinstitutionen, Ausstellungsräumen, Technischen Hochschulen, Kunstakademien, Designschulen etc. Denkbar und wünschenswert wären ebenfalls Stipendien für die Herstellung von künstlerischen Bildplatten. Notwendig zeigt sich hier wie auf anderen Sektoren der digitalen, elektronischen, technologischen Kunst, daß Stipendien nicht nur für herkömmliche bildnerische Sparten wie Malerei, Grafik, Skulptur – oder auf der anderen Seite für Film – ausgeschrieben werden, und daß auch in die Ausbildung solche Medien einbezogen werden. Sponsor: Fa. DIGITAL EQUIPMENT, München.
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