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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Künstliche Intelligenz – Flüssiges Denken (aus dem Bildtagebuch)
Terminal Kunst – 2. Ausstellungsabschnitt

'Jürgen Claus Jürgen Claus

PARIS, 1. MAI 1985
"Kreativität Wasser" heißt, abgesehen von den Prozessen und Realisationen, FLÜSSIGES DENKEN. Die "Kreativität Wasser" als Aktions- und als Denkform. Das blaue Denken – als farbiges Synonym für das Flüssige.

Das flüssige Denken ist überall, ob man über die Dimensionen des Raumes oder die der Zeit spricht. Ist nicht gerade Zeit ein Muster solcher Flüssigkeit?

Flüssiges Denken herrscht vor bei einem Maler, der erste Formen gleich flüssigen Notationen auf Leinen oder Papier aufträgt. Oder dem Poeten, der die Worte "fließen" läßt, oder dem improvisierenden Musikanten.

17:20 Uhr am Centre Pompidou, wo die Arbeitswelt (l. Mai!) die Kunstwelt einholt und zum Anhalten zwingt. Im Hotel liegt eine Einladung von François Burkhardt, Direktor des Centre de Création Industrielle im Beaubourg, um die ich gebeten hatte. Sie betrifft die Ausstellung "Les Immatériaux", derzuliebe (sagt man das?) wir (Nora und ich, damit ist Nora in die "gemeinsamen technologischen Abenteuer" eingeführt) in Paris sind. Ich erkläre Nora meine (erste) Konzeption für die Linzer Ausstellung 1986 zur Ars Electronica. Der elektronische Schirm sollte von Linz auch ins Pompidou reichen: Idee – Strategie – Realisation auch hier auf die technologischen Abenteuer der Holographie, des Laser, der Bildplatte, des Computers, des Btx, der Roboter und der künstlichen Intelligenz bezogen.

Neben Tinguelys und Nikis Brunnen auf der Place Igor Strawinsky ist die Kirche Saint Merri zu einer fluiden Offenbarung unterwegs. Während draußen das Wasser sich versprüht, versucht sich die Kirche in dieser offenen Form der Offenbarung, die Musik, Ausstellung, Bewegung, Licht, Architektur einbezieht. So sind gegenwärtige Religionsstätten denkbar – überdies anziehend.

PARIS, 3. MAI 1985
Hotel Deux Continents: Den zwei Kontinenten im Namen unseres Hotels entsprechen die beiden "Kontinente" des Flüssigen und der Technologien, die mich nachhaltig seit zwei Jahrzehnten beschäftigen. Der Fluß der Gedanken – der Fluß (hier: die Seine) – der fließende Verkehr (eher nostalgisch) fließendes, fluides Denken – die Kommunikation zwischen Menschen, die ähnliche "Flüsse" der Erfahrung teilen. Ein Buch. ein Gedanke werden in einen schon fließenden Strom der Bücher und Gedanken eingeleitet.

LINZ – WIEN, 9. MAI 1985
Intensive Vorausgespräche zur Ausstellung "Terminal Kunst" in Linz. Vertragsunterzeichnung, diesmal ganz klassisch aus einem Aktenordner heraus – während der Vertrag zu "Kunst und Technologie" in Bonn seinerzeit (Dezember 1983) per Telefax geschah. Der "Kreativität Wasser" soll mein Projekt gewidmet sein. Zum Modell selbst kommen in Linz noch verschiedene elektronische Medien hinzu, die die Realität des Planeten Meer einbringen.

LOS ANGELES, 17. JULI 1985
Bonaventure Hotel, wir (N und ich) sitzen inmitten der "sparkling waters" der Lobby, in denen die Lichtraketen der Aufzüge sich spiegeln. Wasser und Licht auf eine Art, die eine Mikrourbanität in die Innenform der Architektur legt. (Auch Mikrolandschaftsgestaltung.)

LOS ANGELES, 18. JULI 1985
Ein bewölkter "Sommer"tag, der sich am Nachmittag wohl wieder in große Hitze auflösen wird. Wir machen "sensitivity training" in Raum – Planung – Urbanität. Fuhren gestern am neu erbauten Museum "Contemporary Art" vorbei, das sehr innerstädtisch liegen wird, wenn man die Los Angeles Downtown Area als den inneren Punkt im Radialsystem LA betrachtet. Provisorisch haust das Museum in einer nur leicht veränderten Lagerhalle unter dem Titel "Temporary Contemporary". Wir sehen dort zwei Videoinstallationen von Bill Viola, wobei mir vor allem die "memory"-Installation gefällt, die einen vertrockneten Baum, mit Wurzel und Geäst, zeigt, daran befestigte Lampen, die an- und ausgehen, daran asiatisches Glockenspiel, "abstraktes" Videoscreening, in dem gelegentlich die Silhouette, die Struktur eines menschlichen Gesichtes für einen Sekundenbruchteil aufleuchtet. Ich denke an meine Installation "Planet Ocean" bei "Kunst und Technik" (BMW München 1984), wo mir der Platz fehlte. Wichtig: die Einzelräumigkeit, die Zellen- oder Höhlensituation. Gestern noch: Pasadena und das Caltech (zwei Bücher im dortigen Bookstore über Software & Artificial Reality, statt Intelligence). Am Nachmittag liegen wir am Campus im Schatten, der blaue weite Himmel greifbar über uns: der Raum, die Raumerkundung, die am Caltech großgeschrieben werden. Los Angeles diesmal in 1985: Weniger "Kreativität Wasser" als Kreativität in Design, Raum und Raumbesiedlung. (Einstein did not show up. Nor did Schoenberg, later on.)

MÜNCHEN, 23. FEBRUAR 1986
Traumfähre der Nacht
wenn die Figur
wie willentlich Zeichen wird
und sich das Zeichen verflüchtigt
Starre wie schneekalte Landschaft
Der Boden erfroren
da ist das Meer weit
der flüssige Kristall
die Kristalloiden und Flüchtigen
die die Gebräuche ausführen.
Eben weil die Überlieferung
der Nymphen Burgen Götter
außer Kraft gesetzt ist
sind es die Bilder
die fließen
die ihr Gesicht nicht bewahren
die die Phantasie bestürmenund ihr verraten: alles fließt.
Jetzt wirklich und ernsthaft,
Wirkliches und Bildliches
Sonne und die Gesichter der Sonne
(Ed Emshwillers "Sunstone")
Stein – Sonne – Sonnengeflecht
und der wirkliche Raum,
der die transformierte
Sonne einholt
Voila!
Es sprechen Spechte und Hechte sind von der
Gestalt der Quallen.
Voila!
Figurenspiel!
Mythos als Collage!

MÜNCHEN, 19. MÄRZ 1986
Genau dies will der Raum der Künstlichen Intelligenz in Linz sein: MYTHOS ALS COLLAGE. Die KI oder AI, Buchstaben aus den Fahrplänen der zeitgenössischen Wissenschaft, wird collageartig zerlegt. Sicherheiten oder Übermittlungen sind nicht vorgesehen. Der manipulativen Intelligenz stellt sich die FLÜSSIGE, hier öfters angerufene Intelligenz gegenüber.

Daher das Wasser, blaugefärbt, eine Abbreviatur des Flüssigen, wenn auch hier zum Stillstand gebracht. Das Videotape nimmt Zeichen auf aus den Sonden, die Tradition und Bewußtsein in den Raum schicken. Die verzweifelte Lernstunde in Künstlicher Intelligenz endet im Scheiterhaufen der Puppen, der künstlichen Intelligenz. KI oder AI ist dem Natürlichen ausgesetzt – Wasser und Sand und Licht. Es gibt keine Texte, die hier angebracht sind, nur Collage: Mythos als Collage – SCHEITERHAUFEN DER KÜNSTLICHEN INTELLIGENZ.