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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Begriffe – Definitionen – Deutungen: Bausteine zu einem Lexikon der Gestalttechnologie




"'ARTIFICIAL INTELLIGENCE in the arts' ist der Paradigmenwechsel der Kunst im Kontext des digitalen Welthintergrundes. Kunst ist nicht mehr das Herstellen von Artefakten malerischer oder elektronischer Art – Herstellen ist hinfällig –, Kunst ist das Freilegen der inneren Gesetze der digitalen Weltsicht. Darunter verstehe ich das Freilegen der Freiheiten, die durch die digitale Zweckbestimmtheit verschüttet sind. Kunst als Widerstand gegen die digitale Ökonomie. Kunst als Widerstand gegen die zweckbestimmte Digitalisierung der Weltbilder."

"Die Welt, die wir erforschen, ist zunehmend zu einer Welt geworden, die uns erforscht. Das ist der kulturelle Paradigmenwechsel. Im Kontext der AI-Umwelt werden die Begriffe Kreativität/Natürlichkeit/Menschlichkeit etc. neue Bedeutungen erlangen.
Richard Kriesche, Ausstellungskatalog Nr. 1 "Brainwork", Graz/Los Angeles 1985, S. 8, 10.

BAUHAUS
"Gegenwärtig hätten wir allen Anlaß, den Gesamtbereich Gestaltung und Kommunikation, angewandte Kunst und angewandte Wissenschaft auf ähnlich radikale Weise zu verändern, wie er zu Beginn der zwanziger Jahre vom BAUHAUS verändert worden ist."

"Das BAUHAUS entdeckte die Funktion des Symbolischen neu … Ja, man kann sagen, daß das BAUHAUS sogar einen Stil kreierte, wenn man unter Stil die Homogenisierung symbolischer Formen versteht (und das ist ja durchaus sinnvoll) … Mit Blick auf Lebensformen setzte sich im BAUHAUSkonzept durch, was seit Schinkels Zeiten die Geschichte der angewandten Kunst bestimmt hatte und heute erst recht gilt: Alle Gestaltung, ja alle Stile werden getragen durch entsprechende Lebensformen; ohne Veränderung von Lebensformen bleibt der künstlerische Zugriff auf die materialen Lebensbedingungen willkürlich."

"Vom Produktdesign über das Soziodesign zum Kommunikationsdesign, das ist eine Entwicklung, wie sie im Sinne von Gropius durch neue Technologien und ihre sozialen Folgen erzwungen wurde. Der Gestalter bleibt nicht darauf dressiert, eine bestimmte Berufsrolle zu erfüllen, er sollte vielmehr Qualifikationen erwerben, die es ihm ermöglichen, jeweils von sich aus seine Tätigkeit zu definieren, sich also seine Berufsrolle erst selbst zu schaffen."

Bazon Brock, Die Wirklichkeit des Geistes. Was heißt Gestaltung im Zeitalter des Mikrochips? Vom Bauhauskonzept zum "Kommunikationsdesign". In: Richard Kriesche (Hg.), Artificial Intelligence in the Arts, Nr. 1 "Brainwork", Ausstellungskatalog. Graz 1985, S. 53–56.
COMPUTERKONFERENZ
"Für den Künstler sind COMPUTERKONFERENZEN sowohl eine ideale Metapher für die Verflochtenheit aller Dinge als auch ein neues und aufregendes Werkzeug für die Verwirklichung verschiedenster Ansätze in der Kunst dieses Jahrhunderts: Es handelt sich um ein Medium, das von seinem Wesen her partizipatorisch ausgerichtet ist. Es verlangt nach assoziativem Denken und der Entwicklung einer reicheren und vielschichtigeren Sprache, es zielt auf die Gemeinsamkeit zwischen den Kulturen, den Disziplinen und der großen Vielfalt von menschlichen Seinsweisen und Wahrnehmungsformen ab."
Roy Ascott, in: Jacques Vallee (Hg.), Saturn Encounter, Infomedia Corporation 1981.

® NETZWERKE
® TELEMATIK
COMPUTERSIMULATION
"COMPUTERSIMULATION ist wie jede andere teilweise externalisierte Simulation die Verlängerung eines inneren Modells, Extension, die wegen ihrer Zuverlässigkeit im Detail, Kompliziertheit und Geschwindigkeit im allgemeinen weit bessere Ergebnisse ermöglicht, als die Ausgangsvorstellung, zum Beispiel auch Fehlerhaftigkeiten der Vorstellung schneller und unbarmherziger sichtbar macht – man braucht bloß an die Unterstützung des Denkens durch Papier und Bleistift zu erinnern."
Oswald Wiener, Turings Test, in: Kursbuch 75, März 1984, S. 28.
INTERAKTION
"Ein Gegenstand im allgemeinen oder ein Phänomen wird als eine Nachricht (eine Kombination von Zeichen) betrachtet. Die Zeichen, die sie konstituieren, sind aus diskreten Elementen gebildet, welche distinktive Merkmale des Trägers oder Materials (des Materiellen) sind … Die distinktiven Unterschiede, nach denen diese Merkmale verteilt sind, bilden den Code der Nachricht. Diese geht von einem Sender-Pol zu einem Empfänger-Pol, wobei je nachdem am oberen Ende Inkodierung und am unteren Ende Dekodierung stattfindet. Die Nachricht liefert eine Information über wenigstens einen Referenten (das, um was es sich handelt).

Der allgemeine Begriff von INTERAKTION bedeutet zunächst, daß jeder der Pole der Struktur allein in seinen Beziehungen zu den anderen Polen relevant ist, dann, daß eine Änderung in der Funktion eines der Pole eine Destrukturierung und Restrukturierung des Ganzen nach sich zieht: Es handelt sich dann um eine andere Nachricht."
Jean-François Lyotard mit anderen, Immaterialität. Berlin 1985, S. 80/81.
KUNST UND TECHNIK
"Also erste und zweite Maschinenwelt! Die Maschinen für Arbeit und Energie auf der einen Seite – mit dem großen alten Beispiel des archimedischen Hebels – und dann die Maschinen für Information und Kommunikation – mit dem glänzenden Paradigma der Pascalschen Rechenmaschine: alles entsprungen den Wissenschaften, der induktiven und deduktiven Organisation des Intellekts und der Ratio, genährt, gelenkt, ausgeschieden und verfeinert, kontrolliert und perfektioniert in den Laboratorien und an den Schreibtischen, und wenn es hoch kommt, nicht nur nach Maßgabe des Geschäftes, sondern auch nach Maßgabe der Vernunft.

Aber inmitten dieses ungeheuer nervösen, rationalen und sensiblen Getriebes die Kunst, noch immer die Kunst, und nicht wie ein Relikt, sondern noch immer wie ein höchst integriertes, lebendiges Agens unseres Daseins mit seinen Widersprüchen und mit seinem Glanz. Also KUNST UND TECHNIK, als die entscheidendsten und folgenreichsten Darstellungen im menschlichsten aller Horizonte, im Horizont des Machens, in dem die prekären und glücklichen Situationen des Lebens aufleuchten und verwischen.

Tatsächlich besteht ja die ontologische Leistung der Technik wie auch der Kunst nicht nur in einer Weltvermehrung, sondern auch in einer Weltveränderung: das Gemachte stellt eine andere Perspektive der Wirklichkeit und des Daseins dar als das Gegebene, und noch jedes Bewußtsein, das auf ein Selbst reflektieren kann, war hochempfindlich gegenüber solch einer Veränderung, gegenüber dem Wechsel in der ontologischen Perspektive, die das Sein alles Seienden betrifft.

Niemand wird leugnen können, daß dieser Horizont des Machens, fragt man nach seinem Sinn, zum Prinzip und zur Struktur des Selbstverständnisses gehört. 'Comprendre, c'est fabriquer', so lautet bereits ein bemerkenswerter Satz des 17. Jahrhunderts. Und in dieser entscheidenden Verbindung von Machen und Verstehen wird es deutlich, daß die Welt, die uns nicht gegeben wird, wir uns selbst geben müssen, und daß die anwachsende Information nicht nur die ursprüngliche Dunkelheit des Objektiven, sondern auch die schöpferische Bodenlosigkeit unserer Subjektivität erhellt."
Max Bense, Ästhetik und Zivilisation. Baden-Baden 1958, S. 14/15.
LICHT
"Ich meine das LICHT, das mit dem Morgenrot aufsteigt, das den Mittag in strahlendes Weiß taucht und das den Abend verdämmert. Ich meine das LICHT, in dem die Planeten kreisen und das den Kosmos zu einer Weltenuhr leuchtender Materie macht.

Ohne jeden Anspruch an physikalische Richtigkeit sagen wir heute: LICHT ist Materie, LICHT ist substantiell, LICHT ist etwas, ist ein Stoff, ist medialisierbar, LICHT ist mithin ein thematischer Aspekt für Kunst, es ist kein Appendix der Sehbarkeit, es ist ein Gegenstand des Sehens selbst. LICHT ist weder wunderbar noch göttlich, noch selbstverständlich. LICHT ist ebenbürtig zur stofflichen Welt, hat also ein eigenes Wesen, hat eigene Gesetzmäßigkeiten, eine eigene Form, eine selbständige Formenklatur, vergleichbar den Formgesetzen im stofflichen Bereich.

Da die Malerei nichts anderes ist als der Umgang mit LICHT, und zwar mittels Farben, konnte nur das LICHT selbst an ihre Stelle treten. Damit ist im wesentlichen der zweite Weg vorgezeichnet, die Suche nach neuen LICHTMEDIEN.

Der Kosmos ist ein einziges Informationssystem – auf Gedanken hin angelegt, also geistig. Materie ist nicht der Schwerpunkt. Sie ist nicht das Standbein des Ganzen, eher das LICHT und die Energie, die bisher als das Spielbein verstanden worden sind."
Adolf Luther, Das Licht kann kein Bild sein. Köln 1984, S. 98/99.
NETZWERKE
"Schon der Ausdruck Informationstechnologie hört sich unpersönlich und befremdlich an, und erinnert an die Außenstellen einer kafkaesken Institution. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall, und meiner Ansicht nach bieten computerunterstützte NETZWERKE die Möglichkeit einer Art von weitumspannender Zusammenarbeit und Kreativität, wie sie noch kein anderes Kommunikationsmittel erreicht hat. Ein Grund dafür mag darin liegen, daß einen die Arbeit in NETZWERKEN sozusagen aus dem eigenen Körper herauslöst und den Geist mit einer Art von zeitlosem Ozean verbindet … Diese Ideen, die an einer Vielzahl von verstreuten Orten entstehen, in völlig unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen, vermittelt durch ganz verschiedenartige Persönlichkeiten, können trotzdem in ihrer Bedeutung und Sinnhaftigkeit dicht miteinander verwoben sein. NETZWERK-Kommunikation läßt eine Verflechtung von Vorstellungen entstehen, die dem Begriff 'assoziatives Denken' seine bisher breiteste Interpretation verleiht."

Roy Ascott, Kunst und Telematik, in: Art + Telecommunication, (H. Grundmann, Hg.), Wien 1984, S. 29/30.
"… es eröffnet sich eine viel spannendere Perspektive: die Entwicklung einer neuen Sprache zur Beschreibung des gesamten Wissens und der Gefühle, die in einem NETZWERK enthalten sind. Ein solches NETZWERK wird andere 'Gefühle' haben als die Knoten innerhalb des Systems – diesen nicht entgegengesetzt, aber ganzheitlicherer Natur, wie auch das Gehirn mehr ist als die Summe der Abläufe in den einzelnen Neuronen. Zugleich wird dieses NETZWERK über ein umfassenderes und einheitlicheres 'Wissen' verfügen, als in der Summe seiner Knoten enthalten ist … So könnten wir zum Beispiel systematisch eine ganze Hierarchie von Funktionen innerhalb eines NETZWERKES analog zu jenen im Gehirn entwerfen. Wir könnten uns mit Reflexen, der Entstehung von Pulsationen im NETZWERK befassen. Und mit dem Verhältnis zwischen Stimuli und zentrifugalen Signalen, welches den Schlüssel zur entscheidenden Funktion der Rückkoppelung im Gehirn darstellt … in der 'Hypersprache' der NETZWERKE wird somit deren 'Hyperintelligenz' zum Ausdruck kommen, und umgekehrt – in zwei voneinander abhängigen und sich gegenseitig verstärkenden Prozessen."
G. Bugliarello, Hyperintelligence – The next evolutionary Step, The Futurist, Dez. 1984 (Zit.: R. Kriesche, Nr. 1 "Brainwork", S. 11/12)

® COMPUTERKONFERENZ
PAZIFISCHE KULTUR
"Diese Verlagerung der Sensibilität, diese Transformation von Mentalität bedeutet eine Verlagerung von der atlantischen, europäischen industriellen Zivilisation hin zur PAZIFISCHEN, PLANETARISCHEN, ELEKTRONISCHEN KULTUR.

Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Entwicklung, die durch Technologie verursacht wurde (denn die Bildung dieser Art linearer Kausalzusammenhänge entstammt alten industriellen Denkgewohnheiten); hier geht es um eine Verlagerung im Bewußtsein, bei der die 'hohe' wie die populäre Kultur (top and pop culture) gleichbedeutend an dem adaptiven Spiel einer neuen Kulturökologie beteiligt ist. In vielerlei Hinsicht haben die älteren europäischen Philosophen und Künstler eben den Schatten dieser Kultur vorausgeworfen, in der sie sich jedoch nicht mehr zu Hause fühlen würden."

Nach den drei vorausgehenden 'Kulturökologien' (der Fluß-Kulturökologie, der mediterranen und der atlantischen) ist "die vierte Kulturökologie der (Welt-)Raum, seine menschliche Basis jedoch das PAZIFIKBECKEN. In den kulturellen Beziehungen zwischen Japan und Kalifornien kann man die technologische Verschiebung von der Materie zur Information beobachten, von der protestantischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus zu Zen und dem Geist der Kybernetik, von der alten europäischen Zivilisation zwischen London, Paris und New York zur neuen pazifischen Zivilisation zwischen Los Angeles, Tokio und Sydney."
William I. Thompson, Die pazifische Herausforderung. München 1985, S. 72, 85.
TELEMATIK
"TELEMATIK entwickelt sich aus einer Verschmelzung zwischen Computern und Kommunikationsnetzen, und wird ihren Höhepunkt in der allgemeinen Verbreitung von Satelliten finden, die Bilder, Daten und Töne übertragen."

Nora, Simon & Minc, Alain, The Computerization of Society. Cambridge (USA), 1980.

"Die Rubrik 'TELEMATIK' verweist nicht nur auf die Konvergenz von Computern und Telekommunikationssystemen, sondern bezeichnet darüber hinaus eine ganze Klasse von Bewußtsein und Kultur, in der neue Wissensformen und die Möglichkeit ihrer Verbreitung geprüft und weiterentwickelt werden. TELEMATIK impliziert Interaktion, Verhandlung und Zusammenarbeit zwischen Menschen und zwischen Menschen und intelligenten Maschinen. Im telematischen Prozeß herrschen Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Unvollständigkeit; Bedeutung ist nicht fix gegeben, sondern wird ausgehandelt; die Wahrheit, die immer nur eine relative ist, hat keinen festen Ort, sondern ist in den Prozeß eingebunden, ist der Vernetzung, die menschliches Verhalten auf der höchsten Stufe der Freiheit darstellt, TELEMATISCH eingeschrieben."
Roy Ascott, in: R. Kriesche (Hg.) Nr. 1 "Brainwork", Graz, Los Angeles 1985. S. 44.

® COMPUTERKONFERENZ
® NETZWERKE
ZEIT-RAUM
"Die Wörter Galerie, Salon bezeichnen die Räume des Louvre-Palasts, in denen (kurz nach Beginn des 18. Jh.) die ersten Ausstellungen stattfanden. Die Gemäldeausstellung ist eine moderne Einrichtung …

'Die Immaterialien' können also nicht in einem ZEIT-RAUM dieser Art untergebracht werden. Notwendigkeit, einen ZEITRAUM der 'Postmoderne' zu suchen."

Lyotard vergleicht damit eine Autofahrt von San Diego nach Santa Barbara, Zersiedelung.

"Es wäre eher angemessen, von einem Nebelgebilde zu sprechen, in dem die Materialien (Gebäude, Straßen) metastabile Zustände einer Energie sind … Die Informationen zirkulieren über Strahlungen und unsichtbare Interfaces. Ein solcher ZEIT-RAUM … wird gewählt, um Die Immateriellen' aufzunehmen. Dem Auge wird das Exklusivrecht, das ihm die moderne Galerie zuspricht, entzogen. Die zur Reflexion zwingende Unruhe, das von der Ausstellung angestrebte Ziel, kann durch einen vorgezeichneten Weg durch die Ausstellung nicht bewirkt werden. Es darf keine Ausstellung (exposition) sein, sondern es sollte eine 'Überausstellung' ('Surexposition') sein im Sinne der 'überbelichteten Stadt' ('ville surexposée'), von der Virilio spricht."
Jean-François Lyotard mit anderen, Immaterialität. Berlin 1985, S. 86/87/88.