Ausstellung: Christian Ludwig Attersee
19. Juni bis 6. September 1986 Neue Galerie der Stadt Linz (Zu dieser Ausstellung ist ein eigener Katalog erschienen. Neue Galerie der Stadt Linz, Blütenstraße 15, A–4040 Linz, Tel. [0 73 2] 29 93/36 00)
In zeitlicher Abstimmung und in Zusammenarbeit mit der heuer erstmals im Juni stattfindenden Ars Electronica zeigt die Neue Galerie der Stadt Linz vom 19. Juni bis 6. September 1986 eine umfassende Ausstellung des Malers und Zeichners Christian Ludwig Attersee.
Der Künstler hat in den letzten Jahren dank wesentlicher Museumsausstellungen und Biennalebeteiligungen einen internationalen Stellenwert erlangt, der seine Position – als hinlänglich integrierter Außenseiter der Szene – unterstreicht. Seine Eigenwilligkeit, sein bildnerischer Erfindungsreichtum und seine sonstige künstlerische Vielseitigkeit faszinieren ein heterogen zusammengesetztes, breites Publikum für ein Werk, das trotz seines artifiziellen Anspruchs Kunst und Leben nahtlos verschmilzt.
Der wandlungsfähige, nicht selten auch als persiflierender Sänger, Klavierspieler und kabarettistischer Ad-hoc-Aktionist in Erscheinung tretende Maler, Zeichner, Objektemacher, Druckgrafiker und gelegentliche Fotograf (diverse Serien von Selbstporträts beweisen das) hat – nach unterschiedlich beeinflußten, allerdings nie unoriginellen Anfängen – seit einem guten Jahrzehnt zu einem unverkennbaren, die Möglichkeiten der Malerei und Zeichnung in gleichem Maße nutzenden Stil gefunden, der bei steter Weiterentwicklung sehr spezifische Fähigkeiten und Anschauungen die Position eines markanten Einzelgängers der internationalen Szene unterstreicht.
Der 1940 in Preßburg geborene, in Linz und Oberösterreich aufgewachsene Wahlwiener (Zweitwohnsitz St. Martin/Raab, Burgenland) ist ein Künstler, der im virtuos gehandhabten Ausspielen und Betonen eines ganzen Arsenals gefühlsbezogener, vielfach doppelbödiger Assoziationen und Phantasien einer – bei allem Einzelgängertum – sehr österreichischen Sicht und Zusammenschau der Dinge stattgibt. in ihrem oftmaligen Hang zu sexueller Persiflage und thematischer Banalität nimmt sie auch den Reiz und die bildnerischen Techniken und Medien substanziell wahr.
Christian Ludwig Attersee ist ein assoziationsreicher Poet, ein Gratwanderer zwischen Phantasie und Wirklichkeit, der in seinen letztlich durchaus kritischen, kollektiv verbindlichen Zeichnungen und Bildern an Zuständen und Symptomen rührt, mit denen wir alle tagtäglich zu tun haben. Würde man ihn als Herzmanovsky-Orlando unserer Zeit bezeichnen, so wäre dies nicht unzutreffend, letztlich allerdings zu eng definiert, und nicht selten zu leicht befunden. Die Verbindlichkeit seines hochgradigen Subjektivismus, dem man in den handschriftlichen Stilmerkmalen seiner Malerei und Zeichnungen ebenso begegnet, wie in deren thematischen Verkettungen und Kapriolen, liegt in der adäquaten bildnerischen Umsetzung einer höchst komplexen, an Absurditäten wahrlich nicht armen gesellschaftlichen Situation. Attersee hat in dieser Beziehung früh mit clownesker Schärfe seine bildnerischen Marginalien und Glossen angebracht.
Die von ihm entwickelte, in ihrer Künstlichkeit und Groteske distanziert engagiert wirkende Sexualsymbolik entspricht im Sinne der von Peter Gorsen formulierten "depressiven Heiterkeit" einer inzwischen hinlänglich erwiesenen Realitätsnähe und Dringlichkeit. Die Symptomatik, mit der der Künstler zu seiner Rolle und seinem Rollenverständnis gefunden hat, mit der er künstlerische Standards, Stile und Richtungen in Frage stellt, an Tabus rührt und mit einer zu offensichtlich an ihren Äußerlichkeiten gemessenen Bildsprache antwortet, die heiter, frech und mit spritziger, barocker Aggressivität auf die Plattheiten und Verhaltensweisen einer inzwischen deutlich alternativ reagierenden Gesellschaft Bezug nimmt, ist freilich mehr eine Verbündete vitaler Poesie als eine solche reinen Intellekts und spekulativer Ratio, die Attersee beide fremd sind.
Die Zugänglichkeit des Werkes von Attersee, der in der spontanen Expressivität einer überaus beziehungsreichen ambivalenten Bildsprache auch eine wichtige Vorläuferposition der jüngeren und jüngsten kunstgeschichtlichen Entwicklungsphase in diesem Land einnimmt, wird auch heute – nach einem deutlich feststellbaren Höhepunkt malerischer Konsolidierung und Ausprägung innerhalb der letzten Phase durch schöpferische Tücken und Verunsicherungen gestört: – ein Umstand, in dem man folgerichtig Beweis und Garantie für eine Weiterentwicklung erwarten kann, die die originären Talente eines narzißtisch ausgespielten Ego – so wie bisher – von Werkgruppe zu Werkgruppe in eine nicht nur auf Variation, sondern auch auf eine bereichernde Erweiterung bedachte, zeitnahe Bildsymbolik überführt, deren erfrischende gesellschaftliche Bezugnahme außer Frage steht. Peter Baum
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