www.aec.at  
Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Kunst vom Bildschirm


'Herbert W. Franke Herbert W. Franke

Jene Konstruktivisten, die seinerzeit, vor 25 Jahren, die ersten mechanischen Plotter für die Realisierung ihrer Vorstellungen benutzten, waren von der exakten Programmiertechnik recht angetan. Sie bot ihnen nicht nur die Möglichkeit, ihre grafischen Elemente präzise darzustellen, sondern sie konnten zum ersten Mal auch kompliziertere geometrische Gebilde in ihre Gestaltung mit einbeziehen. Der Weg, der damals eröffnet wurde, geriet allerdings seit dem Auftreten der vielseitigen Rastergeräte etwas in Vergessenheit – heute beschäftigt man sich lieber mit den spektakulären fotorealistischen Bildern aus dem Computer. Gerade im Zusammenhang mit diesen allerdings ist die mathematische Methode auch für künstlerische Zwecke wieder interessant geworden, allerdings weniger für die Erzeugung von Kunstwerken selbst, als vielmehr zur Vorbereitung von Systemen, die künftigen Künstlergenerationen die Arbeit leichter machen sollen.

Die Aufgaben, um die es hier geht, betreffen nicht die Probleme der "Hardware", der Geräte, sondern die immer mehr an Bedeutung gewinnende "Software", also all das, was mit der Organisation der rechnerischen und logischen Prozesse, mit der Umsetzung der Daten zu tun hat. Solche Arbeiten sind auch im grafischen Bereich unverzichtbar. So wichtig die Entwicklung effektvoller Ausgabegeräte ist, so bedarf es doch auch der Einbeziehung grafischer Befehle in die Programmiersprachen, um diese Geräte überhaupt anwenden zu können. Im Laufe der Zeit wurden dafür völlig neue Ideen entwickelt, die sich auch in der Anwendung niederschlagen. Dazu gehört beispielsweise die "Gummiband-Grafik" von Ivan E. Sutherland, der neben anderen Pionierleistungen für computergrafische Systeme dieses einfach anmutende Prinzip eingeführt hat: Mit einer Art Griffel kann der Benutzer gerade Linien an ihren Endpunkten beliebig über den Bildschirm ziehen. Als praktisch erweist sich auch ein Verfahren zur exakten Positionierung von Punkten; dazu genügt es, dem Computer mit Hilfe des Stiftes auf dem Tableau eine Stelle in der Nähe der exakten Lage anzuweisen, worauf er die genauen Koordinaten aufgrund genereller Angaben bestimmt, beispielsweise jener, daß der Punkt auf einem gegebenen Raster liegen soll oder an der Kreuzungsstelle zweier Linien; der Computer sucht dann den nächstgelegenen Punkt von selbst aus, für den die gegebene Bedingung zutrifft.

Einen ähnlich entscheidenden Schritt, wie er durch den Übergang vom mechanischen Plotter zum Bildschirmgerät vollzogen wurde, gibt es auch im Bereich der Software. Gemeint ist der Übergang vom Zweidimensionalen zum Dreidimensionalen. Schon früher hatten die Computergrafiker bemerkt, daß sich ihre Systeme nicht nur zur grafischen Darstellung von Datenlisten eigneten, sondern auch zur Produktion eigenständiger grafischer Unterlagen. So wandte man sich beispielsweise Schaltplänen, Landkarten und den Grund- und Aufrissen der Architektur zu. Das alles ist auf zweidimensionale Bereiche beschränkt, doch schon das Beispiel der Architektur legt es nahe, neben den Projektionen auch perspektivische Ansichten fertigen zu lassen. Nun ist im Prinzip eine dreidimensionale Anordnung durch Grund- und Aufriß hinreichend beschrieben, und somit erweist sich die Darstellung einer perspektivischen Zeichnung lediglich als Routine. Allerdings benötigt man dafür mathematische Methoden, die zwar keine grundsätzlichen Schwierigkeiten bieten, jedoch, sollten sie von Hand durchgeführt werden, so langwierig wären, daß der Architekt lieber ein dreidimensionales Modell verwendet, um eine Vorstellung vom fertigen Gebäude zu geben. Der schnell rechnende Computer bewältigt solche Rechnungen allerdings im Handumdrehen, und so vollzog sich der Übergang von der zweiten zur dritten Dimension mehr oder weniger selbstverständlich.

Hat man leistungsfähige Systeme zur Verfügung, dann erfolgt die Berechnung in Bruchteilen von Sekunden, und das wieder bringt es mit sich, daß man Ansichten einer ständig wechselnden Perspektive so schnell ausrechnen lassen kann, daß die Bildfolge einer Umrundung des Bauwerks oder auch einer Kamerafahrt auf das Gebäude zu und, wenn es so gewünscht wird, auch ins Innere hinein entspricht. Zur Reife wurde diese Methode für Zwecke des Werkzeug- und Maschinenbaus, dem schon erwähnten CAD, entwickelt. Oft begnügt man sich mit einer Schemazeichnung, in der nur die Kanten des ins Auge gefaßten Gebildes auftreten, mit einer sogenannten "Netzgrafik". Ein solches Gebilde ist durchsichtig und hat den Nachteil, daß man nicht ohne weiteres erkennen kann, welche Teile hinten und weiche vorne liegen. Aber auch dieses Problem, als "Hinterschneidungsproblem" bekannt, läßt sich mathematisch lösen. Man kann in die Programme Routinen einbauen, die aufgrund der gegebenen Daten feststellen, was in der Darstellung verdeckt erscheinen muß, wodurch weitaus realistischere Bilder entstehen. Hat man es vorher mit einem Netzwerk, mit einem Skelett zu tun gehabt, durch das man hindurchsehen kann, so entspricht die Grafik mit berücksichtigter Überdeckung nicht mehr einem Gebilde aus Kanten, sondern aus Flächen. Damit allerdings tritt ein neues Problem auf, nämlich jenes der Beleuchtung des Schattenwurfs. Wieder muß Mathematik eingesetzt werden – einerseits, um die im Schatten liegenden Teile zu berechnen, andererseits zur Feststellung der sogenannten "Flächenhelligkeit". Dabei stützt man sich auf Gesetze der Optik, nach denen sich berechnen läßt, welcher Teil des von der Lichtquelle ausgehenden Lichts, von verschieden geneigten Flächen reflektiert, zum Beobachter gelangt. Der rechnerische Aufwand ist immens: Die Rechnung muß nämlich für jeden einzelnen Bildpunkt durchgeführt werden.

Auch damit ist noch längst nicht volle Wirklichkeitstreue erreicht, denn normalerweise sind die Gegenstände, mit denen wir es zu tun haben, nicht von ebenen Flächen begrenzt wie ein geschliffener Diamant. Die aus den Netzgrafiken entwickelten Darstellungen bedeuten daher nur eine Näherung an die wirkliche Form, die man dadurch erreicht, daß man die Flächenstücke immer kleiner macht, bis – ähnlich wie bei anderen Fällen – ein kontinuierlicher Verlauf, eine Flächenkrümmung, vorgetäuscht wird. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, daß die Errechnung solcher perspektivischen Darstellungen höchst zeitaufwendig ist.

In Wissenschaft, Technik und Architektur kann man sich weitgehend mit Schemabildern behelfen, die von einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung erheblich abweichen. Hier ist jene Grenze erreicht, die für den praktischen Gebrauch maßgebend ist. Jede Erhöhung der Qualität über dieses Maß hinaus führt in den Bereich ästhetischer Aufgaben. Damit sind keineswegs nur rein künstlerische gemeint, für die der dazu nötige Aufwand kaum zur Verfügung steht, sondern insbesondere jene der sogenannten angewandten Kunst, beispielsweise Gebrauchsgrafik, Illustration und dergleichen. Noch weitaus teurer wird die Produktion, wenn man sich nicht mit Einzelbildern begnügt, sondern Bildfolgen, sequenzielle Abläufe, Filme anstrebt, denn dann muß die beschriebene Rechenarbeit fünfundzwanzigmal in der Sekunde wiederholt werden. Um solche Aufgaben zu lösen, benötigt man die größten Computer der Weit, und selbst diese bewältigen diese Aufgabe nicht in Echtzeit. Die dazu benötigten Rechenzeiten liegen weit über einer fünfundzwanzigstel Sekunde, die dazu Voraussetzung ist. Das Material für filmische Darstellungen wird daher in Form von Einzelbildern geliefert, die man so wie seinerzeit beim Zeichentrickfilm kombiniert. Die dafür nötigen Mittel können nur von finanzkräftigen Institutionen aufgebracht werden, und so kommt es, daß diese Methode bisher vor allem in phantastischen Filmen und in der Werbung eingesetzt wurden. Der Grund dafür ist verständlich: Bei phantastischen Filmen werden Szenen gezeigt, die es in Wirklichkeit nicht gibt – Gestalten aus der Märchenwelt, Landschaften der Sciencefiction; die Computeranimation in fotorealistischer Darstellung hat dem phantastischen Film unglaubliche Realitätsnähe und damit einen beachtlichen Aufschwung gebracht. Und ähnlich liegt die Aufgabenstellung in der Werbung, insbesondere bei den amerikanischen "commercials". Oft genug kommt es dabei darauf an, ein Produkt vorzuführen, das eben erst in die Produktion geht, also für Filmarbeiten nicht zur Verfügung steht. Hier ist die computergrafische Methode in der Lage, nach den zugrundeliegenden Konstruktionszeichnungen Bilder des Objekts zu erstellen, denen man nicht anmerkt, daß sie im Computer entstanden sind. Der hohe Aufwand bei der Erzeugung dieser Szenen liegt, wie beschrieben, an der Forderung fotorealistischer Wiedergabe. Begnügt man sich mit Näherungslösungen, dann wird das Verfahren natürlich erheblich billiger. Eine Möglichkeit des Einsatzes ist die Simulation, beispielsweise bei der Ausbildung von Astronauten, Piloten und Lokomotivführern. Man verwendet dazu Kabinen, in denen die Steuerkanzeln naturgetreu nachgebildet sind, lediglich anstelle der Fenster treten Bildschirme. Und dazu gehört ein Computersystem, das die Hebelstellungen und sonstigen Eingriffe der Probanden aufnimmt und daraus jene Bilder berechnet, die bei richtiger Ausführung des Manövers durch die Fenster zu sehen wären. Da nicht vorauszusehen ist, ob sich der Lernende richtig verhält, muß das System auch auf unvorhersehbare Anweisungen reagieren, und dazu ist man auf Echtzeit angewiesen. Daraus folgt die Konsequenz, daß Simulatorenbilder noch recht schematisch ausfallen, beispielsweise dadurch, daß Details fehlen und man auf die richtige Berechnung der optischen Reflexion verzichtet.

Jene Benutzer von Rechensystemen, die damit neue Aufgaben zu lösen versuchen, üben eine Doppelfunktion aus: Einerseits widmen sie sich ihrem speziellen Problem, das sie nun in eine zur Bearbeitung mit dem Computer adäquate Form bringen müssen, beispielsweise dadurch, daß sie es in einer Programmiersprache formulieren. Andererseits leisten sie insofern Pionierarbeit, als sie mit eben diesen Programmen auch schon allgemeine Grundzüge einer Software festlegen, die späteren Benutzern zur Verfügung steht. Ist die Methode erst einmal ausgereift, dann wird ihre Anwendung zur Routine, die Aufgabe reduziert sich auf die eigentlichen wissenschaftlichen, technischen oder auch künstlerischen Sachfragen.

Im Gebiet der zweidimensionalen Grafik ist dieser Prozeß schon weit fortgeschritten. Es gibt sogar schon eine mehr oder weniger offizielle Norm, das sogenannte grafische Kernsystem (GKS), durch das aus der Vielfalt methodischer Möglichkeiten, die prinzipiell verfügbar sind, ein bestimmter Teil herausgegriffen wird, der die besten Voraussetzungen für das grafische Arbeiten mit dem Computer bietet. Für dreidimensionale Grafik sind noch keine Normen festgelegt, doch haben sich schon bestimmte Verfahrensweisen herausgestellt, die den Gebrauch vereinfachen. Eine solche Methode ist der Aufbau räumlicher Gebilde aus einfachen Elementen, deren Formen so ausgeklügelt sind, daß durch ihre Kombination wie auch durch additive oder subtraktive Überschneidung eine Vielfalt von Formen darstellbar ist. Durch mehrfache Anwendung dieses Verfahrens, insbesondere auch durch die Zerlegung in immer kleinere Einheiten, kann man eine beliebige Näherung an jede vorgegebene reale Form erzielen.

Auch mögliche Bewegungen sind von Spezialsystemen bereits vorgegeben. So kann beispielsweise die Drehung eines dreidimensional-perspektivisch dargestellten Objekts in Echtzeit durch einen manuellen Eingriff bewirkt werden; ein dafür geeignetes Eingabegerät ist die sogenannte Rollkugel. Man kann sie so in eine Tischplatte versenken, daß nur ein kleiner, der Hand angepaßter Teil hervorsieht. Die Kugel ist beweglich angebracht und läßt sich um beliebige Rotationsachsen bewegen. Das System kann nun so eingerichtet sein, daß die Zeichnung auf dem Bildschirm die angegebene Rotation durchführt und somit von verschiedenen Richtungen her sichtbar wird. Diese Bewegung kann genausogut im Sinn einer Umrundung des Gegenstands durch den Betrachter bzw. durch die Kamera aufgefaßt werden. Auch der Wechsel des Blickpunkts zu beliebigen anderen Positionen ist möglich – genau wie bei der Rotation sind es bestimmte Transformationen, die der Computer dann in Echtzeit durchführen muß, um einen kontinuierlichen Bewegungsablauf vorzutäuschen. In diesen routinemäßig vorgegebenen Sichtweisen bieten sich interessante Aspekte auch für den künstlerischen Gebrauch. Dazu gehören ungewöhnliche Perspektiven, beispielsweise Gebäudekomplexe, von unten betrachtet, nicht zuletzt auch spektakuläre Kamerafahrten, die in Wirklichkeit nicht möglich wären. Großes Aufsehen hat beispielsweise eine vom Computerinstitut der Lucas Filmgesellschaft produzierte Sequenz für einen Streifen der "Startrek"-Serie hervorgerufen, bei dem aus dem Weltraum heraus eine Näherung an einen Planeten erfolgt, die dann in einen Flug über das Relief von Bergen und Seen übergeht und schließlich – mit Sicht auf den zurückbleibenden Planeten – wieder in den Weltraum zurückführt.

Um realistische Wirkung zu erzielen, müssen eine ganze Reihe aufwendiger Rechenmethoden angewandt werden. Neben solchen, die der Bildverbesserung dienen – und in diesem Beitrag nicht näher beschrieben werden -, sind es jene, die die Perspektive bestimmen, die Überdeckung, den Schattenwurf, die Lichtverteilung. Die dazu nötigen Programme kommen zum Teil aus jenen Instituten, die auch als Produzenten der Bildsequenzen auftreten, und stehen zunächst nur diesen zur Verfügung. Außer der schon erwähnten Gruppe der Lucas-Film, die sich inzwischen mit einer eigenen Firma, PIXAR, selbständig gemacht hat, sind als Wegbereiter dieser Methode vor allem zwei mit Firmen assoziierte Universitätsinstitute zu nennen. Das eine ist das Computergrafik-Laboratorium des New York Institute of Technology, kurz NYIT genannt, das andere ist das unter der Leitung von Charles Csuri stehende Computergrafik-Institut der Ohio State University in Columbus. Von den dazugehörigen Firmen werden die Systeme nach ihrer Erprobung meist auch kommerziell vertrieben.
Man darf annehmen, daß die mit geometrischen Fragen verbundenen Probleme der Computergrafik im Großen und Ganzen gelöst sind. Der Schwerpunkt der Entwicklung liegt heute in der Darstellung bestimmter Strukturen, hat sich also gewissermaßen in den semaritischen Bereich verlagert. Durch die Vorarbeiten des Computer Aided Design lassen sich alle technisch gefertigten Objekte, Maschinen, Fahrzeuge, Häuser und dergleichen, ohne Schwierigkeiten fotorealistisch darstellen. Beim künstlerischen Gebrauch ergibt sich dabei ein kurios anmutendes Problem: Alles das, was hier auf dem Bildschirm erscheint, ist von idealer Sauberkeit und Makellosigkeit, wie es in Wirklichkeit kaum möglich ist. Sollen solche Objekte also beispielsweise in realistischen Filmen auftreten, dann muß man sie durch irgendwelche Programmiermethoden künstlich altern lassen. Dem Vernehmen nach haben sich die Fachleute bisher nicht mit dieser Frage beschäftigt, da es ihnen recht einfach erscheint, wenn nötig Rostflecken oder Schrammen einzuprogrammieren. Im Moment gibt es noch genügend kniffelige Probleme, die prinzipielle Fragen aufwerfen und die Anwendung neuer Methoden erfordern. Das ist stets dann der Fall, wenn natürliche Formationen gezeigt werden sollen, beispielsweise die Oberfläche von Planeten, das Relief von Gebirgen mit dazwischenliegenden Tälern. Hier hat man es immerhin noch mit festgefügten, unveränderlichen Gegenständen zu tun, und somit lassen sich zumindest die Routinen der geometrischen Optik ohne weiteres anwenden. Eine andere Frage ist es, nach weichen Gesichtspunkten eine Berglandschaft aufgebaut werden soll. Nun bereitet es sicher kein besonderes Problem, mit den Mitteln der Computergrafik einen bestimmten Berg oder auch eine bestimmte Landschaft aufzubauen. Was die Fachleute in den Instituten beabsichtigen, ist allerdings etwas anderes: Sie wollen eine allgemein anwendbare Methode zur routinemäßigen Darstellung solcher Oberflächenformen finden. Dabei erscheint es wünschenswert, daß die dafür zugrunde gelegten Formeln Parameter enthalten, also Bestimmungsgrößen, mit denen sich charakteristische Eigenschaften der Objekte beschreiben lassen. Bei einem Gebirge kann das beispielsweise die mittlere Erhöhung über die Nullebene sein, die mittlere Steilheit der Hänge, der Grad der Zerklüftung usw. Mit dieser Aufgabenstellung erfolgt ein entscheidender Schritt in einen Aufgabenbereich, der nun nicht mehr technisch, sondern vorwiegend ästhetisch orientiert ist. Während es für die verschiedenen Verfahren der dreidimensional-perspektivischen Darstellung verschiedenste Anwendungen sowohl im technischen wie im künstlerischen Bereich gibt, so sind Programme für den Aufbau von Landschaften, von Wolken, von Wasser, von Pflanzen und Tieren nur noch im Bereich der angewandten und der "reinen" Kunst sinnvoll.

Es sind also - um es noch einmal zu betonen - ästhetisch orientierte Aufgaben, doch die Mittel ihrer Lösung finden sich naturgemäß in der Mathematik und der Programmiertechnik. Merkwürdigerweise kommen dabei allerdings mathematische Prinzipien ins Spiel, die in der Technik kaum angewandt werden, sondern, wie es scheint, insbesondere natürlichen Vorgängen angepaßt sind. Damit tut sich, abgesehen von jeder künstlerischen Zielsetzung, eine Fülle faszinierender Fragen auf, die mit den Strukturierungsprinzipien von Gebirgsbildung, Wachstumsvorgängen und dergleichen zusammenhängen.

ZUFALLSVERTEILUNGEN UND FRAKTALS
Im Zusammenhang damit steht ein Prinzip, das von der Computer-Software schon zur Anfangszeit computergrafischer Aktivitäten angeboten wurde: jenes des Zufalls. Eigentlich ist es ein Widerspruch, denn man kann den Computer auch als Maschine für die Erzeugung von Ordnung bezeichnen, dagegen ist der Zufall gerade dadurch gekennzeichnet, daß an ihm keinerlei Ordnung zu erkennen ist. In der Tat ist es auch kein echter Zufall, der im Rahmen verschiedener Programmiersprachen routinemäßig zur Verfügung gestellt wird, sondern sogenannter Pseudozufall. Das bedeutet, daß trotz des äußerlichen Anscheins chaotischer Verteilung, Farbzusammenstellung usw. ein verstecktes Ordnungsprinzip dahintersteckt. Man kann das zum Anlaß nehmen, über die Unterschiede zwischen Zufall und Pseudozufall zu diskutieren, woran sich interessante mathematische und auch philosophische Überlegungen knüpfen lassen. Im Hinblick auf künstlerische Anwendung allerdings kommt es nur darauf an, daß jener, der mit dem Realisat, vielleicht einem Kunstwerk, an jenem Formenschatz, auf den es ankommt, keinerlei Ordnung erkennen kann. Damit in Zusammenhang stehen informationspsychologische und wahrnehmungstheoretische Betrachtungen, die im Hinblick auf ästhetische Effekte höchst aufschlußreich, jedoch nicht Gegenstand dieser Erörterung sind.

Ob Zufall oder Pseudozufall, in Wissenschaft und Technik gibt es nur wenige Anwendungen dafür, beispielsweise für verschiedene Aufgaben der Simulation, dagegen haben schon die ersten künstlerisch interessierten Programmierer davon Gebrauch gemacht, indem sie neben den vom Computer gegebenen Ordnungen auch von ihm erzeugte Zufallselemente in ihre Bilder einbauten. Aus einem ganz anderen Aspekt heraus wurde das Zufallselement nun wieder aktuell, und zwar im Zusammenhang mit der Nachbildung von Naturformen. Auch bei natürlichen Strukturen, beispielsweise auf den Boden gestreuter Tannennadeln, am Meeresufer verstreutem Gestein, dem Muster von Regentropfen auf einer Unterlage, kommt es nicht darauf an, ob es Zufalls- oder Pseudozufallsverteilungen sind, sondern lediglich auf die Frage, ob sich mit Hilfe des für diesen Zweck eingerichteten "RANDOM-Befehls" eine stimmig scheinende Abbildung erzielen läßt. In vielen Fällen ist das der Fall, und noch häufiger hat man es mit sogenannten "stochastischen" Prozessen zu tun: solchen, die man als "teilweise zufallsbedingt" bezeichnen kann. Durch geschickte Kombination von Ordnung und Zufall, durch das Setzen bestimmter Schwerpunkte, durch Angabe von Mittelwerten und Einrichtung von "Störfaktoren" lassen sich noch weitaus mehr in der Natur vorkommende Texturen nachbilden. Beispiele für stochastische Verteilungen sind beispielsweise im Wasser treibende Holzstämme, nach oben schlagende Flammen, von glühendem Metall absprühende Funken. In all diesen Fällen sind bestimmte Richtungen vorgegeben, doch die Elemente richten sich nicht exakt daran sondern sind, wie man sagt, um einen Mittelwert gestreut.

Gänzlich unerwartet hat in den letzten Jahren ein neues Schwerpunktthema der Mathematik zu verschiedensten Anordnungen in der fotorealistischen Computergrafik gefunden. Gemeint sind die von Benoit B. Mandelbrot definierten "Fraktals", über die in letzter Zeit viele mathematische Originalarbeiten und mehrere Bücher erschienen sind. Erstaunlich ist, daß diese Gebilde aber auch die Aufmerksamkeit kunstinteressierter Kreise erweckt haben, so daß sie Gegenstand vieler Ausstellungen wurden, darunter einer internationalen, vom deutschen Goethe-Institut inszenierten Aktion.

Über die Natur der Fraktals sei hier nur soviel gesagt, daß sie sich mit Hilfe von Linien veranschaulichen lassen, die – wie schon der Name andeutet - "vielfach gebrochen" sind. Und diese "gebrochenen" Teile, beispielsweise den Kurvenverlauf unterbrechende Ecken, findet man nicht nur bei makroskopischer Betrachtung, sondern das Prinzip dieser Brechung wiederholt sich bis in allerkleinste Bereiche hinein.

Es gibt regelmäßig aufgebaute Fraktals, wofür die "Schneeflocken-Kurve" ein Beispiel ist. Man kann dabei von einem regulären Sechseck ausgehen, dessen Seitenlinien durch Zacken unterbrochen sind. Diese Zacken sind selbst wieder aus Linienelementen aufgebaut, die ihrerseits wieder – nur entsprechend verkleinert – durch Zacken derselben Geometrie unterbrochen sind. Es gibt aber auch unregelmäßige, und das bedeutet nach einem Zufallsprinzip aufgebaute "Fraktals". Auch sie zeichnen sich durch diesen "endlos gebrochenen" Charakter aus, nur mit dem Unterschied, daß bei der Bildung von Ecken, Unterbrechungen, Zacken und dergleichen keine festen Proportionen vorgegeben sind, sondern daß diese von einem Verkleinerungsschritt zum anderen wechseln.
Als Mandelbrot mit seinen Fraktals an die Öffentlichkeit trat, waren seine Kollegen zwar von der Originalität dieser Idee fasziniert, jedoch auch einig darüber, daß es sich hierbei um ein synthetisches Gedankenprodukt handelt, das keinerlei Entsprechung in der Realität hätte. Zur allgemeinen Überraschung hat sich inzwischen herausgestellt, daß der Fraktal-Charakter geradezu zu den Grundsätzen naturgegebener Strukturen zählt. Erwähnenswert ist schließlich auch, daß die erste praktische Anwendung von Fraktals für die Lösung von Aufgaben der Computergrafik gemeldet wurde, und zwar war es Loren Carpenter, der Fraktals zum Aufbau eines Gebirgsreliefs verwendete. Diese Idee ist auch einleuchtend: Überschlägig betrachtet, scheint ein Gebirge nicht nur von der Lage der Erhebungen und Eintalungen her unregelmäßig aufgebaut, sondern innerhalb von Bergen gibt es kleinere Täler, und innerhalb von Tälern kleinere Erhebungen, und in diesen finden sich wieder Mulden bzw. Hügel – das Ganze könnte man fortsetzen bis in mikroskopische Bereiche. Damit haben wir es mit einer typischen Fraktal-Eigenschaft zu tun.

Aus Fraktals aufgebaute Gebirge gehören seither zum täglichen Erscheinungsbild der Computersimulation von Landschaften, und was seinerzeit so einleuchtend erschien, stößt bereits wieder auf Kritik. Der Schweizer Martin Heller beispielsweise schlägt eine ganz andere Methode vor – er meint, bei der Modellierung einer Gebirgslandschaft sollte man von wirklichkeitsentsprechenden Voraussetzungen, beispielsweise von einer vorgegebenen Plattentektonik, ausgehen und die Störungen nach dem Vorbild erosiver Vorgänge, also der Gerinnebildung, wie sie auch in Wirklichkeit erfolgt, vornehmen. Da er sich als Informatiker auf geologische Kartierung mit Hilfe des Computers spezialisiert hat, könnte man seinen Einwand als die überzogene Forderung eines Wissenschaftlers sehen. Er ist aber andererseits auch ein preisgekrönter Computergrafiker und gibt ästhetische Gründe für seinen Vorschlag an. Seiner Meinung nach würde man mit Hilfe seiner Methode nicht nur eine bessere Näherung an die wirklichen Vorgänge, sondern auch eine größere Vielfalt und damit einen ästhetischen Gewinn erzielen. Seine Meinung ist beachtenswert. Sicher kommt man, wenn es sich lediglich um kurzfristig gezeigte Hintergründe eines szenischen Geschehens handelt, mit Fraktal-Gebirgen aus. Soll aber beispielsweise die fremdartige Landschaft selbst das Thema einer Computeranimationssequenz sein, dann ergibt die "wissenschaftliche" Methode weitaus mehr Raum für eindrucksvolle Formbildungen. So könnte man beispielsweise von den auf der Erde üblichen Verhältnissen abgehen und Prozesse der Gebirgsbildung postulieren, die es bei uns nicht gibt. Der fremdartige Formenschatz, der aufgrund dieser Basis bildlich zum Vorschein käme, ist – selbst wenn er in der Natur nirgends vorkommt – auch ästhetisch gesehen die "bessere Wirklichkeit".
MODELLIERUNG VON LEBEN
Man könnte ähnliche Überlegungen an verschiedene weitere Aufgaben anknüpfen, denen sich die moderne Computergrafik und -animation widmet, doch soll hier eine Erwähnung der wichtigsten Probleme genügen. Dazu gehören jene anderen Gebilde, denen man ebenfalls durch den Einsatz von Fraktals beikam – beispielsweise die Verteilung von Wolken. Weitaus schwieriger war es, bewegtes Wasser, wie die Oberfläche eines Sees oder des Meeres, zu erfassen. Wohl als erster widmete sich dieser Aufgabe der Computergrafiker Nelson Max vom Lawrence Livermoore Laboratory in Kalifornien. Schwierigkeiten bereitete das Problem, die Wellenbewegung physikalisch richtig zu simulieren. Einfache Fälle, beispielsweise die von einem Zentrum aus ausgelöste Wellenbewegung in einem kreisrunden Gefäß, lassen sich leicht erfassen, in der Natur dagegen hat man es mit unregelmäßig geformten Uferlinien zu tun, von denen die Brechungen ausgehen, die sich ihrerseits der primären Wellenbewegung überlagern. Diese Aufgabe läßt sich nicht exakt lösen, und somit zeigt sich die Fähigkeit des Bearbeiters eher darin, ob er es versteht, wesentliche, das Aussehen prägende Teile zu berücksichtigen, und alles, was den Rahmen der Aufgabe übersteigen würde, wegzulassen oder durch eine Zufallsbewegung zu ersetzen.

Bill Reeves von der PIXAR-Gruppe war in den letzten Jahren mit verschiedenen Beispielen von Texturen beschäftigt, für die er gemeinsam gültige Darstellungsalgorithmen fand.

Dazu gehört das Züngeln von Flammen wie die wiegende Bewegung von Kornfeldern. Auch pflanzliche Strukturen, Gras, Wälder und einzelne Bäume, waren Gegenstand von Untersuchungen von Bill Reeves und seinen Kollegen.

Grundlegend neue Gesichtspunkte treten schließlich bei der Erfassung von Lebewesen auf. In einigen Fällen, beispielsweise bei der inzwischen schon legendär gewordenen Werbesequenz "Sexy Robot" von der Firma Robert Abel in Hollywood, löste man die Aufgabe dadurch, daß man ein menschliches Modell engagierte, an Schultern, Knien und anderen markanten Stellen Lampen befestigte und so den für die Animationssequenz vorgesehenen Bewegungsvorgang studierte. In anderen, mehr forschungsorientierten Instituten, etwa an der Ohio State University und am New York Tech, versucht man das Problem an der Basis anzupacken. Da man nicht schon vom ersten Versuch die lebensechte Darstellung bekannter Tierformen erwarten darf, nahm man sich als Objekte Phantasiewesen vor. In Columbus handelte es sich um ein raubkatzenähnliches Tier, das einem Tiger ähnelt, auf Long Island, dem Sitz des NYIT, beschäftigte man sich im Rahmen eines geplanten Science-fiction-Films mit ameisenartigen Robot-Wesen. Die Wiedergabe der Bewegung erfolgt nun nicht wie bei der Malerei oder wie beim Film über die flächenhafte Projektion, vielmehr hat sich dabei eine Methode herauskristallisiert, die eher an die Konstruktion einer Maschine als an ein Abbildungsverfahren erinnert. Der Gestalter geht vom dreidimensionalen Aufbau des Skelettes aus (das keineswegs einem naturgegebenen Vorbild folgen muß, wenn es nur im Sinn eines Gelenksystems funktioniert) und entwickelt daraus – beispielsweise durch Vorgabe von Grenzwerten für die Winkelbewegung – die Formveränderungen, die sich beim Laufen, beim Springen, beim Drehen des Kopfes und dergleichen ergeben.

Angesichts der Schwierigkeit der Aufgabe, die voll ausgebildete Programmierer erfordert, ist verständlich, daß diese Methode bisher keinen Niederschlag im Bereich der reinen Kunst gefunden hat. Doch immerhin sind es bemerkenswerte Perspektiven, die sich hier eröffnen, Verfahrensweisen, die weder mit der üblichen, auf flächenhafte Darstellung gerichteten Malerei noch mit der zwar dreidimensional orientierten, doch lediglich die Oberfläche beachtenden klassischen Bildhauerei zu tun hat. Für die Konstruktion, die sich hier als wesentlich erweist, wäre der Ausdruck "kreativ" im wahrsten Sinn des Wortes angebracht da die Arbeit des Gestalters einer Schöpfung viel näher kommt als einer Abbildung.

Haben wir es hier mit Aktivisten zu tun, deren Konsequenzen für künstlerische Prozesse erst für die Zukunft zu erwarten sind, dann gilt das auch für das bisher komplizierteste Problem, nämlich die Computermodellierung des Menschen. Sie erweist sich nicht zuletzt deshalb als besonders schwierig, weil uns der menschliche Körper, das menschliche Gesicht so vertraut sind, daß schon die geringste Abweichung als störend empfunden wird. Nichtsdestoweniger beschäftigen sich einige Programmierer auch mit diesem Problem, insbesondere mit dem Gesicht und seinem Mienenspiel. Speziell für Zwecke des Spielfilms stellt sich die Aufgabe der synchron zur Sprache verlaufenden Lippenbewegung, und in Verbindung damit des zum Sinnzusammenhang passenden Gesichtsausdrucks. Von einer realitätsnahen Physiognomie ist man heute noch weit entfernt, doch gelingt es immerhin, menschliche Gesichter so weit zu simulieren, daß sie wenn auch puppenhaftes Leben gewinnen. Die Bewegung der Augen, das Hochziehen der Brauen, die Veränderung der Lippenform – das sind Andeutungen menschlicher Regungen, die gerade im Hinblick auf die metallisch glatten Oberflächenformen besonders bizarr anmuten. Einen besonderen Akzent erhalten Vorführungen dieser Art durch die Tatsache, daß die präsentierten Gesichter keine Haare aufweisen und deshalb wie bewegliche Masken anmuten. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß es bisher noch nicht gelungen ist – vielleicht hat sich auch noch niemand ernsthaft damit beschäftigt -, das menschliche Haar im Computerbild zu erfassen.
WEGE DER VERFREMDUNG
Es ist zu erwarten, daß in den nächsten Jahren das Repertoire der mit Computergrafik und -animation erfaßbaren Strukturen wächst und routinemäßig durch Anwendersoftware – eingesetzt wird. Erst dann steht diese Methode uneingeschränkt jenen Benutzern zur Verfügung, denen es nur um Gestaltung und nicht um die Entwicklung von grafischer Software geht.

Manche Kritiker wenden ein, daß die Simulation von Wirklichkeit, ihre Erfassung in Programmanweisungen, kein künstlerisch-kreativer Akt sei und überhaupt nichts mit Kunst zu tun hätte. In dieser verschärften Form trifft diese Ansicht wohl nicht zu. Allerdings verlagert sich das Problem vom Abbilden in klassischer Art auf eine Aufgabe der Synthese im Sinn einer technischen Konstruktion. Erfaßt wird dadurch die gesamte Mannigfaltigkeit unserer Welt in realistischer Darstellung aller natürlichen und von Menschen gefertigten Formen. Daß diese Art des Malens heute keine Anerkennung mehr findet, hat verschiedene Gründe, die hier nicht weiter diskutiert zu werden brauchen; es kommt aber nicht darauf an ob Anwendungen schließlich im Bereich der "reinen" oder angewandten Kunst zu erwarten sind, oder ob solche Werke den Beifall von Kritikern finden oder nicht. Worauf es ankommt, ist die prinzipielle Lösung eines Problems und die Tatsache, daß sich eine neue Näherung gefunden hat. Erfahrungsgemäß erweisen sich Resultate dieser Art auch im künstlerischen Raum als wichtige Impulse, vielleicht als Ausgangsbasis für Aufgaben ganz anderer Art.

Der gängigen Meinung gemäß ist die Nachahmung der Wirklichkeit keine künstlerische Leistung - von einem Kunstwerk erwartet man eher eine Verfremdung, gern auch als "Überhöhung" bezeichnet - damit soll angedeutet werden, daß es nicht mit einem beliebig eingesetzten Effekt getan ist, sondern daß ein gestalterischer Sinn dahinterstecken soll, beispielsweise eine Verdeutlichung durch Reduktion auf das Wesentliche oder eine Auflösung bekannter Formen zur Anregung assoziativer Prozesse. Daß so etwas in der Kunst eher verlangt wird als profane Realität, ist den Repräsentanten der Realsimulation ebenso bekannt wie ihren Kritikern. Sie weisen aber darauf hin, daß es wünschenswert ist, zunächst die Realdarstellung zu beherrschen, ehe man sich der Verfremdung widmet. Wozu aber erst den aufwendigen Weg über eine Realdarstellung wählen, wenn es doch einen viel einfacheren Zugang zu interessanten Verfremdungseffekten gibt? – nämlich jenen, sich bei der Simulation mit Näherungsmethoden zu begnügen, wodurch sich Abweichungen vom naturalistischen Bild von selbst einstellen.

In der Tat kamen manche künstlerischen Arbeiten aus dem Bereich der Computergrafik einfach dadurch zustande, daß man unzulängliche Abbildungsmethoden anwandte. Manche der dabei auftretenden Effekte sind von der herkömmlichen Kunst wie auch der experimentellen Fotografie bekannt, beispielsweise die Beschränkung auf Konturlinien, die Auflösung in grobe Verläufe, die Zuordnung falscher Farben. Viele der dabei auftretenden Erscheinungen aber sind neu, ergeben Bilder von ungewöhnlichem Reiz und stellen daher sicher eine Bereicherung des Darstellungsrepertoires dar. Vom ästhetischen Standpunkt aus kann es durchaus interessant sein, auf diese Weise erreichte Effekte zu studieren, besonders im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit für Sonderzwecke.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Film TRON. Seine Produktion liegt erst einige Jahre zurück, und dennoch haben die Methoden der computergrafischen Darstellung inzwischen so große Fortschritte gemacht, daß man die in diesem schon zu einem Klassiker gewordenen Film gezeigten Bilder als den heutigen Gesichtspunkten entsprechend ungenügend bezeichnen könnte. Leider behandelt dieser Film ein recht banales Thema, das außerdem im Sinn eines primitiven Action-Spektakels abgehandelt wird. Andererseits bietet er faszinierende, bisher noch nie gesehene Bilder, die die Vision einer phantastischen Zukunftsstadt sein könnten.

Zustandegekommen sind sie mit Hilfe der computergrafischen Methode, wobei man keinerlei Fotorealismus angestrebt, sondern die Abweichung vom Üblichen als Stilmittel eingesetzt hat. Gerechtfertigt wird das durch einen raffinierten Trick in der Konzeption des Plots: Als Schauplatz wurde nämlich eine imaginäre Welt gewählt, die im Bereich abenteuergeladener Computerspiele angesiedelt ist. Dorthin wird der Held des Geschehens durch einen Trick verbannt, und das gibt Gelegenheit zur Demonstration der Schwerkraft trotzender, durchsichtiger Gebäude, utopischer Fahrzeuge, die mit atemberaubender Geschwindigkeit um Ecken rasen, phantastischer Maschinen und eines in seiner Eleganz geradezu großartigen Vehikels, eines mit Sonnensegeln betriebenen Schwebeflugzeugs.

Es ist zu vermuten, daß auf unzulänglicher Aufbereitung beruhende Verfremdungen nur beschränkte Zeit hindurch reizvoll wirken und daß die bessere, weil allgemeinere Methode, die der Reduktion erreichter Wirklichkeit ist. Dann kann der Künstler nämlich die Art seiner Verfremdung selbst bestimmen und sie seinen Absichten anpassen. Auf der anderen Seite allerdings gibt es noch eine andere Möglichkeit, auf die Realdarstellung fußend zu ungewöhnlicher Bildinnovation zu kommen. Dem Künstler steht es nämlich frei, sich aller Mittel der Realsimulation zu bedienen und den damit erweckten Eindruck auch beizubehalten, jedoch in der Konzeption seiner Bilder insofern von der Wirklichkeit abzugehen, als er Gegenstände, Lebewesen und Landschaften selbst erfindet, also Dinge darstellt, die es gar nicht gibt, diese aber in realistischer Wiedergabe – bis zum gezielt eingesetzten optischen Brechungs- und Streuungseffekt - einsetzt. Dieser Stil ist in der klassischen Kunst bekannt und wird dort Surrealismus genannt. Es ist eine Richtung, die durch die simple Tatsache eingeschränkt wird, daß es technisch recht mühevoll ist, streng den Gesetzen der Geometrie und Optik folgend mit allem Detailreichtum angenommener Wirklichkeit zu arbeiten. Bei statischen Bildern wurde das allerdings schon oft genug praktiziert, wobei die Frage auftritt, ob eine präzise Berücksichtigung der Geometrie, ein exaktes Setzen der Lichter wirklich etwas mit Kunst zu tun hat; der kreative Akt sollte doch vielmehr in der vorgegebenen Vision liegen.

Als wesentliches Moment kommt allerdings hinzu, daß die Computer-Animation diese Bilder, Szenen und Visionen auch in Bewegung darzustellen vermag; erst damit ist jene Grenze überschritten, die mit manuellen Mitteln realisierbare visuelle Vorstellungen umfaßt. Bis heute gibt es nur wenige kurze Szenen, die das andeuten, was in Zukunft auch für den künstlerischen Gebrauch möglich sein wird, und dieses Wenige ist meist in banale Science-fiction-Handlungen eingekleidet, so daß sie der ernsthafte Kritiker nicht als beachtenswert erachtet.

Auch damit verlagert sich der künstlerische Schöpfungsakt von einer abbildenden, im Prinzip geometrisch-projektive Gesichtspunkte berücksichtigenden Tätigkeit zur Ausarbeitung visionärer Vorstellungen. Was dabei vom Künstler gefordert ist, geht über die Kreation eines Einzelbildes weit hinaus. Handelt es sich um Bildfolgen, um Abläufe, dann müssen diese alle aufeinander abgestimmt sein. Genaugenommen bedarf es der Konzeption einer imaginären Welt mit eigenem Formenschatz und eigenen Gesetzen. Denn der Anwender von Computer-Animation ist keineswegs auf die bekannten Naturgesetze angewiesen – er kann sie beliebig ändern, was schon an den verzögerungsfrei um Ecken fahrenden Rennrädern aus dem Film TRON demonstriert wurde. Gewiß ist es dem Künstler überlassen, welche Formationen er wählt, wie er sich eine utopische oder phantastische Szenerie vorstellt. Der kritische Betrachter wird allerdings sehr bald merken, ob der vom Künstler gelieferte Vorwurf homogen ist oder fehlerhaft. Nichts spricht dagegen, eine Welt mit zerfließenden Uhren nach dem Vorbild von Dalì darzustellen, aber im Gegensatz zur Arbeit des bekannten Surrealisten ist es nicht mit einer Momentaufnahme getan, sondern es wird sich als unverzichtbar erweisen, auch über die Regeln nachzudenken, denen zerfließende Gegenstände folgen.
INTERAKTIVE KUNST
Der Übergang zur Bewegung bedeutet für die Kunst einen folgenschweren Schritt, ob es nun klassisch ausgebildete Maler und Grafiker sind, die sich in Zukunft dieser Methode bedienen werden. Damit sind allerdings die von der Computertechnik gegebenen Möglichkeiten noch längst nicht erschöpft. Ein weiteres, grundlegend wichtiges Moment, das nur mit Hilfe der elektronischen Methode realisierbar erscheint, ist jenes der Interaktivität. Wenn bisher von Bildfolgen die Rede war, dann waren Filmsequenzen gemeint, lineare Reihen, die in ihrem Vor- und Nacheinander festgelegt sind. Diese Beschränkung entspricht dem konventionellen Denken, das sich an Film und Fernsehen orientiert. Wenn es möglich ist, mit einem Computerprogramm eine ganze Bildfolge zu beschreiben, dann steht auch die Möglichkeit offen, diese Serie in beliebiger Reihenfolge zu durchlaufen. Einfache Beispiele dafür bietet schon das computerunterstützte Design: Hier kann sich der Betrachter mit Hilfe der Rollkugel jeden beliebigen Sichtwinkel aussuchen. Ein ähnlicher Fall liegt in den Simulationsprogrammen vor, die man ja nicht unbedingt mit einem Lernprozeß verbunden betrachten muß. Mit demselben Programmprinzip ist es möglich, die damit erfaßten Landschaftsformen nach eigener Wahl beliebig kreuz und quer zu überfliegen und dabei – ein zusätzlicher Effekt – überall dort zum Tiefflug anzusetzen, wo etwas Bemerkenswertes erscheint – eine Flußmündung, eine Brücke, eine Stadt. In der Tat gibt es heute schon Programme dieser Art, für spielerische Zwecke geschrieben (von den aufwendigen Vorbildern abgeleitet) und auf Kleincomputern praktizierbar. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß man sich dabei mit starken Vereinfachungen begnügen muß. Noch ein dritter Fall sei erwähnt: Am Massachusetts Institute of Technology wurde ein Programm entwickelt, das auf einer minutiösen Kartierung einer Ortschaft beruht. Es setzt den Benutzer in die Lage, die Straßen zu durchwandern und jeden beliebigen Fleck detailliert ins Auge zu fassen. Ein solches Programm kann beispielsweise den Zweck erfüllen, eine Agentengruppe mit einer Örtlichkeit vertraut zu machen, die vor der geplanten Aktion nicht betreten werden kann.

Anwendungen dieser Art sind gewiß praxisorientiert, sie wurden bisher kaum zu künstlerischen Zwecken verwendet, und doch deuten sie erstaunliche Weiterungen der bisherigen Methode des Umgangs mit Bildern an, die auch und gerade für Künstler interessant sein könnte. Damit knüpfen wir an die im letzten Abschnitt beschriebene Methode des Aufbaus surrealistischer Szenerien an, wobei vorausgesetzt wurde, daß der Künstler die Art und Weise festlegt, wie sie sich präsentiert, über welchen Weg und wie rasch sich der Betrachter hindurchbewegt. Nun deutet sich die Möglichkeit an, diese Entscheidungen dem Betrachter, vielleicht besser dem "Benutzer", zu überlassen. Der Künstler bietet ihm die von ihm entworfene Welt an, und der Benutzer nimmt sie in einer Weise auf, die nun nicht mehr der passiven Betrachtung, sondern eher der aktiven Erforschung entspricht.

Da trotz aller für die Zukunft erwarteten Verbesserungen der Speicherplatz in Computern stets beschränkt bleiben wird, könnte man annehmen, daß die von den Künstlern entworfenen Welten auf einen Ausschnitt - einen dreidimensionalen – beschränkt bleiben. Das muß aber keineswegs der Fall sein. Denkbar und in Ansätzen schon praktiziert ist eine Methode, die nur beschränkten Speicherplatz erfordert und trotzdem eine unbeschränkte "Welt" bietet. Das geschieht dadurch, daß der Computer jene Regionen, die der Betrachter besuchen möchte, erst in dem Moment aufbaut (in Folge hoher Rechengeschwindigkeiten wird äußerlich davon nichts merkbar), in dem die betreffende Richtung eingeschlagen und dadurch die Absicht bekundet wird. Da andererseits auch der Künstler nicht einen unendlich großen Raum mit Objekten füllen kann, ist er gezwungen, seine Welt lediglich als Konzeption zu entwerfen, also Regeln für die Formierung von Landschaft, für das Wachstum von Pflanzen, für das Auftreten von Tieren usw. zu geben. Ein solches Verfahren wird heute noch an begrenzten Rechenkapazitäten scheitern, doch sind die technischen Möglichkeiten noch längst nicht ausgereift, und es dürfte nur noch ein oder zwei Jahrzehnte dauern, bis die beschriebenen Methoden praktizierbar werden. Auf diese Weise würde dem Künstler noch einmal ein höheres Maß an Kreativität abverlangt, nämlich der Aufbau einer Weit nicht aus Einzelobjekten, sondern aus umfassenden Regeln heraus, die unseren Naturgesetzen entsprechen.

Die Entwicklung solcher Methoden kann allerdings auch in eine andere Richtung erfolgen: Nicht mit dem Ziel der Erstellung großer Räume, sondern eher zur Simulation komplexer menschlicher Beziehungen. Obwohl diese Möglichkeit heute noch utopisch erscheint, spricht nichts gegen ihre Verwirklichung, und deshalb sei sie der Vollständigkeit halber erwähnt. Im nächsten Jahrhundert könnte es durchaus möglich sein, menschliche Charaktere so zu konzipieren, daß sie nicht nur auf Bildschirmen oder Projektionswänden sichtbar werden, sondern auch eine Sozietät bilden, in der Handlung abläuft, Kommunikation betrieben und Konflikte ausgetragen werden. Im Sinn einer interaktiven Präsentation braucht dabei der Benutzer nicht ausgeklammert bleiben – es scheint durchaus möglich, ihm im Geschehen eine Rolle zuzuweisen; so daß er Mitakteur wird. Unterstützt könnten solche Formen eines "Erlebnisspiels" auch dadurch werden, daß man – wie zu erwarten ist – von den eng begrenzten Bildschirmen zu Projektionswänden und später wahrscheinlich zur Rundumprojektion übergeht. Der Benutzer befindet sich dann inmitten jener Welt, die so perfekt modelliert ist, daß sie an Wirklichkeitsnähe der echten nicht nachsteht. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß akustische Effekte in solche Darbietungen integriert sind, wodurch die Verbindung mit Musik beliebig eng gezogen werden kann. Noch bemerkenswerter allerdings erscheint die Tatsache, daß auf diese Weise auch eine Verbindung zur erzählenden Literatur gezogen wird denn zur Konzeption jener Aktionsräume, in denen dem Benutzer sein künstlerisches Erlebnis vermittelt wird, ist nicht nur visuelle Kreativität nötig, sondern auch jene Fabulierkunst, die man dem Schriftsteller zuschreibt.

Nach diesem Exkurs in eine vielleicht gar nicht allzu ferne Zukunft und in imaginäre Welten des Computers ist es sicher richtig, sich vor Augen zu halten, daß wir heute noch am Anfang dieser Entwicklung stehen. Verglichen mit den klassischen Künsten befindet sich die Computerkunst im statu nascendi. Es ist daher durchaus verständlich, daß der größte Teil der ihr gewidmeten Bemühungen zunächst noch im instrumentellen Bereich liegt und daß echte künstlerische Anwendungen zu wünschen übrig lassen. Dazu trägt auch die Tatsache bei, daß die dazu nötigen Systeme heute noch außerordentlich teuer sind. Es spricht aber vieles dafür, daß sich das in den nächsten Jahren ändern wird, und erst dann kann jene Entwicklung voll einsetzen, die weniger von technischen Erfindern als von kreativen Künstlerpersönlichkeiten getragen wird. Was heute mit Hilfe eines gewiß noch primitiven Instrumentariums entsteht, wird daher höheren ästhetischen Kriterien kaum gerecht, und das kann, realistisch gedacht, auch gar nicht der Fall sein. In einigen wenigen mit Video- und Computertechnik geschaffenen Bildsequenzen allerdings zeigt sich andeutungsweise doch ein wenig von jenen künstlerischen Möglichkeiten, die von der Zukunft zu erwarten sind, und deshalb sind gerade diese Streifen für manche, die sich für die gesellschaftliche Entwicklung unserer Zeit und besonders auch für jene der Kunst interessieren, weitaus bemerkenswerter als vieles von dem, was als Zeugnis ausgereifter klassischer Kunst in Museen hängt.