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Ars Electronica 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Die Zweiheit der Natur


'Peter Weibel Peter Weibel / 'Valie Export Valie Export

Nature and Nature's Laws lay hid in night
God said, Let Newton be, and all was light.


Alexander Pope
Dieses berühmte Couplet verweist auf eine fundamentale Zweiheit, die als das schwache oder starke anthropische Prinzip bekanntgeworden ist. Dieses Prinzip versucht in den verschiedensten Formulierungen von Pythagoras über Goethe bis zu Robert Dicke die Beziehung des Menschen als Produkt der Natur zur Natur selbst zu beschreiben. Warum ist das Auge so wie es ist, nämlich, daß es mit Hilfe des Lichts sehen kann? Warum ist die Welt so, wie sie ist, nämlich aus Carbon, Hydrogen, Oxygen und Nitrogen, also aus jenen vier wesentlichen Elementen bestehend, die wir zum Leben brauchen? Ist es deswegen, weil das Auge sonnenhaft ist, wie Goethe vermutete? Wir können die Sonne sehen, weil die Ausbildung des Auges den Gesetzen des Lichts gemäß erfolgt ist. Oder ist es so, weil wir existieren, müssen die Naturgesetze so gewesen sein, daß sie eben unsere Existenz so ermöglicht haben wie sie ist. Mit den Worten von Pythagoras: "Der Mensch ist das Maß aller Dinge." Sind wir hier, weil die fundamentalen Konstanten des Kosmos wie die Gravitation und die Lichtgeschwindigkeit so sind, wie sie nun einmal sind, z.B. konstant, das heißt dimensionslos und unabhängig von jedem Maßsystem, oder sind umgekehrt die Konstanten so, wie sie sind, eben weil wir Menschen so und so existieren.

Doch heute, in der Welt der Quantenmechanik und des expandierenden Universums, wo die Interaktion eine große Rolle spielt, wo jedes elementare Phänomen nur ein Phänomen ist, wenn es registriert ist, und wo der Beobachter an der Definition der Realität partizipiert (das partizipatorische Universum von John Archibald Wheeler), kann zwischen dem Theorien, Erklärungen und Modelle aufstellenden Menschen und der beobachtenden Natur keine scharfe Trennungslinie mehr verlaufen, sondern die Linie zwischen beobachtender Apparatur und beobachtetem System ist ein Labyrinth. In dieser Welt gilt der Determinismus eines Spinoza nicht mehr: "Nichts im Universum ist zufällig, sondern alle Dinge werden durch die Notwendigkeit der göttlichen Natur in ihrer besonderen Seinsweise bestimmt" (Ethik, XXIX). In dieser Welt können obige Fragen so nicht mehr gestellt werden, weil in ihr die Natur nicht mehr eine Frage der Meisterung oder Kontrolle ist, sondern die Beschreibung und Erklärung der Welt durch den Menschen ist gleichzeitig eine Teilnahme am Prozeß des Werdens dieser Welt.

Von Carnot bis Boltzmann sind die ersten Gesten geliefert worden, welche die klassische Teilung zwischen der Universalität des Gesetzes und dem Sosein des Menschen aufgehoben haben, auf welcher das anthropische Prinzip beruht. Heute entdecken wir die Grenzen der Gesetze und die Grenzen jener Realität, in denen die Natur kontrolliert werden kann. "Die Natur codiert das Universum nicht" (Michel Serres, La Traduction, S. 62).
Ausgehend von dieser labyrinthischen Verknotung der Repräsentation der Welt im Wissen und der Welt im Prozeß des Werdens, werden weitere Beunruhigungen in jene Kategorien der Trennung und Opposition getragen, die von der binären Ambivalenz des Wortes Natur ausgelöst werden. So wie man nämlich zwischen der Natur des Menschen und den Dingen der Natur unterscheidet, also dem Wort Natur eine zweideutige Bedeutung verleiht, So entspringt dieser binären Semantik eine fortlaufende Kette binärer Oppositionen. Man spricht von der Macht der Natur über den Menschen und gleichzeitig von der Ohnmacht der Natur gegenüber der menschlichen Technik.

Man teilt die Welt in männlich und weiblich. Man spricht von der weiblichen Natur, von der Natur als Organismus und von der Natur der Frau, von der Frau als Hexe. Man trennt die Welt in Produktion und Reproduktion, in Ordnung und Chaos. Die Reproduktion ist Aufgabe des Weiblichen, die weibliche Natur erscheint als Chaos. Der Mann ist das produktive Moment einer mechanischen Ordnung, welche die Natur beherrscht. Das Management der Natur als Mechanismus der Macht. Die natürlichen Gaben werden zu Gütern und Waren.

Von physikalischen bis zu sozialen Systemen sehen wir also eine Kette von binären Oppositionen, die notdürftig von einer vereinheitlichenden Theorie unter dem Namen "Einheit der Natur" zusammengeschweißt wird, anstatt sie in Bruchstücke eines Labyrinths zu zerstieben. Deshalb kennt dieses Video, der Theorie und Praxis der Flüsse gemäß (ihrer duplizierten Natur wegen), auch einen männlichen und weiblichen Produzenten. Das vorliegende Video verschreibt sich der Ästhetik der Schwerkraft und des Lichts. Gemäß dem Gravitationslinseneffekt jedoch ist sein Universum mit Doppelbildern bevölkert, die einem einzigen Himmelsobjekt entsprechen. Nach Einstein kann ja die Schwerkraft eines massiven Himmelsobjekts zwischen der Erde und einem fernen Stern das Licht dieses Sterns beugen und dadurch mehrere Abbilder an anderer Stelle als dem tatsächlichen Standort des Sterns erzeugen. Die Beschreibung der Realität wird unvollständig, das Universum offen. Die kausale Struktur der Welt erscheint als eine variable Fuge auf den Cosmic Strings. Dieses Video ist wie ein Gastspiel der Crazy Cosmic Strings im Klub der Realität. Detonationen der Gravitationsgitarre hinterlassen schwarze Löcher. Lichtstrahlen suchen die Nadeln des Bewußtseins im Galaxienhaufen. Tausende Stimmen singen in tausenden Sprachen im universalen Code. Dämonen der Dynamik schreiben die Theorie und Praxis der Wolken. Die Winde in ihrer kanonischen Form zerstören die deterministischen Träume. Die Passage von lokal zu global ist verweht. Der Staatsmann und die Staatsfrau werden zur Mimesis der Kontradiktion. Am Ende des Beweises ändert die Natur die Prämissen, so daß der Mensch zum Namen des Unentscheidbaren wird. Wer wirft den Stein und hört die Harmonie neuen Stils in diesem Szenarium der Zweiheit der Natur?