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Ars Electronica 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Calculated Movements


'Gene Youngblood Gene Youngblood / 'Larry Cuba Larry Cuba

Ein Interview mit Larry Cuba
Von Gene Youngblood
Larry Cuba ist einer der bedeutendsten Künstler, die heute in der Tradition der sogenannten abstrakten, absoluten oder konkreten Animation arbeiten. Es handelt sich dabei um die Befassung mit Kino (Film und Video) als einer ausschließlich visuellen Erfahrung, einer Kunstform, die der Malerei und der Musik näher steht als dem Schauspiel oder der Fotografie. Viking Eggeling, Hans Richter, Oskar Fischinger, Len Lye, Norman McLaren und die Brüder Whitney zählen zu der vielschichtigen Gruppe von Malern, Bildhauern, Architekten, Filmemachern und Video- und Computerkünstlern, die in den letzten 73 Jahren bedeutende Beiträge in diesem Bereich geleistet haben.

Soferne man die abstrakte Animation als das visuelle Gegenstück zur musikalischen Komposition versteht, liegt ihr notwendigerweise eine mathematische Struktur zugrunde; und da der Computer das wichtigste Instrument der mathematischen Beschreibung ist, ist es nicht verwunderlich, daß die Computerkünstler die Verantwortung für die Weiterentwicklung dieser Tradition auf neue Bereiche übernommen haben. Ironischerweise verwenden weltweit nur ganz wenige Künstler den Digitalcomputer ausschließlich zur Erforschung der Möglichkeiten abstrakter Animation als visuelle Ergänzung zur Musik. John Whitney der Ältere ist der berühmteste von ihnen, und das zu Recht: Er war der erste, der die Tradition in den Digitalbereich einbrachte, und sein Buch "Digital Harmony" ist eine der rigorosesten (wenn auch umstrittenen) theoretischen Abhandlungen über dieses Thema. Aber für mich sind die Arbeiten von Cuba ästhetisch bei weitem befriedigender. Ja, gäbe es einen J. S. Bach der abstrakten Animation, so wäre es Larry Cuba. Begriffe wie elegant, charmant, erregend oder spektakulär reichen bei weitem nicht aus, die beschwörende Kraft dieser vollendeten Werke zu beschreiben, die von überströmendem Bilderreichtum, erstaunlichen Verlagerungen der Perspektive und von der unauslöschlichen Schönheit der präzisen mathematischen Struktur gekennzeichnet sind. Näher an die Musik – besonders an die mathematisch transzendente Musik von Bach – wird die Kunst der bewegten Bilder wohl niemals herankommen.

Cuba hat in 13 Jahren nur vier Filme geschaffen. Die bekanntesten sind "3/78 (Objects and Transformations)" (1978) und "Two Space" (1979). Die Bildsprache in beiden besteht aus weißen Punkten auf schwarzem Feld. In "3/78" vollziehen 16 "Objekte", jedes aus 100 Lichtpunkten bestehend, eine Reihe von präzise choreographierten rhythmischen Umwandlungen vor einem eindringlichen minimalen Soundtrack mit Shakuhachi-Musik (japanische Bambusflöte). Cuba beschrieb diesen Film als "eine Übung in visueller Perzeption von Bewegung und musikalischer Struktur". In "Two Space" werden Muster, die den Ziegeln islamischer Tempel ähneln, durch die Durchführung einer Reihe von Symmetrie-Operationen (Übersetzungen, Rotationen, Reflexionen usw.) auf einer Grundfigur, einem "Ziegel" geschaffen. Zwölf solche Muster, aus neun verschiedenen Animationsfiguren zusammengesetzt, werden so choreographiert, daß sie die Illusion einer Umkehr von Figur und Grund und eines Nachbildes von Farben erzeugen. Beide Filme wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und bei Festivals in allen Teilen der Welt vorgeführt.

"Calculated Movements", das erste Werk von Cuba seit sechs Jahren, hatte seine Premiere im Juli 1985 am Museum of Modern Art in San Franzisko und wurde auch in die Film- und Video-Show im Rahmen der SIGGRAPH '85, der internationalen Konferenz für Computergraphik, aufgenommen. Es ist ein prachtvolles Werk, das neben "3/78" und "Two Space" sicherlich zu einem Klassiker der abstrakten Animation werden wird. Es entfernt sich formal von seinen Vorläufern. Während diese auf teuren vektorgraphischen Geräten im Rahmen institutioneller Einrichtungen mit Mainframe bzw. Minicomputer hergestellt wurden, entstand "Calculated Movements" in Cubas Studio in Santa Gruz auf dem Datamax UV–1 Personal Computer, mit Tom De Fanti's Zgrass-Graphiksprache. Es ist das ein graphisches Rastersystem, das es Cuba erstmals ermöglichte, mit "solid areas" und"volumes" zu arbeiten, statt wie bisher nur mit Lichtpunkten. Das Ergebnis erinnert stark an die Filme von Oskar Fischinger.

Computeranimationen sind weder Film noch Video – diese sind lediglich Medien, durch die der Output eines Computers gespeichert, verbreitet und dargestellt werden kann. Früher realisierte Cuba seine Werke nur auf Film,"Calculated Movements" ist sowohl auf Film als auch auf Video verfügbar. Wir sprachen über Theorie und Praxis der abstrakten Animation, über den Computer als Werkzeug dieser Methode und über die Herstellung von "Calculated Movements".

GENE: Es besteht die weitverbreitete Meinung, Mathematik und Intuition seien antithetisch zueinander, und doch ist das hervorstechende Merkmal Ihrer Arbeiten eine elegante Musikalität, die zutiefst intuitiv, ja spirituell anmutet.

LARRY: Ich freue mich, daß Sie das sagen, denn genau das ist mein erklärtes Ziel. Musik ruft diese Empfindungen hervor und hat eine mathematische Grundstruktur, wenngleich ich bezweifle, daß irgend jemand ganz genau sagen kann, warum sie so auf uns wirkt, wie sie wirkt und welches die Regeln sind. Viele Menschen setzen sich damit auseinander und haben Theorien darüber entwickelt. Meine Aufgabe scheint es zu sein, an die Frage graphisch heranzugehen. Was ich zu tun versuche, ist, wie ich glaube, sehr schwierig. Hier scheint sich der kreative Vorgang so sehr von den meisten anderen Kunstformen zu unterscheiden – durch die Verwendung der Mathematik zur Schaffung von Bildern, durch den Versuch, sie so wirken zu lassen wie die Musik es tut. Wie schaffe ich diese Dinge … ? Ich glaube, es hat damit zu tun, daß ich die Dinge beachte, die mich berühren. Wenn ich visuelle Darstellungen sehe, die eine Reaktion auslösen, frage ich mich, warum, wo kommen sie her und worin besteht ihre Qualität? In gewissem Sinne ist es das, worum es bei der Abstraktion geht: Was ist das Wesentliche ohne die Details? Stets bin ich danach auf der Suche. In der heutigen Computergraphik gibt es diesen starken Zug zur Simulation der Realität, insbesondere der Naturphänomene. Realistische Simulationen von Pflanzen, zum Beispiel. Pflanzen sind schön, also sind logischerweise auch die Simulationen schön. Pflanzen, Berge, Bäume, das Muster von über Felsgestein fließendem Wasser – sie alle lösen Empfindungen aus, wie die Musik es tut. Aber ich will wissen, warum das so ist. Ich will nicht einfach nur das Muster nachbilden; ich will wissen, was an dem Muster dieses Empfinden auslöst. Und welche Beziehung zwischen dem Muster und seiner mathematischen Beschreibung besteht. Heute entdeckt man bei dem Versuch, Dinge wie Bäume zu simulieren, daß es ein Gleichgewicht zwischen der totalen Zufälligkeit und einer sehr genau vorhersehbaren Ordnung gibt. Blätter eines Baumes sind in mancherlei Hinsicht verschieden, in anderer Hinsicht gleich. Es besteht also ein sehr empfindliches Gleichgewicht zwischen der Ordnung, die sie gleich macht und der Zufälligkeit, die sie verschieden macht. Das ist es, was den Baum ästhetisch so befriedigend macht. Und hier kommt auch die Mathematik ins Spiel. In meiner Arbeit beginne ich mit einem sehr geordneten System und füge schrittweise die Variationen hinzu, die sie immer interessanter machen.

GENE: Wenn Sie Ihre Filme persönlich vorführen, sprechen Sie oft über die Geschichte der handgezeichneten abstrakten Animation und zeigen Beispiele aus dem Schaffen Fischingers, McLarens und anderer.

LARRY: Das tue ich, um für meine Werke ein günstiges Klima zu schaffen. Denn bezeichnenderweise kommt das Interesse an diesen Filmen aus einem Interesse an der Technologie, aus der Tatsache. daß sie Computergraphiken oder Computeranimationen sind. Das wichtigste angenommene Ziel scheint darin zu liegen, den technischen Standard möglichst voranzutreiben. Daran bin ich nicht interessiert. Meine Kunst ist nicht Teil des großen Wettlaufs um das grellste, farbigste, gläsernste Bild. Mich interessiert die experimentelle Animation als die Darstellung von Form in der Bewegung, unabhängig davon, mit welcher Technologie sie geschaffen wird. Die dem bewegten Bild zugrundeliegenden Probleme sind weltweit und betreffen alle, die in dieser Tradition arbeiten, egal ob sie den Computer benützen oder nicht. So verstanden ist das, was ich mache, nicht "Computer-Kunst". Andererseits spielt die Technologie zweifellos eine große Rolle. Wenn man sich mit der bei der Computeranimation verwendeten Methode auseinandersetzt, wird es wichtig sehr wohl einen Computer zu benützen, wodurch das Vokabular beeinflußt wird. Denn wenn man mit diesen mathematischen Strukturen beginnt, kann man Bildformen entdecken, die nicht vorhergesehen waren, sondern die man innerhalb der Dimensionen des Suchraumes "findet". Sicher steht jeder Künstler in irgendeiner Art von Dialog mit seinem Werkzeug und seinem Medium, seien es Pinsel, Farbe und Papier, seien es Video-Synthesizer oder Computer. Meine Werkzeuge sind die Mathematik und das Programmieren, das den Computer als Medium zur Durchführung dieser Programme benötigt. In diesem Sinne fügt also der Computer diesem Forschungsbereich eine neue Dimension hinzu, die mit den italienischen Futuristen Gina und Corra begann, denen die ersten abstrakten Filme aus dem Jahr 1912 zugeschrieben werden. Ihnen ging es um den Dynamismus des 20. Jahrhunderts. Uns heute geht es um die Mathematik.

GENE: Haben Sie einen formalen mathematischen Hintergrund?

LARRY: Ich verwende keine Mathematik, die schwieriger ist als die, die man im Gymnasium lernt. Einfach Algebra. Aber ich bin sehr interessiert an der Mathematik als Denkfeld. Sie hat sehr vieles mit der Kunst gemeinsam – eine Welt für sich selbst, weitab von der Alltagswirklichkeit und doch zugleich Grundlage der Alltagswirklichkeit. Und je höher die Mathematik, desto abstrakter wird sie. Sie wird zunehmend eine Welt für sich. Dasselbe kann man mit zunehmendem Abstraktionsgrad von der Kunst sagen.

GENE: Wie arbeiten Sie? Denken Sie sich ein Bild aus und arbeiten dann zurück vom Bild zur mathematischen Gleichung?

LARRY: Von beidem etwas. Es ist merkwürdig: Wenn ich mir ein bestimmtes Bild vorstelle und es programmiere, sieht es niemals so interessant aus wie ich es mir gedacht hatte. Aber das ist nur der Anfang. Ich kann erkennen, was daran nicht in Ordnung ist und ich beginne, Veränderungen vorzunehmen. Es ist eine wahre Forschungsreise durch einen Raum des Abbildens, auf die ich durch diesen Dialog geführt werde; so führt jedes Experiment zu einem nächsten Experiment.

GENE: Das ist ja das Wesen der experimentellen Arbeit. Das ist Forschung.

LARRY: Oder Kunst. Jemand fragte mich einmal, was ich unter dem Begriff "experimenteller Film" verstünde. Was macht ihn "experimentell"? Ich antwortete, das sei die Tatsache, daß er nicht vorher geplant ist. Er ist das Ergebnis von Experiment und Dialog mit dem Medium. Und der Mann sagte, "Ja, aber das ist ja das Wesen aller Kunst überhaupt". Ich sagte, das sei das Wesen aller Kunst, aber nicht aller Filme. Wir sind viel vertrauter mit Filmen, deren Inhalt und Ausführung vorgeplant sind. Selbst viele von den Leuten, die dieselbe Intention haben wie ich, hören sich ein Musikstück an, entwickeln Bilder, geben sie ein und animieren sie dann. Auf diese Weise ist das Ergebnis schon so gut wie festgelegt, wenn sie mit dem tatsächlichen Produktionsprozeß beginnen. Das ist viel weniger ein Dialog mit dem Medium als es mein Ansatz ist, und es ist in diesem Sinne auch weniger experimentell. Auch besteht die Gefahr, daß die Musik dominiert: wenn man den Ton wegläßt, bleibt kaum noch etwas übrig. In meinen Werken steht das Visuelle an erster Stelle. Ich versuche herauszufinden, was visuell etwas hergibt, deswegen beginne ich niemals mit der Musik. Das wäre, als würde man mit einer Komposition beginnen, die es schon gibt, und die Komposition ist das Problem. Ich habe kein Bild des endgültigen Films oder auch nur einzelner Szenen, bevor ich mit dem Programmieren beginne. Ich habe nur strukturelle Grundvorstellungen, die aus der Algebra oder aus der Natur des (computergenerierten) Zeichenvorgangs oder aus der hierarchischen Struktur der Bestandteile einer Szene kommen – die choreographischen Bewegungen aus mathematischer Sicht.

GENE: "Calculated Movements" unterscheidet sich stärker von Ihren früheren Arbeiten, als sich diese voneinander unterscheiden.

LARRY: Der deutlichste Unterschied kommt direkt von der Hardware. Die anderen Filme wurden auf Vektorsystemen gemacht, also verwendete ich Punkte. Das Übergehen auf das Zgrass-Gerät bedeutete nicht nur den Wechsel von einem Mainframe zu einem Mini zu einem Mikro, sondern auch einen Übergang von Vektorgraphiken zu Rastergraphiken. Das ist also sozusagen meine neue Palette. Neu in zweierlei Art und Weise: Ich konnte geschlossene Flächen zeichnen, so daß umrissene Flächen anstatt wie bisher Punkte meine Form waren, und ich hatte vier Farben: Weiß, Schwarz, Hellgrau und Dunkelgrau. Jeder meiner Filme entstand mit einem anderen Gerät. Das ist das einzige Werk, das ich auf diesem Gerät schuf. So ist also die Entwicklung meiner Werke eine direkte Parallele zur Entwicklung der Systeme, die ich verwende. "Two Space" entstand nicht in Echtzeit. Es wurde in traditioneller Weise hergestellt: Ich schrieb das Programm, ließ es im Animationsmodus durch den Computer laufen, wo es pro Teilbild einige Sekunden benötigt, dann ging es zum Film, dann wurde der Film bearbeitet und erst danach konnte man die Bewegung sehen. Folglich ist die rhythmische Struktur von "Two Space" ziemlich begrenzt. Es gibt nicht viel Variation. Der Takt ähnelt sehr stark der Gamelan-Musik, die ich als Soundtrack benutzte, sie ist regelmäßig und kontinuierlich. Der Vorteil bestand darin, daß die Arbeit in animierter Zeit der Komplexität des Bildes keine Grenzen setzt. Solange ich bereit war zu warten, würde die Maschine fortfahren, Punkte zu zeichnen. So konnten die Bilder sehr dicht sein, in jeder gewünschten Formulierung – der Computereinsatz zur Berechnung dessen, wohin der Punkt geht, konnte willkürlich komplex sein. Für "3/78" verwendete ich das Echtzeit-System. Während die Programme liefen, konnte ich die Animation sofort sehen. Dieses Feedback erlaubte mir, mit einer vielfältigeren rhythmischen Struktur zu arbeiten. In "3/78" gibt es viel mehr Variation, es wirkt im westlichen Verständnis der polyrhythmischen Struktur musikalischer. Aber es gibt Grenzen dafür, was berechnet und in Echtzeit gezeichnet werden kann und damit auch Grenzen für die visuelle Vielfalt. Bei "Calculated Movements" war ich also wieder zur Arbeit mit animierter Zeit zurückgekehrt. Ich glaube, daß es im Hinblick auf die Vielfalt an Bewegungen weniger rhythmisch ist als "3/78". "3/78" ist von Anfang bis Ende eine kontinuierliche Umwandlung; die Bewegungen beginnen, hören auf und verändern ihre Geschwindigkeit nach einer ziemlich komplizierten Partitur, ohne viele Wiederholungen, während in "Calculated Movements" jedes einzelne Ereignis seinen eigenen festgelegten inneren Rhythmus hat. Er kommt und geht, und darüber hinaus gibt es kaum eine Variation. In dieser Hinsicht ist es "Two Space" ähnlicher.

GENE: Mir scheint es sehr fließend und elegant. Können Sie uns die Kompositionsmethode erklären?

LARRY: Es gibt fünf Bewegungen, die zwischen zwei Typen abwechseln. Die mit ungeraden Ziffern numerierten Bewegungen sind jeweils als Einzelereignisse von etwa einer Minute Dauer strukturiert, in denen bandähnliche Figuren vor einem mittelgrauen Hintergrund einer einzelnen Leitebene folgen; jede Szene repräsentiert eine Variation dieses Themas. In der ersten Bewegung erscheint ein einziges Band, folgt einer Leitebene und verschwindet; ihm folgt ein weiteres Band, dann noch eines und immer wieder eines, alle auf derselben Bahn. Es gibt also keine Umwandlungen im Raum, aber große Umwandlungen in der Zeit – die Figuren werden nur in der Zeit, nicht aber zweidimensional (außerhalb der Phasen) verschoben. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sie in einem zweidimensionalen Muster anzuordnen, so daß sie diese Bahn gleichzeitig durchlaufen können. In der dritten Bewegung verschieben sie sich also sowohl in der Zeit als auch im Raum. Weil die Figuren länger sind, überschneiden sie einander und ergeben eine dichte Anordnung. Sie erscheinen, gehen durch die Leitebene und verschwinden. In der fünften Bewegung werden sie auch in Zeit und Raum verschoben, aber sie sind von geringerer Länge und sehen damit so aus wie ein Schwarm Vögel, die hintereinander herfliegen. Die Strategie für die mit geraden Ziffern bezeichneten Bewegungen war dagegen eine Sammlung von 40 Kurzereignissen mit einer Dauer zwischen eineinhalb und fünf Sekunden, die in verschiedenen Intervallen erscheinen und verschwinden sollten. Alle Ereignisse folgen der gleichen Grundstruktur einer Leitebene, der Wiederholung der Figur und einer zeitlichen und räumlichen Veränderung der einzelnen Wiederholungen. Ich entwarf diese Ereignisse mit einem Zufallszahlengenerator, der für jeden Parameter aus einem vorher festgelegten Spektrum Werte auswählte. Auf diese Weise entstanden zahlreiche Ereignisse; anschließend wählte und orchestrierte ich sie intuitiv. Das heißt, daß die Gesamtstrategie für "Calculated Movements" ein zweidimensionales Muster ist, dessen Parameter die folgenden sind: Welches ist die Bahn? Wie viele Figuren gibt es? Wie weit sind sie voneinander entfernt? Welches sind die Dimensionen der Bänder? Und wie weit sind die Phasen zeitlich voneinander entfernt? Das ist im großen und ganzen eine Weiterentwicklung des in "Two Space" verwendeten Ansatzes. "Two Space" insgesamt entstand aus Variationen der Grundfigur, deren Parameter für den ganzen Film fixiert worden waren. Der nächste Schritt war, diese Parameter zu verändern, um ein größeres Maß an Freiheit zu erzielen. Und das ist "Calculated Movements".

GENE: Sagen Sie uns etwas über den Ton.

LARRY: Larry Simon und Craig Harris machten die "ungeraden" Bewegungen nach meinen Anregungen. Sie verwendeten ein computergesteuertes Yamaha DX–7–Gerät. Das sind die Szenen, die derselben Bahn folgen und den Eindruck vermitteln, es handle sich um ein einziges, langes Ereignis, daher haben sie die gleiche Art einer sehr melodiösen Musik, etwa im Stil von Philip Glass. Die anderen Szenen waren schwieriger, weil ihre Struktur komplexer ist – isoliertere Ereignisse. Rand Weatherwax machte dafür den Ton; er verwendete einen Emulator–2, ein Digitalgerät ähnlich dem Fairlight oder dem Synclavier, das einen eingebauten Sequenzer hat. Ich stellte fest, daß es leicht wäre, die Sequenzierung der Tonereignisse mit den Graphikereignissen in Einklang zu bringen, indem man in den Sequenzen die gleiche Zeitstruktur einprogrammiert wie bei den Bildern. Da wir also die Tonereignisse mit den Bildereignissen synchronisierten, kann man sagen, daß die Komposition – das Erscheinen und Verschwinden von Noten – direkt aus der zugrunde liegenden Struktur kommt, die ich für die Graphik komponiert hatte. Wenn es dann darauf ankam, zu entscheiden, welcher Ton welchem Ereignis zugeordnet werden sollte, zog Rand einen aus seinem Repertoire heraus und modifizierte ihn solange, bis ich zufrieden war. Das ergab eine Zusammenarbeit ähnlich jener, die ich mit John Whitney als Programmierer von "Arabesque" hatte. John schrieb zwar nicht die Programme, aber er hatte sehr bestimmte Vorstellungen. Wer komponierte also "Arabesque"? Kreativ ist es sein Werk, ich arbeitete nur als Programmierer, aber ich denke, wenn jemand anderer das Programm geschrieben hätte, wäre das Ergebnis ein anderes gewesen.

GENE: Wie lange haben Sie an der visuellen Komposition gearbeitet?

LARRY: Etwa zweieinhalb Jahre. Die ersten Monate gehen stets für die Entwicklung der Werkzeuge für die zu verwendende Sprache auf. Die Sprache selbst ist ein Werkzeug, danach aber schafft man mit ihr seine eigenen Werkzeuge – Makros oder Sub-Routinen genannt –, um generalisierte Klassen von Dingen zu tun. Das ist einer der Gründe dafür, daß der generalisierte Ansatz zeitaufwendiger ist. Für "3/78" benötigte ich drei Monate zur Entwicklung jener Werkzeuge, die es mir ermöglichen sollten, geometrische Figuren zu manipulieren und sie in verschiedene Phasen und Muster zu bringen. Dann folgte das Problem der Verwendung des Werkzeugs zur Festlegung einer bestimmten Sequenz. So entwickelte ich zuerst die Werkzeuge und machte dann den Film. Aber bei "Calculated Movements" entstanden die Werkzeuge gleichzeitig mit der visuellen Komposition. Erst als ich vor etwa zwei Jahren ein Lyon-Lamb-VideoAnimationssystem erhielt, begann ich wirkliche Fortschritte zu machen. Mit ihm konnte ich ausgedehnte Szenen auf Band machen und sehen, was ich machte. Ich programmierte die Szenen und ließ dann den Computer 10 oder 20 Stunden laufen, um die Animation zu erzielen. Während ich das Programm entwickelte, konnte ich mir einige Bilder ansehen und so sicher sein, daß es richtig vorwärtsgehe. Dann sah ich mir das Band an und sah zum ersten Mal die Bilder sich tatsächlich bewegen. An dieser Stelle wurde mir oft bewußt, daß ich einen völlig neuen Satz von Werkzeugen benötigte; dann schrieb ich das gesamte System neu und begann neuerlich zu experimentieren. Im Verlauf von zwei Jahren schuf ich etwa 90 Minuten Arbeitsmaterial, etwa 100 einzelne Aufnahmen. Das stellt eine Evolution der Programme dar. Es bestand also eine gleichzeitige Entwicklung von Werkzeugen und Bildern – das ging so weit, daß ich zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die früheren Bilder zurückblickte und erkannte, daß ich diese Bilder nicht noch einmal schaffen könnte, weil sich die Software weiterentwickelt hatte. Ich hatte neue Dimensionen erschlossen, andere ausgeschaltet. So spiegelt also das Werk meine eigene persönliche Entwicklung wider. Wie Jane Veeder gerne sagt, ist der Künstler das Werk im Entstehungsprozeß. Das bedeutet zwei Jahre Arbeit an mir selbst. Die Filme sind wie Fortschrittsberichte. Sie zeigen, wo ich mich an einem bestimmten Punkt der Evolution befinde.