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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Pictorialer Raum in der elektronischen Kunst


'Peter Weibel Peter Weibel

There is no excellent beauty that hath not some strangeness in the proportion.

Francis Bacon


1. DER MODERNE RAUM ALS ZEITERFAHRUNG
Die Darstellung des dreidimensionalen Raums auf der zweidimensionalen Fläche eines Bildes, was ich den pictorialen Raum nennen möchte, ist seit der Höhlenmalerei immer wieder gewaltigen Umwälzungen unterworfen worden. Einer dieser radikalen Schübe war die Erfindung der Perspektive in der Renaissance. Ein der Erfindung der Perspektive vergleichbarer tiefgreifender Paradigmenwechsel und Prozeß der Umwälzung in der Darstellung des Raumes ereignet sich augenblicklich im Bereich der elektronischen Medienkunst. Das sichtbare Merkmal dieser Veränderung des pictorialen Raumes ist die Verwandlung des Raums in die Raumzeit. Der Raum gewinnt in den elektronischen Medien das Moment der Zeit. Damit verbunden sind jedoch eine Folge von Relativierungen und Mobilisierungen bisher konstanter Größen.

Die Größe der Dinge selbst wurde relativ, nicht nur insgesamt im Kontext verkleiner- und vergrößerbar, sondern auch unabhängig voneinander. Diese relative und vom natürlichen Maß unabhängige Größe der Dinge, diese beliebige Skalierung, macht auch die Positionierung der Objekte unabhängig, beliebig, frei flottierend, nicht nur im Kontext, sondern auch losgelöst voneinander. Die Objekte der Welt verwandeln sich im neuen pictorialen Raum zu frei flottierenden Zeichen von beliebiger Proportion und Skalierung, d.h., ihre Größe zu sich selbst und zueinander wird relativ und variabel.

Diese relative, beliebige Proportionierung und Skalierung kann jedoch nicht nur einzelne Objekte erfassen, sondern auch ihren Kontext. Ich kann also fotografisch oder digital ganze Felder von Objekten verkleinern oder vergrößern und herumschieben. Diese werden dann zu beweglichen Bildern in Bildern. Ich kann aber auch die, Objekte selbst als Bilder auffassen und ihre bloßen Konturen als Bildrahmen für neue Objekte und Bilder benützen (Masken- und Keying-Technik). Durch diese noch im einzelnen zu besprechenden vielfältigen Verfahren wird der bislang eindimensionale pictoriale Raum selbst vielschichtig und multidimensional.

Dieser radikale Wechsel geschah aber nicht unvorbereitet, sondern er hat sich in dem der elektronischen Kunst vorausgehenden Medium der Malerei vorbereitet, wie wir sehen werden. Die Malerei mußte ja selbst schon auf die veränderte Raumauffassung und das durch Eisenbahn und Flugzeug in Richtung Zeit veränderte Raumerlebnis reagieren. Die Mediatisierung des Raums, d. h. das Verschwinden des natürlichen Raums, den wir exklusiv mit unseren Sinnen erleben, hat sich ja schon vor der Jahrhundertwende mit Telegraph, Zeitung etc. und der Revolutionierung des Transportwesens auf verschiedenen sensorischen und sozialen Ebenen vollzogen. Den radikalen Wandel, den unsere Kultur seitdem erfährt, können wir mit Paul Virilio als Übergang von der Geopolitik zur Chronopolitik, von der Raum- zur Zeitpolitik beschreiben. Dieser Wandel hat sich auch schon in der Alltagssprache niedergeschlagen, wenn wir auf die Frage nach der räumlichen Distanz, nämlich "wie weit ist es nach …", mit einem zeitlichen Parameter antworten, nämlich "soundsoviele Stunden". Wir sagen sogar, "es kommt darauf an" und meinen damit die Geschwindigkeit unseres Transportmittels, nicht weil wir, seitdem wir den Raum nicht mehr ausschließlich (wandernd) mit unserem Körper durchmessen, das Gefühl für die Konstanz des Raums verloren haben, sondern weil wir erfahren haben, daß die jeweilige Geschwindigkeit unserer Prothesen-Körper (Bahn, Auto, Flugzeug), die Zeitdauer bestimmt, mit der wir den Raum durchmessen.

Der konstante natürliche Raum ist also relativ geworden. Die Raumerfahrung ist zu einer Zeiterfahrung geworden, abhängig in seiner/ihrer Größe von der Geschwindigkeit der messenden Apparatur. Die zunehmende Beschleunigung des Raums hat natürlich die Tendenz, den Raum selbst auszulöschen. Die Beschleunigung des Raumes ist tendenziell eine Raumimplosion. Wenn ein Satellit die Erde in 90 Minuten umkreist, was vor einem Jahrhundert noch 80 Tage dauerte, und dies als Science-fiction, können wir ja kaum noch von der Materialität des Raumes sprechen angesichts jener wenigen Zentimeter, die z.B. Österreich für den orbitalen Blick ausmacht.

Diese Veränderung, Raum als Zeiterfahrung, hat Ilya Prigogine genau erfaßt, indem er in unserer Beschreibung der Natur die Zeit an die Stelle des Raumes setzte: "Our vision of nature is undergoing a radical change toward the multiple, the temporal and the complex" (I. Prigogine und Isabelle Stengers, Orders out of Chaos, 1984).

Der Raum hat im Zeitalter der Relativitätstheorie und des Raumzeit-Kontinuums gleichsam seinen Boden unter den Füßen verloren. Neue kosmologische Theorien wie auch die praktische alltägliche Lebenserfahrung der zunehmenden Geschwindigkeit und Beschleunigung (Zeitmomente) haben den Raum entkörperlicht und entmaterialisiert. Der Raum existiert nicht mehr als feste Konstante, sondern als Szenarium von Signifikanten. Der Raum hat das Terrain der Realität verlassen, und durch die Überschreitung der mit dem Auge sichtbaren Wahrnehmung der Wirklichkeit in Mikro- und Makroräume, in mikrobiologische und interstellare Räume, wohin wir nur vermöge der technischen Apparatur vordringen können, hat sich der Raum als Geviert, als feste Körperlichkeit verflüchtigt.

Schon E. A. Poe, dessen kosmologisches Poem "Heureka" ihm selbst als seine wichtigste Schrift galt, hat in "Marginalia" (1844) die irrige Auffassung angegriffen, daß "wir Raum als Abfolge von Objekten bestimmen", so "wie wir Zeit als Abfolge von Ereignissen definieren". Er hat die objektuale Definition des Raums (Je zahlreicher die Objekte, desto größer der Raum") als falsche Vorstellung abgelehnt und einen immateriellen Raumbegriff angestrebt. Nicht mehr Objekte und Körper sollten den Raum definieren, sondern der Geist, der den Raum und die räumlichen Parameter wie Entfernung und Größe nach Belieben korrigieren und variieren kann. Dementsprechend hat er schon zwischen "abstrakter" und “relativer Entfernung" unterschieden. Er hat also anhand der Malerei das Problem der natürlichen Größe und der künstlichen Maßstabveränderung (Skalierung) analysiert.

Wenn Poe den Geist als Erzeuger des Raums anrief, hat er in der Sprache der Zeit von der zunehmenden Immaterialisierung und Codierung des Raumes als Szenarium spatialer Signifikanten gesprochen. Denn wenn der Raum nicht mehr als Entfernung, sondern als Zeitdauer vermessen wird, darüber hinaus die Zeitdauer selbst gar keine realen Auskünfte mehr über die wirkliche Entfernung zuläßt – weil ja die Fahrt zum Flughafen einer Stadt oft viel mehr Zeit beansprucht, als der Flug in die nächste Stadt, also Zeitdauer und Distanz kein gemeinsames Maß haben, nicht deckungsgleich und isotrop sind, was sind dann die Realien des Raums? Wenn ohnehin alles nah wird, kann natürlich auch der Raum nicht mehr als Entfernung gemessen werden. Wenn sogar das Nahe (der Flughafen) oft ferner wird (durch die verbrauchte Zeit) als das Ferne (die nächste Stadt), dann hat es wenig Sinn, vom Raum als Nähe und Ferne, als Distanz zu sprechen, dann verlieren die räumlichen Parameter ihren Sinn.

Bei dieser ungeheuren Kompression des Raums und der Zeit, wo die Distanz zwischen Europa und Amerika, vor wenigen Jahrhunderten noch scheinbar unendlich, mittlerweile auf wenige Flugstunden verkürzt ist, was bleibt da an Volumen, Körperlichkeit und Materialität des Raumes noch übrig? In dieser Entkörperlichung und Entmaterialisierung des Raumes, wo sich verschiedene heterotrope Zeitstrecken in ein und demselben Raum überlagern, und wo verschiedene Raumstrecken sich in ein und derselben Zeitdauer krümmen, in diesen geschichteten Faltungen von Raum und Zeit, wo ich für zehn Kilometer eine Stunde und für 100 Kilometer zehn Minuten brauchen kann, gehen die Realien des Raums verloren, geht der Raum selbst verloren, bleiben nur mehr die Signifikanten des Raums. Der Raum wird buchstäblich zum Zeichenraum. Die Signifikanten des Raums sind ihrem Wesen gemäß sprachlicher Natur, sind Zeichen, Elemente eines Codes. Herbert Bayer hat in einer Arbeit von 1928/29 den modernen Raum als vielschichtiges Gebilde, als "Welt der Buchstaben" definiert, mit gegensinnigen Bewegungen ( q), mit Überlagerungen und Verschiebungen. Im modernen Raum wird Substanz durch Sprache, Materie durch Code, Körper durch Dimensionalität ersetzt. In diesem Raum kann eine materiale Skulptur per definitionem nur veraltet und reaktionär sein.

Denn welche Skulptur spricht vom Raum, wenn der Raum selbst schon zur bloßen Sprache geworden ist? Die objektuale Skulptur der Vergangenheit oder die elektronische Skulptur? Die klassische Skulptur mit ihren Realien wie Marmor, Holz, Eisen, Fett, hält ja noch am natürlichen unmediatisierten Raum der Vergangenheit fest, sie kennt noch die natürlichen Größen, die Körper, Volumina und ihr Gegenstück, die Löcher, sie berauscht sich noch am Glanz des Materials. Sie ist demnach per definitionem nicht mehr geeignet, den modernen Raum zu artikulieren. Das Raummodell der klassischen Skulptur heute ist eine Fälschung der Nostalgie. Allein Installation, Performance, Räume als Inszenationen spatialer Signifikanten, architektonische Möbel, Metaphern und Modelle mit ihren verschobenen, gebrochenen Codes haben noch die Chance, den zeitgemäßen Raum zur Sprache zu bringen. Im wesentlichen aber hat sich die Darstellung des Raums verlagert: Die Skulptur als dreidimensionale Darstellung des Raums ist wegen ihrer Materialität, Körperlichkeit etc. historisch limitiert. Vor allem fehlt ihr das Fundamentalste der zeitgenössischen Raumerfahrung: die Zeit. Im mobilen pictorialen Raum der elektronischen Medien können augenblicklich am besten jene temporalen und spatialen Beziehungen inszeniert werden, die die zeitgenössische Raumerfahrung charakterisieren. Deshalb sind Ausstellungen objektualer Skulpturen mit ihrer aggressiven Verleugnung wahrhaft zeitgenössischer Raumartikulationen wie Video-Installation etc. Zeugnisse der Anstrengung eines reaktionären und obskuranten Opportunismus.

Die Verlagerung ist also eine Art Inversion. Von der dreidimensionalen Darstellung die Skulptur selbst ist ja nicht der Raum, sondern ist ja auch nur ein Bild des Raums, wenn auch dreidimensional, so wie ein holografisches Bildnis des Raumes ja auch nicht der Raum selbst ist – zur zweidimensionalen Darstellung. Inverse Räume spielen daher im zeitgenössischen pictorialen Raum eine große Rolle. Das scheinbare Paradox hat sich ergeben, daß im zweidimensionalen Feld des elektronischen Bildes, eben weil es über die Zeit verfügt, der Raum besser und gültiger artikuliert werden kann, als in der dreidimensionalen Skulptur materieller Objekte.

Das gegenwärtige Primat des pictorialen Raums erklärt sich daraus, daß im elektronischen Bild eben alle Strategien, welche in der Malerei, in der Fotografie, im Film zur Darstellung des Raumes seit Jahrhunderten erarbeitet worden sind, ekstatisch zu sich und zu einem Zenit kommen. Die beschleunigte Perspektive überschlägt sich. Raumbilder bewegen sich in Bildern mit bewegten Räumen. Die Gegenstände und Bilder implodieren in einem Exzeß an Geschwindigkeit. Die Gegenstände und Bilder verändern beliebig ihre Größe und Proportion, ihre Position und Form. Mit einem Wort bzw. Satz: Der pictoriale Raum des elektronischen Bildes ist die zeitgemäße Skulptur. Diese elektronische Skulptur allein zeigt uns augenblicklich die komplexe und temporale Raumerfahrung der zeitgenössischen Welt.

Wenn in diesen Bildern die Gravitation bereits aufgehoben ist, wo die Gravitation in der dreidimensionalen Plastik höchstens als Problem auftaucht, dann entspricht dies der realen Schwerelosigkeit der Astronauten im All. Die immaterielle elektronische Skulptur, das ist die Entfaltung räumlicher und zeitlicher Beziehungen im pictorialen Raum des elektronischen Bildes, nimmt den Platz der klassischen materiellen Skulptur ein, weil der Raum selbst immateriell und temporal geworden ist. Ist der erlebte Raum selbst nur mehr die Sprache der Signifikanten, kann auch der dargestellte Raum am besten durch sprachliche Mittel, durch Mittel des Codes und der inszenierten Signifikanten charakterisiert werden.
2. DIE SPRACHE DES RAUMS
Wenn die Grammatik das innere Modell der Sprache ist, so gilt zu fragen, was ist das innere Modell des Raums? Was ist die Grammatik des Raums?

Wie beschrieben, ist unser Modell des Raums von den alltäglichen und kosmologischen Raumerfahrungen der Neuzeit geprägt, wo entfernte Tonquellen mittels Radio mitten im Zimmer dröhnen, wo das Fernbild des Mondes durch das Fenster und das Nahbild des Mondes durch den TV-Apparat gleichzeitig zu sehen sind, wo der unermeßliche Raum des Kosmos wie der Miniaturraum der elektronischen Mikrochips sich ineinander verschränken, wie der Film "The Power of Ten" von Ray und Charles Eames zeigt. In dieser Raumwelt existieren keine "natürlichen" und "unveränderlichen" Größen und Distanzen mehr, sondern das Große erscheint klein, das Kleine groß, das Nahe fern und Ferne nah. Diese nach Belieben veränderbare Skalierung, Proportionierung, Positionierung gehört zum Wesen des Codes.

Die Codierung des Raums ist also eine Folge der Modellierung des Raums und eine Folge der Semiotisierung und Versprachlichung des Raums. Das täglich erfahrene Ineinanderblenden von Makro- und Mikroräumen, die Maßstabveränderungen und -verunsicherungen, die sich durch die moderne Transportation ergeben, lassen ein einfaches Universum ohne die Dimension der Zeit und ohne Komplexität nicht mehr zu. Die Sprache des Raums ist mehrdimensional, vielschichtig und temporal geworden. Anders als bei den klassischen Skulpturen aus Holz und Eisen, wo die räumlichen und zeitlichen Beziehungen unveränderliche Größen bleiben, wo Raum" und Zeit gefroren sind, ist die neue Sprache des Raums der Output einer Grammatik, die eine unendliche Anzahl von Modellen erzeugt, wo die räumlichen und zeitlichen Beziehungen veränderbar sind. Die Großräume der Architektur und die Kleinräume der Möbelwelt werden austauschbare Abbilder voneinander. Großelemente der Architektur werden zu Kleinelementen der Skulptur. Die Plastik arbeitet mit Mikrochips der Architektur, die Architektur mit Vergrößerungen der Skulptur. Mikro- und Makrochips des Raumes bilden die Module einer neuen Sprache des Raums, wo Miniaturisierung und Large Scale Integration architektonischer Elemente die codierbare Spatialität bezeugen. Im pictorialen Raum der elektronischen Skulptur entfaltet sich dieses Spiel der spatialen Chips am besten.

Der Chip oder Integrierte Schaltkreis (1958 erfunden) mag als Modell der modernen Raumerfahrung dienen. Ein Mikrochip ist ein winziges Stück Silikon, auf dem mit Hilfe von Fotomasken und in Schichten (manchmal bis zu 15) bis zu 500.000 Komponenten elektronischer Schaltkreise, die gleichsam fotografisch verkleinert und in das Silikon abgebildet werden, gedruckt werden, so daß Hunderttausende Bits von Informationen gespeichert und Millionen von Operationen, die früher enorm viel Raum und Zeit beansprucht hatten, nun in Bruchteilen von Sekunden und auf Bruchteilen von Zentimetern durchgeführt werden können. Der Chip ist also eine Kompression, Verkleinerung von Raum und Zeit, die gleichzeitig eine Vergrößerung seiner Kapazität ist. Der Mikrochip gleicht also nicht nur den fotografischen Luftaufnahmen einer Stadt, sondern er ist die Stadt. Die Struktur des Chips überträgt sich auf fast alle Lebensformen. Der Mikrochip ist das eigentliche Monument unserer Zeit, weil in ihm die immense Kompression von Raum und Zeit zum Wesen und zum Ausdruck kommt. Seine bloße Existenz hat die Idee eines natürlichen Orts, natürlichen Raums und einer natürlichen Zeit obsolet gemacht. Als wesentliches Element der dritten Kommunikationsrevolution, der Computerrevolution, hat er dazu beigetragen, daß unser Lebensraum selbst eine Art Large Scale Integration geworden ist, durchsetzt von Zeit- und Raumkompressionen, von paradoxen Mikrochips und Makromodulen der Zeit und des Raumes, wie sie William Blake schon imaginiert hat:
To see a World in a grain of sand,
And a Heaven in a wild flower,
Hold Infinity in the palm of your hand,
And Eternity in an hour.
Der Chip gehört zu jenen Bausteinen, welche die gleichzeitige Invasion in die Mikro- und Makroräume des Universums ermöglicht haben. Der Chip ist wesentlicher Bestandteil jener Kommunikationsrevolution, welcher das elektronische Kino seine Existenz verdankt. Daher kann das elektronische Bild nicht anders, als die durch die elektronische Revolution veränderte Raum- und Zeiterfahrung zu visualisieren. Der pictoriale Raum der elektronischen Kunst gibt der verzerrenden Kompression des Raumes und der Kollision der Raumsignifikanten in temporalen Verschiebungen, wie sie die elektronische Raumzeit ausmachen, visuellen Ausdruck.

Mit elektronischer Geschwindigkeit reisende Zeichen, welche die Gegenwart und die Vergangenheit in eine Kompilation der Instantheit verwandeln, schaffen neue spatio-temporale Arrangements, wo die Zeit den Raum disloziert bzw. einen ortlosen Raum, eine ortlose Hülle des Raumes schafft. Diese Raumhüllen verschieben sich zu Bildern des Bewußtseins. So wird die Reise ins Innere im Äußeren visualisiert.

Diese neue Sprache des Raums, diese Bilder des Bewußtseins, d.h. der Rekonstruktion der Welt im Bewußtsein, dieses Verschieben von Raumhüllen im Raum etc., ist zwar erst jetzt explodiert, wo das Raumschiff Erde durch globale und orbitale TV-Netzwerke in einer Videosphäre von 1000en Bildern schwimmt, aber die Zündschnur ist schon lange in der Geschichte der Malerei der Neuzeit und in der neuzeitlichen Medienkunst (Foto, Film, Video, Digital) gelegt.

Wir wollen nun im folgenden eine Geschichte dieser neuen Sprache des Raumes in den Medien Malerei, Foto. Film, Video skizzieren und dabei relativ willkürlich Werke und Personen vorführen, stellvertretend für viele andere, an denen sich Punkte der Entwicklung kristallisieren.

Der frühe Giorgio de Chirico von 1910–1917 hat in seiner “methaphysischen Malerei”, bereits die Kollisionen der spatialen Signifikation gemalt und somit die neue Sprache des pictorialen Raumes eröffnet. Seine diesbezüglichen ästhetischen Strategien werden von der Fotografie, von Film und Video weiterentwickelt. Auch von der Malerei, siehe Magritte. In der Schrift "Wir Metaphysiker (1919) spricht er dem Kubismus und Futurismus das Verdienst zu "die sichtbaren Aspekte der Geschöpfe und der Gegenstände deformiert, zerstückelt oder verlängert" zu haben, kreidet ihnen aber gleichzeitig auch an, "im Bannkreis des common sense geblieben zu sein. "Mein Werk bedeutet eine gewaltige Etappe in der progressiven Entwicklung, im komplizierten Getriebe der Künste." Der Standpunkt seiner Metaphysik begründet sich auf den für unsere Erörterung bezeichnenden Satz "Reine Dummheit, wenn man bedenkt, daß es im Weltraum keine Distanz gibt. Ein nicht zu erklärender Punkt kann sich außerhalb eines gemalten, beschriebenen oder gedachten Objekts befinden wie auch (und genau das geschieht in meiner Kunst) im Gegenstand selbst." In den Bildern von De Chirico finden wir daher die ersten Beispiele der Strangeness of Proportion. Bleistifte sind so groß wie Industrieschlote. Die durch extrem beschleunigte Perspektive erzeugte Unendlichkeit wird kontrastiert mit immensen Vergrößerungen eines Handschuhs. Innen und Außen werden vertauscht – im Interieur einer Wohnung befindet sich eine große Fabrik. Das Interieur wird daher metaphysisch genannt. Wolken springen vom natürlichen Hintergrund in den unnatürlichen Vordergrund.

Die Eisenbahn taucht auf, der große Kompressor des Raums, der Turm, der große Modul der Architektur, die Fabrik, die Maschine der Architektur, und wieder der Turm, das Monument der beschleunigten Perspektive, das in der Fotografie eines Rodtschenko, Moholy-Nagy etc. seine Wirkung entfalten sollte. Die Motive der Eisenbahn, des Turms, des Fabrikschlots tauchen übrigens auch als Fundamentals bei Kounellis wieder auf.
Die Large Scale Integration von Räumen gelang De Chirico durch sein berühmtes Verfahren, Tafelbilder von Räumen wieder in Räume zu stellen und durch Fenster wieder auf andere Räume zu blicken So erzeugte er eine imbalance von Proportionen. Vasen wurden größer als Türme. Kekse konnten das Ausmaß von Gebäuden annehmen. Er hat mit perspektivischen Verschiebungen, Vertauschen von Hinter- und Vordergrund, mit Tafeln und Staffeleien Räume inszeniert, wo die Skalierung absolut falsch war, gemessen an der natürlichen.
Diese Inkongruenzen von Nähe und Ferne, von Groß und Klein verliehen seinen Gemälden ihren transrealistischen, metaphysischen Charakter. Die verschachtelten disproportionalen Räume De Chiricos verstörten den Blick, sie stellten den imaginären Raum der Moderne her und dar.

In der Malerei Magrittes hat De Chirico in der Darstellung des Raumes seinen Nachfolger gefunden. Auch hier dringen die Wolken en miniature in das Interieur (Poison), verdrehen sich Exterieur und Interieur (Das Lob der Dialektik). Magrittes Verwendung von Spiegeln und Fenstern setzt die Technik neuer Raumarrangements von De Chirico in der Malerei fort.

Herbert Bayers Fotoplastiken (ein Ausdruck von Moholy-Nagy) aus den 30er Jahren setzen De Chiricos Grammatik des Raumes in die Fotografie um. In "Knochen mit Meer" (1936) sind die nun schon bekannten Wolken vor der Holzwand statt dahinter und falsch skaliert. Im Foto spiegelt sich aber noch die klassische Raumeinteilung der Malerei in Vorder-, Hinter- und Mittelgrund. Das Loch durch die Wand nimmt die Maskentechnik des Films vorweg. Insbesondere Kurt Krens Film "Asyl" (1975) ist eine Weiterentwicklung, Kren betonierte die auf eine Landschaft gerichtete Kamera für mehrere Wochen. Plazierte vor die Kamera einen Karton mit einem Loch drin und filmte die herbstliche Landschaft kaderweise, also extrem zeitkomprimiert. Dann spulte er den Film in die Kamera zurück, machte das alte Loch in der Maske zu und schnitt ein neues auf, durch das er wiederum einige Zeit die winterliche Landschaft filmte. Danach spulte er den Film wieder zurück, schnitt ein neues Loch, filmte eine zeitlich veränderte Landschaft usw. Der siebenminütige Film komprimiert mehrere Monate landschaftlicher Veränderung in winzigen Raumsegmenten.

Diese wenigen selektierten Beispiele der Entfaltung bestimmter gleicher ästhetischer Strategien in Malerei, Fotografie und Film könnten beliebig erweitert werden, und sogar sehr detailliert. Uns kommt es aber im wesentlichen darauf an, jene These darzustellen, daß eben Strategien des pictorialen Raumes in den letzten 70 Jahren über alle Medien hinweg mit einer fortschreitenden Genauigkeit und Imagination entwickelt worden sind. So wie De Chirico Magritte beeinflußt hat und Herbert Bayer, so hat Magritte die Videokünstler beeinflußt. Man vergleiche z.B. "Transitions" von Peter Campus mit "Das Glashaus" von Magritte, oder "Die goldene Voyage" von Magritte mit dem gleichnamigen Tape von The Vasulkas.

Die vom Kubismus abgeleitete Collage ist das Fundament dieses neuen pictorialen Raums, erweitert noch um das Zeitmoment durch die Futuristen. Die einen haben einen ruhenden Gegenstand von verschiedenen Seiten gezeigt, die anderen einen bewegten in verschiedenen Phasen. Natürlich beeinflußt von den Entdeckungen der Fotografie (Marey, Muybridge). Die fotografische Collage hat aber auch auf verdeckte Weise den klassischen Raum attackiert und die beliebige Skalierung in das Tafelbild eingeführt. In "Der Kuß" (1932) von Bayer kann man dies durch die zwei Raumschichten (Fluß, Liebespaar) und die ungleiche Proportionierung erkennen. Desgleichen kommt in diesem Foto bereits der nächste Schritt der Weiterentwicklung von Fenster- und Spiegeltechnik eines De Chirico zum Ausdruck, nämlich die Matrix.

Die Matrix kann eine Serie, eine Wiederholung der gleichen Elemente sein. Sie kann aber auch eine overall structure haben, wo das Ganze selbst in die Teile der Matrix-Raster zerfällt. Eine Wand von TV-Apparaten ist die einfachste Matrix. In den bspw. 20 Monitoren kann 20mal dasselbe Bild laufen oder ein Bild ist über die 20 Monitore fragmentarisiert.

Aus den Tafelbild-Fenstern von De Chirico hat sich also über die Fotografie die Matrix-Technik des Films entwickelt. Ein Filmemacher wie Peter Rose hat in Arbeiten wie "Studies in diachronic motion" (1975) oder "Analogies: Studies in the movement of time" (1977), die sich im Titel schon auf das fotografische und futuristische Erbe beziehen, die Entfaltung des Raums in der Zeit modellhaft angehandelt. Er errichtet zum Beispiel eine Matrix von 20 Feldern, wo rechts unten ins erste Feld das Bild in seiner ersten Bewegungsphase projiziert wird. Die weiteren Bewegungsphasen erfolgen dann diagonal oder spiralenförmig über die restlichen Felder des Bildes. Die Felder der Matrix sind wie viele Bilder im Bild. Das Bild (im Feld) gerät in Bewegung durch seine Bewegung über die Matrix. Wenn heute im digitalen Video die Bildfelder hereinsegeln, so ist diese Beschleunigung der Bewegung eine Folge davon. Hier hat sich erstmals deutlich gezeigt, was in der Überblendung, im Überlagern zweier Räume nur angedeutet wird, nämlich daß der Raum der Kinematographie und des elektronischen Bildes nicht isotop und isochron ist, sondern polytop und polychron, das heißt vielräumig und vielzeitig. Der elektronische Raum ist ein spatial und temporal vielschichtiger Raum, den nach der Überblendung die Künstler der Matrix im Film zu erforschen begannen, indem sie den Spuren der Malerei eines De Chirico und Magritte, der Fotografie eines EI Lissitzky, Rodtschenko, Moholy-Nagy, Herbert Bayer etc. folgten.

Den nächsten Schritt gingen die Meister des optical printing, welche einen projizierten Film wieder abfilmten, aber dabei nicht nur den Film auf einen schon laufenden Film projizierten, sondern bei dieser Projektion die Möglichkeit ausnützten, die Leinwand zu verkleinern und zu bewegen, verschiedene Filter vor den Projektor zu halten und die Projektionsgeschwindigkeit extrem zu steuern (Skip oder Step printing).

Paul Winklers Filme wie "Sydney Harbour Bridge" (1977) oder Henry Jesionkas "Resurrected Fields" (1984) demonstrieren durch ihre maximale Ausnützung der Effekte des wiederholten optischen Druckens, wie sehr die optische Druckbank das fehlende Glied zwischen Film und digitales Video erstellt. Durch "matting" und "masque" erarbeiten sie einen von der Wirklichkeit unabhängigen kinematographischen Raum. Nach De Chiricos Tafelbild-Fenstern im Raum, nach Bayers fotoplastischen Fenstern, nach fotografischer Doppelbelichtung und filmischer Überblendung, nach Matrix, Matte und Masque hat sich der Raum endgültig in einen vielschichtigen verwandelt.

Steina Vasulka hat in dem Tape für die Video-Installation "The West" den Multi-Schichtenraum des digitalen Video raffiniert mit der keying-Technik gemischt. die eine Weiterentwicklung der Window-Technik ist. Zuerst hat sie durch eine sich bewegende spiegelnde Kugel Hinter- und Vordergrund ineinander geblendet, dann hat sie (fast unsichtbar) in die Kugel andere Landschaften eingeblendet, anders als die natürlich gegenüberliegenden. Sie hat dann auch in die Horizontale der Landschaft elektronisch andere Himmel so eingekeyed, daß die künstliche elektronisch erzeugte Landschaft fast natürlich erscheint. Darüber hinaus hat sie die Räume auch als elektronische Schichten übereinander geschoben.

Jesionka schreibt daher zu Recht:
"The space (in RESURRECTED FIELDS) (both sonic and visual) is regarded as an information environment. The space itself is substantial, with layers upon layers of packaged and wrapped-up information.
Seeing space as the Renaissance painters did, laying it out in a grid, as a cavity leads to tunnel vision, to fixity of viewpoint and perspective, to a concept of objects in cavities that show nothing of their inter-action on each other. Viewing space as a continuous mesh of information, however, makes space more palpable and immediate and, should some information be removed, the viewer would feel a new pattern of thought. He would entirely rearrange his information to form another plausible system. The Renaissance view made on desire to obtain the rarest and dearest object. The information-space view makes one desire to maintain coherence and equilibrium. One view treats space as an emptiness out there, outside of ourselves- the other view treats space as a membranous and breathing body, a package of living fluids in circulation, that both contains us and is a macrocosm of our interior."


H. Jesionka
Die digitale Window-Technique, wo jede flachige Raumdarstellung, wo jedes Raumbild beliebig bewegt, verformt, sphärisch gedreht, gekrümmt, rotiert, verkleinert und vergrößert werden kann, ist der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung. Über Jahrzehnte entwickelte ästhetische Strategien der zweidimensionalen Raumdarstellung in Malerei, Fotografie, Film und Video werden in der digitalen Kunst zu einem mächtigen Werkzeug. Die Vielfalt der in den vorangehenden Medien erarbeiteten Methoden bleibt erhalten. Es ist sogar notwendig, die ästhetischen Strategien des pictorialen Raums von der Malerei bis zur Videokunst gleichzeitig anzuwenden. Im funktionierenden elektronischen Bild kommen daher malerische, fotografische, kinematographische und videospezifische Techniken zur Anwendung, um eine zeitgemäße Darstellung des Raumes zu erreichen.