www.aec.at  
Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Computergraphik in Japan


'Itsuo Sakane Itsuo Sakane

In den vergangenen Jahren haben Computergraphiken über den Fernsehschirm oder über die Graphikseiten verschiedener Zeitschriften sehr rasch in das Alltagsleben der Japaner Eingang gefunden. Besonders durch Werbespots oder die Vorspanne zu Fernsehprogrammen haben Computergraphiken das Sehen der Menschen und ihr ästhetisches Empfinden stark beeinflußt.

Selbstverständlich ist das ein internationaler Trend, mit keinem direkten Bezug zu der traditionellen Bildtechnik. Aus dem Vorgang der Formulierung von Form und Farbe, aus dem Rhythmus der bewegten Bilder haben sich schrittweise traditionelles Gefühl für Schönheit und individuelles Kunstverständnis ergeben. Wenngleich die Computergraphik noch in den Kinderschuhen steckt, scheint es doch an der Zeit, daß sie zu einer ausgereiften und anerkannten Kunstform wird. Wenn wir auf die letzten 20 Jahre in der Geschichte der Computergraphik zurückblicken, erkennen wir, daß der Großteil der japanischen Arbeiten von Amerika beeinflußt war. Aber in den letzten zwei bis drei Jahren haben sich die japanischen Techniken der Computergraphik rapide entwickelt und beginnen unverwechselbare Merkmale zu zeigen. In jüngster Zeit wurden zahlreiche Werke japanischer Computerkünstler für Hauptpreise bei Medienkunst-Festivals in aller Welt nominiert und wegen des besonderen Reizes ihrer Figuren hervorgehoben.

RÜCKBLICK AUF DIE GESCHICHTE
In der 2. Hälfte der sechziger Jahre wurden in Japan die ersten Versuche gemacht, mit dem Computer Kunst zu schaffen. Hiroshi Kawano, Lehrer am Tokyo Metropolitan College of Airplane Technology, schuf mit dem Computer Mondrian-ähnliche Bilder und wurde damit berühmt. Die CTG (Computer Technique Group), die von acht Studenten, unter ihnen Haruki Tsustiya und Masao Komura, ins Leben gerufen wurde, schuf mittels XY-Plotter abgewandelte Bilder von J. F. Kennedy. Sie schufen auch viele andere humorvolle und parodistische Bilder, wie etwa das Abbild einer Coca-Cola-Flasche, die sich in die Umrisse des afrikanischen Kontinents verwandelt. Ihre Arbeiten wurden in die "Cybernetic Serendipity Exhibition" aufgenommen, die 1968 in London stattfand.

Gaku Yamada und Yoshio Tsukio, damals noch Architekturstudenten, machten den ersten Computer-Animationsfilm "Die Kunst der Fuge", eine Art Reverenz an J. S. Bach; sie filmten dabei den CRT-Monitor mit einer 16-mm-Kamera. Es war ein dreidimensionales bewegtes Bild von Würfeln, die in der Drahtmodell-Technik gezeichnet waren.

Es gab auch andere Pioniere der Computerkunst in Japan, wie etwa Eiichi Izuhara, der die Simulation von sich verzweigenden Bäumen schuf. Izuhara war Mitte der siebziger Jahre Lehrer von Yoichiro Kawaguchi und regte ihn an, sich mit der Simulation von wachsenden Gegenständen, etwa Muscheln, auseinanderzusetzen.
Aber die genannten japanischen Künstler mußten sich noch einige Jahre gedulden, bis sie den Computer voll als Werkzeug zur Schaffung von Kunst verwenden konnten. Fortgeschrittenere Computertechnologie und ausgereiftere Software und Algorithmen für die Simulation aller Arten von visuellen Darstellungen wie Schraffur, Strahl-Protokollierung, Abbildung von Strukturen, das Modellieren von Landschaften mit der Fraktal-Geometrie und die Bewegungseffekte waren noch nicht vorhanden. Erst in den letzten fünf bis sechs Jahren haben sich japanische Künstler wirklich intensiv mit dem Bereich der Computergraphik beschäftigt. Für die Expo 85 hat sich die japanische Graphik-Computer-Industrie auf die Filmpräsentation in den einzelnen Pavillons konzentriert und die USA auf der Suche nach neuen Bildtechnologien bereist. Der zweite Höhepunkt der Computergraphik in Japan setzte also mit der Einführung neuester Technologien und verschiedener modernster Algorithmen, wie etwa der Strahl-Protokollierung, ein.
COMPUTERGRAPHIKEN BEI DER EXPO 85
Die Expo 85 trug wesentlich dazu bei, daß Japan im Bereich der Computergraphik-Technologie rasche Fortschritte erzielte. Viele Werke entstanden aus der Verbindung zwischen neuester Computergraphik-Technologie und großformatiger Film-Technologie wie den Imax-Systemen. Manche Pavillons schufen in Zusammenarbeit mit amerikanischen Computerkünstlern, wie Nelson Max u.a., ganz außergewöhnliche Arbeiten.

Nicht alle für die verschiedenen Pavillons der Expo 85 geschaffenen Filme waren von hoher Qualität und manchen lagen schwache Konzepte zugrunde. Daneben aber entstand so manches hervorragende Werk, das in die Geschichte der Computergraphik eingehen wird. Der Computergraphik-Film "Universe", der für den Fujitsu-Pavillon in Zusammenarbeit mit Nelson Max geschaffen wurde, ist einer von ihnen. "Universe" ist die großartige spektakuläre Darstellung von der Geburt des Universums bis zur Geburt eines Menschen. Der Film wurde mit computergenerierten stereoskopischen Bildern hergestellt. Insbesondere die dramatische Szene, die den Vorgang der Entstehung des Chromosoms aus DNA-Ketten zeigt, fand aufgrund ihres künstlerischen und erzieherischen Wertes hohe Anerkennung.

Nach der Expo 85 waren die wirtschaftlichen Bedingungen in der Computergraphik-Industrie nicht besonders günstig, doch hat sich der Bekanntheitsgrad von Computergraphiken in der Bevölkerung erhöht. Im letzten Jahr hat ein hektischer Boom bei Heimcomputer-Spielen (Famicon genannt) das Interesse so vieler Kinder in Japan geweckt, daß man von einem gesellschaftlichen Phänomen sprechen kann. Andererseits haben diese Computerspiele und Hobbys dazu geführt, daß computergenerierte Bilder in allen Schichten der Bevölkerung bekannt wurden. Dieses soziale und psychologische Klima fördert auch die Befassung junger Künstler mit Computergraphik und anderen Formen der Medienkunst.
COMPUTERKÜNSTLER IN JAPAN
Aus diesem Umfeld stammen mehrere Künstler im Bereich der Computergraphik. So präsentiert etwa Yoichiro Kawaguchi seine anspruchsvollen Werke seit 1982 im Rahmen von SIGGRAPH und findet besonders wegen des künstlerischen Charakters seiner Arbeiten große Anerkennung. Als Lehrer an einem privaten technischen College ist er in einer privilegierten Position, mit seiner einzigartigen Methode, für seine Werke eigene Algorithmen zu schaffen, hat er einen eigenen Stil entwickelt. Er verleiht dem Gegenstand nicht bewußt eine bestimmte Form, wie das viele andere Künstler tun, sondern schafft den Algorithmus für die Darstellung der Form von lebenden Objekten, so als ob sie den natürlichen Wachstumsgrenzen gehorchten. Seinen Algorithmus nennt er WACHSTUM. Wenn er diesen Algorithmus anwendet, wachsen die verschiedenen Formen des lebenden Objekts einfach aus der Auswahl der Parameter für die Verzweigungen und Winkel. Durch den Umgang mit diesen Parametern kann er seine Lieblingswesen in seiner Phantasiewelt schaffen. Er sagt selbst, seine Methode sei von seinem Lehrer Eiichi Izuhara und von D'Arcy Thompsons Werk "On growth and form" (Über Wachstum und Form) beeinflußt worden. Aber seine starke Farbgebung ist sicherlich von der subtropischen Landschaft von Tanegashima herzuleiten, jener Insel, auf der er geboren und aufgewachsen ist.

Auch Masaki Fujihata, der sein Werk "Mandala 83" bei der SIGGRAPH 83 präsentierte, ist einer der kommenden Computerkünstler Japans. Dieses Werk zeigt die meditative Geisteslandschaft, indem er das symbolische Bild der buddhistischen Kosmologie durch eine Veränderung der Transparenz und Farbe der Kugeln mittels der einmaligen Strahl-Protokolliertechnik verwandelt. Bei der SIGGRAPH 84 präsentierte er "Miroku", das sich auffällig von "Mandala 83" unterscheidet und eine kosmische Darstellung sexueller Bilder vermittelt. Dieses Werk fand beim europäischen Publikum geteilte Aufnahme – es beruht jedoch auf einer fernöstlichen Einstellung zu solchen Sexualsymbolen. Er versucht in diesem Werk eine Annäherung an die psychologische und metaphorische Bedeutung von Gestalt und Form. Es ist eine Art anthropologischer Übersicht über die Ikonographie von tabuisierten Bildern.
PRODUKTION
Andererseits stehen die japanischen Computergraphik-Produktionen stark unter dem Druck der Kunden von Fernsehanstalten und Verlegern. Trotz dieses Drucks bleiben die Künstler aktiv und versuchen, ihre Werke immer künstlerischer und experimenteller zu gestalten. Das führte auch dazu, daß eine der Produktionen, ICGL, den Großen Preis in der Kategorie Publicity beim diesjährigen Computergraphik-Wettbewerb in Monte Carlo erhielt. Manche Produzenten versuchen, in ihrer Freizeit experimentelle Werke zu schaffen. So etwa schufen Toyo Links eine experimentelle Computergraphik mit dem Titel "Biosenser", das bei der SIGGRAPH 84 vorgestellt wurde. Es entstand unter der Regie von Takashi Fukumoto und erhielt 1985 einen Großen Preis in der Kategorie Fiction beim Wettbewerb von Monte Carlo. Vor kurzem richtete Toyo Links eine Forschungsabteilung ein, die sich vorwiegend mit Versuchen an einem neuen Struktur-, Farb- und Bewegung-Algorithmus beschäftigen soll. Sie suchen in ihrer Freizeit nach neuen, feineren und freieren Ausdrucksmöglichkeiten bei den Effekten in der Computergraphik.
AKTIVITÄTEN DES LINKS-SYSTEMS
Das Links-System der Universität von Osaka gewährt der japanischen Bewegung der Computerkunst sowohl technisch als auch geistig starke Unterstützung. Dieses System wurde von Prof. Koichi Ohmura von der Universität Osaka entwickelt; es verbindet zahlreiche kleine Personalcomputer parallel miteinander, um Super-Computer wie CRAY-1 oder die VAX-Systeme zu übertreffen. Es war eine Herausforderung gegen den gesunden Menschenverstand, den Versuch zu unternehmen, riesige Computer für die Schaffung besserer Computer-Kunstwerke einzusetzen, indem man nur kleine Personalcomputer verwendete. Durch die parallele Zusammenschaltung so vieler Kleincomputer konnten drastische Zeit- und Kosteneinsparungen erzielt werden. Außerdem entwickelte Ohmura den neuen Algorithmus "Metaball", wodurch die Abbilder von Objekten leichter und glatter herzustellen sind. Heute verwenden Yoichiro Kawaguchi und Produzenten wie Toyo Links dieses Links-System. Es wurde auch für die Schaffung eines Teiles der Bilder von "Universe" für den Fujitsu-Pavillon auf der Expo 85 verwendet.
FÜR DIE KINDERERZIEHUNG
Fernsehen ist eine einflußreiche Macht, die dem breiten Publikum die Computergraphik zugänglich gemacht hat. NHK begann, Computergraphiken für seine Titel und für Kinderprogramme zu verwenden. Besonders für Bildungprogramme für Kinder schufen sie eine Serie von kurzen Computeranimationen. So gestaltete etwa Frau Toyoko Hirata, Direktorin eines Kinderprogramms, eine Computeranimation mit dem Titel "Kreis, Dreieck, Viereck", die auf spielerische und lustige Weise das Verhalten dieser drei Formen darstellt. NHK produzierte auch die Animation von Spielen zwischen Sprache und Bild, die die Phantasie der Kinder außerordentlich stark anregte. Kommerzielle Hersteller wie Toyo Links oder ICGL oder die Universität von Osaka haben auch mit NHK zusammengearbeitet.
ANDERE AKTIVITÄTEN
Neben diesen Spezialisten für Computergraphik gibt es auch Gruppen von Amateuren, die mit Personalcomputer arbeiten. Wegen der niedrigen Kosten dieser Kleincomputer haben viele junge Menschen begonnen, mit diesen Geräten ihre eigenen Graphiken zu schaffen; einige von ihnen beteiligen sich an Wettbewerben. Ihre Bilder sind manchmal zweidimensional und die Qualität verbessert sich ständig. Es gibt auch Künstler, die die Computergraphik-Technologie für die Herstellung von Stoff- und Keramikmustern verwenden.

Diese Art von Computergraphiken wird in immer mehr verschiedenen Gebieten angewendet, auch im Bereich der Medienkunst wie Darstellung mit Videobildern oder Musik. Viele Künstler arbeiten heute in diesen Bereichen. Sie beeinflussen die alten Kunstgattungen und werden in Zukunft das traditionelle Schönheitsempfinden in Japan verändern.

Itsuo Sakane – Kunstkritiker, Leitender Redakteur bei Asahi Shimbun