Der talentierte Zuschauer
'Wolfgang Lorenz
Wolfgang Lorenz
Die Kunst erklärt dem Menschen die Welt in vielen Sprachen, in vielen Medien, auf viele Arten. Technik und Kunst haben sich zunächst voneinander entfernt, entfremdet und wieder zusammengelebt. Kunst und Leben haben über die Technik einen neuen Bezug zueinander, einen neuen Sinn bekommen. Die Videokunst ist im technischen Huckepack des Fernsehens dahergekommen, gegenseitiger Einfluß, Respekt und Verachtung füreinander waren von Anfang an da, sind im dritten Jahrzehnt angekommen. Und McLuhan hat doch recht: Wir alle sind zu Einwohnern des "global village" geworden. Aber zu was für einem! Man sieht das Dorf vor lauter Häusern nicht. Die Künstler sind zu Sozialarbeitern geworden – sozial bestimmte und bestimmende Wesen, die uns durch das "global museum" führen. Intermediakünstler haben auch ein Intermediapublikum mitgezogen. Was man nicht schlagen kann, dem gesellt man sich am besten zu. Die Jäger einer Gesellschaft sind zu Gejagten geworden, der Künstler kann sich der öffentlichen Umarmung kaum erwehren, die Kunst fällt in die Gesellschaftsspalten. Wir müssen uns zusammennehmen bevor alles zerfließt.
Von allen Kunstarten bleibt die Videokunst ein ungeliebtes Phänomen: Sie beherrscht von Anbeginn an ein gänzlich neues Medium und kann sich doch medial nicht öffentlich erklären. Ein unnützliches Produkt aus Elektronik und flüchtiger Form – gerade deshalb Kunst, aber schwer zu fassen. Wer zeigt sie wie wem?
Während kommerzielle Sender unseren Verstand auf wenige Organe zu vermindern suchen, findet das nicht auf Gewinn ausgerichtete öffentliche Fernsehen seine schönste Rolle: Es kann mithelfen, den 'Leuten ihr Leben zu erklären. Ein Massenmedium bleibt es auch vor seinem kleinsten Publikum. Es kann sich die Vorliebe einzelner für einzelne leisten, zusammengenommen sind die wenigen viele.
Unter so einem guten Stern stehen im ORF die "Kunst-Stücke". Schon seit Jahren eine unnützliche Sendereihe mit erheblichem Nutzen. Der wöchentliche Horror des Programmökonomen: Die Kosten-Nutzen-Rechnung – ein hoffnungsloser Frust.
Mit den "Kunst-Stücken" erklären Verantwortliche ihre Verantwortung in einem Wechselbad aus Schaudern und Lust. Und alle wissen genau, was sie tun. Also auch bei der "Videonale": Eine Woche lang gibt es täglich ungewöhnliche Bilder auf österreichischen und – via 3–SAT - auf europäischen Bildschirmen. Medieneuropa reibt sich ungläubig die Augen. Wenn das nur gut geht!
Es kann gar nicht schlecht gehen: Die Welt hat zumindest in vier Erdteilen die Fächer voll mit tollen Videos. Man hat sie außerhalb der Ateliers, der Studios, der Galerien, in unseren Breiten noch nie gesehen. Man hat sie imitiert, geplündert und geschändet, hat die Videoclips der Pop-Promotion der Videokunst als Kuckuckseier unterschoben.
Der Fernsehzuschauer als Sammler mit seinen eigenen Augen in einer Galerie der Sinne. Er ist mit sich und ein paar Hunderttausend in der Geschmacksdemokratie ganz allein. Ein antihermetisches Programm von Freiwilligen für Freiwillige.
Die Videokunst schreibt eine oft wortlose Kultursprache der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts. Die elektronischen Nationalbibliotheken der Zukunft werden voll sein mit Bände(r)n dieser internationalen Sprache, in der Menschen versuchen, den Menschen die Welt zu erklären. Das Fernsehen kann bei so einer "Videonale" sein technisches Talent als Dolmetsch einsetzen. Und so talentierte Zuschauer ausbilden, die für die Institution Fernsehen mehr als ein pessimistisches Zucken der abendländischen Achsel übrig haben.
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