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Ars Electronica 1986
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Robert Ashley's "Perfect Lives"


'Kim Machon Kim Machon

ORF-VIDEONALE 86
Donnerstag, 19. 6. 1986
22.55 Uhr, FS 1

ORF-Videonale 86
Peter Greenaway: Robert Ashley. Einführung in "Perfect Lives".

Aus: Four American Composers (1983)
Perfect Lives – An Opera for Television by Robert Ashley, Produktion John Sanborn

Part 1: The Park (Privacy Rules)
Portrait of a traveling man, perhaps the singer, "R", himself.

"Perfect Lives", dieses bedeutende Werk von Robert Ashley, wird bei der ORF-Videonale jeden Abend (ausgenommen 24. Juni) am Ende des Programms ausgestrahlt werden; an sieben Abenden, in sieben Teilen, jeder genau 25 Minuten und 50 Sekunden lang. In Großbritannien wurde es im Fernsehen über Channel Four erstmals aufgeführt und nun hat es im ORF Österreich-Premiere.

Die Bedeutung dieses Werkes sollte nicht unterschätzt werden, es gilt als eine der wichtigsten Video-Kreationen für das Fernsehen und ist zweifellos ein Meilenstein in der Geschichte der Videokunst. Es ist dies eine an verschiedenen Ebenen und Schichten reiche Arbeit, deren traumähnliche und hypnotische Wirkung durch Ashleys Narration geschaffen wird. Seine "Lieder", seine "Geschichten aus der Kornkammer" ziehen sich durch die erzählte Geschichte, in einem Stil, den er selbst als "vokale Modulationen, die man Gesang nennen könnte", bezeichnet. Die Video-Oper hat nicht nur die Formen der Videokunst und ihres Zusammenwirkens mit dem Fernsehen (wofür dem Regisseur John Sanborn zu danken ist) erweitert, sondern auch eine neue Dimension in den Begriff Oper eingebracht. "Ich bezeichne das Werk eindeutig als Oper", sagte Ashley zu Roy M. Close, "aber ich würde es auch gerne anders nennen, wenn mir eine andere Bezeichnung einfiele; es ist der europäischen Oper nicht ähnlich, es ist keine Musical-Version eines Theaterstücks."

Die in bestimmten Plätzen, "Dem Park", "Dem Supermarkt", "Der Bank", " Der Bar" etc. angesiedelten Geschichten weisen gewisse wiederkehrende Elemente und Motive auf, die ein Wiederkommen und Erinnern ins Spiel bringen, nicht nur innerhalb der einzelnen Geschichten, sondern auch ' als Verbindung zwischen ihnen. Sie sind die Bindeglieder, die die sieben Abende zu einem meisterhaften Ganzen zusammenfügen, das von überschäumenden Echo- und Widerhalleffekten gekennzeichnet ist.
"PERFECT LIVES"
eine Oper für das Fernsehen von Robert Ashley

I DER PARK (Regeln der Privatsphäre)
II DER SUPERMARKT (Berühmte Menschen)
III DIE BANK (Verbrechen ohne Opfer)
IV DIE BAR (Unterschiede)
V DAS WOHNZIMMER (Die Lösungen)
VI DIE KIRCHE (Nach dem Faktum)
VII DER HINTERHOF (Fortsetzung folgt)

Raoul de Noget (No-Shay), ein Sänger, und sein Freund Buddy, "Der Welt größter Klavierspieler", sind in eine Kleinstadt des Mittelwestens gekommen, um in der dortigen "Perfect Lives Lounge" als Entertainer aufzutreten. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund sind sie mit zwei Bewohnern der Stadt in näheren Kontakt gekommen, mit Isolde ("An die Dreißig und noch nicht versprochen") und ihrem Bruder "D", gerade von der High School abgegangen und als "Kapitän der Fußballmannschaft" bekannt (seine Eltern nennen ihn Donnie); "D" ist gekommen, um das perfekte Verbrechen zu begehen, eine Metapher für etwas Philosophisches; in diesem konkreten Fall, einen größeren Geldbetrag für einen Tag lang aus der Bank zu entfernen (und nur für einen Tag), und "der ganzen Welt mitzuteilen, daß es fehlt".

"D" ist Assistent des Bankdirektors. Er erfährt, daß Gwyn, eine der Schalterbeamtinnen, beabsichtigt, mit seinem Freund Ed durchzubrennen. "D" wird zusammen mit einem weiteren Freund, Dwayne, eingeladen, "mitzukommen"; Dwayne hat Sprachprobleme (das heißt, er kann zwar sprechen, kann sich aber nur schwer verständlich machen). "D" kennt die Kombination des Safes. Der Plan ist also folgender: das Geld in Ed's Wagen nach Indiana (dem Ziel der Ausreißer) zu bringen und es in Umlauf zu bringen, wie es sich gerade ergibt. Sie brechen um fünf Uhr morgens auf.

Die Liebenden sind unterwegs; währenddessen betreten Raoul und Buddy mit Buddys Hunden und Isolde, die aber nicht zusammen mit ihnen kommt, um die Mittagszeit die Bank. Die Hunde fangen zu raufen an ("wie Lärm aus dem Hades"); das liefert Isolde den Vorwand, sich aus dem Nachbarhaus einen Eimer Wasser zu besorgen, den sie auf die Hunde gießen will; mit Absicht trifft sie nicht die Hunde, sondern den Bankdirektor, der in den Safe geht, um die Kleider zu wechseln; dort bemerkt er, daß die Bank "kein Geld auf der Bank" hat. Als Teil des Komplotts hat Isolde das Büro des Sheriffs angerufen, mit verstellter Stimme (ihr Vater Will ist der Sheriff, seine Frau heißt Ida), um einen Unfall "draußen auf der Autobahn" zu melden. Natürlich gibt es gar keinen Unfall; später erkennt Will die Bedeutung dieser Falle und rekonstruiert unter den Fragen seiner Frau Ida den Hergang. Aber es ist zu spät.

Von den Kassierinnen (Jennifer, Kate, Eleanor, Linda und Susie) die Zeugen der Rauferei der Hunde und der schrecklichen Entdeckung waren, und die alle, jede auf ihre Art, verstehen was geschehen war, hat nur Susie bemerkt, daß “die Hunde gemeinsam hinausgegangen waren", aber sie verrät nichts. Sie hat sich auf den ersten Blick in Buddy verliebt, der wegen seiner extravaganten Kleidung oft für einen Fremden gehalten wird. ("Es gibt keinen Zweifel, daß der Mexikaner mit drinnen steckt. Die Frage ist nur, ob er Mexikaner ist.") Das war um 12.45 Uhr ("Merken Sie sich das!") Zu diesem Zeitpunkt befinden sich Helen und John in der Bank, unschuldige Beobachter aus dem Heim, die "an einem Ferientag" ihre Geschäfte abwickeln. Sie haben sich (im Heim) ineinander verliebt, aber sie können nicht heiraten, weil sonst "einer von ihnen seine Vorteile verlieren würde". So mieten sie also jedes zweite Wochenende in einem Motel in der Nähe des Parks zwei nebeneinander liegende Zimmer (in dem Motel, in dem zufällig auch Raoul und Buddy wohnen und in dem wir Raoul zum ersten Mal begegnet sind, als er vergeblich versuchte, telefonisch ein Frühstück zu bestellen). Soeben hat für sie das Wochenende begonnen, und um drei Uhr nachmittags sehen wir sie im Supermarkt, beim Einkaufen; sie sind ein wenig nervös, durch die Aufregung gegeneinander aufgebracht, aber keineswegs geschafft. Zu einem späteren Zeitpunkt, wahrscheinlich am Montag, sind Buddy und Raoul an ihrem "musikfreien Tag" in die Bar gekommen, um zu feiern; sie wußten nicht, daß sie dort Rodney, den Barkeeper, kennenlernen würden, dessen Frau Baby den Boogie Woogie übt, pausenlos und ohne großen Erfolg ("Glücklich ist sie, sagen die Handelsreisenden, aber Boogie Woogie ist sie nicht."): sie studiert die Videobänder ("Die Lektionen"), die Buddy ausliefert (an Musikläden). Rodney ist philosophisch, besonders was Baby's Talente betrifft, aber dem Boogie Woogie gegenüber skeptisch. Und “jetzt ist er seiner Nemesis begegnet – von Angesicht zu Angesicht”. Sie sprechen miteinander.

Inzwischen, gehen wir in der Zeit zurück (zu dem Abend des großen Tages), lösen Will und Ida im Wohnzimmer das Rätsel, sie erkennen vielleicht sogar die Motive, aber es ist zu spät. Irgendwo in Indiana, das Geld im Auto versteckt (Gwyn weiß davon sicher nichts "Gwyn ist unschuldig"), ihres Erfolges gewiß, haben Ed und Gwyn, Dwayne und "D" einen Friedensrichter gefunden, der die Zeremonie vollziehen wird ("Ich kümmere mich um Radarfallen, durchgebrannte Paare, echte Unterschriften und ähnliches"); er spürt in Gwyn etwas so Dringliches ("Und warum ist die angehende Braut so … hm … wie sagt man doch gleich?"), etwas so Dramatisches … ("Sie ist ein (p') Affe, Sir"), daß er sich in die Vergangenheit zurückversetzt fühlt, zu einer anderen Zeremonie, zu einer anderen angehenden Braut ("Luzille", die in Zungen spricht), in eine Konfusion von Zeit und Ort, wo andere (berühmte) Eheschließungen vollzogen werden: "Snowdrift", am Altar verlassen; und so weiter. Während wir eine Pause machen, den Hochzeitskuchen essen, verwandelt sich seine ärmliche Situation ("Gleich neben dem Schlafzimmer ist mein Büro") vor unseren Augen in die Kirche ("die Kirche des Großen Lichtes"). Und wir sind zufrieden.

In der Stadt, im Hinterhof, haben sich in der Zwischenzeit einige Freunde und Verwandte, wie das im Sommer so üblich ist, zu einem Picnic versammelt, um den Lichtwechsel bei Sonnenuntergang zu feiern. In der Tür des Hauses ihrer Mutter steht Isolde und zählt die Tage.