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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Utopien? Folgen? Passagen! Zwischenzeiten! ...


'Gislind Nabakowski Gislind Nabakowski

Überlegungen zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen in der Bundesrepublik

"DIE 'FERNSEHGALERIE' GEHT VON DER IDEE AUS, EIN MÖGLICHST GROSSES PUBLIKUM MIT DEN ZEITGENÖSSISCHEN TRENDS DER INTERNATIONALEN KUNSTENTWICKLUNG ZU KONFRONTIEREN."

GERRY SCHUM, 1969
Der Gedanke des "Video im Fernsehen" hat, was die Praxis betrifft, in der Bundesrepublik mit dem "Film im Fernsehen" begonnen. Damals gab es bereits international die ersten Video-Filme von Künstlern. So hat sich auch das Konzept zum Video hin umstrukturiert. Gerry Schum hatte für den "Sender Freies Berlin"/SFB in Berlin (West) das Konzept einer "Fernsehgalerie" entwickelt. Der Faktor, daß Berlin eine isolierte Stadt ist, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Ohne sich nach Westdeutschland bewegen zu müssen, sollte das Publikum Kunstwerke betrachten können – auf dem Bildschirm. Gerry Schums Konzept liest sich wie ein Pamphlet, das vom Glauben und Ideal besessen war, die Welt durch Kunst zu verändern. Es enthält alle Begriffe, in denen sich der demokratische und revolutionär-verändernde Geist der 68er Jahre widerspiegelt. "Kritik" und Konsum" sollten wechselseitig Elemente der Wahrnehmung der Betrachter sein. Keine "Endprodukte" sollten gezeigt werden, sondern "Entstehungsprozesse". "Objekte wurden aus der Kunstaura der Museen und Galerien herausgeholt und in die alltägliche Umgebung der Fernsehzuschauer reproduziert." (1) Der Zuschauer sollte auf dem Bildschirm ohne Entstellung Einsichten in die Entwicklung der modernsten Avantgarde-Kunst erhalten. Das klingt schön. Utopien? Als die "Fernsehgalerie" darin für Berlin nicht zustande kam, erhielt Gerry Schum von Wibke von Bonin im Kölner WDR III (2) den Auftrag, einen Film "Kunstkonsum – Konsumkunst" zu realisieren. Das Thema war eng mit der Berliner Idee verwandt. Gezeigt wurde der Weg eines Kunstwerks von seinen Anfängen im Atelier bis zur Ware an der Wand einer Galerie. Alle beteiligten Macher, der Künstler, Ingenieur und Galerist kamen gleichberechtigt zu Wort. Das Kunstwerk wurde als Teil des gesellschaftlichen Prozesses verstanden. Zwar war es eine Ware, doch greifbar und weg vom Sockel. Schon bald klärte Schum für sich, daß eine Widersprüchlichkeit darin lag, "Objekte und Gemälde vor die Kamera zu holen, um sie für das Fernsehen zu reproduzieren". So strukturierte sich die Idee der "Fernsehgalerie" deutlicher heraus, bis zu der kompromißlosen Entscheidung, kein "Kunstprogramm" zu machen, sondern "Kunstwerke, die eigens für die Veröffentlichung durch das Fernsehen erdacht und realisiert wurden".

Zur selben Zeit kam er mit den internationalen Landartisten in Berührung, deren Kunstwerke nicht von dauerhafter Natur waren, sondern aus Wasser, Sand, Erde, Steinen und Luft bestanden. Landart-Künstler, Prozeß und Körperkünstler waren somit besonders in der Lage, sich den Ideen von Gerry Schums "Fernsehgalerie" anzuschließen. Schum hatte an den Fernsehakademien in München und Berlin studiert. 1970 rüstete er vollständig auf Video um. Bis zu seinem Selbstmord 1973 war Video sein Lebensinhalt und seine Obsession. Er eröffnete in der Düsseldorfer Altstadt eine Video-Galerie und arbeitete eng mit Video-Künstlern zusammen. Es wundert nicht, daß seine "Fernsehgalerie", die er realisieren konnte, keine Unterschiede zum Video hat. Einmal ist die Abbildungsstruktur und Technik durch das Fernsehen bestimmt. Und darin arbeitete er auch für die "Fernsehgalerien" mit Videokünstlern zusammen. Wichtig war für alle eine Devise: Weg vom Dokumentarfilm.

Mehrere "Fernsehgalerien" kamen mit Hilfe von Wibke von Bonin zustande: "Landart" wurde 1969 vom SFB in Berlin ausgestrahlt – acht Künstler waren beteiligt. "Identifications" wurde vom Südwestfunk/SWF in Baden-Baden ausgestrahlt. 19 Künstler haben den Film von 50 Minuten gemeinsam mit Gerry Schum gestaltet.

Als WDR-II-Ausstrahlung konnten kurze, avantgardistische und gewagte Projekte realisiert werden. Keith Arrietts "Selfburial", eine Folge von Fotos, von denen jedes an einem Tag in das laufende Programm eingeschnitten wurde, verhielt sich wie Charly Chaplin zum traditionellen Unterhaltungsgenre. Jan Dibbets "TV as a fireplace" funktionierte ulkhaft und ironisch die Mattscheibe der "guten", alten Fernsehglotze in das heimelige Kaminfeuer um, das dabei gleichzeitig "fremd" auf dem Bildschirm stand. Eine ganze Woche lang, jeden Abend täglich, brannte es jeweils drei Minuten lang am Ende der täglichen Sendezeit.

Zwischenzeitlich hatte Gerry Schum mit seiner Produktion "Artscapes", zu der auch Christo geladen werden sollte, in den Sendeanstalten keine Gegenliebe gefunden. Und bereits "Identifications" war 1970 zum größten Teil mit Geldern aus dem Hannoveraner Kunstverein finanziert worden. Die Pionierzeit von Filmkunst im Fernsehen war eine sehr kurze Episode. In ihr steckten der Pioniergeist, die Utopien, der Schwung, die Neugierde der 60er Jahre. Witze, auch solche gegen die traditionelle Sprache, waren möglich. Doch sehr schnell gerieten eben leider doch schon damals bei der Berührung mit dem Fernsehen Gerry Schums Konzepte in die Krise. Nachträglich beschreibt (3) Wibke von Bonin Schum als einen "zunächst freundlichen, dann insistierenden, darin schließlich sehr schwierigen Gesprächspartner". Rückwirkend freut sie sich auch noch, daß der damalige Intendant Karl Hofer so liberal war, die "verrückten Ideen" zu akzeptieren, 1985 bekennt sie allerdings auch mit ihrem Vorhaben "eigentlich gescheitert" zu sein. Und sie fügt noch hinzu: "Die Anekdote, daß im Büro des technischen Direktors einer großen, öffentlich-rechtlichen Anstalt ein Schild mit der Inschrift prangt "Wer hier von Kunst spricht, fliegt raus!" ist da sie nicht wahr sein darf insofern gut erfunden, da sie das Verhältnis der Technik zur Kunst bitter richtig charakterisiert. Die Fronten sind klar entschieden. Mit "Technik" identifiziert sich die Riege derer, die im Interesse des deutschen Fernsehzuschauers, der für ihre Sorgfalt zahlt, über die Perfektion dessen wacht, was die Sendestraße verläßt. mit "Kunst" bezeichnet diese die Elaborate all jener Lotterburschen und Chaoten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diese Perfektion kreativ zu unterlaufen." (4) So ist der Vermittler zwischen beiden Positionen, der festangestellte Redakteur, der Störenfried. Wer Video ins Fernsehen bringt, muß Gewohnheiten, Erwartungen und Sendeschemen durchbrechen.

Der Handel mit Video-Kunst, der Versuch, der gefährlichen Ghettoisierung zu entgehen, die ständige Suche nach Abspielmöglichkeiten, all jene Probleme sind heute, 20 Jahre nach den ersten Pioniertaten, gravierender denn je. Gerry Schum hat keinen "Nachfolger" gefunden, der seine Ideen ähnlich kompromißlos weiterverfolgt oder durchsetzt. Zu seinem Konzept gehören folgende Gedanken:
  • Originale Kunstwerke für das Fernsehen herstellen

  • Diese Kunstwerke in Form einer Fernsehausstellung zu präsentieren

  • Die Möglichkeit zu schaffen, diese Kunstwerke zu senden

  • Eine Fernsehgalerie aufzubauen, die diese Arbeiten produziert

  • Eine Video-Galerie zu etablieren, die Video-Tapes produziert und verkauft.
Was Gerry Schum damals zu spüren bekam oder schon ahnen mußte: Die Gesellschaft wurde restaurativer. So kann man heute von einer Beziehung der Haßliebe zwischen den Parteien sprechen, von mangelndem Informationsaustausch ebenso. Video im Fernsehen, das heißt heute, da die Nischen kaum noch da sind, Video in den Kultur-Magazinen. Das heißt also, alle Bereiche wie Film, Literatur, Theater, Fotografie, Architektur, Design und bildende Kunst gehören zu den Sendeinhalten. Magazine verfügen über notorisch wenig Sendezeit. So ist der typische Video-Künstler in der heutigen Medienlandschaft ein erschreckend vereinzelter Künstler. Er pflegt das erzwungene Randdasein häufig in seinem Umgang mit Fernsehredakteuren mit bornierter "Videotie".

Offenbar war aber die Fernsehgalerie von Gerry Schum, die Art, Bilder ohne Vermittlung auch in lang ausgedehnten Sendezeiten an ein großes Publikum zu senden, ein Schock für die Sender. Das Fernsehen brauchte eine Atempause von sieben Jahren, um sich im Schritt eines großartigen Einzelfalls massiver für Video zu interessieren. Das war anläßlich der "documenta der Medien" 1977 in Kassel. Dort waren Film – Fotografie – Video als eigenständige Medien vertreten. So wurde einmalig zwischen Wulf Herzogenrath, der für die "documentas" im Video-Bereich verantwortlich war, und Wibke von Bonin (WDR III) und Hansgeorg Dickmann (HR) ein Konzept entwickelt. Neun Mal wurden von beiden Sendern nachts um 22,30 Uhr Filme von Video-Künstlern ausgestrahlt, die eine Länge von 30 bis 45 Minuten hatten. Die Sendefolge versuchte einen Überblick über diese Kunstrichtung zu gehen und dabei typische Beispiele vorzuzeigen. Insgesamt gesehen war das für ein Medium mit einer Randexistenz eine auffallend hohe Sendezeit. Wer die Geduld hatte, alle Filme zu betrachten, konnte sich tatsächlich zu genaueren Einsichten zur Video-Kunst verhelfen, Aber, das Ereignis blieb ein Einzelfall. Auch nur vergleichsweise ähnlich umfangreiche Ausstrahlungen wurden zu keinem weiteren Anlaß vom Fernsehen in der Bundesrepublik unternommen.

Heute ist die Situation für die Video-Künstler, die mit einem elektronischen Medium in einer elektronischen Zeit arbeiten, widerspruchsvoll, schwierig und paradox. Eine der wenigen Redaktionen, in denen überhaupt noch wie in einer "Oase" experimentiert und geforscht werden darf, ist das "Kleine Fernsehspiel" im ZDF. Die Sendung existiert seit 15 Jahren mit unterschiedlichen Sendezeiten. Die Einschaltquoten sind relativ konstant. Das "Kleine Fernsehspiel" läuft zur Zeit als Kontrastprogramm zu "Dallas" in der ARD. Diese Entscheidung hat sich als besonders positiv herausgestellt, weil beobachtet werden konnte, daß sich die Einschaltquoten nicht ändern, Die Redaktion arbeitet mit sieben festangestellten Redakteuren, die alle auch im Bereich Video tätig sind. Ein freier Redakteur, Carl Ludwig Rettinger, wurde zusätzlich als Videoexperte beauftragt. Für alle Sendebereiche, ob Film oder Video, hat man dort 42 Sendetermine im Jahr, denen 1500 Angebote gegenüberstehen. Die Redaktion, zu der auch Lilian Jessen, Brigitte Kranner und Andreas Schreitmüller gehören, fördert den Filmnachwuchs und hat einen relativ großen Freiraum, experimentelle und innovative Filme ins Fernsehen zu bringen. Der Etat für Video-Produktionen soll im Jahr um 100.000 Mark erhöht werden. Video-Filme werden seit 1976 im "Kleinen Fernsehspiel" gesendet. Bis 1980 waren es zwei Produktionen im Jahr. 1984 waren es schon sechs. Die Tendenz ist steigend, gegenwärtig sind es etwa zehn Video-Filme jährlich. Mit "Video 50" von Robert Wilson hatte es seinerzeit begonnen.

Mit Umsicht wird von der Pike auf der Versuch gefördert, ein "anderes Fernsehen" zu machen. Da man weiß, daß die Präsentation eines Drehbuchs ganz wichtig für die Entscheidung ist, ob ein Film hergestellt wird, gibt es sogar audiovisuelle Video-Drehbücher, sogenannte Videoexposés. Ohne Umwege und sprachliche Mißverständnisse kann der spätere Film damit bereits in Auszügen seiner Visualisierung realisiert werden. Einzelne Szenen aus der Video/Filmidee können im Voraus herausgegriffen werden. Die Visualisation kann auch im Stil eines Comics, von kurzen Bildern geschehen. Das Exposé per Video wird als Skizze verstanden – nicht als fertiger Film. Es gab zur Einführung einen Pilotversuch mit fünf Videoexposés, Für die mußte der Programmdirektor einen neuen Etat bewilligen. Inzwischen ist die Arbeitsweise mit visuellen Drehbüchern in der Redaktion ein ganz normaler Vorgang. Denn alle Produktionen im "Kleinen Fernsehspiel" sind wesentlich von den Bildern her bestimmt. Künstler haben eine relativ große Freiheit. Die Redaktion macht die Kalkulation der Kosten, der Künstler bekommt dann das Geld und hat ein Jahr Zeit für seine Produktion. Der Künstler liefert das fertige Produkt ab, findet Ansprechpartner in der Fernsehredaktion. Aber er soll die fernseheigenen Studios nicht benutzen. "Ich würde übrigens keinem Video-Macher raten, in großen Fernsehstudios zu arbeiten. Das ist ein sehr unbeweglicher Apparat, der eben nur ein ziemlich eingegrenztes Arbeiten zuläßt. Wir sind heilfroh, weil wir von der Verpflichtung, diese Studios auszulasten, inzwischen befreit sind. Vielleicht gelingt es, wie bei Filmhäusern, Gerätepools und öffentlich subventionierte Produktionsstätten zu bilden", meint Carl-Ludwig Rettinger zur Problematik der Produktion in einem Interview mit Gerd Conradt in der Zeitschrift "Medium"/1985.

So erklärt sich auch, daß die im "Kleinen Fernsehspiel" realisierten Filme im Grenzbereich angesiedelt sind. Neue Sprachformen werden erprobt und angewandt. Die Redaktion ist dem üblichen Sendeschema nicht untergeordnet. Von der Struktur her ähneln eine Reihe der Filme dort eher einem "Filmgedicht", einer "Zeitskulptur" oder einem "Musikstück". Es gibt auch Mischformen: Film/Video, auch Super 8/Video oder ein in einer Mischform hergestellter Film wird am Ende auf Video überspielt. Ein Irrtum ist es, daß Videoproduktionen fürs Fernsehen billiger sind als Filme. Sie müssen ähnlich hoch kalkuliert werden, damit es keine Einbrüche gibt.
Zu den Filmen, die dort 1985 hergestellt wurden, hätte "Psychotechnikum" von Gabór Bódy gehören sollen. Der "Unbesiegbare" von Gúsztav Hámos wurde 1985 gesendet. Im Jahr 1986 gehören zu den Videofilmen Titel wie "Der Fall des Elefanten" von Volker Anding, "Totes Geld" von Gisa Schleelein, "Riff" von Rolf S. Wolkenstein, "Animal Conscimusness/Black & White", Ausführung von Bill Viola, und "Am nächsten Morgen kehrte der Minister nicht an seinen Arbeitsplatz zurück", Ausführung von Monika Funke-Stern, und "GOI Projekt" von Oliver Hirschbiegel. Geplant ist außerdem "Fish 'n' Clips" – 60 bis 90 Minuten lang Kurzvideos hintereinander – von diversen Videokünstlern. Zu dieser gegenwärtig wohl längsten und von der Struktur her komplexen Videounterhaltung lagen bei Drucklegung noch keine genauen Informationen vor. (5) "Kulturszene" ist ein Kulturmagazin, das im WDR III monatlich mit einer Sendezeit von 45 Minuten ausgestrahlt wird, Wie auch im Kulturmagazin "Aspekte" (ZDF), das über eine wöchentliche Sendezeit von 40 Minuten verfügt, kommen hier gemischt alle kulturellen Bereiche vor. Das Magazin setzt in seiner Programmform auf Abwechslung und Schnelligkeit. Nach Aussagen der Redakteurin Dagmar Sauerstem ist diese Sendeform schwierig für Kunstvideos, da diese sich ja mit den Grundlagen des Sehens befassen, meist auch meditativ und langsam sind. So werden in der "Kulturszene", die sich seit 1985 den Videos geöffnet hat, meist die originalen Bänder verkürzt oder "verklippt", Darin wiederum liegt für die Künstler ein erhebliches Problem, weil das einen Eingriff in ihre originalen Bänder bedeutet. Die Redaktion berichtet auch, daß amerikanische Videokünstler ihre Tapes meist offensiver und kontinuierlicher an das Fernsehen schicken – und wie schwierig es für eine(n) überlastete(n) Redakteur(in) eines Magazins ist, sich in "punkto Video" auch nur annähernd auf dem laufenden zu halten, solange die Künstler als Informanden nicht von sich aus aktiv genug werden. Amerikanische Künstler seien in der Regel auch nicht gegen Verkürzung ihrer Kunstwerke durch das Fernsehen eingestellt. Günstig für die Redaktion war es, Videos zu bestimmten Schwerpunktsendungen zu finden. So wurde u.a. auch zu Weihnachten "O Tannenbaum" von Herbert Wentscher gefunden. Sucht das "kulturelle TV", wenn es nach solchen Videos sucht, nach Unterhaltungselementen, die die Sendung attraktiver machen? Oder: geschieht Kunstvermittlung in kritischer Form? Gezeigt wurden auch ein langer Übersichtsbeitrag zu einem Video-Spektakel in Frankfurt sowie immer in kurzer Form Beiträge von Klaus vom Bruch, dem elektronischen Komponisten Holger Czukay, weitere Bänder von Olga Gasteiger und Cosima Santoro als Eigenproduktion des WDR III sowie ein Tape von Gabór Bódy.

In den bundesweiten ARD gab es wiederum produziert durch den WDR III (Sabine Rollberg) im März eine eigene Videosendung "Formel 2", die sehr informativ, schön und auch avantgardistisch war und die wechselseitige Beeinflussung von Kunstvideo und musikalischem Video-Clip verdeutlichen konnte. Neun Beiträge wurden innerhalb 15 Minuten gesendet. Die Tendenz ist klar, das elektronische Medium Video im Fernsehen in der Bundesrepublik hat keine festen Sendezeiten, keine regelmäßigen Nischen und keinen Schwerpunkt mehr. Es handelt sich um gelegentliche Ausstrahlungen, wobei sämtliche kulturellen Informationen zu Video in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Der "Randbereich Video" muß sich gegen Spielfilme und Unterhaltung behaupten.

Eine sehr interessante und ungewöhnliche Form mit Video zu arbeiten, wird im WDR III in "lyrics" von Joachim Dennhardt erprobt. "lyrics" soll neue Verbindungen zwischen Gedichten und anderen Kunstbereichen wie Musik, Performance, Tanz, Video und bildende Kunst herstellen. Alle Sendungen werden als öffentliche Veranstaltungen an verschiedenen Orten aufgezeichnet. Schauplatz ist dabei ein großes Spiegelzelt. Die Sendung gibt die ungewöhnlich raffiniert gemachten Videos in Auftrag. Während der Veranstaltung werden sie dann über eine Großprojektion für das jeweilige Publikum eingespielt. Allerdings dauern auch hier die Einspielungen nur zwischen ein bis vier Minuten. Das längste und interessanteste Projekt stammt von Daniela Hartmann – "Gedicht an ungewöhnlichen Orten". Das Gedicht-Video spielt mit dem Überraschungseffekt der einst beim deutschen Publikum hochgeliebten Sendung "Vorsicht Kamera". Es wird ein Dada-Text von Kurt Schwitters über Lautsprecher an ein Publikum in einem Fußballstadion, einer Diskothek, im Warenhaus und im Schwimmbad verlesen. Die Reaktionen des Publikums werden aufgezeichnet und einem neuen Publikum vorgeführt. "Walzer", so hieß das letzte Video von Gabór Bódy zu einem Gedicht von Novalis. Nam June Paik ist mit einer Lesung von Allen Ginsberg zu elektronisch verfremdeten Bildern vertreten. Künstlerisch mit Video bebildert wurden außerdem Texte von Friederike Roth, Erich Kästner, Malcolm Lowry, Walter Serner (mit einem Foto von Man Ray) und Johann Wolfgang von Goethe.

Das Kulturmagazin "Aspekte" im ZDF hat in den letzten Jahren, genau seit 1982, einige Beiträge zu Video gesendet. Alle haben die übliche Sendedauer zwischen sechs und zehn Minuten. Dazu gehören Herbert Wentschers Überblick über die "Videoszene New York", ein Beitrag von "Infermental" über die Szene in "Ungarn", ein Porträt eines "Video-Friseurs". Dabei wurde der Salon von Wolfgang Flatz in München vorgestellt, in dem der klassische Spiegel durch einen Videomonitor ersetzt wird. Es gab ein langes Live-Interview mit Michael Bock über Video und dessen Vertriebsprobleme mit Einspielungen amerikanischer Videos von "Electronic Arts Intermix". "Aspekte" hat sich mit DAAD an den Produktionskosten des Bandes "BER/LIN" von Richard Kriesche beteiligt und es gesendet. "Aspekte" ist auch an der Vergabe des "Marler Video-Kunst-Preises" beteiligt, den das "Adolf-Grimme-Institut" seit 1984 vergibt. Das jeweils prämierte Tape wird in voller Länge ausgestrahlt und angemessen honoriert. Michael Stefanowski aus der Redaktion ist auch in der Fachjury des Marler Preises vertreten. Der Preis ist der erste und hierzulande wohl auch noch einzige Schritt einer Zusammenarbeit zwischen dem Fernsehen und anderen öffentlichen Institutionen, u.a. dem Skulpturenmuseum "Glaskasten" in Marl, dem "Sekretariat für kulturelle Zusammenarbeit" in Nordrhein-Westfalen, dem Deutschen Volkshochschulverband.

Die Jury unterstreicht den Preisverleih noch durch weitere öffentliche Aktivitäten. So stellt sie etwa auch eine Ausstellung mit 20 Tapes zusammen, die 1985 in acht Städten gezeigt wurde. Für die Preisträger – im letzten Jahr war es Marcel Odenbach – ergeben sich weitere Auslandsaufenthalte, u.a. auch durch die Goethe-Institute. Verliehen wird der begehrte Videopreis für "eine Videoarbeit, die sich durch medienspezifische Umsetzung, Abgrenzung von einfachen Videodokumentationen, Qualität der technischen Bearbeitung und künstlerische Qualität" auszeichnet. (6)

Obwohl eine neue Generation von Videokünstlern mit ihren Bändern in die Öffentlichkeit drängen möchte und Videokünstler an Hochschulen in Düsseldorf, Berlin, Braunschweig, München ausgebildet werden wie auch in alternativen Werkstätten, sind die Abspielmöglichkeiten im Fernsehen gering. Diese Situation hat bei den Künstlern, die sich zu Recht aus der Multimediagesellschaft aussortiert fühlen, nicht zur Revolte, sondern zur Apathie geführt. Videokünstler haben nur die Möglichkeit, sich noch genauer über die wenigen Sendenischen zu informieren, ihren Slalom durch die Institutionen zu machen und sich ansonsten tatkräftig alternativ zusammenzuschließen. Eigentlich hilft ihnen nur ein Bündel von Strategien weiter. Leider aber kommt es stattdessen oft zu blasierten Geniestreichen der Videokünstler, Selbstbehauptung ohne Vermittlungswillen, die noch ins 18. oder 19. Jahrhundert gehören. Eine nennenswerte Ausnahme ist der "Universal Input Output e.V.", ein Verein um die Videokünstler Astrid Heibach, Gusztav Hámos und Marian Kiss in Berlin (West) gegründet haben. Die Künstler haben inzwischen herausgefunden, daß die Situation in den "offenen Kanälen" der Kabelpilotprojekte für sie nicht anders ist. Dort sind ihre Aussichten sogar noch ungünstiger. So stellte die Gruppe beim Senat von West-Berlin einen "Antrag auf Unterstützung zur Verbesserung der Situation der Videokünstler". Es geht dabei um die Perspektiven und Überlebensstrategien einer Kunstform.(7)

Aber auch andere Schritte werden inzwischen getan. Im März fand in Bonn eine Tagung statt "Videokünstler, Videoveranstalter, Videokonsumenten". Zu dem brain-storming waren Videoartisten, Vertreter des Fernsehens, der Hochschulen, Bibliotheken, Videotheken, Museen, Verlage und der Presse geladen. Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und das Kunsthistorische Institut der Stadt Bonn hatten die Wochenendtagung gefördert. Ziel war der Meinungsaustausch und die Erarbeitung von weiteren Vorschlägen, Plänen und Strategien. Bärbel Moser und Petra Unnützer von der "Videonale", einem zum zweiten Mal stattfindenden Videofestival, haben sie in einer Broschüre zusammengefaßt.

Gislind Nabakowski – Wiesbaden

Anmerkungen:

(1)
Alle Zitate zur "Fernsehgalerie" von Gerry Schum aus "Videokunst in Deutschland 1963–1982" nach Dorine Mignot. Herausgegeben von Wulf Ferzogenrath, Verlag Hartje, Stuttgart, 1982.zurück

(2)
Es gibt in der Bundesrepublik zwei öffentlich-rechtliche Sendeanstalten ARD und ZDF. Zur ARD gehören in den Bundesländern die regionalen Sender WDR, NR, BR, HR, SWF, SFB, Bremen und Saarland. Diese regionalen Sender bestreiten das ARD-Hauptprogramm bundesweit gemeinsam, Auch das ZDF ist eine Anstalt der Länder. Sein gesamtes Programm wird bundesweit ausgestrahlt.zurück

(3)
In "Video –20 Jahre später. Eine Zwischenbilanz". Herausgegeben von Gislind Nabakowski, Kunstforum International, Band 77/78, Jan.–Feb. 1985zurück

(4)
Im Juni erscheint eine Broschüre über das "Kleine Fernsehspiel" anläßlich einer Veranstaltung in der Akademie der Künste in West-Berlin Kleines Fernsehspiel ZDF, Postfach 4040, 6500 Mainz-Lerchenberg, Tel. 06131–702475/76%zurück

(5)
Skulpturenmuseum Glaskasten, Rathaus, 4370 Marl, Tel. 02365–105614.zurück

(6)
Universal Input Output e.V, Pestalozzistraße 81, 1000 Berlin 12, Tel 030–316631.zurück

(7)
Bärbel Moser, Görlitzstraße 3, 5300 Bonn 1, Tel. 0228–669421, 0228–215961.zurück