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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Die Geschichte des "WGBH New Television Workshop"


'Susan Dowling Susan Dowling

Videokunst im Fernsehen an einem amerikanischen Beispiel
Seit 1967 war das WGBH New Television Workshop (das erst 1974 eine offizielle Bezeichnung erhielt) – im folgenden Workshop genannt – ständig bemüht, die Werkzeuge des Fernsehens Künstlern der verschiedensten Sparten zugänglich zu machen. Auch heute noch arbeitet es auf einer festen unveränderlichen philosophischen Basis: die Schaffung innovativer, experimenteller Programme in Zusammenarbeit mit Freischaffenden. Es nutzt dabei stets das unausgeschöpfte Potential des Mediums, Materialien von technischer und kreativer Brillanz auf völlig neue Art und Weise zu präsentieren.

Frühe Experimente und Projekte unter der Leitung des Workshop-Direktors Fred Barzyk bildeten die Voraussetzung für die Gründung des Workshops. Zu diesen Bemühungen, im Rahmen des von Rockefeller unterstützten "Artists-in-Television"-Projektes, zählten Arbeiten von Allan Kaprow, Nam June Paik, Otto Piene, James Seawright, Thomas Tadlock und Aldo Tambellini. Bei der Suche nach neuen Wegen zur Erforschung des Fernsehens als elektronischer Kunstform unter dem Motto "Das Medium ist das Medium", das 1969 landesweit propagiert wurde, arbeiteten sie mit Fernsehtechnikern zusammen. Während ein am Bildschirm nicht sichtbarer Pianist Beethovens Mondscheinsonate spielte, und während der nicht sichtbare Paik in Abständen den Zuschauern empfahl, ein Auge oder beide Augen zu schließen ("Das ist Fernsehen mit Publikumsbeteiligung"), sah man auf dem Bildschirm doppelte und dreifache Bilder eines nackten Go-go-girls, das Gesicht von Präsident Nixon, das sich wie Glaserkitt verformte, während er über "seinen brillanten Wahlkampfmanager" sprach, drei struppige Hippies, die vor der Kamera Unfug trieben, und ein sich ständig bewegendes, die Farbe veränderndes Wellenmuster. Am Ende hörte man wieder Paiks lakonische Stimme, die die Anweisung gab: "Bitte, befolgen Sie die Anweisungen. Schalten Sie Ihr Fernsehgerät aus." Die Leute bei WGBH waren über das Go-go-girl ziemlich überrascht, aber alle waren von Paik begeistert, Das Programm sollte auch dazu dienen, die Aufmerksamkeit auf unabhängige Künstler als wichtige Motoren für Innovationen in den Fernsehprogrammen zu lenken. 1967/68 gab es eine vorbereitende Serie mit dem Titel "What's happening Mr. Silver?". Durch dieses wöchentlich ausgestrahlte einstündige Programm führte David Silver, Englischprofessor an der Tufts University. Alle Shows waren Collagen, intellektuelles, visuelles und emotionales Trommelfeuer.

Als der in Korea geborene Nam June Paik, der "George Washington des Video", und sein japanischer Ingenieur Shuya Abe, 1969 nach Boston kamen, brachten sie fünf ausrangierte Fernsehgeräte, einige riesengroße Magneten, Kilometer von Abdeckbändern, Gummistiefel (um den elektronischen Schock zu vermeiden) und handgezeichnete Pläne für den ersten Videosynthesizer der Welt mit. Paik, einer der Teilnehmer an dem von der Rockefeller Foundation finanzierten Projekt "Artists-in-Television", erweckte seinen Traum, den Synthesizer, zum Leihen, und sendete sein vierstündiges Werk "Video-Commune – The Beatles: From Beginning to End". Alle Bilder der Show – surreale Landschaften (zerknittertes Stanniolpapier), merkwürdig-unheimliche Abstraktionen (Rasierschaum), Farberuptionen (Packpapier) wurden vom Synthesizer im Augenblick der Ausstrahlung geschaffen: "live"-Fernsehen in seiner überraschendsten Form. Der Videosynthesizer inspirierte auch Ron Hays, dessen Metier die Schaffung von Videobild-"Partituren" für klassische Musik ist. Hays leitete das "Music Image Workshop" am WGBH bis zu seiner Übersiedlung nach Hollywood.

WGBH vermittelte während der siebziger Jahre unabhängigen Künstlern Zugang zu Sendemöglichkeiten für ihre Experimente. Ein Erstlingswerk im Fernsehen war im Jahr 1972 "The Very First On-The-Air Half Inch Videotype Festival Ever". Das Workshop lud alle mit Halb-Zoll-Portapak-Geräten Arbeitenden, deren es habhaft werden konnte, mit ihren Bändern, Monitoren und Decks in das Studio A ein. In diesem vierstündigen Festival waren vertreten: Dokumentarfilme, politische Bänder von Menschen, die in diesem neuen Medium ein revolutionäres Werkzeug sahen; humoristische und dramatische Werke von Mittelschul- und Collegestudenten und Werke von Videokünstlern.

Der Bekanntheitsgrad der Videokunst wuchs ständig, und so entstand eine Zusammenarbeit zwischen dem Boston Symphony Orchestra und WGBH, um "die ziemlich statische visuelle Präsentation von Orchesterkonzerten" neu zu überdenken. Eine Gruppe von Künstlern wurde beauftragt, die Fernsehübertragungen des Orchesters optisch interessanter zu gestalten. Das Ergebnis dieser Arbeit, "Video Variations", war eine einstündige Sondersendung über die Arbeit von acht Künstlern, die mit Fernsehbildern experimentierten, die durch die Orchestermusik inspiriert wurden – ein ganz großer Unterschied zu den konventionellen Konzertübertragungen (1973).

Im Jahr 1974 rief das Workshop in einem aufgelassenen Kino außerhalb Bostons das "Halb-Zoll-Studio" ins Leben. Geldmittel stellten Rockefeller Foundation, National Endowment of the Arts, Corporation for Public Broadcasting und Massachusetts Council on the Arts and Humanities zur Verfügung.

In den ersten Jahren bot das Workshop-Studio Künstlern, die an Auftragswerken arbeiteten, die Benutzung von billigen Halb-Zoll-Videogeräten, ohne den Druck der konventionellen Produktions- und Sendefristen. Es war da, um Risiken einzugehen, Experimente zu wagen, allenfalls zu versagen, aber auch Erfolg zu haben – das alles in einer Umgebung ohne die Belastungen und Zwänge, die es bei den teuren Produktionen mit technisch aufwendigem Gerät gibt. Im ersten Jahr strömten mehr als 75 Künstler aus den Bereichen Tanz, Drama, Videokunst und Musik in das Workshop, um dort neue Formen und Konzepte des Mediums und für das Medium auszuprobieren.

Im Jahr 1976 kamen und gingen mehr als 300 freie Künstler, voll neuer Ideen für Programme mit hohen Risiken und niedrigen Kosten. Dorothy Chiesa vollbrachte mit nur einem Techniker und vielen Freiwilligen die heldenhafte Aufgabe, diesen unglaublichen Ansturm von Aktivitäten zu koordinieren.

Ein weiterer Meilenstein in den Leistungen des Workshops war "Video: the New Wave", das 1974 landesweit über PBS ausgestrahlt wurde. Das Programm, von Brian O'Doherty geschrieben und erzählt, war zugleich Retrospektive und Vorschau der Videokunst aus Werken, die im Workshop entstanden waren, aber auch solchen von außen. Otto Piene, Doug Davis, Bill Etra, Stan VanDerBeek, Rudi Stern, David Atwook, Ron Hays, Stephen Beck, Dan Hallock, Nam June Paik, William Wegman, Frank Gillette, Peter Campus und Ed Emshwiller waren mit ihren Werken vertreten. Elektronische Abstraktionen mischten sich kontrastreich mit Personen-Dokumentationen; realistische Bilder wurden manipuliert, um neue Betrachtungsweisen des Vertrauten zu erzielen (z.B. "William Wegman Teaching His Dog", "Man Ray" oder "How To Spell").

Ebenfalls im Jahr 1974 entstand unter der Leitung von Nancy Mason Hauser das "Tanz-Projekt" des Workshops, in dem Möglichkeiten gesucht wurden, die Barrieren zwischen der Welt des Tanzes und der Welt des Videos niederzureißen. Das war der Beginn eines fortlaufenden Auftrags zur Zusammenarbeit mit Choreographen bei der Entwicklung des Video-Tanzes, eitler Aufgabe, der sich seit 1979 die frühere Tänzerin Susan Dowling widmet. Dowling arbeitet auch in anderen Bereichen und Disziplinen mit Künstlern zusammen. Eine weitere wichtige Persönlichkeit in der Geschichte des Workshops war Olivia Tappan. Schon in den frühen Tagen des Experimentierens bei WGBH und der Schaffung des Workshops war Tappan (zusammen mit Barzyk) mit dabei. Nach Barzyk ist Tappari die Person, die sich um das Überleben und die Entwicklung des Workshops zwischen 1967 und 1983 die größten Verdienste erworben hat.

Im Jahr 1975 entstand Artist's Showcase" als regelmäßig ausgestrahlte Sammlung von innovativen Arbeiten, die lokal jeden Sonntag am Schluß der Sendezeit ausgestrahlt wurde. Während des ganzen Herbstes 1979 sammelte das Workshop Höhepunkte der Programmarbeit der letzten zehn Jahre und fügte sie zu der retrospektiven Serie "Artist's Showcase" zusammen; alle Programme wurden durch den Kritiker und Kommentator Russell Connor vorgestellt. Was zu einer angenehmen Überraschung (oder zu einem gelinden Schock) wurde, ist der Umstand, daß sich "Showcase" eine treue Anhängerschaft versammeln konnte, die groß genug war, bei den Seherzählungen Sonntag abends eine Bewertung zu ergeben. Künstlerische Erfindungsgabe hat sich ihre eigene Einrichtung geschaffen, für all jene, die des Herkömmlichen müde waren.

1978 löste das Workshop sein Studio auf und überließ den Großteil der Geräte der BFVF (Boston Film and Video Foundation). Die gegenwärtige Szene im WGBH New Television Workshop ist nicht mehr so ungezügelt und verrückt wie in den frühen Tagen, und die finanziellen Probleme drückender als je. Aber Susan Dowling, seit 1983 Direktor des New Television Workshop, versucht, im Geiste Barzyks weiterzumachen und durchzuhalten. 1983 schufen das New Television Workshop und das Institute of Contemporary Art in Boston den "Contemporary Art Television Fund (CAT-Fund)", der für drei Jahre eine Subvention vom Massachusetts Council on the Arts and Humanities erhielt. Unter der gemeinsamen Leitung von Dowling und David Ross (Direktor von ICA) erteilt der CAT-Fund Aufträge an Künstler, die Neuland im Medium Video betreten; sie sollen neue Arbeiten sowohl für Ausstrahlungen, Ausstellungen und Installationen, mit Performance, für Platten, aber auch für andere neue Verwendungszwecke schaffen. Zweites Ziel des CAT-Fund ist es, nationales und internationales Marketing für diese Werke zu fördern. Und zwar bei Museen, Avantgarde-Zentren, Kunst- und Video-Festivals, Galerien und andere Kunst- und Bildungseinrichtungen, Heim-Video und Platten. Diese nicht über Rundfunk erfolgende Verbreitung ist für die Künstler und ihre Werke von großer Bedeutung. Der für die laufende Verwaltung des CAT-Fund verantwortliche Kurator/Produzent ist Kathy Rae Huffman. Das neueste Workshop-Projekt, an dem zur Zeit gearbeitet wird, ist eine Gemeinschaftsarbeit mit WNET: Ziel ist die Gestaltung einer neuen Serie mit dem Titel "New Television", die gleichzeitig in New York und Boston gesendet werden wird. Wir sehen in ihr das "Enkelkind" des TV-Lab von WNET und des "Artist's Showcase" des Workshops. Wir hoffen, diese neue Serie im März 1987 präsentieren zu können.

Das Workshop will eine Sammlung von Werken in den neuen Bereichen der Videokunst einrichten und helfen und andere Sender und Medienzentren anregen, das gleiche zu tun. Wir wollen nicht aufhören zu versuchen, diese avantgardistischen Werke breiteren Kreisen zugänglich zu machen. Wir wollen in künstlerischer Vision, in Können und Inhalt höchsten Ansprüchen genügen. Das Workshop ist wahrscheinlich zur Zeit weltweit das einzige Unternehmen dieser Art, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit Künstlern an der Entwicklung neuer Formen der Videokunst zu arbeiten. 1986 ist das 19. Jahr, in dem wir Künstler beauftragen, neue Werke für das Fernsehen zu schaffen. ANMERKUNG: In diesem historischen Überblick fehlt die Erwähnung einiger dramatischer Projekte von Fred Barzyk, die teilweise in Zusammenarbeit mit WNET entstanden, wie etwa "Collisions" mit der Schriftstellerin Jane Wagner und mit Lily Tomlin. In Zusammenarbeit mit Warners QUBE und WOSU entstand das erste interaktive Theaterstück, "Lulu Smith".
WGBH NEW TELEVISION WORKSHOP
Das "New Television Workshop" ist innerhalb von WGBH eine autonome Produktionseinheit. Seit 1967 war es das Ziel, neue Kunstwerke speziell für das Fernsehen zu schaffen. Das Workshop fand wegen seiner innovativen Programmarbeit im Kunstbereich und wegen seines Erfahrungsschatzes in der Unterstützung von Künstlern bei der Schaffung von Kunstwerken für das Fernsehen national und international große Beachtung.
Das Workshop hat mit zahlreichen Künstlern gearbeitet; zu ihnen zählen:

* im Bereich Tanz:
Rudy Perez, Gus Solomons jr., Dawn Kramer, Ruth Wheeler, Remy Charlip, Dan Wagoner, James Waring, Louis Falco, Twyla Tharp, Marta Renzi, Lisa Fox, Beth Soll, Deborah Hay, Douglas Dunn, Karole Armitage, Bill T. Jones, A. Zane.

* im Bereich Theater:
Autoren – Kurt Vonnegut, Jean Shephered, Mary Feldhous-Weber, Charles Johnson, Ned White, Burt Barr, Denis O'Neil.
Darsteller – Lily Tomlin, Dan Aykroyd, Glynn Turman, Matt Dillon, Gilda Radner, James Broderick, George Coe, John Erdman, Willem DaFoe.

* im Bereich der bildenden Kunst:
Nam June Paik, Otto Piene, Stan Vanderbeck, Ron Hays, Ros Barron, Betsey Connors, William Wegman, Patrick Ireland, Peter Campus, Fred Simon, Lee Krasner, Andy Mann, Bill Violas, Joan Logue, Chip Lord, Tony Ousler, Bill Seaman.

* im Bereich Musik:
John Cage, Michael Colgrass, Ralph Shapey, Lucas Foss, Ivana Themmen, George Rochberg, Rhys Chatham, Earle Brown, Joan Driscoll, Richard Lerman, Robert Ashley, Jeffrey Lohn, Laurie Anderson, Meredith Monk, Peter Gordon, Bruce Springsteen.

Das "WGBH New Television Workshop" ist landesweit die einzige Einrichtung, die sich der Arbeit mit Künstlern und der Schaffung neuer Werke für das Fernsehen verschrieben hat. Das Workshop verfügt über die nötige Begeisterung, das Engagement und das Wissen, um langfristig innovative Kunstprogramme in allen Medien (Inter-arts), in den visuellen Künsten, in Musik, Theater, Performance Art, Dichtung, Tanz etc. fortzuführen.

Eine weitere wichtige Aufgabe von New Television Workshop und The Contemporary Art Television Fund (ein Gemeinschaftsprojekt von WGBH-Workshop und The Institute of Contemporary Arts) ist die Entwicklung von umfassenden internationalen Verteilungssystemen für die Arbeiten der Künstler (PBS, Ausstrahlungen im Ausland; Museen, Festivals, Medienzentren, Kunst- und Bildungseinrichtungen; Kabel; Heim-Video und Schallplatte).