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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Das Versagen der Videokunst - Ein Manifest


'Jaime Davidovich Jaime Davidovich

1. Die Videokunst hat versagt, weil die Mauern der Galerien keine Fenster haben.

2. Die Videokunst hat versagt, weil die Menschen dem Fernsehen zusehen und nicht das Fernsehen ansehen.

3. Die Videokunst hat versagt, weil das Fernsehen das wichtigste Mittel ist, mit dem unsere Kultur etwas über sich erfährt.

4. Die Videokunst hat versagt, weil die Amerikaner das am besten unterhaltene und am schlechtesten informierte Volk der Welt sind.

5. Die Videokunst hat versagt, weil die Amerikaner viel über die letzten 24 Stunden, aber nur wenig über die letzten 24 Jahre wissen.

6. Die Videokunst hat versagt, weil sie zu intelligent ist.

7. Die Videokunst hat versagt, weil Malerei und Bildhauerei die einzig erkennbaren Kunst-Medien sind.

8. Die Videokunst hat versagt, weil die Amerikaner sieben Stunden täglich fernsehen.

9. Die Videokunst hat versagt, weil Fernsehen für die Intellektuellen das ist, was Sex für die Menschen des viktorianischen Zeitalters war.

10. Die Videokunst hat versagt, weil sich die Künstler nicht in den Fernseh-Kontext integrieren wollen.

11. Die Videokunst hat versagt, weil sie sich außerhalb der Welt des Fernsehens entwickelt hat.

12. Die Videokunst hat versagt, weil Kunst billig herzustellen und teuer zu verkaufen ist. Videokunst ist teuer in der Herstellung und unverkäuflich.

13. Die Videokunst hat versagt, weil Galeriedirektoren nur Montags Dias ansehen.

14. Die Videokunst hat versagt, weil sie sich an den falschen Kontext wandte.

15. Die Videokunst hat versagt, weil sie im Vergleich zu Malerei und Bildhauerei langweilig ist.

16. Die Videokunst hat versagt, weil sie der Konfrontation ausgewichen ist.

17. Die Videokunst hat versagt, weil niemand aus dem Verkauf von Bändern zu Geld gekommen ist.

18. Die Videokunst hat versagt, weil die Natur des Fernsehens dadaistisch ist.

19. Die Videokunst hat versagt, weil die Kinder zum Zeitpunkt ihres Abgangs vom Gymnasium im Durchschnitt 150.000 Stunden vor dem Fernseher und 11.000 Stunden im Klassenzimmer verbracht haben.

20. Die Videokunst hat versagt, weil niemand das Fernsehen abdreht.

21. Die Videokunst hat versagt, weil das Museum of Modern Art ständig Video vorführt.

22. Die Videokunst hat versagt, weil die Frage des Zugangs der Öffentlichkeit niemals ernstgenommen wurde.

23. Die Videokunst hat versagt, weil es keine Kritiker der Videokunst gibt.

24. Die Videokunst hat versagt, weil das Subventionssystem äußerst inzestuös ist.

25. Die Videokunst hat versagt, weil sie versuchte, mit dem Kabelfernsehen zu konkurrieren.

26. Die Videokunst hat wegen MTV versagt.

27. Die Videokunst hat versagt, weil Fernsehen eine Sucht ist.

28. Die Videokunst hat versagt, weil die Menschen sich beim Fernsehen hypnotisiert fühlen.

29. Die Videokunst hat versagt, weil Fernsehen die Menschen dumm macht.

30. Die Videokunst hat versagt, weil sich niemand darüber aufregt.

31. Die Videokunst hat versagt, weil sie keine Videokünstler mehr hat.

32. Die Videokunst hat versagt, weil sie keine Infrastruktur geschaffen hat.

33. Die Videokunst hat versagt, weil Fernsehen nicht Kunst ist.

34. Die Videokunst hat versagt, weil sie sich niemals ein Publikum geschaffen hat.

35. Die Videokunst hat versagt, weil die Über-Realität des Fernsehens zu mächtig ist.

36. Die Videokunst hat versagt, weil sie nicht politisch war.

DER ERFOLG DER VIDEOKUNST
1. Um erfolgreich zu sein, muß sich die Videokunst ein neues Publikum schaffen.

2. Um erfolgreich zu sein, muß die Videokunst auch Leute ansprechen, die nicht zum Freundeskreis der Künstler zählen.

3. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst dadaistisch sein.

4. Um erfolgreich zu sein, muß die Videokunst das kommerzielle Fernsehen infiltrieren.

5. Um erfolgreich zu sein, muß die Videokunst Skandale provozieren.

6. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst Spaß machen.

7. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst die Welt der Kunst ablehnen.

8. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst Zugang zum Fernsehen schaffen.

9. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst Geld machen.

10. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst gute Beurteilungen erhalten.

11. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst die Hand beißen, die sie füttert.

12. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst low-tech sein.

13. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst mit Ablehnung fertig werden.

14. Um erfolgreich zu sein, muß Videokunst die Videokunst ablehnen.

Jaime Davidovich, im März 1986