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Cray-1


'Gene Youngblood Gene Youngblood

Einer der 40 Supercomputer, die es auf der Welt gibt, steht in einem umgebauten Lagerhaus am La Cienega Boulevard in Los Angeles. Er heißt Cray-1 und ist der leistungsstärkste Supercomputer der Welt. Bisher wurden 34 Crays erzeugt und sie kosten zwischen zehn und zwanzig Millionen Dollar. Sie werden von den größten und mächtigsten Organisationen der Welt – wie dem Verteidigungsministerium der USA oder Exxon – verwendet.

In diesem nicht speziell bezeichneten Lagerhaus arbeitet "Digital Productions", eine neugegründete Gesellschaft, die von den Pionieren auf dem Gebiet des Computertrickfilmes John Whitney jr. und Gary Demos gegründet wurde, um den ersten ausschließlich vom Cray-1 simulierten abendfüllenden Spielfilm zu schaffen.

Whitney, 36, und Demos, 31, sind bereits legendäre Figuren in der Welt der "Digital Scene Simulation", denn sie waren buchstäblich die Pioniere auf diesem Gebiet und haben diesen Terminus geprägt. Damals arbeiteten sie noch für Information International Inc., besser bekannt als "Triple I", und zwar bereits 1974, als Computergrafik noch weitgehend unbekannt war.

Viele ihrer Produktionen werden auf dem berühmten, 1981 entstandenen Musterfilm von Triple I gezeigt, auch Adam Powers, eine ausschließlich vom Computer simulierte Figur. Durch ihre Tests bewiesen sie damals die Lebensfähigkeit von TRON, zwei Jahre bevor das Projekt an Disney verkauft wurde.

Inzwischen hatten Whitney und Demos Triple I verlassen, um ihre eigene Gesellschaft zu gründen, mit der Absicht, die Zukunft des Kinos durch vollkommen computersimulierte Filme zu verändern. Sie wußten, daß es zwei bis drei Jahre dauern würde, sowohl Software als auch Hardware so weit zu entwickeln. Bis dahin würden sie so viele Spezialeffekte angesammelt haben, daß das Publikum nicht mehr in der Lage sein würde, Live-Aktionen von einer Computersimulation zu unterscheiden.

Auf Grund ihrer Erfahrungen mit Triple I wußten sie, daß dieses Unternehmen nur mit einem Supercomputer durchführbar ist. Deshalb leasten sie für 180.000 Dollar monatlich einen Cray-1. Der Cray-1 ist ein zwölfeckiger, hohler Halbzylinder, knapp zwei Meter hoch und eineinhalb Meter im Durchmesser, in dem 3400 Schaltplatten mit 200.000 Chips in zwölf vertikalen Reihen angeordnet sind, 288 Platten pro Säule.

Durch eine Glasplatte sieht man das Innenleben des Computers: 67 Meilen (= rund 108 km) Draht, der die Schaltkreise verbindet. Die einzelnen Drähte sind zumeist nicht länger als 30 cm. Wären sie länger, so würden die elektrischen Impulse, die mit halber Lichtgeschwindigkeit hindurchjagen, die Geschwindigkeit der Maschine drosseln. So ist der Cray-1 der schnellste Computer der Welt. Mit einer Umlaufzeit von 12,5 Nanosekunden (Nanosekunde = der billionste Teil einer Sekunde) kreuzt er mühelos bei rund 100 Megaflops. Für kurze Zeit schafft die Maschine sogar 250 Megaflops. Solche Geschwindigkeit erzeugt enorme Hitze. Um diese Hitze abzuleiten, sind die 3400 Schaltplatten in schwere kupferne Kühlplatten eingeschlossen und durch komprimiertes Freon, das durch Röhren in die Rahmen gepumpt wird, kühlt man sie auf 25 Grad ab. Die Temperatur bleibt somit auf 68 Grad, durch all das Kupfer erreicht die Maschine an sich jedoch ein Gewicht von sechs Tonnen.

Um die Maschine zu betreiben, braucht man eine Leistung von 100 kW, die durch 36 Kabel zu Generatoren geleitet wird. Dort werden die regulären 60 Hertz auf jene 400 Hertz hinauftransformiert, die der Cray braucht.

Ein Netzwerk von Kühlleitungen pumpt Freongas von Kompressoren in einen schalldichten Raum, und ein 100-Tonnen-Wasserkühler, der sich außerhalb des Gebäudes befindet, übernimmt den Wärmeaustausch für das Freon, nachdem es durch den Cray zirkuliert ist.

Das ist jedoch nur die Stromanlage. Für ihre Wartung sind sieben hochbezahlte Techniker angestellt: vier Hardwareexperten und drei Softwareexperten.

Außerdem sind noch eine Reihe von Kommunikationsschwierigkeiten zu bewältigen. Ein gewöhnlicher Mensch kann nicht direkt mit dem Supercomputer sprechen. Die Maschine arbeitet so schnell, daß es unpraktisch wäre, sie der menschlichen Geschwindigkeit anzupassen. Deshalb werden "front end computer" verwendet, um mit dem Supercomputer in Verbindung zu treten. Das Front-end-System besteht bei Digital Productions unter anderem aus zwei VAX 11/780, so daß die Ausstattungskosten zusätzlich eine Million Dollar betragen. Während das Computer-Trickfilm-Team bei Lucas Film einen einzigen VAX als ausreichend für ihre Computersimulation betrachtet, braucht Digital Productions bereits zwei, nur um mit dem Supercomputer reden zu können, der 400mal leistungsfähiger ist als der VAX und eine Million mal leistungsfähiger als der Apple II.

Digital Productions wird 45 Minuten simuliertes Filmmaterial für Starfighters in acht Monaten produzieren. Das ist das größte Computer-Simulations-Projekt, das jemals unternommen wurde. Auf einem Mikroprismenraster befinden sich durchschnittlich 250.000 Vielecke, das ist das Doppelte der Dichte jener Bilder, die bisher für Trickfilme verwendet wurden. Die Verarbeitungszeit beträgt 100 Sekunden pro Raster. Manche Bilder beinhalten eine Million Vielecke, wobei absolut photorealistische Darstellungen entstehen. Bilder von solcher Komplexität beanspruchen selbst den Cray bis aufs Äußerste, er braucht etwa zehn Minuten, um ein einzelnes Bild zu verarbeiten.

Als Vergleich dazu: Die Raster, die bei TRON verwendet wurden, brauchten bis zu einer Stunde, wobei nur ein Zehntel an Komplexität erzielt wurde.

Whitney schätzt die Kosten auf 2000 Dollar pro Sekunde, oder 150 Dollar pro Mikroprismenraster. Wiederum ein Vergleich: etwa zehn Millionen Dollar kostet eine 90minütige Aufzeichnung in Hollywood.

Die Trickaufnahmen für "Starfighters" werden nach der traditionellen Methode hergestellt und sind sehr zeitaufwendig.

Schritt für Schritt werden dem Computer mathematisch präzise Winkel, Oberflächen und Lichtquellen eingegeben, um eine dreidimensionale Wiedergabe von Originalzeichnungen zu erreichen, die sich im dreidimensionalen Raum bewegen können. Wobei der Computer natürlich nur nach klaren Anweisungen jede Figur auf ihren richtigen Platz stellen kann. Zweidimensionale, flache Figuren wie sie Disney zeichnete, erweisen sich als völlig unzulänglich gegenüber den nuancierten dreidimensionalen Trickfiguren von Digital Productions. Um jedes Detail beachten zu können, braucht man einen Computer, der auf den Befehl "Ein Mann, der einen Ball vor sich herspringen läßt, geht eine Straße entlang", intelligent genug ist, zu wissen, daß der Ball aufgrund der Schwerkraft den Hügel hinunterrollen wird. Er muß die durchschnittliche Höhe kennen, in der Straßenlaternen aufgestellt sind, und die Farbe der Lichtquelle, damit der Zeichner nicht mit Nebensächlichkeiten aufgehalten wird, und sich auf das Erzählen seiner Geschichte konzentrieren kann.

Ein eigenes Forschungsteam bei Digital Productions entwickelt eine "algorithmische Databasis", die aus "smart objects" besteht. Ihr Ziel ist es, einen Menschen vom Skelett her aufzubauen, dessen Muskeln sich, dem speziellen Befehl entsprechend, richtig bewegen. Für die Zukunft plant Digital Productions auch, ein interaktives "Visual Simulation Service" dem Fachpublikum und letztlich auch dem Normalverbraucher anzubieten.

Demos nimmt an, daß das Interesse an diesem Angebot sehr groß sein wird. Jedermann, ob Videoproduzent, Arzt oder Architekt kann in Zukunft dreidimensionale Computergrafiken benützen. Cray-1 kann mühelos Grafiken für Real-time-Video erzeugen. 1800 Abonnenten könnten durch einen ihnen zugeordneten Kabelkanal – mit einem neuen Raster pro Minute – beliefert werden. John Whitney jr. sagt über die Zukunft von Digital Productions: "in diesem Jahrzehnt wird gutes Entertainment gleichbedeutend sein mit hochentwickelter Technologie. Für mich besteht darüber kein Zweifel. Die Handlung von Spielfilmen wird sich mehr und mehr mit Computern und elektronischen Spielen beschäftigen müssen. Dies wiederum wird eine völlig neue Art von Filmen und Stories hervorbringen, neue Wörter werden dem Vokabular der 'visuellen Geschichtenerzählung' hinzugefügt und die Computerbilder werden anspruchsvoller, da immer mehr Produzenten und Direktoren jetzt in dieses Geschäft einsteigen und das Mittel der Simulation für sich entdecken. Dadurch werden auch Talente geweckt, und eine außerordentlich kreative Zeit steht bevor. Wir von Digital Productions haben vor, Teil dieser Renaissance zu werden."