Notizen zu: "Der Computer in der Musik - Werden und Sein"
Centro di Sonologia Computazionale, Universität von Padua
'James Dashow
James Dashow
Computer finden als Musikinstrumente hauptsächlich in drei Bereichen Anwendung: - Imitation traditioneller akustischer Klänge durch Analyse bzw. Synthese
- Synthese eigenständiger elektronischer Klänge
- Umformung bestehender akustischer oder elektronischer Klänge mittels signalverarbeitender Verfahren.
Die Imitation erlaubt Einblicke in die Natur des für musikalische Zwecke verwendeten Klanges. Man kann psycho-akustische Prinzipien entdecken, die man dann als strukturelle Determinanten für musikalische Komposition handhaben kann. Die mit Live-Performances einhergehenden Einschränkungen werden ausgeschaltet. Expressive, insbesonders rhythmische Vielfalt kann erzielt werden, ohne daß man physikalische Hindernisse fürchten müßte, und der Komponist kann sich vergewissern, ob solche Vielfalt nötig oder vorstellbar ist, oder ob der gleiche Gedanke einfacher und wirkungsvoller ausgedrückt werden könnte. Die digitale Synthese der elektronischen Klänge stellt den Komponisten vor die Aufgabe, eine verständliche musikalische Sprache aus den neuen, dem elektronischen Medium eigenen Klängen zu schaffen. Vor allem erfindet der Komponist Klangfarben, die nur elektronisch realisierbar sind, ja oft ist die Entwicklung und Umformung der Klangfarbe das Hauptanliegen der Komposition. Bei derartigen Kompositionen wird die Frage, wann eine Tonhöhe, eine Stimmung zur Klangfarbe und umgekehrt eine Klangfarbe zur Tonlage wird, zu einer fundamentalen Frage.
Der Computer ermöglicht eine präzise, wiederholbare Kontrolle aller Bestandteile der Synthesizer-Verfahren. Der Komponist kann seine Klangfarben aufs feinste stimmen, so lange, bis er genau das erreicht, was er anstrebt, oder aber er stößt durch einen glücklichen Zufall (wie einen falsch gesetzten Dezimalpunkt) auf einen unerwarteten Klang, der wiederum seine Phantasie in neuer Weise anregt. Zwischen dem Komponisten und seinem digitalen Instrument kommt es zu einem ständigen Feedback und Interaktion: Neuerliche Kombination von Frequenzkomponenten eines komplexen Klanges ergibt oft neue musikalische Ideen, die den von den neuerlich komponierten Klängen angebotenen Kontext ausnützen.
Hier trifft auch zu, was vorher über die Perzeption der komplexen rhythmischen Strukturen gesagt wurde. Nun ist die Frage der Psychoakustik kritischer: es ist Aufgabe des Komponisten, die Klangfarben in großer Klarheit zu definieren, da vertraute Klangfarben nicht gebraucht werden, sonst können kompositionelle Unterschiede nicht wahrgenommen werden.
Ebenso ist es Eigenheit des elektronischen Mediums, daß vorher geschaffene, vor allem aufgezeichnete akustische Klänge umgeformt werden, insbesondere geschieht das bei digitalen Klangprozessoren. Die Umformung identifizierbarer Klänge in andere vertraute Klänge (ein Tenor wird zu einem Fagottklang), in rein elektronische Klänge oder ihre Manipulation durch Kreuzsynthese oder ähnliche Techniken ergibt oft ein Resultat, das schon an sich, oft auf eindrucksvolle Weise, die kompositorische Struktur zu definieren vermag. Bestimmte Klänge können aus anderen entstehen oder der Prozeß der Neustrukturierung eines Klanges zur Erzielung einer farblichen Variante wird zu einer musikalischen Phrase. Umwandlung durch räumliche Manipulation (die Illusion, daß ein Klang sich im Raum oder sogar in verschiedenen Räumen bewegt) läßt die Grenzen musikalischer Strukturen verschwinden und ist faszinierend zu hören.
Der Computer als Musikinstrument hat zu einer Vielfalt von Stilen geführt. Bei "Computermusik" gibt es nicht eine einzige Richtung, im Gegenteil: die Komponisten sind davon befreit, die Vorschriften und Erwartungen, die in zeitgenössische Musik gesetzt werden, erfüllen zu müssen, und die sozioökonomischen Hindernisse, die widerwillige Performer und Konzertagenten in den Weg legen, sind wesentlich geringer. Daher können die Komponisten ihre Vorstellungen in einer Atmosphäre ständigen musikalischen Feedbacks entwickeln, können ihre Arbeit in der Abgeschiedenheit ihres Studios vervollkommnen und sicher sein, daß ihre Arbeit bei der Aufführung genau ihren Absichten und Intentionen entspricht. So ist nun der Komponist sein eigener Performer. Er muß nicht nur die Kunst des Komponierens für den Computer erlernen, sondern auch die Kunst, auf dem Computer die Aufführung durch entsprechende Programmierung zu gestalten – keine leichte Aufgabe.
Schließlich sollte auch noch erwähnt werden, daß man versucht, den kompositorischen Prozeß durch Programmierkonzepte zu beeinflussen oder gar zu bestimmen. Im Bestreben, musikalische (kompositorische) Ergebnisse zu finden, die nur dem Computer eigen sind, arbeiten manche Komponisten mit Ideen, die direkt aus künstlicher Intelligenz bezogen sind. Ich lehne diese Richtung nicht ab, doch wird es an diesem Punkt nötig, sich zu entscheiden, ob man unendlich viel Zeit und Mühe dafür aufwenden will, den Computer so zu programmieren, daß er subtile kompositorische Entscheidungen trifft, oder selbst zu komponieren und diese Entscheidungen selbst zu treffen. Bis es der Entwicklung von Software und Hardware gelingt, dem Computer menschliche Feinfühligkeit zu verleihen, meine ich, daß der Komponist, der den Computer als Instrument und nicht als seinen Ersatzmann verwendet, eine weitaus wirkungsvollere Musik produzieren wird. Meine eigene Arbeit war weitgehend der Erforschung der Reiche des enharmonischen Klangs gewidmet und dem Problem, eine verständliche, funktionelle Sprache zu schaffen, die auf den Klängen basiert, die als Akkorde verstanden werden. Ich habe Verfahren entdeckt, die es ermöglichen, verschiedene Komponenten der enharmonischen Akkordspektren zu kontrollieren, und diese kontrollierten Komponenten sind die strukturellen Grundlagen jeder Komposition. Die Verfahren wurden auf die Modulationsspektren (FM, AM, Ringmodulation) angewandt, auf einen speziellen Einsatz des Foldover-Phänomens, auf die additive Synthese mit enharmonischen Oberton- oder Skalenbeziehungen, auf die Exponentiation (und Modulation) einfacher Sinustöne, auf ein variables Prüfverfahren, auf non-lineare Distorsion und wellenförmige Modulation, wie auf andere signalerzeugende und verwertende Algorithmen. Jeder so behandelte Algorithmus hat klar unterschiedliche Klangfamilien erzeugt, so daß ich nun ein "Orchester" mit einem Dutzend unterschiedlicher, signalerzeugender "Instrumente" und fünf signalverarbeitenden "Instrumenten" zur Verfügung habe.
"Der kleine Prinz", meine Oper in zwei Akten für sieben Originalstimmen, mehrkanaligen Digitalsynthesizerklang, Computergrafik und Laser (gegenwärtig noch "im Bau"), bietet meinem Orchester eine Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten. Immer wieder entdecke ich neue Klangfärbungen, wenn ich diese Instrumente in isolierten Gruppen verwende. Die Kombination ungleicher Arten von Instrumenten in neue komplexe Akkordspektren ist eine schwierige Aufgabe – um so mehr, als die Möglichkeit zu Echtzeit-Digitalsynthese nicht gegeben ist. Man kann einfach nicht vorhersagen, was herauskommen wird, wenn man zwei oder mehrere unähnliche Klänge durch Synthese hinzufügt. Aus Erfahrung wissen wir, daß zwei interessante Klänge ebenso einander stören und einen unerwünschten Effekt haben können, wie sie einander ergänzen und einen neuen besonderen Klang ergeben können. In gleicher Weise kann die Kombination von zwei aufs erste weniger befriedigenden Klängen einen faszinierenden Klang ergeben und zwar aufgrund einer günstigen Wechselwirkung, die eine Summe ihrer erfolgreicheren Komponenten hervorbringt oder die weniger attraktiven Komponenten in etwas gänzlich anderes und Provozierendes verwandelt. All diese Kombinationen müssen einzeln durchprobiert werden – eine zeitraubende Aufgabe, wenn man die enorme Variationsvielfalt bedenkt. Natürlich bekommt man aber mit etwas Erfahrung allmählich ein "Gefühl" dafür, was geht und was nicht geht, und gerade diese vielfachen Kombinationen der enharmonischen Spektren zwecks Schaffung neuer Klangkomplexe sind die ausschließliche Domäne des Computers und für die Entwicklung der zeitgenössischen Musik äußerst vielversprechend. Mit dem Einsatz der Digitalsynthese steht den Komponisten nun ein Mittel zur Verfügung, mit dem sie präzise und sicher eine auf Enharmonik und Klangfarbenmanipulation basierende Musik schaffen können, die ebenso anregend und emotional überzeugend ist, wie jede Musik, die auf Systemen der Vergangenheit basierte. So wie man jetzt Newtons Erkenntnisse als eine (wichtige) Teilmenge von Einsteins umfassenderem Kosmos sieht, so wird auch die diatonische, chromatische, dodekaphonische Ordnung der Musik, basierend auf einem bekannten und verstandenen System von Frequenzrelationen, als einer Teilmenge des größeren Kosmos, den die enharmonische Musik darstellt, zugehörig verstanden werden.
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