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Ars Electronica 1984
Festival-Programm 1984
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Festival 1979-2007
 

 

Describing Planes of an Expanding Hypersphere


'Glenn Branca Glenn Branca

Sonntag, 9. September 1984, 20 Uhr
Brucknerhaus, Großer Saal

Uraufführung
Tonanlage: GBH Productions Ltd.


Glenn Branca gilt zur Zeit als einer der umstrittensten Komponisten der amerikanischen New Music. 1948 in Harrisburg, Pennsylvania, geboren, ist Branca typischer Vertreter jener Bewegung, die als Art Rock oder Art Core bezeichnet wird.

Nach einer Vergangenheit als Schauspieler und Regisseur seit 1976 in New York, gründet und leitet er zwei experimentelle Rockgruppen, die "Theoretical Girls" und "The Static". In dieser Zeit liegen auch die Anfänge der Art-Rock-Bewegung.

Sein akademisch unbelastetes kompositorisches Interesse richtete sich schon während der Arbeit mit den "Theoretical Girls" und "The Static" auf die elektrische Gitarre und ihre Einsatzmöglichkeiten. 1979 kommt es zur ersten konzertanten Aufführung für ein Ensemble elektronisch verstärkter Gitarren, "Instrumental for six Guitars". Branca stimmte die Gitarre neu, nach sehr einfachen Systemen, verwendete ungewöhnliches Saitenmaterial und stellte ganze "Guitararmies" zusammen. Seither führt Branca die Erforschung neuer Klangqualitäten immer weiter. Sein auch an physikalischen Zusammenhängen orientiertes Interesse führte zur Konstruktion verschiedener cembaloähnlicher Keyboards.

Sein starkes Formgefühl führte ihn schließlich über Materialaspekte hinaus und ließ ihn seine ersten Symphonien schreiben, die mit großem Erfolg in New York aufgeführt wurden. In der amerikanischen Kritikerszene gilt Glenn Branca als einer der größten lebenden Komponisten und Führer der Art-Rock-Bewegung.

Glenn Branca:
STATEMENT
Im Juni 1982 begann ich ein Projekt zur Realisierung eines reinen Tuningsystems für Orchester- und Kammermusikwerke. Das Tuning ist eine Spiegelung der tatsächlichen komplexen Töne, aus welchen die ideale harmonische Struktur der Energie der physikalischen Wellen besteht, die durch eine schwingende Saite erzeugt werden. Dieses System erforderte den Entwurf und Bau von Instrumenten, welche direkt nach den exakten Intervallen der ersten sieben Oktaven der Harmonischen Reihen (128 Töne) gestimmt werden könnten. Dieses Tuning macht es möglich, bestimmte resultierende (oder differierende) Töne zu bestimmen und zu erzeugen. Kompositorische Strukturen wurden durch die logische geometrische Symmetrie der harmonischen Reihen bestimmt. Die Reihe ist ein natürliches Phänomen, welches als physikalische Manifestation von Symmetrie und Form besteht. Schon allein die Tatsache, daß diese Sprache in der Natur vorhanden ist, scheint sie als Reflexion ihrer eigenen Logik zu bestätigen. Die Existenz dieser Sprache als Musik scheint die Musik als Reflexion der Bewegung ihrer eigenen Schallwellen auszuweisen – nicht ein symbolischer, sondern ein eigentlicher Ausdruck der dynamischen Symmetrie in der Zeit. Eigentlich sollte jeder Aspekt des Tuning, des Instrumentendesigns, der kompositorischen Struktur und Aufführung die Logik der harmonischen Reihe wiedergeben.

Im folgenden nun eine Aufzählung der Reihe von kompositorischen Prototypen, welche ich während meiner Aktivität als Fellow an der UCLA entwickeln möchte:
  1. spiral scores

  2. Fibonacci sequence

  3. sympathetic harmony

  4. diagonal movement

  5. repeated prime series

  6. modulation through divisible modes

  7. exact locations of the first 32 harmonics (modes) on the length of a string

  8. growth structures

  9. fluid motion

  10. inner-developing theme

  11. light wave frequencies

  12. fugue-form

  13. implied fundamental movement

  14. all possible futures

  15. describing planes of an expanding hypersphere

  16. continuous reflection (or reflections as the catalyst for expansion)
Interview Glenn Branca, New York (Juli 1984)
Interviewer: Wolfgang Kos

Kos: Wann wurde das Stück für Linz geschrieben und wann hatten Sie die Idee?

Branca: Ich arbeite nun schon ein Jahr daran, das heißt, daß ich seit der Symphonie Nr. 4 kein neues Stück mehr veröffentlicht habe.

Kos: Wie lautet der Titel?

Branca: Describing Planes of an Expanding Hypersphere.

Kos: Die Beschreibung von "planes" im Sinne von "Flugzeugen"?

Branca: Nein. "Plane" im Sinne von "Fläche" einer geometrischen Figur.

Kos: Und wird das Stück ähnlich wie die Symphonie Nr. 4, hat es dieselbe Art der Instrumentierung, genauso viele Akteure?

Branca: Prinzipiell sind genauso viele Leute beteiligt, aber die Instrumentierung wird sich wesentlich unterscheiden, das heißt, es wird im großen und ganzen dieselbe Instrumentierung sein, aber beinahe alle Instrumente werden verändert oder neu sein. Sie werden anders gestimmt sein. Und in diesem Stück – ich meine, seit ich mich mit der harmonischen Serie befasse, konnte ich noch immer nicht einmal das Wesentliche einer Komposition wie dieser erfassen. Ich habe davon gehört. Ein Punkt ist, daß es eine ganze Menge Zeit und Arbeit braucht, um eine Komposition wie diese zu machen, daher bin ich sehr vorsichtig, wenn solche Kompositionen zu machen sind, aber während des vergangenen Jahres konnte ich diese Ideen viel weiter entwickeln und ich glaube, daß dieses Stück ein besseres Beispiel dafür sein wird, wie ich versuche, mit dieser harmonischen Serie zu arbeiten, als jedes andere Stück, das ich geschrieben habe.

Kos: Warum?

Branca: Weil ich keine Zeit hatte, die Ideen so zu entwickeln, wie ich wollte. Wie die Symphonie Nr. 4 eine Erweiterung oder Entwicklung der Ideen von Symphonie Nr. 3 war, werden in diesem Stück die Ideen noch weiter entwickelt sein und außerdem bin ich mit der Materie schon besser vertraut als vor einem Jahr und mich interessiert die Verbindung zwischen mathematischer Theorie und Geometrie immer mehr und ich kann jetzt einige Ideen von Partituren entwickeln, die auf mathematischen Ideen beruhen, Ideen, die ich schon vor einiger Zeit hatte, aber es bedarf großer Anstrengung. Es interessiert mich nicht, bloß eine trockene, klingende Partitur zu schreiben, nur um einen Gedanken zu schildern, ich meine, da muß etwas in dem Klang sein, der diesen Gedanken klar verkörpert.

Kos: In Linz werden Sie eine Aufführung im Brucknerhaus geben. Welche Bedeutung hat Bruckner für Sie?

Branca: Ich bin nicht sehr an Bruckners Musik interessiert. Ich versuche, mir jetzt seine Musik anzuhören, die Leute haben eine gewisse Verwandtschaft zu meiner Musik festgestellt.

Ich habe sehr viel Mahler gehört, aber auch er interessiert mich nicht besonders. Mir scheint, es gibt einige Verbindungen zwischen den beiden. Aber man spielte etwas von Bruckner, das wunderbar war, aber ich habe mich nicht sehr damit beschäftigt. Lange Zeit hörte ich nur Musik des 20. Jahrhunderts, das hat sich geändert, jetzt höre ich nicht mehr sehr viel Musik aus dem 20. Jahrhundert. In letzter Zeit hörte ich sehr viel Bach und die Inspiration zu diesem Stück kommt tatsächlich von einem Werk von Bach, "Die Kunst der Fuge". Ich mochte den Aufbau dieses Werkes sehr. Ich kenne nicht sehr viele Stücke in dieser Art. Es ist keine Suite, obwohl es aus sehr vielen kleinen Abschnitten besteht. Er entwickelt die thematischen Ideen durch die Verwendung sehr kleiner Abschnitte und genau das machen wir in diesem Stück auch. Es wird etwa 15 bis 20 Sätze haben. Von dieser Idee bin ich sehr begeistert, weil ich mich für die Form sehr interessiere.

Kos: Treten Sie zum ersten Mal in einer Art Konzerthalle auf, wo normalerweise nur Symphonieorchester spielen? Ich glaube, Sie treten vorwiegend in Galerien, Kirchen und Folk Clubs auf.

Branca: Nein, jetzt treten wir häufig in Konzerthallen auf – ein einziges Mal traten wir in Utrecht, in Holland, an einem Platz auf, wo Symphonieorchester auftreten. Tatsächlich spielen wir vorwiegend in Konzerthallen und ich glaube, langsam bekomme ich diese besondere Situation in den Griff. Das ist sehr gut, wenn man auf engem Raum arbeitet.

Kos: Und die Sache in Den Haag? Dort hatten Sie einige Probleme mit dem ansässigen Orchester?

Branca: Meiner Meinung nach war die ganze Angelegenheit eine komplette Farce. Und ich wäre nicht einmal überrascht, wenn alles inszeniert worden wäre. Ich glaube nicht, daß es inszeniert worden ist, aber man war sehr froh, daß es einen Zwischenfall gab. Ich dachte, es wäre ein Scherz. Beim Eröffnungskonzert beim Festival in Den Haag, das auch im Fernsehen übertragen wurde, gab es bei den Aufführungen und Musikveranstaltungen unvorstellbare Beifallskundgebungen. Man suchte eine Art Verbindung zu dem herzustellen, was ich bringen wollte. Sie hatten ein Schoenberg-Stück mit einem gesamten Orchesterchor auf dem Programm, und am Ende spielten sie ein Stück von Wagner. Was geschah, ereignete sich nach meinem Auftritt. Der Dirigent des Orchesters – er wollte gerade das Wagner-Stück mit Sängern aufführen, war auch sehr wütend. Er sagte, es werde falsch gespielt und es klinge schrecklich, es sei lächerlich. Er werde nicht dirigieren. Und einige Musiker liebten diese Art Musik. Schließlich gingen einige Musiker hinaus und die anderen blieben. Dann begannen die Sänger, sich über das Wagner-Stück lustig zu machen. Das war das empörendste. Aus irgendeinem Grund begannen die Sänger, das Wagner-Stück in den Schmutz zu ziehen. Da wurde das Ganze ein Fiasko. Einige Zuschauer mochten meine Darbietung, andere nicht und es gab Buh-Rufe. Ich sah gar nicht, was vorging, ich hörte es nur, als ich in den Umkleideraum ging. Das ist im wesentlichen das, was sich ereignete. Ich glaube, es war vollkommen lächerlich. Hätte eine konventionelle Rock-Band gespielt, sie hätte vielleicht viel lauter gespielt als wir, wenn z.B. eine Hard-core-Band gespielt hätte, wären sie genauso ausgeflippt. Daher glaube ich, daß die darauf vorbereitet waren.

Kos: Sehen Sie einen Unterschied in dem, was Sie tun, und dem, was Sie "New Music World" nennen?

Branca: Ich glaube, daß ich an meine Stücke nicht anders herangehe als irgend ein anderer Komponist an sein Stück. Natürlich hat jeder seine eigene Arbeitsweise, aber ich will nichts angreifen, ich versuche nicht, irgendwelche Grenzen des Establishment niederzureißen, ich will das wirklich nicht. Was ich will, ist ganz einfach das Stück zu machen, das ich machen möchte und das mich sehr beschäftigt und wie ich schon sagte, all das stammt nicht von mir, es stammt von anderen, es berührt mich, aber es ist grundsätzlich von anderen und ich bin nur das Sprachrohr.

Kos: Sie haben ähnliche Methoden verwendet.

Branca: Grundsätzlich hat sich meine Arbeit nicht geändert, sie hat nur eine andere Form angenommen. Ich will sagen, ein Teil der Idee meiner Musik ist es, daß ich möchte, daß die Kraft soweit wie möglich ihre eigene Form annimmt, ich möchte nicht absolut bestimmt aussagen, mich interessiert die Zwiespältigkeit und ich betrachte Zwiespältigkeit und Komplexität als zwei sehr nah verwandte Dinge. Ein vielschichtiges Werk, ein Werk, das von zwei verschiedenen Menschen vollkommen konträr empfunden werden kann. Zwei Menschen können genau diametral entgegengesetzte Meinungen haben, die beide dialog sind, und beide Dinge sagen genau das aus, worüber das Stück ist.

Als ich zum Beispiel in Deutschland war, schrien die Menschen Faschist – der Punkt ist, daß einige dieser Leute, sofern sie das bewußt taten, absolut recht hatten. Aber zur selben Zeit, wo es Faschismus war, war es noch etwas anderes, was genau das Gegenteil darstellte. Und irgendwie ist das auch die Art, wie ich arbeitete, wenn keine Leute schrien und mich soweit brachten, daß ich meinte, daß dies zu diesem Moment, zu dieser Zeit, bei diesem Stück faschistoid sei, ich schließe nichts aus, vielleicht bin ich irgendwie ein Faschist. So entschloß ich mich, es fortzuführen, um zu sehen, ob ich einer bin oder nicht. Ich entschloß mich, es darauf ankommen zu lassen, o.k. Ich werde zum Faschisten werden – ich werde faschistoide Musik machen – wir werden sehen, wohin es führt, wie diese Musik aussieht. Für mich gibt es nichts mehr Neues aus der Musik zu entdecken, sie ist vollkommen uninteressant für mich, ich brauche etwas, das so neu wie möglich ist, ich muß etwas Neues finden, ich möchte eine Musik, die mich überrascht, die mir etwas zeigt, nicht mich etwas lehrt, und daher bin ich froh, daß, so glaube ich, meine Musik … ich meine, daß ich einen Weg gefunden habe, Musik zu machen, von der ich glaube, daß sie manipulativ ist – ich mag manipulative Musik nicht, kommerzielle Musik ist beinahe ausschließlich manipulativ.

Kos: Wollen Sie mit Ihrer Musik eher informieren über Ihr Wissen über die harmonische Serie, über physikalische Möglichkeiten mit akustischen Phänomenen oder wollen Sie, daß sich Menschen Ihre Musik anhören, die normalerweise von diesen Dingen nichts verstehen?

Branca: Ich möchte sie zusammen mit meinem Wissen vermitteln, genau das möchte ich. Das Problem ist, einerseits möchte ich Musik schreiben, andererseits möchte ich diese Ideen ausdrücken, das sind zwei sehr verschiedene Dinge. Die Ideen, die ich in den letzten paar Jahren entwickelt habe, ausdrücken zu wollen, würde bedeuten, die gesamte Arbeit zu stoppen und versuchen, diese Ideen in einer Form, die nicht Musik ist, zu artikulieren. Ich möchte aber meine Arbeit nicht abbrechen, ich möchte weiter vordringen. Aber manchmal denke ich, ich werde für sechs Monate aufhören, mich hinsetzen und ein Buch schreiben, das geplant ist. Ich plane das nun schon eineinhalb Jahre und trage langsam alle Informationen dafür zusammen. Das heißt, daß ich mich jetzt irgendwann einmal für sechs Monate zurückziehen werde, ich möchte diese Idee artikulieren, ich möchte diese Ideen auch in meine Musik einfließen lassen, ich möchte, daß sich das Publikum einiger Ideen, die ich verwirkliche, bewußt ist, während es die Musik hört. Ein Grund, weshalb ich daran interessiert bin, ist, weil ich manchmal, wenn ich das Band einer Komposition, an der ich gearbeitet habe, nochmals spiele, auf ein Diagramm schaue, das ich entworfen habe oder über einige Einfälle nachdenke. Dann merke ich, daß, wenn sich mein Geist mit den Ideen beschäftigt, die Musik anders zu klingen beginnt, eine andere Qualität bekommt – sie eine gänzlich andere Bedeutung bekommt. Und ich weiß, daß, wenn das Publikum sich der Ideen, mit denen ich arbeite, bewußter wird, es tatsächlich mehr aus der Musik heraushören wird. Die Musik wird eine tiefere Wirkung haben.

Kos: Müssen die Musiker oder die Menschen, mit denen Sie in Konzerten zusammenarbeiten, Ihre Anschauungen über Musik teilen?

Branca: Sie müssen eine Idee teilen, es ist eher visuell, es ist eher ein intuitives Verstehen, was geschehen muß, aber es gibt absolut keinen Zweifel, daß die Musiker verstehen müssen, was die Musik auszudrücken versucht. Wenn ich beginne, mit einer Reihe neuer Musiker ein neues Stück einzustudieren, ist es nicht – geht es nicht so gut wie nachdem sie begriffen haben, was ich ausdrücken will. Es gibt keinen Zweifel, je besser die Musiker die Musik verstehen, desto eher klingt sie so, wie sie klingen soll.

Kos: Können Sie sich vorstellen, im akademischen Bereich zu arbeiten? Können Sie sich vorstellen, eines Tages Professor an einer Universität zu sein?

Branca: Sich vorstellen? – Sicher, wollen Sie mich zum besten halten? Ich mache ernste Arbeit und ich habe eine Menge darüber zu sagen. Ich würde es sehr gerne sehen, wenn die Leute interessiert genug wären, mehr über diese Arbeit zu erfahren. Ich glaube, es ist wirklich schade, daß die akademische Welt mich und meinesgleichen, die wir mit Ideen außerhalb des "equal temperament system" arbeiten, als Bedrohung betrachtet, als eine Warnung, das "equal temperament system" hinsterben zu sehen und zu sehen, wie es begraben wird. Sie sind vollkommen im Irrtum, absolut im Irrtum, wenn sie glauben, daß dies das Ende der westlichen Musik, unserer gesamten westlichen Musik und Musiktheorie ist, die sich in Jahrhunderten entwickelt hat. Das ist beileibe nicht der Fall. Nun können wir – es gibt keinen Grund, warum nicht ein anderes System gleichzeitig mit diesem existieren kann – es gibt viele andere Systeme, warum soll ein Komponist auf ein System beschränkt werden, das man beinahe als ein System betrachten kann, das von einem einzelnen erfunden wurde, irgendjemandes Idee von einem Musiksystem. Warum kann nicht jeder Komponist mit dem System arbeiten, mit dem er will …?

Aber was ich sagen wollte ist, daß, je mehr ich mit einem System arbeite, desto mehr sehe ich, wie wertvoll die westliche Musiktheorie ist. Nicht alles, aber viel von dieser Musiktheorie kann sehr einfach für das System angewendet werden, mit dem ich arbeite, sehr einfach. Und es ist sehr wertvoll. Und ich glaube, daß die Menschen diese Ideen ignorieren, daß sie nichts über sie wissen wollen.

Kos: Kurze Zeit haben Sie mit Rock-Bands zusammengearbeitet, interessiert Sie das nicht?

Branca: Natürlich interessiert es mich. Es interessiert mich sehr lange und es interessiert mich noch immer, aber es geht nicht mehr. Ich muß mich entscheiden, wo ich meine Zeit und Energie investiere. Und ich kann nicht mehr – es gibt andere Dinge, die getan werden müssen, und ich kann mich nicht mehr mit einer Rock-Band beschäftigen. Ich kann mich nicht an eine sehr spezifische Art von Form binden und an eine sehr spezifische Art einer kommerziellen Welt, die ich vollkommen lächerlich finde.
PRESSESTIMMEN

SEIN FORTE KOMMT MIT ÜBERSCHALL
Ob es ernste oder klassische Musik oder Rock oder alles zusammen ist, Mr. Branca ist der Führer der äußerst vitalen Bewegung, "DOWNTOWN NEW MUSIC" erstmals seit den Minimalisten umzugestalten. Die beispiellose Tondichte gebiert neue akustische und artistische Verzweigungen: klingelnde Oberschwingungen, Richtkontrapunkt von verschiedenen Lautsprechern, das inhärente Theater dieser neuen Art von Gitarrenorchester. Mr. Brancas Musik ist weder klassische Musik noch instrumentaler Rock, sondern eine neue Art von "live electronic music". Er verwendet elektrische Gitarren nicht als Artefakten des Rock, sondern als Instrumente der elektronischen Musik. Auf ihnen wird Musik gespielt, die ihre Wurzeln im Futurismus, bei Dada, Varèse und den Vertretern der Klangfarbenmusik wie auch der symphonischen Musik, Free Jazz und Heavy-Metal-Rock hat. Wie immer man diese Musik einordnet, es bleibt die Tatsache, daß sie ein Teil einer Bewegung ist, und daß, wenn jemand die Führerrolle in Anspruch nehmen darf, dies Mr. Branca ist.


John Rockwell, NEW YORK TIMES

Branca ist nun erschreckend gut, einer der besten lebenden Komponisten; die Üppigkeit, Intelligenz und Neuheit seiner Musik läßt alles rundherum schal und zahm erscheinen. Rock 'n' Roll schockte und veränderte die Weit der Popmusik als er auftauchte; wenn Brancas Musik heranrollt, erleben die heutigen Musikfans eine ähnliche Überraschung.

Greg Sandow, VILLAGE VOICE

Branca ließ mich erschaudern. Ich spürte, wie mich meine Reaktion auf seine Musik zurück zu meinem Ego brachte. Meine Gefühle waren durcheinander. Ich erinnerte mich an ein Stück von La Monte Young, einer Aufnahme eines Gongs, der gegen Zement schlug, und das mit größter Lautstärke. Aber es hat sich etwas geändert. Der Gong ist nicht mehr länger ein Gegenstand, sondern eine Gruppe, die auftritt. Es war schwierig, das Verhalten und die Bereitwilligkeit seitens der 1200 Menschen, dieselbe Erfahrung zu machen, zu begreifen. Ich fand in mir die Bereitschaft, die Musik mit dem Bösen – der Macht – zu vereinen. Ich möchte keine solche Macht in meinem Leben. Da ich betroffen war, fragte ich die Menschen, die mich ansprachen, was sie dächten. Ich wurde in die Realität zurückgeholt, weil ein paar Leute sagten, die Musik erheitere sie. Einer sagte, er hörte Klänge, die er nie zuvor gehört hatte. Ben Johnston sagte, es wäre, als würde er durch ein Mikrophon in eine unbekannte Welt sehen. Ein belgischer Kritiker meinte, dies wäre der nächste Schritt, die Saat des 21. Jahrhunderts.

John Cage, CHICAGO SUN-TIMES

Branca dehnt seine Musik weiter aus als man in der Welt des Rock normalerweise für annehmbar oder sogar möglich hält und erreicht häufig ein Plateau anhaltender Intensität, die außerhalb geistiger oder sexueller Kommunikation kaum erreicht wird. Wenn ein anderer seine Musik als etwas bezeichnet, das dich "weit zurück in dein Unterbewußtsein treibt, um herauszufinden, was es ist, das du hörst", würde er anmaßend erscheinen, wenn Branca so etwas sagt, scheint dies bloß bescheiden, unzureichend zu sein.

Lynden Barber, MELODY MAKER

Glenn Branca ist ein Abtrünniger des Rock 'n' Roll, der die Arena des Standard Rock verlassen hat, um ein bahnbrechender Ikonoklast einer neuen Musik zu werden. Brancas Musik ist absolut hypnotisch. Ein gewaltiges, monströses Crescendo, das unendlich und unbeendbar scheint. Sie ist absolut fesselnd, einfach großartig.

Rob Baker, NEW YORK DAILY NEWS


CHRONOLOGISCHE LISTE VON KOMPOSITIONEN GLENN BRANCAS
(mit Ort und Zeit der Erstaufführung, Liste der Akteure und kurze Beschreibung)

1975:
"ANTHROPOPHAGOI"
(29. Mai–15. Juni. The Bastard Theatre at the Red Studio, Boston). Ein Musik/Theaterstück, geschrieben zusammen mit John Rehberger.
Akteure: G. Branca, Brian Hanley, John Rehberger, John Kaiser, Meg English, Jose Brown, Paul Levites, Richard Bliss und Art Silverman.

"PERCUSSION, ELECTRONICS AND MOUTH"
(11. Dezember 1975 am Central Square Space, Boston). Musik für The Dubious Music Ensemble.
Akteure: G. Branca und John Rehberger.

1976:
"WHAT ACTUALLY HAPPENED"
(9. April bis 2. Mai 1976. The Bastard Theatre at the Boston Arts Group). Ein Musik/Theaterstück geschrieben zusammen mit John Rehberger.
Akteure: G. Branca, James Arnold, Meg English, Mitch Goodman, Brian Hanley, Paul Levites, Kathy Medanic, Jane Olson, John Rehberger, Susan Wagenheim, Mike Zotzmann und Kirsten LaCasse.

1977:
"SHIVERING TONGUE FINGERS AIR"
(9. April 1977 am The Placenter, NYC). Ein Solomusik-Theaterstück.
Akteur: G. Branca.

Songs for "THEORETICAL GIRLS"
(13. Dezember 1977 am Franklin Furnace, NYC). Rockgruppe, die von 1977 bis 1979 existierte.
Akteure: G. Branca, Jeffrey Lohn, Margaret DeWys und Wharton Tiers.

1978:
Songs for "THE STATIC"
(24. Oktober 1978 am Franklin Furnace, NYC). Rockgruppe, die von 1978 bis 1979 existierte. Diese Erstaufführung beinhaltete auch das verlängerte Instrumentalstück "INSPIREZ/EXPIREZ" (12 min.).
Akteure: G. Branca, Chip Dyke, Barbara Ess und Christine Hahn.

1979:
"(INSTRUMENTAL) FOR SIX GUITARS"
(29. April 1979 bei Max's Easter Festival). Länge: 12 min.
Akteure: G. Branca, Barbara Ess, Christine Hahn, Paul McMahon, Wharton Tiers, Mark Bingham und Stephan Wischerth auf den Drums.

"THE SPECTACULAR COMMODITY"
(3. bis 18. August 1979, The Performing Garage, NYC). Musik für den Tanz "FLUTTERING BACK" von Eiko und Koma (20 min.).
Akteure: G. Branca, Barbara Ess, Christine Hahn.

"DISSONANCE"
(3. November 1979, The Kitchen, NYC). Länge: 13 min.
Akteure: G. Branca, Anthony Coleman, David Rosenbloom, Frank Schroder, Harry Spitz und Stephan Wischerth.

"LESSON NO. ONE (FOR ELECTRIC GUITAR)"
(20. Dezember 1979 in TR 3, NYC). Länge 8 min.
Akteure: G. Branca, Paul McMahon, Stephan Wischerth.

1980:
"(INSTRUMENTAL) FOR SIX GUITARS" (second version)
(16. Jänner 1980 in The Kitchen, NYC). Eine erweiterte Version, in drei Teilen (25 min.).
Akteure: G. Branca, Jules Baptiste, Rhys Chatham, Mark Bingham, Paul McMahon, Wharton Tiers, Stephan Wischerth.

"THE ASCENSION"
(21. Juli 1980 im TR 3, NYC). Länge: 12 min.
Akteure: G. Branca, Jules Baptiste, Richard Prince, Wharton Tiers, Frank Schroder, S. Wischerth.

"LIGHT FIELD"
(7. Oktober 1980 in Danceteria, NYC). Länge: 9 min.
Akteure: G. Branca, Richard Prince, David Rosenbloom, Na Ux, Craig Kafton, S. Wischerth.

"LESSON NO. TWO"
(14. Dezember 1980 in The Walker Arts Center, Minneapolis). Länge: 8 min.
Akteure: G. Branca, David Rosenbloom , Jeffrey Glenn, Lee Ranaldo, Ned Sublefte, S. Wischerth.

1981:
"STRUCTURE"
(20. April 1981 in Real Artways, Hartford). Ganze Version: 16 min.
Akteure: G. Branca, David Rosenbloom, Jeffrey Glenn, Lee Ranaldo, Ned Sublette, S. Wischerth.

"SYMPHONY 1 (TONAL PLEXUS)"
(16. bis 19. Juli 1981 in The Performing Garage, NYC). In vier Sätzen, Gesamtlänge: 60 min.
Akteure: G. Branca, Craig Bromberg, Dave Buk, Anne DeMarinis, Barbara Ess, Robert Harrison, Thurston Moore, Lee Ranaldo, David Rosenbloom, Richard Edson, Ned Sublette, Wharton Tiers, Gail Vachon, Fritz Van Orden, Margot Zvaleko, S. Wischerth.

"INDETERMINATE ACTIVITY OF RESULTANT MASSES"
(13. September 1981, Art on the Beach, NYC). Länge: 30 min.
Akteure: G. Branca, Sue Hanel, Mark Bingham, Craig Bromberg, Barbara Ess, David Rosenbloom, Thurston Moore, Lee Ranaldo, Jeffrey Glenn, Ned Sublette, S. Wischerth.

1982:
Music for the dance "BAD SMELLS"
(26. Februar 1982 in The Mudd Club, NYC). Im Auftrag der Twyla Tharp Dance Co. (Erstaufführung der Musik allein). Länge: 17 min.
Akteure: G. Branca, Ned Sublette, David Rosenbloom, Lee Ranaldo, Thurston Moore, Jeffrey Glenn, S. Wischerth.

"SYMPHONY 2 (THE PEAK OF THE SACRED)"
(6. bis 15. Mai 1982 in The St. Marks Church, NYC). 5 Sätze, Gesamtlänge: 90 min.
Akteure: G. Branca, Sue Hanel, Robert Harrison, Craig Bromberg, Barbara Ess, Thurston Moore, Lee Ranaldo, Jeffrey Glenn, David Linton, Al Eleganza, Zev, S. Wischerth.

1983:
"SYMPHONY 3 (GLORIA)"
(13. bis 16. Jänner 1983 in der Brooklyn Academy of Music). Musik für die ersten 127 Takte der harmonischen Serie. Im Auftrag von BAM. Länge: 80 min.
Akteure: Craig Bromberg, Margaret DeWys, Barabra Ess, Michael Gira, Jeffrey Glenn, Greg Letson, Amanda Linn, Thurston Moore, Lee Ranaldo, Arleen Schloss, Stephan Wischerth, Dan Witz, Axel Gross, G. Branca.

"ACOUSTIC PHENOMENA"
(11. März 1983 und 16./17. März 1983 in der Kunsthalle, Bern, Schweiz). Eine Koproduktion mit Dan Graham, als Teil seiner retrospektiven Installation "Pavilions". Länge: 40 min.
Akteure: G. Branca, Axel Gross und Margaret DeWys.

"SYMPHONY 4 (PHYSICS)"
(8. bis 9. Mai 1983 beim Töne-Gegentöne Festival, Wien, Österreich). 4 Sätze, Gesamtlänge: 75 min. (bei einer Tournee durch 12 europäische Städte einschließlich der Eröffnungsfernsehsendung des Holland-Festivals).
Akteure: Margaret DeWys, Barbara Ess, Greg Letson, Amanda Linn, Thurston Moore, Lee Ranaldo, Arleen Schloss, Stephan Wischerth, Dan Witz, Axel Gross, G. Branca.
SCHALLPLATTEN VON GLENN BRANCA
1978
"YOU GOT ME"
(Theoretical Girls) 7"-single on Theoretical Records, NYC.
Performers: G. Branca, Jeffrey Lohn, Margaret DeWys, Wharton Tiers.

1979:
"MY RELATIONSHIP"
(The Static) 7"-single b/w "Dont't Let Me Stop You" on Theoretical Records, NYC.
Performers: G. Branca, Barbara Ess, Christine Hahn.

"LIVE AT RIVERSIDE STUDIOS"
(The Static) cassette of live concert released on Audio Arts of London.
Performers: G. Branca, Barbara Ess, Christine Hahn. 1980.

"LESSON NO. ONE"
12" E. P. (b/w "Dissonance") on 99 Records, NYC.
Performers: G. Branca, Frank Schroder, Harry Spitz, Mike Gross, Anthony Coleman, Stephan Wischerth.

1981:
"THE ASCENSION"
Album (also includes. "Lesson No. 2", "The Spectacular Commodity", "Structure" and "Light Field"). Released on 99 Records.
Performers: G. Branca, Ned Sublette, Lee Ranaldo, Jeffrey Glenn, David Rosenbloom, Stephan Wischerth.

"FASPEEDELAYBOP"
45-second piece on compilation record "Just Another Asshole No. 5".
Performer: G. Branca.

1982:
Music for the dance "BAD SMELLS"
(Music commissioned by the Twyla Tharp Dance Co.) One side of the album "Who You Staring At?" Released on Giorno Poetry Systems, NYC.
Performers: G. Branca, David Rosenbloom, Ned Sublette, Lee Ranaldo, Thurston Moore, Jeffrey Glenn, Stephan Wischerth.

1983:
"ACOUSTIC PHENOMENA"
7"-record. Limited edition of 1000 released by The Kunsthalle Bern, Switzerland (as part of a catalogue).
Performers: G. Branca, Margaret DeWys, Axel Gros.

"SYMPHONY 3 (GLORIA)"
Album recorded live at the Brooklyn Academy of Music. Released by Neutral Records. Released in Europe by Crepuscule Records, Belgium.
Performers: Craig Bromberg, Margaret DeWys, Barbara Ess, Michael Gira, Jeffrey Glenn, Greg Letson, Amanda Linn, Thurston Moore, Lee Ranaldo, Arleen Schloss, Stephan Wischerth, Dan Witz, Axel Gros, G. Branca.

"SYMPHONY 1 (TONAL PLEXUS)"
Cassette tape recorded live at the Performing Garage. Length – 60 min. Released by Reach Out International Records and Tapes.
Performers: G. Branca, Craig Bromberg, Dave Bulk, Anne DeMarinis, Barbara Ess, Robert Harrison, Thurston Moore, Lee Ranaldo, David Rosenbloom, Richard Edson, Ned Sublette, Wharton Tiers, Gail Vachon, Fritz Van Orden, Margot Zvaleko, S. Wischerth.