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Ars Electronica 1984
Festival-Programm 1984
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Festival 1979-2007
 

 

Kollisionen


' Transcenic Transcenic / ' Théâtre d‘en Face Théâtre d‘en Face

Sonntag, 9., bis Donnerstag, 13. September 1984
Brucknerhaus, Großes Foyer

MYTHOLOGISCH-ELEKTRONISCHES MUSIKTHEATER (mit Unterstützung von Computer-Video-Film LEAS [Laboratoire d'électronique] IMEDIA/CNET)

In Zusammenarbeit mit CAC de Douai.
Mit der freundlichen Unterstützung des Französischen Kulturministeriums.

KONZEPT UND REALISATION: Pierre Friloux-Schilansky & Françoise Gedanken

MUSIK: Jean-Baptiste Barrière, Pascale Criton, Kaija Saariaho

KOORDINATION DER KLANGTECHNIK: Gyorgy Kurtag, assistiert von Erwin Sampermans

KOSTÜME:
Dramaturgisches und technologisches Konzept: Pierre Friloux-Schilansky
Creation von Linie und Styling: Sylva & Jacob Valentyne Bosman
Konzeption der Strukturen: Felix Perrotin

BÜHNENAUSSTATTUNG: Pierre Friloux-Schilansky und Felix Perrotin

LICHTTECHNIK: Remi …

INSTALLATION DER VIDEOANLAGE: Transcenic & AVP (Antwerp Videoprojects)
Verantwortlicher für Kamera und Regie: Jo Vandormael

SYNTHETISCHE BÜHNENBILDER: Chiara Boeri & Pierre Friloux-Schilansky, realisiert von der Fa. Computer-Video-Film Paris

ELEKTRONISCHE SYSTEME UND EDV: Jean Angelidis & Fa. LEAS(Laboratoire d'Electronique Angelidis/Sarrault), Grenoble, und Fabrice Fatoux (Plastiker)

VIDEOGESTEUERTER SYNTHESIZER: Erfinder: Sylvain Aubin; beauftragt mit der Durchführung: IMEDIA, Paris (Patent bei CNET)

VERTEILUNG: Sjanneke Broekmeulen, Mia Bundervoet, Luc Carels, Marc Geedts, Conny Thomas, Carin Vandenbussche, Ludo van Passel, Pierre Rigopoulo, Schlagzeug

INTERPRET DES ELEKTRONISCH-MUSIKALISCHEN TEILS: Gyorgy Kurtag

NUMERISCHE ANLAGE ZUR AUFNAHME DER BEWEGUNGEN: Studio GRAME, Lyon; James Giroudon, Pierre Alain Jaffrennou

UNSER BESONDERER DANK GILT
Herrn Mario BORILLO, Mathematiker/Forscher am CNRS (Laboratoire de formalisation du Raisonnement)
Herrn Jacques DROULEZ, Arzt/Informatik-Forscher am Laboratorium für sensorielle Neurophysiologie am C.N.R.S.
Herrn Jean-Louis WEISSBERG, Medienkritiker an der Universität Paris XIII

THÉÂRE D´EN FACE
Das Théâtre d'en Face wurde 1976 von Pierre Friloux-Schilansky und Françoise Gedanken gegründet. Als anti-totales Theater vereint es unterschiedlichste Kunstgattungen, wobei jede ihre Eigenständigkeit bewahrt und eine Vermengung bewußt vermieden wird. Der Stil von Théâtre d'en Face liegt zwischen Minimalismus und Übermaß.

Pierre Friloux-Schilansky arbeitet als geistiger Vater des Theaters vor allem mit archaisch-kultischen Mitteln des primitiven Theaters. Er befaßt sich mit Themen, wie "Der Mensch als Einzelwesen und der Mensch in der Gesellschaft", "Die gegenwärtige Welt und ihre Mythologie". Intensive Verwendung von Tanz, Musik, Stimme, bildender Kunst und Video.

Auswahl bisheriger Produktionen:
1976/77 "Souvenirs d'en Face", 1977/78 "Le Banquet", "L'Execrée", 1978/79 "Ritual Di Matrimonio", "Simultaneité Dans 3 Chambres Sous Video", 1979/80 "Wedding Ceremony", "Bach tout Hysteria", 1980/82 "Rencontres", "Ecrans Noirs", 1981/82 "Bruiloftsfeest", 1982/83 "Ecrans Noirs II". 1984 "Tegen het uurwerk", Indian cap Antwerpen. Co-Produktion Transcenic/Antwerp Video projekts.
TRANSCENIC
Transcenic ist ein künstlerisches Labor zur Erforschung und Kreation im Multimediabereich und wurde mit der Zielsetzung installiert, neue Bezugspunkte zwischen lebendigem Schauspiel, Kunst, Wissenschaft und Technik zu schaffen.
"KOLLISIONEN"
"Kollisionen" ist ein theatralisches Defilee mythologisch-bildhafter Geschöpfe, wie sie durch die phantastische Verbindung des lebenden menschlichen Körpers mit Digitalmaschinen und technologischen Geräten entstehen. Mit dieser Produktion geht das Pariser Théâtre d'en Face einen neuen Weg in der Auseinandersetzung zwischen Mensch und Technik.
Ausgangspunkt der Konzeption ist der Istzustand. Die Konfrontation des Menschen mit Hochtechnologie in allen Bereichen des Alltags. Die Maschine, die den Menschen in seinen persönlichsten Bereichen beeinflußt, auf die er in seiner Gestik, mit seinen Sinnen, mit seinen Nerven reagiert.

Symbolhaft dargestellt wird dieser Grundkonflikt in "Kollisionen" durch Chimären, durch Mensch-Maschine-Wesen, die die Beziehung zwischen dem Menschen und der Maschine versinnbildlichen, ähnlich wie im mythologischen Sinn der Zentaurus oder der Satyr Beziehungen zwischen Mensch und Tier darstellen.
Jedes einzelne Geschöpf, jede "Chimäre", wird in dem Gesamtprojekt in einer spezifisch technischen und szenischen Form behandelt. Spielvorlagen sind Bildinhalte zum Beispiel von Werken holländischer Meister, die durch eine spezifische technische Ausstattung in ihrer Sinnhaftigkeit verändert beziehungsweise ad absurdum geführt werden. Mit Mitteln der metaphorischen Verdichtung wird eine Vorstellungswelt unserer postindustriellen Modernität wachgerufen und gleichzeitig wird das ambivalente Verhältnis des Menschen zur Technologie, deren Schöpfer er ist und die ihn ängstigt, hinterfragt.

Thematische Elemente
"Kollisionen" beginnt mit der szenischen Darstellung der Blinden nach Breughel dem Älteren. Die Bildvorlage provoziert die ewige Frage nach Sehen und Hellsehen: Wo gehen wir hin, wer ist der Blinde, ist es der, der in der Nacht den Weg sucht oder derjenige, der auf dem Weg seine Nacht ignoriert. In "Kollisionen" wird der Blindenstab zur Videokamera, der Monitor zum Bezugspunkt.

Das Gebilde geht über in eine technologische Sphinx: Spekulationen über die Ängste und Unabwägbarkeiten werden thematisiert, der Ödipus unserer Zukunft tritt auf.

Wieder wechselt die Szene: Eine junge Braut im Glasfiber-Kleid genießt ihre kathodische Hochzeit und Dracula ernährt sich in seiner finsteren Leidenschaft von Elektronen am Bildnis seiner Schönen.

Ein phantastischer Wagen ist Allegorie, wo Pferd und Ritter die Unendlichkeit der Mikroschaltkreise überdecken, ratternde Schnelldrucker produzieren fleisch- und himmelsfarbene graphische Schleppen.

Das Schlußbild bildet die Anbetung der Hirten und eine wie versteinerte Jungfrau. Das Computerkind nimmt die frommen Ehrungen seiner Zeitgenossen entgegen. Hoch oben in der Kathodenkrippe, im Scheine eines digitalen Lächelns.

Bühnengestaltung/Videoinstallationen/Kostüme
Jede Figur ist "eingefangen" in ein Kostüm, das aus elektronischen Komponenten gebildet wird: Video, Computer, Printer, Etikettierer usw.

Die verschiedenen Figuren (Blinde, Braut, Dracula, Sphinx, die Allegorie "Ergonomie/Interaktion", die Anbetung der Hirten, Jungfrau mit dem Kinde) folgen einander, begegnen sich in Szenen und Tableaus, die eine Chronologie des Spektakels herstellen. Gleichzeitig erzeugen die Figuren, gemeinsam mit den Bildern, die von Kameras geliefert werden, Fragmente von Gesichtern, verschiedene Maßstäbe und Winkel, in der jeweiligen Situation eingefangen. Die diskrete Manipulation der Videoregie, in Art einer graphischen Komposition, erzeugt im szenischen Raum eine Wiederbelebung der gewollten Beziehung zwischen "lebenden Szenen" und den integrierten Video-Bildern.

Die Komposition einer neuen Fiktion auf den Bildschirmen, der Ausfluß dieser Inbetriebnahme durch die Live-Prozesse der Schauspieler ermöglicht es, daß das verdoppelte und neu erzeugte Bild in der Gesamtdramaturgie wie ein eigener Darsteller seine Rolle spielt.

Eine besondere Beziehung zur Musik etabliert sich durch die Verwendung des Manorine (System: Video-controlled Synthesizer), das ausgehend von einem Videobild Parameter einfügt, die ihrerseits auf einen von einem Komponisten vorprogrammierten Synthesizer reagieren oder Musik verändern.

Musik:
Drei Komponisten arbeiten vom Beginn der Bühnenereignisse an, schlagen Transformationsregeln vor, die die verschiedenen Klangräume begründen. Durch ein direktes Veränderungsspiel setzt sich eine Geste fort, von einer Bewegung zu einem Bild, wiederübertragen vom Auge der Kamera, verarbeitet vom Bild zum Ton. Dieser gelangt zu den Musikern (ein Schlagzeug und zwei Synthesizer) und läßt so eine musikalische Struktur entstehen, die alle Elemente dieser Schwingung vereinigt. Unsichtbar darunter ist das Manorine, das vom Videobild ausgehend Steuersignale für den Synthesizer liefert, der auf diese Weise die konkreten Klänge verarbeitet. Die Maschine filtert und decodiert Bewegungen und Klänge, um neue zu erzeugen, die die "Operateure" vorplanen und orchestrieren.

Insgesamt können die Interaktionen immer wieder verändert und redigiert werden, in einem Netzwerk ständiger Bewegung. Die Struktur bleibt also offen, schreitet fort.

Erfinder der Manorine ist Sylvain Aubin (Patent bei: Centre National d'Etude des Télécommunications; Auswertung: IMEDIA).

Grundidee des Manorine ist die Schaffung eines interaktiven Klangraums, in dem Bewegung und Position eines Körpers die Klangerzeugung kontrollieren.
"Erleben wir derzeit nicht gerade eine einschneidende Veränderung unserer Lebensgewohnheiten, unseres Verhaltens, unserer Mentalität, unserer Kultur? Neue Technologien verändern unsere Städte, unsere Freizeit, die Arbeitswelt und sogar unsere Beziehungen zueinander. Und dies geschieht mit einer Radikalität, die wahrscheinlich beispiellos ist in der Geschichte der Zivilisation. Eine Veränderung, die also hervorgerufen wird durch die gewaltige Ausbreitung des gegenwärtigen maschinellen Universums.

In dieser veränderten Umwelt erhält auch das Theater eine neue Dimension. Denn es muß – zumindest ist dies eine seiner Konstanten – den Zeitgenossen die Darstellungen der Welt so präsentieren, daß es eine sensible und poetische Dechiffrierung der großen Fragen, die uns heute beschäftigen, provoziert.

Dies mag eine Erklärung für das technologische Anliegen sein, das bei TRANSCENIC in zweifacher Weise geäußert wird: Einerseits gilt es, über den künstlerischen Bereich Anwendungen zu erforschen mit der Zielsetzung, neue Systeme, neue Generationen von Werkzeugen und Apparaten, von echten oder scheinbaren Bildern in die szenische Gestaltung zu integrieren und so teilzunehmen an einer Neuerfindung der szenographischen Architektur und der schauspielerischen Wahrnehmung, in dem eine neue "Maschinerie" der Fiktion geschaffen wird. Darüber hinaus sollen anderseits – nachdem es ja kein neutrales Medium gibt – Stellenwert und Funktion dieser Technologien in den fortgeschrittenen industriellen Gesellschaften von verschiedenen Gesichtspunkten aus hinterfragt werden: Gedankenwelt, Ideologie, Mythologien, individuelles und soziales Verhalten. Um dies zu tun, gehen wir von der Basis des 'Lebendigen' auf der Bühne aus und davon, was dies für die Inszenierung der Beziehung Mensch/Maschine zuläßt."


P. Friloux-Schilansky

Die Firma COMPUTER-VIDEO-FILM
Die Firma COMPUTER-VIDEO-FILM wurde im April 1983 von Cesare Massarenti, Guy Seligman, Guy Sachez und Roger Serre gegründet. Sie stellt allen Kreativen leistungsfähige Computer für die Schaffung zwei- und dreidimensionaler Bilder zur Verfügung.
Die Eigenart der Firma ist auf eine globale Anschauung der neuen Technologien zurückzuführen, die nicht von Technikern, sondern von den Künstlern bestimmt wird. Durch ihre Ausrüstung mit computergesteuerten Schnittsystemen für Film und Video steht COMPUTER-VIDEO-FILM an der Spitze im Bereich der neuen Technologien.
LEAS / Laboratoire d'électronique
Zwei junge Ingenieure, Jean Angelidis und Jacques Sarrault, sind die Leiter dieses Unternehmens, dessen Aktivität auf die angewandte Erforschung der Analog-Elektronik und der Mikroinformatik gerichtet ist, die von der Herstellung eines Prototypen bis zur Produktion von Kleinserien reicht.
AVP (Antwerp Video Projekts)
Jo Vandormael – Erwin Sampermans – Chris Corens – Patrick van Linden – Dees van der Geer.

Eine Gruppe von jungen flämischen Kunstschaffenden, die an den "Neuen Bildern" arbeiten.
Ihre Arbeit konzentriert sich auf das "lebende Schauspiel", und Theater oder Tanz sind für sie Material zur Weiterverarbeitung auf kinematographischem oder elektronischem (Video) Wege. Sie produzieren (bzw. koproduzieren) vor allem in Antwerpen, wo sie leben und arbeiten.

Zusammenarbeit mit TRANSCENIC, mit dem sie gerade "TEGEN HET UURWEK" ("Gegen das Uhrwerk"), Videofilm von Pierre Friloux-Schilansky, realisieren.
STUDIO GRAME, Lyon
James Giroudon, Pierre Alain Jaffrennou

Ein für alle Arten des Ausdrucks zeitgenössischer Musik offenes Studio: Instrumentalmusik, Tonbandmusik, gemischte Musik, Musiktheater – das GRAME-Studio ist eine Arbeitseinrichtung, die den Schaffenden materielle Ressourcen ebenso wie administrative oder geistige bietet. Das Studio beschäftigt sich auf dem Forschungssektor mit den neuen Technologien, besonders mit musikalischer Informatik und hier wiederum besonders mit Fragen der Schöpfung und Verteilung von Werken sowie mit den pädagogischen Aspekten.
LISTE DER TECHNOLOGISCHEN MATERIALEN FÜR „KOLLISIONEN“
1. Ton
  • Modulsystem für Synthese und Verarbeitung Type ROLAND mit mehreren Einheiten von VCOS, LFO, VCFs. VCAs, Envelope Followers, Pitch Detectors, Mixers und Sequencers.

  • Digitalsynthesizer YAMAHA DX7

  • 8-Spur-Tonband TEAC-TASCAM

  • 2´2-Spur-Hallgerät Type ROLAND

  • Digital Delay Type IBANEZ

  • Mischpult 8´4 Wege
(Der Atem der Darsteller und die Live-Percussion werden vom Modul-System analysiert, das seinerseits wiederum von den Parametern der "Manorine" gesteuert wird und die aufgezeichneten Bänder verarbeitet. Kompositionen von Barriere und Saariaho).

2. Video
  • 1 Video-Projektor Type BARCO

  • Über 20 Monitore (22 cm, 54 cm, 63 cm).

  • 8 Überwachungskameras und 3–5 sonstige Kameras für Regie-Feedback, mit externer Synchronisation.

  • 1 Video-Regiepult JVCKM 2000.
3. Elektronik/Informatik
  • Serie programmierbarer Mikroprozessormodule, eingebaut in Kostüme und Dekorationen (Licht- und Tonkontrolle etc.), entworfen und erzeugt von LEAS Laboratoire d'électronique, Grenoble (ca. zehn Module).

  • Synthetische Bilder von Pierre Friloux-Schilansky und Chiara Boeri, erzeugt bei Video Computer Films, Paris.