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Ars Electronica 1982
Festival-Programm 1982
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Festival 1979-2007
 

 

Telecommunication




Sonntag, 26. September 1982, ab 14 Uhr
Brucknerhaus und ORF-Studio

DIE TELECOMMUNICATION EVENTS
Nachrichtentausch wird gesucht über große Entfernungen; das Bildtelefon gesellt sich zur Audiomuschel; Entwicklungsstadien des Datentransfers liefern neue Ausdrucksmöglichkeiten auf der Suche nach dem Grundstoff des Menschen. Bilder verbinden sich mit Klängen aus Natur und Technik – der elektronische Summ-Brumm-Beep-Ton mit dem Krähen des Hahns. Die Absicht ist, subjektive, private, diskrete, expressive Mitteilungen zu bewahren und zu senden/empfangen angesichts der modernen Flut von standardisierter Information und Massenmedien – soul electronics vis-à-vis Systemüberlegenheit.

Telecommunication Events
Charlotte Moorman / Nam June Paik
"CONCERT"

Elizabeth Goldring
"INTERNATIONAL ALARM"

Aldo Tambellini / Sarah Dickinson
"SKYGRAM" (für Marconi)

Horst H. Baumann
"LASER VIDEO" in Zusammenarbeit mit Nam June Paik
DOUGLAS DAVIS
Jamie Gambrel! Jamie Gambrel! Ich habe Dich im Café gesehen. Ich bin gerade hereingekommen und hielt nach Freunden Ausschau, sprang unwillkürlich auf. Ich bemerkte, daß ich den Tisch nicht verlassen konnte, weil mein Essen und mein Mantel noch da waren. Ich sagte mir: "Warum rufst du nicht einfach ihren Namen? Du kennst sie so gut wie deine eigene Tochter." – aber mir fiel der Name nicht ein. Als Du das Café verlassen hattest, versuchte ich Dich noch zu erreichen, aber es war zu spät. Dann fiel mir der Name ein. Das passiert manchmal unter Zwang: Man vergißt die Namen von Leuten, die man am besten kennt. So vergesse ich immer die Namen von Leuten, die an Partys teilnehmen, besonders an meinen eigenen Partys, bei denen ich 14 oder 15 Leute aus aller Welt einlade. Sie treffen zusammen und ich kann mich nicht mehr an ihre Namen erinnern.

Was ich Ihnen begreiflich machen will, steht auch in Beziehung zu dem, was ich Ihnen jetzt in einer mystischeren und unkonventionelleren Weise sagen werde. Ich spreche hier über menschliche Schwächen. Ich glaube, wenn wir über neue Werkzeuge, neue Horizonte und neue Wege zum Entlangspazieren, zum Erstürmen oder zum Hinunterfallen – der Computer ist ein perfektes Beispiel für dies und die Telekommunikation ist ein anderes Beispiel – zu diskutieren beginnen, so vergessen wir meist, daß es nicht die Werkzeuge sind, die Entscheidungen treffen und handeln, sondern daß wir es sind, wir – mit allen unseren Fähigkeiten und Schwächen. Die Arbeit mit Telekommunikation ist nicht leichter als z. B. Zeichnen oder Maschinschreiben. Es ist alles sehr schwierig, und es wird immer schwieriger, je mehr man mit der Materie vertraut ist. Ich glaube, daß das manchmal vergessen wird. Wir vergessen ganz einfach, darüber zu sprechen.

Eben kommt Otto herein, genau in dem Moment, indem ich etwas sage, mit dem er nicht übereinstimmen dürfte, Ich spreche über die menschlichen Schwächen und ihre Fortdauer, wie menschliche Schwächen bestehen, egal wie entwickelt oder exotisch das Werkzeug oder die neue Aufgabe, an der du gerade arbeitest, sind – wie z. B. mein fortwährendes Vergessen von Namen.



Artur Clark schrieb 1945 ein Grundlagenwerk über Satelliten – mit dem Titel "Extraterrestrial Relays". Die Behauptungen, die er vertrat, formulierte er sehr vorsichtig. "Viele könnten meine Behauptung sehr verwegen finden", sagte er. Er schlug vor, ein Satellitensystem 22.000 Meilen von der Erde entfernt zu errichten. Bei dieser Entfernung würde ein Satellit genau einen Tag für die Erdumkreisung benötigen – würde er sich über dem Äquator befinden, so würde es aussehen, als ob der Satellit fixiert sei. Da die Raketen im Anfangsstadium technisch noch nicht sehr entwickelt waren, mußten sie sehr niedrig fliegen. Aber als 1965 SymCom 3 für die Olympischen Spiele in Tokio eingesetzt wurde, bestätigte sich Artur Clarks Voraussage eines weltumfassenden Radio- und Televisionssystems: "Es wird neue Technologien geben, ganz neue Dimensionen, und wir werden keine Vergleichsmöglichkeiten haben. Zum ersten Mal werden Menschen zur Bevölkerung eines anderen Landes sprechen, man wird Bilder in ihre Heime übermitteln – mit oder ohne Beteiligung von daran interessierten Regierungen."



Das war mein erster Versuch, einen Satelliten zu verwenden: für eine Audio-Botschaft, die von einem Stockwerk des Astrodomes in Houston, Texas, am 29. Dezember 1976 gesprochen wurde. Der Titel der Arbeit ist "Sieben Gedanken", die wir versuchten, in jedes Land der Erde zu senden. Die Performance grenzte ein bestimmtes Feld ab, während die Kamera und das Mikrophon, die mit dem Satelliten verbunden waren, langsam herunter kamen. Jedes Land wurde vorher telegrafisch verständigt, daß wir eine freie, private Botschaft an alle Bürger senden wollten. Ich weiß nicht, wie viele Länder uns eine Zusage gaben.

Auf unsere Flut von Telegrammen erhielten wir nur eine Antwort. Gerade als die Performance begonnen hatte und ich nicht mehr aufhören konnte, kam ein Telefonanruf aus Bombay, Indien. Sie wollten wissen, was denn die "Sieben Gedanken" wären, bevor sie sie im Radio senden würden. Weil wir keine Zeit mehr hatten, erzählten wir ihnen, daß es eine gute Botschaft für das neue Jahr sein würde. Die politische Absicht, alle Gedanken zurückzudrängen, war folgende: die Öffentlichkeit sollte provoziert werden, im Nachhinein zu fragen, warum sie die Botschaft nicht hören durfte.



Die wichtigste Erfahrung, die gewonnen wurde, ist das Ergebnis einer Begegnung – ob wir nun am klügsten daran tun, uns von ihr leiten zu lassen oder ihr zu widersprechen, bleibt dahingestellt. Auch ich habe versucht, dem Satelliten zu widersprechen, ihn in einen Liebesbrief umzuwandeln und ich habe auch versucht, der ganzen Lebensauffassung und dem Bürokratismus zu widersprechen. Es gibt noch viele bzw. andere Widersprüche zu bewältigen. Vor allem müssen wir uns der Meinung widersetzen, daß Telekommunikation irgend jemand für sich allein beanspruchen könnte. – Seien es nun profitmachende Organisationen oder allmächtige staatliche Strukturen … Das ist die entscheidende Grundlage für den Gebrauch von Television, die wir sowohl im Westen als auch im Osten akzeptieren müssen. Wir haben noch nicht instinktiv erfaßt, daß uns Television gleichermaßen offensteht – wie ein Blatt Papier oder wie ein klarer weißer Raum einer Galerie. Keine der technologischen Änderungen, die das Medium Television erneuert – ich hatte schon mehrmals Gelegenheit, über dieses Thema zu sprechen –, wird uns nützen, wenn wir nicht dieses Gedankengut in uns tragen. Die Herausforderung der achtziger Jahre ist geistiger Natur, nicht finanzieller oder technischer (Natur).

Auszug aus: "Artists' Telecommunication", Vortrag bei der "Sky Art Conference 81, 26. September 1981
DOUGLAS DAVIS
… Auch glaube ich – ich sage das schnell und romantisch –, kann ich mich hier nicht mit Studien und Fakten herumschlagen – ich glaube also, daß ein durchschnittlicher Zuseher sowie ein durchschnittlicher Leser oder ein Betrachter einer Zeichnung, durchaus in der Lage ist, seine eigenen Wahrnehmungen und Gefühle unter Kontrolle zu haben, um so seine eigenen Entscheidungen treffen zu können. "Wahrnehmungen" sind immer individueller Natur. Wir kennen dieses Phänomen bei den Künstlern.

Jene von uns, die zeichnen, malen, bildhauern oder Druckgrafiken machen, sind sich der "Individualität der Wahrnehmung" bewußt. Auch Politiker kennen dieses Phänomen. Ich glaube, daß jene, die versuchen, Menschen via Bildschirm zu programmieren, öfter versagen als sie Erfolg haben. Ich könnte hier eine Menge Beispiele von sozialistischen Ländern, die ich besuchte, anführen, wo es totale staatliche Bevormundung und Kontrolle der Kommunikationssysteme gibt. Die Leute glauben nicht alles, was ihnen in den offiziellen Zeitungen oder am Bildschirm gesagt wird.

Betrachten sie einmal die "Solidarität" in Polen. Als jemand das verletzende Wort "die Massen" verwendete, fiel mir die "Solidarität" ein. Schauen Sie sich an, was die Massen in Polen zuwege gebracht haben. Haben Sie das vor ein oder zwei Jahren voraussagen können? Oder wie steht es bei Marx? Wurde es von irgend jemandem prophezeit? Nein – gar nicht! Und es ist erneut ein Beispiel dafür, daß Wahrnehmung individueller Natur ist. Alle großen Planer, die Retter und die Zerstörer der Menschheit, können daher letzten Endes nie absoluten Erfolg haben.

Auszug von "Sky and Space: Art, Information and Education" (Himmel und Weltraum: Kunst, Information und Erziehung) Vortrag bei Sky Art Conference 81 am 26 September 1981
Charlotte Moorman / Nam June Paik:
"TV CELLO"
Paik kam 1964 nach Amerika. Am selben Tag als wir uns kennenlernten, wurden wir Partner. Seit Juli 1964 erarbeiten wir gemeinsam Performances. Ich möchte in Linz gerne das "TV Cello" zeigen, das er 1971 für mich geschaffen hat. Es ist ein altes Stück – aber wir möchten es aufführen, weil in Deutschland ein anderes Cello für uns gebaut wurde. – Wie Sie wissen, wird dort das PAL-System verwendet, das 620 Abtastlinien hat, während unser amerikanisches System ungefähr 535 Abtastlinien hat. Daher würde es unklug sein, das amerikanische TV Cello in Europa zu machen, es würde kein Bild ergeben. Die Firma Graetz TV machte mir ein großartiges TV Cello, ähnlich dem, welches ich in Amerika verwende. Dieses werde ich mit Paik bei Ars Electronica in Linz spielen.

Interview aufgezeichnet am 6. August 1982 in New York City
Elizabeth Goldring:
„INTERNATIONAL ALARM“
Inhaltsangabe für "INTERNATIONAL ALARM":
Im Sinn einer Reise durch unsere globale Umwelt werden simultane Tonevents in einem räumlichen Dialog bewegt und stellen die Verbindung dar zwischen der physischen Ambience der Natur (Hahnenschreie) und einer ganz besonders bedrohlichen Gegenwart (Nuklearschlag). Die Laute von Hühnern (und anderen Tieren) in den Straßen verdeutlichen das Wissen um diese gefährliche Verbindung, sie stellen friedliche Gesten dar und aktivieren eine Menge Artgenossen. Inmitten dieser bedrohlichen Gegenwart thront Ruhe (von der Politik betrieben), doch dieses Alarmnetz breitet sich aus in einem wiederholten Antiklimax von Alarmrufen. Man hört ständige Reflexionen über einen möglichen Krieg durch die Kinderstimmen. Schließlich durchdringen die unterschwelligen Töne der Kinderstimmen eine internationale Übertragung, vermitteln ein letztes Zeichen des Friedens, rufen zur Tat. Sie erwecken andere Kinder, ein internationaler Chor von Kindern verkündet das Tagen eines neuen Morgens, der das Leben in ihrer neuen Weit ändern soll.