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Ars Electronica 1982
Festival-Programm 1982
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Festival 1979-2007
 

 

Galaxie Cygnus-A


'Michael Weisser Michael Weisser / 'Robert Schröder Robert Schröder

Sonntag, 26. September 1982, 20 Uhr
ORF-Landesstudio Oberösterreich, Linz, Franckstraße 2 a
Uraufführung

IDEE UND GESAMTKONZEPT: Michael Weisser

MITWIRKENDE:
Robert Schröder, Musik
Michael Weisser, Visualisierung

LP-REALISATION: Robert Schröder
VIDEO-REALISATION: Michael Weisser

Das Projekt wird mit freundlicher Unterstützung der MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT für Radioastronomie in Bonn und den Technikern am 100-m-Radioteleskop in Effelsberg/Eifel realisiert.

Für technische Beratung sei Mitarbeitern der ERNO-RAUMFAHRT-GesmbH, Bremen, herzlich gedankt.

GALAXIE CYGNUS-A
Das Projekt "Galaxie Cygnus-A" lag bereits zwei Jahre lang als Science-fiction-Kurzgeschichte auf dem Schreibtisch seines Autors, bevor es für die diesjährige Ars Electronica im Rahmen eines internationalen Science-fiction-Symposions in Linz als Live-Demonstration umgesetzt wurde.

Der Bremer Fotodesigner und Publizist Michael Weisser zeichnet für das Konzept und die farbige Bildproduktion dieses ungewöhnlichen 55-Minuten-Stückes verantwortlich.

Als Ausgangspunkt für Bilder und Klänge ist die Strahlung der Radiogalaxie Cygnus-A gewählt worden, die 1050 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Schwan liegt. Die Strahlung von Cygnus-A wird vom größten beweglichen Teleskop der Welt in Effelsberg/Eifel empfangen und in den hörbaren Frequenzbereich umgesetzt. Es entsteht ein sogenanntes "weißes Rauschen", dessen eintönig erscheinender Singsang im Zuhörer die eigenen Phantasien stimuliert. Bei längerer Konzentration auf dieses weiße Rauschen von Cygnus-A verfällt man in eine Art meditative Stimmung und glaubt Klänge zu hören und Bilder zu sehen. Es sind die Bilder der eigenen Phantasie, die sich dem Publikum eröffnen.

Der Fotodesigner Michael Weisser und der Musiker Robert Schröder haben ihre Visionen in Farbdias und elektronisch erzeugte Klänge umgesetzt und im Teamwork eine Synchronisation dieser beiden Medien erreicht.

Bild und Ton sind auf die Zehntelsekunde aufeinander abgestimmt und die spezielle Technik der weichen Überblendung von einem großprojizierten Bild zum anderen ergibt frappierende Zwischenbilder, deren Farben- und Formenverläufe einen hohen Grad an Ästhetik erreichen. 1200 einzelne Diapositive waren notwendig, um jene 160 einzelnen Aufnahmen auszuwählen, die über zwei Projektoren auf die Leinwand gestrahlt werden und die den differenzierten musikalischen Stimmungen entsprechen.

Die Zuschauer sind in nächster Nähe der zwölf Quadratmeter großen Leinwand plaziert und werden durch das ungewohnt große Projektionsformat in die visionären Bildwelten eingebunden. Die Bilder sind, wie die Musik, offen angelegt, bieten verschiedene Möglichkeiten der Interpretation, sind ungewohnt und neu, wechseln zwischen Harmonie und Disharmonie, zwischen Ordnung und Chaos und sind eingebunden in eine umfassende Dramaturgie. Bilder und Klänge bieten dem Publikum die Möglichkeit der Beteiligung, indem jeder seine Vorstellungen einbringen kann. Das ästhetische Ereignis will Anregungen bieten, will die Phantasien der Beteiligten stimulieren und will deutlich machen, daß die "Stimme" einer fernen Galaxie, weitab von unserem Sonnensystem zugleich in jedem einzelnen Teil dieses Universums "lebt".

Zum Projekt "Galaxie Cygnus-A" erscheint eine LP bei der IC/Winsen und eine stereophone Farbvideokassette in einer limitierten Auflage.
VORBEMERKUNG
Die Idee zu dem optisch-akustischen Event "Galaxie Cygnus-A" entstammt dem literarischen Science-fiction-Repertoire des Publizisten und Fotodesigners Michael Weisser, der in dem Elektroniker Robert Schröder einen bemerkenswerten Partner gefunden hat.

Die Visionen, die dem Projekt zugrunde liegen, verschmelzen die beiden kreativen Arbeitsbereiche Kunst und Wissenschaft.

Die "Galaxie Cygnus-A" entzieht sich den menschlichen Sinneswahrnehmungen; man kann sie weder sehen noch hören, riechen, schmecken, fühlen … dennoch ist es aufgrund einer aufwendigen Technologie gelungen, ein "Erscheinungsbild" dieser 1050 Million Lichtjahre entfernten Radioquelle zu gewinnen: Das weiße Rauschen … dringt an unsere Ohren wie ein fernes Flüstern:
… Hörst Du die Stimmen von Cygnus-A
In unseren Gedanken lebt Cygnus-A
Wir sind ein Teil von Cygnus-A

Im weißen Rauschen von Wellenchören
liegen Farben und Formen und Klänge
und wir lauschen den Normen und hören
die Worte der Strahlengesänge

Hörst Du die Stimmen von Cygnus-A
Aus weiten Räumen von Cygnus-A
Aus unseren Träumen steigt
Hörst Du die Stimmen …
DAS OPTISCH-AKUSTISCHE EVENT
Das weiße Rauschen der Radiogalaxie Cygnus-A wird zur Grundlage eines optisch-akustischen Events, dessen Uraufführung während der Ars Electronica 1982 stattfindet.

Empfangen wird das Signalbündel vom Radioteleskop in Effelsberg/Eifel, um die Grundlage abzugeben für ein bislang einmaliges künstlerisches Projekt:

Rumpeln … Ströme fließen … Kräfte wirken … 3200 Tonnen Stahlkonstruktion werden bewegt.

Eine perfekte Technologie folgt den Befehlen des Computerprogramms. Das größte bewegliche Radioteleskop der Welt erreicht die Koordinaten vom Sternbild "Schwan", dem Standort der Galaxie "Cygnus-A":

ä 50 = 19h.57m.44s.4
S 50 = 40°.35'.45" Aus einer Entfernung von 1050 Million Lichtjahren treffen die Strahlen auf den 100-m-Spiegel.

Das weiße Rauschen klingt wie das Rollen der Meere, denen das Leben entstiegen ist; es klingt zugleich wie der begeisterte Beifall eines Publikums, das der Schöpfung zu applaudieren scheint.

Im weißen Rauschen von Cygnus-A liegen die Möglichkeiten und die Grenzen des Lebens, denn es trägt die Vision ebenso wie die Wirklichkeit.

Das weiße Rauschen von Cygnus-A strahlt mit Lichtgeschwindigkeit aus der Unendlichkeit des Alls, es ist der Chor des Lebens, der von der Geburt der Planeten singt, von der Glut der Sonnen, den Kräften der Gravitation und den ausgebrannten Schlackekugeln.

Die kosmischen Stimmen erzählen von Roten Riesen und Weißen Zwergen, von Schwarzen Löchern, sterbenden Sternen und Pulsaren … und wir lauschen den Gesängen, die fremd sind und zugleich vertraut, bis wir die Bilder sehen, die Farben.
DER SENDER
Cygnus-A, auch als 3C405 bezeichnet, ist eine Radioquelle im Sternbild des Schwan.
Mit einer Leistung von 1038 Watt zählt Cygnus-A zu den energiereichsten Strahlungsquellen, die bislang im gesamten Universum registriert worden sind.

Nach der Entdeckung der optischen Erscheinung im Bereich von Cygnus-A im Jahr 1946 vergingen rund fünf Jahre, bis Radioastronomen erkannten, daß innerhalb der sichtbaren Phänomene des Galaxie-Riesen vom Typ D zwei außergewöhnlich starke Strahlungsquellen liegen.

Am 5-km-Radioteleskop im Cambridge wurde bei einer Beobachtungsfrequenz von 4750 MHz auf der 6-cm-Wellenlänge eine starke Radiostruktur gemessen:
Die Strahlung von Cygnus-A.
Sie bildet die Grundlage für das künstlerische Event.
DER EMPFÄNGER
Das Radioteleskop in Effelsberg/Eifel stellt mit einem Durchmesser von 100 Meter nicht nur den größten vollbeweglichen Empfänger dar, sondern es kann auch, infolge der hohen Oberflächengenauigkeit seines Spiegels, bis zu einer kürzesten Wellenlänge von 7 mm genutzt werden.

Das Radioteleskop ist an das Max-Planck-Institut/Bonn angeschlossen, das sich nahezu allen Fragestellungen zuwendet, die für die beobachtende Radioastronomie in Frage kommen.

Das Radio-Oberservatorium in Effelsberg ist zur Datenreduktion mit dem Großcomputer CYBER 172 im Bonner Institut verbunden.

Technische Einzelheiten des Radioteleskops:
Reflektordurchmesser: 100 m
Antennenfläche: 7850 m
Genauigkeit: ±1 mm
Brennweite: 30 m
Hilfsspiegel (Gregory-Reflektor) Durchmesser: 6,5 m
Breite der Antennenkeule
– bei 6 cm Wellenlänge: 2,5'
– bei 1,2 cm Wellenlänge: 35"
Durchmesser Schienenkranz: 64 m
Justierungsgenauigkeit: ±0,2 mm
Drehbereich: ±360°
Radius Zahnkranz: 28 m
Kippbereich: von 7° bis 94°
Gesamtgewicht: 3200 t
Bauzeit: 1969–1971
Inbetriebnahme: 1972

Die Einstellungsdaten auf die Galaxie Cygnus-A:
Azimut: 118° 4' 56"
Elevation: 72° 50' 48"
Polarisation: LHC
Keule: 2,5 AZM
2,35 ELV
Empfänger: 6-cm-RX-Sekundärfokus
DIE BOTSCHAFT
Die Strahlung der Radioquelle Cygnus-A hat eine Distanz von 1050 Millionen Lichtjahre zurückgelegt, bis sie die Oberfläche unseres Planeten Erde erreicht.

Dort trifft sie auf den Reflektor des 100-m-Radioteleskops in Effelsberg, wird von der leistungsfähigen Elektronik milliardenfach verstärkt und in den Bereich der Tonfrequenz umgesetzt.

Bei dieser Transformation überlagert sich das Signal dem vom Verstärker selbst erzeugten Rauschen und modifiziert das akustisch wahrnehmbare Phänomen in spezieller Weise.

Das Signal von Cygnus-A provoziert eine besondere Form der Kommunikation, die erst im unmittelbaren Zusammenwirken von Senderimpuls und Empfängerelektronik entsteht.

Bislang ungeklärt ist der Inhalt der Botschaft!

Das akustisch umgesetzte Signal von Cygnus-A besteht aus dichtgedrängten, nichtperiodischen Schwingungen, die sich zu einem einzigen kompakten Geräusch verbinden: Dem weißen Rauschen.

Die Frage nach dem Sinn dieser offenen Botschaft muß sich jeder Hörer selbst stellen … die Antwort wird er in den Klängen und Bildern finden, die sich ihm erschließen.

Das Event Cygnus-A bietet eine Anregung – nicht mehr!
DAS KÜNSTLER-TEAM
Der Fotodesigner Michael Weisser und der E-Musiker Robert Schröder haben sich vom weißen Rauschen der Radioquelle Cygnus-A inspirieren lassen.

Sie haben sich auf die nichtperiodischen Schwingungen konzentriert, die zu einem einzigen Geräusch gebündelt sind, und sie haben ihre Visionen in Bildern und Klängen festgehalten.
DIE LANGSPIELPLATTE "GALAXIE CYGNUS-A"
Der akustische Anteil des Projekts ist auf einer LP gespeichert, die von der IC in Winsen/Aller herausgegeben wurde.
DIE VIDEOKASSETTE "GALAXIE CYGNUS-A"
Das geschlossene Werk liegt in einer synchronen Komposition von Bild und Ton als künstlerische Videokassette in Farbe vor.