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Ars Electronica 1980
Festival-Programm 1980
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Festival 1979-2007
 

 

Linzer Stahlsinfonie


'Klaus Schulze Klaus Schulze / 'Adolf Gabriel Adolf Gabriel / 'Ferdinand Hieslmair Ferdinand Hieslmair / 'Walter Obermühlner Walter Obermühlner / 'Erich Slavik Erich Slavik / 'Franz Stütz Franz Stütz / 'Helmuth Wagner Helmuth Wagner

ERÖFFNUNG ARS ELECTRONICA '80
Montag, 8. September 1980, 19.30 Uhr
Brucknerhaus, Großer Saal

LINZER STAHLSINFONIE
von Klaus Schulze, Stahlarbeitern und Maschinen der VOEST-ALPINE

Gemeinsame Eröffnung der ARS ELECTRONICA 80 und der Informatik-Fachtagung "Informationssysteme für die achtziger Jahre".

ES SPRECHEN:
Univ.-Prof. Dr. Arno Schulz, Österreichische Gesellschaft für Informatik
Landesintendant Dr. Hannes Leopoldseder, ORF
Bürgermeister Franz Hillinger
Landeshauptmann Dr. Josef Ratzenböck

Montag, 8. September 1980, 20.05 Uhr, Brucknerhaus, Großer Saal:
URAUFFÜHRUNG DER "LINZER STAHLSINFONIE" VON KLAUS SCHULZE, STAHLARBEITERN UND MASCHINEN DER VOEST-ALPINE AG, LINZ

MITWIRKENDE:
Adolf Gabriel, 1. Ofenmann, Hochofen IV;
Ferdinand Hieslmair, Vorwalzer, Steuerstand IV; Breitbandstraße;
Walter Obermühlner, Kontrollor, Scherenstraße Kaltwalzwerk II;
Klaus Schulze, Elektronikmusiker;
Erich Slavik, Flämmer, Flämmerei im LD-Stahlwerk III;
Franz Stütz, Steuermann, Drückbank in der Schmiede;
Helmuth Wagner, 1. Tiegelmann, Tiegel-Plattform – LD-Stahlwerk II

IDEE UND GESAMTKONZEPTION "LINZER STAHLSINFONIE":
Klaus Schulze;
Hubert Bognermayr, Dr. Hannes Leopoldseder, Ulli A. Rützel

VIDEO-REALISATION LINZER STAHLSINFONIE:
Claus Cordes, Alwin Sauter, Klaus Schulze, Alois Sulzer, Bruno Wirlitsch

Die "Linzer Stahlsinfonie" wird in Zusammenarbeit und mit Unterstützung der VOEST-ALPINE und MOBIL OIL AUSTRIA AG durchgeführt.


ARS ELECTRONICA '80 wird mit einer musikalischen Aktion eröffnet, die in modellhafter Weise die Integration von Arbeitswelt und Kunst versucht: Mit der Uraufführung der Linzer Stahlsinfonie, einer musikalischen Aktion mit dem Elektronikmusiker Klaus Schulze, Stahlarbeitern und Maschinen. Der Linzer Stahlsinfonie im Großen Saal des Brucknerhauses liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Ausgangspunkt der elektronischen Musik-Aktion sind sechs Industrieanlagen des Eisen- und Stahlkonzerns VOEST-ALPINE in Linz. Die VOEST-ALPINE ist das größte Industrieunternehmen Österreichs. Aus den Werks- und Industrieanlagen werden über Mikrophone und Leitungen die Geräusche der Maschinen, die den akustischen Umraum des einzelnen Arbeiters bilden, quer durch Linz in den Großen Saal des Brucknerhauses geführt.

Diese Geräusche werden von Klaus Schulze in reiner Form sowie elektronisch moduliert als Basis für die Komposition "Linzer Stahlsinfonie" verarbeitet.

Bei den Werks- und Industrieanlagen handelt es sich um folgende Bereiche:
Hochofen IV (35 Arbeiter, ca. 2000 t Roheisen täglich)
Breitbandstraße (160 Arbeiter, ca. 2,000.000 t Bleche pro Jahr)
Flämmerei im LD-Stahlwerk III (100 Arbeiter, 1,000.000 t Strangguß geflämmt LD II, LD III pro Jahr)
Scherenstraße Kaltwalzwerk II (320 Arbeiter, 500.000 t kaltgewalzte Bleche pro Jahr)
Schmiede (310 Arbeiter, 40.000 t Schmiedeerzeugnisse pro Jahr)
Tiegel-Plattform-LD-Stahlwerk II (520 Arbeiter, 1,500.000 t Rohstahl pro Jahr)

Menschen und Maschinen dieser Industrieanlagen der VOEST-ALPINE bilden die Basis für das musikalische Ereignis im Brucknerhaus. Die ins Brucknerhaus übertragenen Geräusche werden in der Folge elektronisch verfremdet und bilden somit den Übergang zur Komposition "Linzer Stahlsinfonie".

Der musikalischen Dimension der "Linzer Stahlsinfonie" entspricht der optische Aspekt: Aus einer Industrieanlage, und zwar aus der Schmiede mit einer 60-Tonnen-Presse wird über eine TV-Kamera live das optische Geschehen ins Brucknerhaus übertragen. Dem musikalischen Geschehen entsprechend wird das reale Bild im TV-Studio des Österreichischen Rundfunks über GRASS VALLEY verfremdet und ist für das Publikum über Eidophor im Brucknerhaus zu sehen. Wie in der musikalischen Komposition gehen in der Visualisierung reale Bilder, Verfremdungen und Computergraphiken entsprechend dem musikalisch-rhythmischen Ablauf ineinander über. Durch die Live-Aktion kommt der "Linzer Stahlsinfonie" ein hoher Faktor an Spontanität, Unmittelbarkeit, aber auch Risiko zu. In ihrer Gesamtkonzeption ist die "Linzer Stahlsinfonie" ein Experiment in drei Richtungen:

1. DAS MUSIKALISCHE EXPERIMENT:
Für Klaus Schulze ist die "Linzer Stahlsinfonie" das einzige Live-Konzert, das er in diesem Jahr gestaltet. Zum ersten Mal liegt für den Komponisten und Musiker Klaus Schulze die Basis für ein Konzert nicht in seinem eigenen Bereich, sondern außerhalb von ihm – nämlich im akustischen Umraum von Eisen- und Stahlarbeitern.

Der Künstler hat sich die bei den einzelnen Maschinen entstehenden und teilweise auch rhythmisch ablaufenden Klangfolgen als Basis für die Komposition live am Ort angehört und sich für die Ausarbeitung einer Partitur notiert.

Beim Konzert bekommt der Elektronik-Musiker diese Klänge aus den Industrieanlagen der VOEST-ALPINE und verwendet diese zur Steuerung (Trigger) seiner Synthesizer- Burgen bzw. seiner In Form eines Headarrangements verarbeiteten Komposition.

Zusätzlich werden die Naturklänge über Ringmodulatoren, Vocoder, neu entwickelte Musikcomputer, pitch to voltage Module, digitale Verzögerungs- und Hallgeräte, diverse Filter etc. zu elektronischen Klangteppichen verarbeitet.

Klaus Schulze als Solo-Elektroniker verfügt über die größten Live-Synthesizer-Burgen der Welt, die für das Linzer Konzert mit den zwei neuesten Digital-Live-Musikcomputern von Fairlight und GDS sowie 20 speziell entwickelten Gongs unterstützt werden. Die Klangteppiche aus Maschinengeräuschen und elektronisch verfremdeten Maschinengeräuschen werden durch die frei spielbaren Synthesizer spontan zu einer Rock-Sinfonie geformt.
2. DAS TECHNISCH-KÜNSTLERISCHE EXPERIMENT:
Für die elektronische Musik-Aktion "Linzer Stahlsinfonie" sind über eine Vielzahl von Bild- und Tonleitungen an 6 Industrieanlagen der VOEST-ALPINE, das Ton- und TV-Studio des Österreichischen Rundfunks, Landesstudio Linz, und der Große Saal des Brucknerhauses verbunden.

Das die halbe Stadt Linz umspannende Leitungsnetz ist die Grundlage für die musikalische Aktion. Als Live-Aktion ist das Geschehen in hohem Maße an Zufall, Spontanität und Unmittelbarkeit gebunden. Die "Linzer Stahlsinfonie" ist aber nicht mehr allein das Werk eines Musikers und Komponisten: Neben der akustischen Umwelt der Industrieanlagen tauchen als Mitwirkende zum ersten Mal bei einer Uraufführung eines Konzertes stellvertretend für die in der Industriestadt Linz tätigen Arbeiter ungewohnte Berufsbezeichnungen auf:
Adolf Gabriel, 1. Ofenmann;
Ferdinand Hieslmair, Vorwalzer;
Walter Obermühlner, Kontrollor Scherenstraße;
Erich Slavik, Flämmer;
Franz Stütz, Steuermann bei der Drückbank in der Schmiede;
Helmuth Wagner, 1. Tiegelmann im LD-Stahlwerk 11

Die "Linzer Stahlsinfonie" ist damit ein Experiment einer Synthese von Arbeiter und Künstler, gleichzeitig aber auch von Maschine und Mensch. Die Stahlarbeiter am Hochofen IV, im LD-Stahlwerk, im Kaltwalzwerk 11, in der Schmiede oder an der Breitbandstraße werden plötzlich mit ihrer Arbeit und ihrer Umwelt zum Impulsgeber eines musikalischen Geschehens. Ein radikaler Versuch für die Integration von Kunst und Arbeitswelt.
3. DAS KULTURPOLITISCHE EXPERIMENT:
Die "Linzer Stahlsinfonie" ist neben dem musikalischen, künstlerischen und technischen Aspekt nicht zuletzt ein kulturpolitisches Experiment sowie ein Denkanstoß:

Das Internationale Brucknerfest bezieht mit ARS ELECTRONICA und der "Linzer Stahlsinfonie" nicht mehr nur klassische Musikdarbietung ein: Zum ersten Mal tauchen, würde man Mitwirkende beim Internationalen Brucknerfest Linz 1980 aneinanderreihen, neben Namen wie Claudio Abbado oder Christa Ludwig Namen wie Adolf Gabriel, 1. Ofenmann oder Ferdinand Hieslmair, Vorwalzer, auf. Die "Linzer Stahlsinfonie" will am Beispiel der Stadt Linz demonstrieren, inwiefern bei einem Kulturfestival die zwei Schwerpunkte einer Stadt verbunden werden können: Das Industriezentrum und das Zentrum kultureller Aktivitäten – Die Linzer Stahlsinfonie stellt eine Verbindung her zwischen der VOEST-Alpine, Österreichs größtem Eisen- und Stahlkonzern, und dem Brucknerhaus, dem kulturellen Mittelpunkt der Stadt Linz. Damit ist die "Linzer Stahlsinfonie" gleichzeitig der Versuch, an diesem Modell exemplarisch die Verbindung von Industriestadt und Kulturstadt zu demonstrieren.