www.aec.at  
Ars Electronica 1980
Festival-Programm 1980
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Linzer Klangwolke
Sinfonisches Open-air mit Bruckners 4.

'Walter Haupt Walter Haupt

Dienstag, 9. September 1980, 20.05 Uhr

Walter Haupt: LINZER KLANGWOLKE
Sinfonisches Open-air mit Bruckners 4.

ANTON BRUCKNER: Sinfonie Nr. 4 in Es-Dur (Romantische)
Donaupark – Brucknerhaus – in den Straßen von Linz

SATZANGABEN: Bewegt, nicht zu schnell – Andante quasi Allegretto – Scherzo. Bewegt – Trio. Nicht zu schnell. Keinesfalls schleppend – Finale. Bewegt, doch nicht zu schnell.

AUSFÜHRENDE: Bruckner-Orchester Linz

DIRIGENT: Theodor Guschlbauer

IDEE, BEARBEITUNG, REALISIERUNG: Walter Haupt

GESAMTKONZEPTION: Walter Haupt, Hubert Bognermayr, Dr. Hannes Leopoldseder

ELEKTRO-AKUSTISCHES EQUIPMENT: Firma Dynacord, Straubing

TONTECHNIK: ORF-Landesstudio Oberösterreich

BRUCKNER SKY SYMPHONY: Otto Piene, Center for Advanced Visual Studies, Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, Massachusetts, USA

Die Veranstalter danken der Polizeidirektion Linz und der Feuerwehr der Stadt Linz für die Unterstützung bei der Durchführung der "Bruckner Sky Symphony".

VERANSTALTER: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH und ORF-Landesstudio Oberösterreich unter der Mitwirkung der Linzer Bevölkerung


Die Linzer Klangwolke, das SINFONISCHE OPEN-AIR MIT BRUCKNERS 8., hat 1979 mit der Veranstaltung ARS ELECTRONICA wie kaum ein anderes europäisches Kulturereignis internationale Beachtung in der Kulturszene, in den Medien und in der Öffentlichkeit erfahren: Von den einen als Kulturexperiment von modellhafter Bedeutung qualifiziert, von den anderen als Zwangsbeglückung und Frevel an der Musik von Anton Bruckner apostrophiert.

Die Linzer Klangwolke 1979 hat nicht nur an einem Abend 100.000 Menschen zum Erleben der Musik von Anton Bruckner zusammengeführt, sondern auch im nachhinein offensichtlich eine erhöhte Aufnahme der Musik von Anton Bruckner bei der Bevölkerung bewirkt. Der Umsatz von Bruckner-Sinfonien auf Tonträgern hat sich als direkte Folge der Linzer Klangwolke im Großraum Linz verdoppelt bis verdreifacht. Gleichzeitig hat die Linzer Klangwolke, wie Untersuchungen zeigen, bei der Bevölkerung das Bewußtsein wach werden lassen, daß bei diesem Projekt das Postulat "Kultur für alle" nicht bei der vielfach strapazierten Verbalisierung bleibt, sondern als konkretes Angebot und Modell der Kulturanimation greifbar war.

Im Bereich der ernsten Musik hat die Linzer Klangwolke deutlich den Trend markiert, der zum Musikerleben im Freien, zu Open-air-Konzerten, zu frei zugänglichen musikalischen Darbietungen auch bei traditionellen Festivals Anstoß gibt.

Das sinfonische Open-air mit Bruckners 8. hat 1979 in der Musikrezeption eine neue Stufe im Hörerleben eingeleitet. Aus diesem Grund bleibt die Linzer Klangwolke, als sinfonisches Open-air einer Bruckner-Sinfonie, fester Bestandteil der ARS ELECTRONICA. In Linz wird es daher einmal im Jahr möglich sein, ein sinfonisches Werk open-air zu erleben.

Veranstalter der Linzer Klangwolke 80 sind, wie 1979, die Linzer Veranstaltungsgesellschaft und der Österreichische Rundfunk, Landesstudio Oberösterreich.

Die Linzer Klangwolke 80 bietet sowohl in der künstlerisch-technischen Konzeption als auch in den Möglichkeiten für das Publikum wesentliche Veränderungen gegenüber 1979, wobei die kritischen Anmerkungen und Erfahrungen von 1979 verwertet und in die neue Konzeption integriert wurden. Die entscheidende Veränderung an der Klangwolke 80 ist die Tatsache, daß die Basis der Open-air-Wiedergabe nicht wie 1979 ein Tonträger ist, sondern eine Live-Produktion im Großen Saal des Brucknerhauses: Die 4. Sinfonie von Anton Bruckner mit dem Bruckner-Orchester Linz unter Theodor Guschlbauer. Damit verändert sich nicht nur der Stellenwert des künstlerischen Experimentes, sondern es ergeben sich dadurch auch für das Publikum neue Möglichkeiten.

Das Gesamtkonzept sieht mehrere Ebenen vor:

1. ZENTRALES OPEN-AIR-EREIGNIS IM DONAUPARK
Über mehrere voneinander getrennte Lautsprechergruppen wird, mit einer Gesamtleistung von etwa 40.000 Watt, die Live-Produktion der 4. Sinfonie von Anton Bruckner mit dem Bruckner-Orchester Linz unter Theodor Guschlbauer ausgestrahlt.. Der riesige Open-air-Konzertsaal für die Sinfonie umfaßt ein Gebiet von 1,5 x 1 km, also 1,5 km2. 1979 haben sich in diesem Raum etwa 100.000 Menschen zur 8. Sinfonie von Anton Bruckner eingefunden.

Das akustische Hörerleben der 4. Sinfonie von Anton Bruckner wird gleichzeitig durch die "Bruckner Sky Symphony" mit 3 Helium-Objekten, gewaltigen Himmelsplastiken, von Otto Piene, Cambridge, Massachusetts, mit einem visuellen Ereignis der Sky-Art unterstrichen. Für die Linzer Klangwolke gestaltet Otto Piene eigens "Blue Star Linz" ein Helium-Objekt mit einer Gesamtlänge von 100 m, das vom Dach des Brucknerhauses in den nächtlichen Himmel ragt. Für die Menschen im Donaupark wird das Zusammenspiel von sinfonischer Musik und Sky-Art zu einer neuen Kunstform im Environment.
2. BRUCKNERHAUS
Konzert zum Nulltarif, Bruckner von Ohr zu Ohr, Bruckner-Quadrophonie.

In allen Sälen des Brucknerhauses wird die 4. Sinfonie von Anton Bruckner in verschiedenen Arten zu hören sein: Damit ergibt sich für das Publikum nicht nur eine spezielle Auswahlmöglichkeit, sondern auch die Möglichkeit zum Vergleich.

Großer Saal:
Bruckner-Orchester Linz unter Theodor Guschlbauer, 4. Sinfonie in Es-Dur. Hier bietet sich für das Publikum die Gelegenheit, die Konzertveranstaltung im traditionellen Stil zu genießen. Der Besuch des Konzertes ist zum Nulltarif möglich. Nach einem speziellen Aufnahmeverfahren, insbesondere mit Richt-Mikrophonen sowie mit einem speziell von der Firma AKG entwickelten Bruckner-Kunstkopf wird die Live-Produktion nicht nur als Basis für die Ausstrahlung im Donaupark verwendet – mit dem Umweg über eine Leitung ins ORF-Studio – sondern gleichzeitig auch für die Ausstrahlung in den Mittleren Saal und Kleinen Saal des Brucknerhauses.

Kleiner Saal:
Unter dem Motto "Von Ohr zu Ohr" wird die Sinfonie vom Bruckner-Kunstkopf im Großen Saal in den Kleinen Saal übertragen und kann dort mittels Kopfhörer gehört werden. In diesem Saal werden etwa 200 Kopfhörer an der Decke befestigt sein und dem interessierten Publikum die Möglichkeit bieten, die Sinfonie "Von Ohr zu Ohr" zu hören.

Mittlerer Saal:
Bruckner-Quadrophonie. In diesem Saal wird die Sinfonie über Lautsprecher in Quadrophonie übertragen.
Die verschiedenen Varianten im Brucknerhaus bedeuten: Das Publikum hat die Möglichkeit, die Sinfonie in geschlossenen Räumen in mehreren Hörvarianten wahrzunehmen.

Bruckner von Ohr zu Ohr
Wie hätte Bruckner die Aufführung seiner 4. Symphonie – anläßlich der "Ars Electronica 80" – gehört?

Ein Kunststeinkopf wurde mit verschiedenen Schichten Materialien ausgegossen, die den "akustischen Verhältnissen" des menschlichen Kopfes weitgehend adäquat sind. Ebenso wurde die Akustik des menschlichen Ohres simuliert: hier wurden die Ohrmuscheln des Kunststeinkopfes durch weiche Silikonohren ersetzt, um eine exakte Simulation des menschlichen Hörens zu erreichen.

In den simulierten Höreingängen wurden Mikrofonkapseln adaptiert, deren Richtcharakteristik gleichfalls auf das menschliche Hörvermögen abgestimmt ist. Der Frequenzgang entspricht dem Hörvermögen eines 50jährigen Mannes (Bruckner 1874), wobei berücksichtigt wurde, daß Bruckner – soweit dies aus den zahlreichen Biographien sowie dem Musikschaffen eruiert werden konnte – über einen um etwa 1500 Hz ausgedehnteren Hörbereich verfügte, als dies bei einem gleichaltrigen Mann mit durchschnittlichem Hörvermögen der Fall ist.

Bei der Adaptierung des Kunstkopfes wurde nicht nur die Sitzhöhe – entsprechend der Größe Bruckners – sondern auch die Kopfhaltung eines aufmerksam lauschenden Konzertbesuchers berücksichtigt. Mit diesem Kunstkopf, der ein Unikat bleibt, hat der österreichische Akustikspezialist erneut technische Innovation unter Beweis gestellt.
3. RADIO-ANIMATION:
Die Live-Produktion der 4. Sinfonie von Anton Bruckner bildet nicht nur die Basis für die Ausstrahlung im Donaupark sowie in den Räumlichkeiten des Brucknerhauses, sondern wird über den Hörfunk live übertragen. Die interessierte Linzer Bevölkerung wird an diesem Tage eingeladen, die Radiogeräte in die Fenster zu stellen: Die Radiogeräte in den Fenstern von Linz sollen am 9. September 1980, 20.00 Uhr auf ÖR (lokal), 95,195 MHZ eingestellt werden. Radiogeräte und Lautsprechergruppen in den Straßen von Linz sollen die Musik in die Stadt tragen.
Die These, eine musikalische Aufführung nicht nur auf einen elitären Konzert-Besucherkreis auszurichten, sondern neue großdimensionierte gesellschaftliche Kommunikationszentren zu bieten, wurde 1979 durch das Interesse der 100.000 Besucher an einer Freiluftaufführung sinfonischer Musik voll bestätigt.
Mit der Linzer Klangwolke 1980 streben die Veranstalter nicht nur eine gewisse Kontinuität an, sondern wollen vielmehr auch dem vielschichtigen Publikum dem eher traditionsgebundenen wie dem experimentierfreudigen – das Werk Anton Bruckners in dieser neuartigen Konzeption erleben lassen. Die Linzer Klangwolke 1980 versteht sich als exemplarisches Großprojekt der Kulturanimation.

Hannes Leopoldseder