www.aec.at  
Ars Electronica 1980
Festival-Programm 1980
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Anton Bruckner. Vierte Sinfonie in Es-Dur (Romantische)


'Manfred Wagner Manfred Wagner

Die Sinfonie, 1874 konzipiert und insgesamt dreimal umgearbeitet, dürfte Bruckners populärstes Werk sein. Obwohl mündlichen Äußerungen der Zeitgenossen zufolge verschiedene Programme des Werkes existiert haben sollen (so war von der "mittelalterlichen Stadt" die Rede, aus der "Ritter zum Tor hinaus in den Wald reiten", andererseits vom "Anblasen eines neuen Jahres vom Turm der Stadtpfarrkirche Linz") und und obwohl durch die Literatur das "Zi-Zi-Bee" der heimatlichen "Be-Moasen" (Waldmeise), wie Bruckner sie nannte, für das Gesangsthema des ersten Satzes geistert, kann ein konkreter Nachweis für eine programmatische Naturschilderung nicht gegeben werden. Trotzdem muß das Werk in einer Art Parodieverfahren sich mit dem Thema Natur auseinandergesetzt haben, weil Bruckners eigenhändiger Zusatz "romantische" im damaligen Sprachgebrauch Natur assoziiert. Das Jagdscherzo, das in der zweiten Fassung das erste Scherzo ersetzte, weist ebenfalls auf diesen Themenkomplex hin. Der musikalische Beweis liegt aber wohl im Hornthema des 1. Satzes begründet, das über einem weichen, aus dem Nichts kommenden Klangschatten entsteht und den traditionellen Rufcharakter besitzt. Hier wird, vergleichbar zu Webers "Freischütz"-Ouvertüre, eine Natur-Atmosphäre aufgebaut, ohne in ein deskriptives Nachahmungsverfahren zu verfallen.

Die der ganzen Sinfonie innewohnende Wellenbewegung, ausgedrückt in den Übergängen von laut und leise, schnell und langsam, einzelnen instrumentalen Gruppen und die häufige Wiederkehr des thematragenden Hornes verstärken diese Atmosphäre derart eindringlich, daß im Zuhörer tatsächlich eine breite Palette von Assoziationen an Natur, Wald, Vogelwelt, Geheimnisschleier ... erzeugt wird. Der 1. Satz "bewegt, nicht zu schnell" präsentiert vor allem die Gegensätzlichkeit als Muster von Entwicklung und Werden. Der 2. Satz "andante quasi allegretto" reagiert gleichsam menschlich auf das Wunderbild des vorhergegangenen Abschnitts. Ein verkappter Trauermarsch, sichtbar an den weichen Rhythmen und der langgezogenen Cellomelodie, kehrt dreimal wieder, unterbrochen von archaisch-feierlichen Streicherepisoden und orchestralen Anreicherungen, die Eindringlichkeit, Intensivierung, Verstärkung andeuten. Die zwischenmontierten Choralstellen, diesmal vornehmlich dem Streicherchor anvertraut, fungieren mit ihren unkonventionellen Dur-Schlüssen als Aufhellungen gegenüber den konsequenten Zwängen des Grundrhythmus.

Das Scherzo, "bewegt", mit der originale Spielanweisung "die Viertelnote im Jagdthema immer etwas länger", assoziiert im scharfen Wechsel von Zweier- und Dreierrhythmen und der Akkorddurchspringung Jagdruf, damit eine direkte Verbindung zum Natur-Waldcharakter des Kopfsatzes Aber auch hier ist das deskriptive Element zugunsten einer selbst tonlich merkbaren Abstraktion zurückgedrängt. Das Trio, ungewöhnlich kurz, hat Volksliedcharakter mit Walzeranklängen, und zeigt im Ausreizen des Sextintervalls (des Sehnsuchtsmodells der Romantik) Gefühlsverstärkung, den kontemplativen Ruhepol gegenüber der Hektik des Jagdthemas.

Das Finale, "bewegt, doch nicht zu schnell", schließt in seiner kontinuierlichen Grundbewegung des Tremolos und der Drehung sowie des ganznotigen Hauptthemas direkt an die Grundstruktur des 1. Satzes an. Wie immer aber führt Bruckner in dieses Finale auch Restanklänge der vorhergehenden Satzabschnitte mit an, nach knapp 30 Takten schon taucht das Jagdthema wieder auf, wenig später werden die Geigenfiguren des 2. Satzes angedeutet und im Gesangsthema der Trauermarschcharakter generell noch einmal angesprochen. Auch das Volksliedmodell des Trios, nun in der Spannung zur None, findet sich ein, das Choralmodell, nun im schweren Blech postiert, taucht wieder auf. Die einstmals sanft prägenden Charaktere werden hier auf knappem Raum zusammengepreßt, gegeneinander geschoben, übereinander gelegt, stehen quasi modellhaft für Bruckners Tendenz der Entwicklung des Ganzen aus einem Teil, zueinander in Beziehung stehend, der Zusammenschau melodischer und rhythmischer Substanz. Spezifisch aber bleiben für diese Sinfonie der unter allem liegende Klangteppich des Tremolo und die damit unmittelbar verknüpfte Assoziation an Romantik, Natur, Landschaft.