Radiophone Poesie - "neues Hörspiel"
'Gerhard Rühm
Gerhard Rühm
unter 'radiophoner poesie' werden hörstücke verstanden, die das medium rundfunk auf künstlerische weise reflektieren – etwa o-tonproduktionen, die über die blosse reportage (feature) hinausgehen, oder nicht einfach vom manuskript ablesbare texte, die zu ihrer fertigstellung eines tonstudios bedürfen, wobei technische manipulationen nicht zusatzeffekte, sondern konzeptionell bedingt sind. texte also, die gehört werden müssen und auf technischem wege realisiert werden.
das 'neue hörspiel' – im grunde nur eine ausführlichere form radiophoner poesie – unterscheidet sich vom alten vor allem dadurch, dass es sich nicht als inszeniertes rollenspiel versteht, in dem alle akustischen mittel nur der illustration einer handlung dienen, sondern dass es sprachliches (bis hin zum einzellaut), geräusche und töne als prinzipiell gleichrangiges material betrachtet und gemäss einer kompositorischen oder thematischen idee auswählt und organisiert. das ergebnis ist ein komplexes schallereignis, das – wie jedes anspruchsvolle musikstück – zu mehrmaligem hören provoziert. die produktionen sollten eigentlich auf band, kassette oder schallplatte jederzeit verfügbar sein.
es erscheint daher nur konsequent, wenn im 'neuen hörspiel' autor und realisator identisch sind. mit ausnahme von friederike mayröcker, die im hinblick auf ihre wichtigen beiträge zum 'neuen hörspiel' in diesem exemplarischen programm nicht fehlen sollte, haben alle hier vertretenen autoren ihre produktionsvorlagen selbst realisiert oder waren zumindest an der realisation massgeblich beteiligt. die hörspiele von kriwet, ludwig harig, paul wühr und ror wolf, die am anfang des programms stehen, sind o-tonproduktionen – den stücken liegen also milieubedingte authentische tonaufzeichnungen zugrunde.
'Fa: m'Ahniesgwow' von hans g helms und 'veränderungen' von friedrich achleitner sind akustische transpositionen von texten, die ursprünglich zum lesen bestimmt, als buch erschienen sind. bei meinen kurzen 'hörstücken' handelt es sich um auditive poesie in konzentriertester form, gewissermassen um mehr oder weniger komplexe "schallgedichte". die arbeiten von ernst jandl, friederike mayröcker und franz mon sind signifikante beispiele für das 'neue hörspiel'. am schluss stehen die 'Radiostücke I–V' von dieter schnebel und Die 'Umkehrung Amerikas' von mauricio kagel; sie stammen von zwei der bedeutendsten komponisten der gegenwart, demonstrieren sozusagen von der anderen seite, wie die grenzen zwischen den künsten sich zu verwischen begonnen haben, ressortmässig gesagt: dass komponisten mitunter im hörspielprogramm aufscheinen, wie umgekehrt avancierte autoren in musiksendungen. die auswahl beschränkt sich auf deutschsprachige produktionen aus den jahren 1970 bis 1979.
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