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Ars Electronica 1980
Festival-Programm 1980
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Festival 1979-2007
 

 

Das Röcheln der Mona Lisa
Ein akustisches Geschehen für eine Stimme und Apparaturen (1970)

'Ernst Jandl Ernst Jandl

Was dieses Hörspiel, Das Röcheln der Mona Lisa, zu sagen hat, sagt es selbst, und etwas darüber zu sagen wäre für den, der es hören wird, nicht mehr, sondern weniger; eine Verminderung des Unvorhersehbaren an diesem Hörspiel, wenn man es zum erstenmal hört, eine Verminderung der Überraschung und Verwunderung. Was immer das Hörspiel sonst noch bringt, in jedem Falle sollte dieses geschehen: daß Dinge eintreten, die nicht erwartet wurden, und womöglich in ununterbrochener Folge; und daß der Hörer allmählich in eine Haltung des Fragens gerät, ohne daß er vorerst tatsächlich fragt, denn das würde sein Hören, und damit das Spiel, unterbrechen; sondern so, daß er sich seiner fragenden Haltung erst nach dem Ende des Hörspiels bewußt wird, indem er zuerst die Antwort vermißt, dann merkt, daß er fragen wollte, und schließlich erkennt, daß er nur sich selbst fragen kann. Das erste, das einfiel, war der Titel. Benennung ist nur eine der Funktionen eines Titels, und es gibt wichtigere. Dieser, "Das Röcheln der Mona Lisa", konnte noch nichts benennen, solange nichts da war, und hatte zuerst einmal die Funktion einer deutlich markierten Stelle für den Start. Er hat etwas vom Gewicht der europäischen Kultur, die wir schleppen, ob wir wollen oder nicht, aber nichts von Ergebenheit. Er bezieht sich auf das für schön Gehaltene, und zugleich auf das Sterben, wie es auch der Slogan "Schöner sterben!" tut, der für mich, in seiner Prägnanz und in seiner vielfältigen Anwendbarkeit, die durch das Leben ermöglicht wird, Gedichtwert besitzt. Diesen Slogan hatte ich noch vor dem Titel entdeckt, ihn bei Gelegenheit angewandt und dann später in das Hörspiel, als einer weiteren Gelegenheit, ihn anzuwenden, eingefügt. Der Titel blieb für einige Zeit alles, was von der Sache vorhanden war. Dann, aufgefordert, mich zu meinem Projekt näher zu äußern und einen Pressetext zu verfassen, mit dem man das bevorstehende Ereignis ankündigen konnte, schrieb ich als zweiten Arbeitsgang einen derartigen Text, wobei es nicht ausgeschlossen schien, daß dieser für alles weitere eine Art Programm abgeben könnte: 'Das Röcheln der Mona Lisa' führt stufenweise vom Sprechgedicht weg zu einer Dichtung hin, die dem Verstummen vorausgeht. Idealkondition ist die Erkrankung der Sprech- und Atemorgane, beziehungsweise die Störung des Sprechzentrums. (Eine Bedingung, die auch unter Beihilfe technischer Apparaturen simuliert werden kann.) Als Dichtung der Sprachfetzen, der rasenden wie der zerbrechenden Stimme, ist ihr Gegenstück das Chaos des Sichtbaren im Blick ohne Fokus, die Kritzelei ihre bevorzugte Partitur. Sie erfaßt Sprache als Körpergeräusch, verwirft die Idee des Konstruktiven und beseitigt das Possierliche aus der Dichtung.