Elektronische Mittel der visuellen Gestaltung
'Herbert W. Franke
Herbert W. Franke
Seit Gutenberg war das Papier das wichtigste Medium visueller Information. Erst in den letzten Jahren wird es in steigendem Maß durch den Bildschirm verdrängt.
Zunächst war es jener des Fernsehgerätes, doch in den letzten Jahren ist der Monitor der Computerausgabe dazugekommen und macht von sich reden.
Die Diskussionen lassen erkennen, daß das Bildschirmgerät mehr ist als ein neues Möbelstück; es ist das äußerliche Anzeichen eines Umschwungs, der nicht nur Verhaltens- sondern auch Anschauungs- und Denkweisen betrifft. Wir sind in ein visuelles Zeitalter getreten – wir beherrschen die bildnerische Wiedergabe mit einer technischen Perfektion, wie sie noch vor 20 Jahren undenkbar war. Die aufregendsten Neuerungen ergeben sich durch das Eindringen der Elektronik in die visuelle Gestaltung als drittes Mittel bildlicher Kommunikation neben Druck und Film.
Der erste Einsatz der Elektronik im Dienste visueller Aufgaben stand im Zeichen der abbildenden Wiedergabe. Das Fernsehen ist indessen den Kinderschuhen entwachsen, und wenn auch heute noch ein großer Teil seiner Aktivitäten der Nachrichtenverbreitung und der Unterhaltung dient, so ist nicht zu übersehen, daß es – beispielsweise im Fernsehspiel – auch künstlerische Aufgaben erfüllen kann.
Ein neuer Aspekt tritt mit dem kleinen und preisgünstigen Videosystemen auf den Plan, die die neue Technik auch dem Privatmann und Künstler zugänglich machen. Nun verfügt er nicht mehr allein über den Bildschirm, sondern auch über die Kamera, mit der er Bilder eigener Intentionen hervorbringen kann. Bemerkenswert, daß dabei auch der Weg von der Abbildung zur eigenen Gestaltung möglich ist. Es gibt verschiedenste Arten, die Kamera so einzusetzen, daß sie nicht nur Bilder wiedergibt, sondern bestehende umformt und sogar neue hervorbringt. Eine neue Kunstform, die Videoart, ist entstanden. Ein Zentrum dieser neuen Art frei gestaltender Betätigung ist das "New Bauhaus" am M.I.T. mit seinem Leiter Otto Piene.
Wenn es auch einige bevorzugte künstlerische Richtungen gibt, so ist sie doch an keinen Stil gebunden; wir kennen Videoart als Mittel ästhetisch überhöhter Dokumentation, wir kennen sie aber auch als eine Art "graphische Musik" Farben und Formen, in rhythmische Bewegung versetzt.
Längst ist es noch nicht zu einer Konsolidierung stilistischer Ausdrucksmittel gekommen – umso interessanter aber ist es, den Werdegang dieses Mediums zu verfolgen, solange er sich noch in einer Suchphase befindet.
In ähnlicher Weise wie die Fernsehtechnik bietet sich auch jene des Computers zum freien Gestalten an. Auch hier standen ganz andere Ziele am Anfang – die übersichtliche Darstellung von Rechenergebnissen in Form von Graphiken anstelle der endlosen auf Formularpapier ausgedruckten Zahlenreihen, deren Auswertung man oft genug vergaß. Bald stellte sich aber heraus, daß das System Computer und programmgesteuerter Zeichenautomat ein faszinierendes Instrument graphischer Experimente und Spiele ist. In ähnlicher Weise wie ein Schüler neue Möglichkeiten des Zirkels entdeckt, wenn er Kreise überlagert und zu reizvollen Rosetten zusammensetzt, stellt der Programmierer fest, daß sich der Computer dazu eignet, eine ganze Fülle von bisher nie gesehenen Strukturen zu realisieren – ein erstaunliches Erlebnis für jeden, der daran teil hatte. Kein Wunder, daß auch Künstler diese Möglichkeit entdeckten und aus der Unverbindlichkeit der ersten Jahre herausführten. Inzwischen hat sich die graphische Computerkunst der Ebene des Spektakulären, Sensationellen enthoben und ist fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden. In manchen Ausstellungen und Museen kann man computergenerierte Werke neben manuell entstandenen sehen, ohne daß dies besonders angemerkt wäre.
Neben der Video- und der Computertechnik bleiben aber noch mehrere weitere Möglichkeiten zum Einsatz der Elektronik für frei gestalterische Zwecke. Für Kinetiker beispielsweise ist es eine aktivierende Idee, ihre bislang mechanisch betriebenen Systeme von nun an elektronisch zu steuern. Hans Martin Ihme beispielsweise, der sich mit Lichtskulpturen beschäftigt, gewinnt durch ein von ihm neu entwickeltes Schaltsystem eine weitaus höhere Variationsbreite seiner Figurationen.
Auch Paul Hoenich macht von dem neuen Mittel Gebrauch: Als Weiterentwicklung seiner auf dem physikalischen Prinzip der Reflexion beruhenden Objekte hat er einen "Lichtroboter" entworfen, mit dem sich die Reflexbilder vielfältig steuern und verändern lassen. Weiter bietet sich eine neue Art der elektronischen Lichterzeugung mit Hilfe von Leuchtdioden zur künstlerischen Gestaltung an. Otto Frühling setzt sie in Gruppen zusammen, die in drehende Bewegung versetzt werden; durch Aufschaltung verschiedener Frequenzen zeichnen sie farbige Ornamente in den Raum, ein Verfahren, das vom Erfinder "Rotographie" genannt wird.
Übrigens bringt die Elektronik auch neue Lösungen eines alten Problems, nämlich der wechselweisen Umsetzung von Licht in Schall und umgekehrt mit sich. Dieter Kaufmann verwendet die Elektronik in seinem optoakustischen Wandler und trägt auf diese Weise zu einer neuen, Brücke zwischen visueller und musikalischer Gestaltung bei. Ein reizvolles Werkzeug der Gestaltung ist schließlich der Laserstrahl, der unter anderem schon für eine neuartige, immaterielle Bühnengestaltung verwendet wurde. Ulrike und Dieter Trüstedt haben der "Laserart" neue Aspekte abgewonnen: Im total verdunkelten Raum scheinen die von Laser auf eine Projektionsfläche geworfenen Figuren frei im Raum zu schweben – in reizvollem Gegenspiel zu einer auf Schlaginstrumenten improvisierend dargebrachten Musik.
Jahrtausende hindurch war der Einsatz technischer Mittel der Musik vorbehalten – Musikinstrumente sind ja nichts anderes als physikalische Präzisionsgeräte. Ohne dieses Zusammenwirken von künstlerischer Ambition und technischer Basis hätte sich die Kunstform Musik nie entwickeln können, der wir heute in Konzertsälen ebenso wie in Diskotheken, im Radio ebenso wie auf der Schallplatte in so vielfältiger Form begegnen. Warum hat sich eine ähnliche Entwicklung nicht auch im visuellen Sektor vollzogen? Vermutlich dürfte es nicht zuletzt daran gelegen haben, daß es bis vor wenigen Jahren keine Technik gab, die die Erfassung bildlicher Mittel ebenso leicht machte wie die Hervorbringung akustischer Erscheinungen mit Musikinstrumenten.
Nun aber haben sich die Voraussetzungen geändert. Auf Bildschirmen und Projektionsleinwänden erscheinen neuartige, vom Menschen gestaltete Bildabläufe – vielleicht ziehen sie eine ähnliche Entwicklung wie jene der Musik nach sich.
Wir leben in einem Zeitalter, in dem die unerwünschten Rückwirkungen der Technik unübersehbar werden – einer Technik, auf die wir trotzdem nicht verzichten können, es sei denn um den Preis des Überlebens. Es erscheint daher als eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben, diese Technik in einer vernünftigen Form in unsere Tätigkeit, unser Leben zu integrieren. In der ästhetischen Anwendung elektronischer Mittel liegt eine der erfreulichsten Anwendungsmöglichkeiten vor uns: eine Technik – mikrominiaturisiert –, die mit einem Minimum an Energie und Rohstoffen auskommt und den Zweck hat, den kreativen Menschen anzuregen und unsere Welt an Schönheit zu bereichern.
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