www.aec.at  
Ars Electronica 1979
Festival-Programm 1979
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Einführung


'Herbert W. Franke Herbert W. Franke

Die Veranstaltung ars electronica beruht auf einer zunächst verblüffend anmutenden, dann aber völlig logisch erscheinenden Überlegung – daß nämlich historisch ausgerichtete Festlichkeiten, die den großen Neuerern im Bereich von Kunst und Kultur gewidmet sind, oft genug in Rückblick und Tradition erstarren, während man den Pionierleistungen der geehrten Personen weitaus besser gerecht würde, wenn man den von ihnen gewiesenen Wegen bis zur Gegenwart folgen, die sich heute anbahnenden künstlerischen Innovationen aufgreifen und damit der progressiven Haltung des Geehrten weitaus besser gerecht würde. Ein sich daraus ergebendes neues Konzept bietet sich insbesondere für das in Linz stattfindende Internationale Brucknerfest an: im Hinblick auf die Stadt, die sich dem großen Symphoniker und damit der österreichischen Musiktradition verbunden fühlt, andererseits aber auch industrielles Ballungszentrum ist – eine gute Gelegenheit, die Verbindungen, die sich heute zwischen Kunst und Technik, speziell zwischen Musik und Elektronik, anbahnen, thematisch aufzugreifen und so in den historischen Rahmen der Musikaufführungen und Konzerte ein kurzes Zwischenspiel einzubetten, das den künftigen Entwicklungen gewidmet ist. Dabei geht es beispielsweise um die Anwendung der Elektronik und Automation für die Musikanalyse und -synthese, um verschiedenste Verbindungen zwischen Musik und Bildablauf, um eine neue Art visueller Kunst, die durch den Computer ermöglicht wurde, um interaktive Betätigungen in einer Art Dialog mit Systemen, die zugleich Automaten, Datenverarbeitungssysteme und Kunstwerke sind. Bei der näheren Beschäftigung mit dieser Thematik stellte sich heraus, daß die Verbindung zwischen Elektronik und Kunst einen bemerkenswerten Trend mit sich bringt, nicht nur die Schranken zwischen einzelnen Kunstrichtungen und -sparten niederzureißen, sondern auch Brücken zum täglichen Leben, zur Gesellschaft zu schlagen. Darauf beruht der Beschluß, an den beiden Tagen, die modernsten Äußerungen ästhetischen Gestaltungswillens gewidmet sind, einen Tag lang generelle Themen zu behandeln. Dabei geht es insbesondere um die Fragestellung, innerhalb derer sich die "elektronische Kunst" als Teilproblem erweist, und zwar um die WechseIwirkungen zwischen Elektronik, Gesellschaft, Medien und Kunst.

Es ist gelungen, führende internationale Fachleute für die Mitwirkung am Symposium in Linz zu gewinnen. Es stellt eine absolute Weltpremiere dar – noch niemals gab es eine Tagung oder eine ähnliche Veranstaltung, bei der der gesamte Themenkreis in vergleichbarer Weise zukunftsgerichtet behandelt worden wäre. Neu ist auch der im Vordergrund stehende Gesichtspunkt, daß sich die Referenten mit ihren Ausführungen an die Allgemeinheit wenden; im besten Sinn eines interdisziplinären Unternehmens werden sie versuchen, die anstehenden Fragen in allgemein verständlicher Weise darzulegen. Einzigartig ist auch die Massierung von Live-Demonstrationen, die durch die besonderen Voraussetzungen, die im ORF-Studio Linz bestehen, ermöglicht werden. Der Gedanke, der hinter dieser Orientierung an der Öffentlichkeit steckt, beruht auf der Einsicht, daß in einer demokratischen Gesellschaft auch die Betroffenen an der Diskussion über künftige Entwicklungen beteiligt sein sollen. Und allem Anschein nach werden jene Dinge, die in Linz zunächst noch in einer experimentellen Form präsentiert werden, in absehbarer Zeit in weite Kreise der Bevölkerung hineinwirken. Das Forum der Teilnehmer wird noch dadurch erweitert, daß ars electronica in diesen Tagen auch ein Schwerpunktthema in Rundfunk und Fernsehen ist. Auch die Internationale Presse ist bemerkenswert vielzählig vertreten, so daß sich die Diskussion der aufgegriffenen Fragen auch in der Diskussion der Leser auswirken wird.

Die Methoden und Instrumente, die von den Referenten erläutert werden, sind entsprechend der zukunftsorientierten Ausrichtung nicht abgeschlossen – vielleicht nicht einmal ausgereift und nicht unbedingt technisch perfekt. Auch hierin unterscheidet sich diese Tagung von ähnlichen Veranstaltungen, die eher auf historische Bestandsaufnahmen ausgerichtet sind. Diese besondere Sachlage läßt auch die Diskussionen der Fachleute untereinander, die sich in dieser "Besetzung" noch nie ergeben haben, besonders interessant erscheinen. Bisher sind nämlich Entwicklungen im Niemandsland zwischen Kunst und Technik relativ still vor sich gegangen, oft genug als erfinderische Initiativen, die eher am Rande der großen, ins Auge fallenden Entwicklungen angesiedelt sind. Offenbar aber wird ihre Bedeutung unterschätzt – gerade jetzt, da man sich der Notwendigkeit einer "sanften Technik" bewußt geworden ist, die weniger auf materiellen Wohlstand abgestimmt ist, sondern eher auf eine Bewahrung und Erhöhung jener Werte, die man die geistigen nennt. In diesem Zusammenhang bedeutet auch das Schlagwort von den "Grenzen des Wachstums" eine unzulässige Verallgemeinerung: In bestimmten Belangen ist Wachstum erstrebenswert und notwendig – beispielsweise Wachstum von MenschIichkeit, Wachstum von Freiheit, Wachstum von Wissen und Wachstum von Schönheit. Genau jene Entwicklungen, die in der ars electronica ihren deutlichsten Ausdruck finden, könnten jene Umstellung einzuleiten helfen, die schon in naher Zukunft unvermeidlich sein wird. Und somit ist zu hoffen, daß die Elite der internationalen Spezialisten, die hier versammelt ist, auch die Gelegenheit zur Aufnahme von Kontakten, zur Einleitung von Fachgesprächen, vielleicht auch zu einer besseren Kommunikation untereinander ergreift. Dann würde sich aus der Linzer Veranstaltung das Beste ergeben, was zu hoffen ist – eine positive Nachwirkung auch in die Zukunft hinein.

Herbert W. Franke, München/Wien