|
|
Simplicity
the art of complexity
SIMPLICITY – Wunschtraum einer von technischen Revolutionen, globaler Vernetzung und massenmedialer Informationsflut dominierten Gesellschaft? Mantra einer neuen Generation von nutzerorientierten Informations-Designern? Dogma technophober Fortschrittsverweigerer? Oder einfach bislang uneingelöstes Versprechen der IT-Companies? Kaum ein Begriff ist in letzter Zeit von so unterschiedlichen Seiten in Anspruch genommen worden und trifft so sehr den Nerv unserer Zeit: Wie können wir den steigenden Komplexitätsgrad unserer Lebensrealität bewältigen? Wie können wir uns die Potenziale der globalen Kommunikation und des Realtime-Zugangs zu Informationen und Ideen, zu Menschen und Märkten effizient und verantwortungsvoll erschließen? Wie können wir flexible, adaptive Systeme, Geräte und Programme entwickeln, die auf unsere Stärken und intuitiven Fähigkeiten eingehen, um uns bei unserem Agieren in hoch komplexen Zusammenhängen zu unterstützen? Auf welche Optionen und Features können und wollen wir verzichten? Simplicity ist nicht das Gegenteil von Komplexität, sondern ihr komplementärer Schlüssel, die Formel, durch die sich die Polyvalenzen der virtuellen Realitäten und vernetzten Wissensräume erschließen und nutzen lassen.
Simplicity ist ein komplexes Thema, auf das es nicht eine einzige, einfache Antwort gibt. Wir leben in einer zunehmend komplexen technologischen Welt, in der nichts so funktioniert, wie es eigentlich sollte, und die uns alle am Ende des Tages mit dem Verlangen nach einer gewissen Einfachheit erfüllt. Dennoch, welch Ironie, wenn wir vor die Wahl nach mehr oder weniger gestellt werden, so sind wir wohl genetisch so programmiert, mehr zu wollen. „Möchtest du den großen oder den kleineren Keks?“ oder „Hättest du gerne den Computer mit zehn Prozessoren oder nur mit einem?“ Die Antwort ist doch wirklich einfach, oder doch nicht? Beim Themensymposium SIMPLICITY der Ars Electronica wollen wir gemeinsam über die Bedeutung von Simplicity (und damit auch Complexity) in Politik, Leben, Kunst und Technologie nachdenken. Erwarten Sie mehr, als Sie sich jemals vorstellen können, und weniger. John Maeda
Ist es nicht seltsam, dass wir ständig neue Technologien entwickeln, um uns Leben und Arbeit einfacher zu machen? Und am Ende haben wir den Eindruck, es sei alles viel komplizierter geworden.
Die Hinterfragung des Wesens von Simplicity muss sich einlassen auf die Psychologie der Mensch-Maschine-Beziehung. Warum neigen wir so sehr dazu, Technologie als eine externe Instanz zu betrachten und sie zu verdammen oder zu verherrlichen? Warum ist es so schwierig, eine nüchterne Beziehung zu ihr zu finden? Ist uns der Befund vermeintlicher oder tatsächlicher Komplexität nicht allzu oft eine bequeme Ausrede, um Verantwortung zu delegieren? Was wir brauchen, ist nicht vorrangig Technologiekompetenz, sondern Sozialkompetenz, um über den Einsatz von Technologien entscheiden zu können. Um den Erwerb dieser Kompetenz müssen wir uns aktiv bemühen.
Simplicity beginnt natürlich bei der Bedienbarkeit, der Usability. Der Wunsch nach Geräten und Programmen, die man auch ohne lange Einschulung bedienen kann, ist groß und höchst berechtigt, denkt man an die vielen schlampig entwickelten User-Interfaces, die in immer kürzeren Zyklen auf den Markt geworfen werden. Auch wenn Hersteller gerne die Rede von der User Experience und dem User Centered Design inflationär im Munde ihrer Werbekampagnen führen, die Realität der technischen Lösungen, die uns verkauft wird, ist eine traurig andere. Wie oft wünscht man sich, die Industrial Designer würden häufiger bei den Medienkünstlern vorbeischauen und sich inspirieren lassen.
Zu den kunstvollsten Dingen für den Menschen zählen die hoch komplexen Elemente der Natur. Für Jahrhunderte war die Nachempfindung dieser eleganten Einfachheit Ziel und Maß wissenschaftlicher wie künstlerischer Leistungen.
Wenn wir Simplicity nur als Vereinfachung und Reduktion verstehen, die Technologie „unsichtbar“ werden lassen, und so Art und Umfang des Einsatzes von Technologie einfach ausblenden, dann können wir auch die Aus- und Nebenwirkungen nicht mehr nachvollziehen. Dann berauben wir uns nicht nur der Selbstbestimmung, sondern auch der Möglichkeit, die Kapazitäten und Potenziale der Technologie voll auszunutzen. Simplicity ist aber wesentlich mehr. Wenn es tatsächlich um menschengerechte Technologie gehen soll, dann ist es auch eine kulturelle und politische Haltung zur Technologie und eine Position der Autonomie und Selbstbestimmung in den Interaktionsbeziehungen zu den technischen Systemen. Für weite Teile unseres Planeten ist Simplicity ganz einfach eine Angelegenheit von billiger und robuster Technologie, die auch bei 40 Grad im Schatten noch klaglos funktioniert und nicht schon nach zwei Stunden wieder an eine Steckdose muss.
Technologie ist keine Naturgewalt, sondern wird von Menschen gemacht – also sollte es doch auch möglich sein, sie für Menschen zu machen.
An diesen Schnittstellen und Frontlinien zwischen Mensch und Maschine findet die künstlerische Arbeit statt und reflektiert die Umstände und Rahmenbedingungen dieser Liaison: indem sich KünstlerInnen ihre eigenen Werkzeuge schaffen, um zwischen den Sprachen der Künste und der Maschinen zu übersetzen, indem sie sich den Industrienormen und ihren geschlossenen Systemen verweigern und Open Source und Creative Commons praktizieren, indem sie Freiräume verteidigen und Portale schaffen und alternative Modelle und Prototypen kreieren. Strategien und Lösungsansätze für den Umgang mit Komplexität werden bei der diesjährigen Ars Electronica im Dialog zwischen KünstlerInnen, Industrie- und Software-DesignerInnen, WissenschaftlerInnen und KulturtheoretikerInnen diskutiert und in vielfältiger Form präsentiert: in Symposien und Künstlervorträgen, Ausstellungen und Installationen, Konzerten und Performances, Workshops und Seminaren und durch künstlerische Interventionen in öffentlichen Räumen, überall in der Stadt.
Don’t be afraid, upgrade to simplicity!
|