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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
ORF Oberösterreich

DER STOFF, AUS DEM DIE TRÄUME SIND

N o r m a n F i l z / P e t e r S c h ö b e r


Dass unsere Kids vor dem Computer vereinsamen und verblöden, wurde beim Prix Ars Electronica auf eindrucksvolle Weise widerlegt: Die Qualität der Einsendungen zur U19/Freestylecomputing-Kategorie wurde höchstens durch deren Quantität übertroffen ...

„Du hast eine tolle Web-Site gestaltet? Du hast eine eigene CD-Rom produziert? Deine Klasse präsentiert sich im Internet? Du hast lässige Sounds erfunden? Oder sonst etwas Irres mit dem Computer aufgeführt?“ Mit diesen Schlagworten forderte der Prix Ars Electronica die Cybergeneration der Jahrtausendwende auf, bei dem heuer erstmals ausgeschriebenen Wettbewerb Cybergeneration U19/Freestylecomputing im Rahmen des Prix Ars Electronica mitzumachen.

Der Erfolg war schlichtweg überwältigend: Mehr als 540 ausgefeilte Arbeiten trudelten als Reaktion auf die Aufrufe des ORF und der P.S.K., die sich für den Contest-Neuling im Rahmen der Prix Ars Electronica in Funk und Printmedien stark gemacht hatten, ein. Und wer sich in der Jugendbranche ein wenig auskennt und weiß, dass die Zahl der Einsendungen bei Gewinnspielen dürftig ist, sobald mehr verlangt wird, als ein Lösungswort auf eine Postkarte zu kritzeln, der musste beeindruckt erkennen: Hier wurde der Nerv der Youngsters 2000 mitten ins Herz getroffen. Hier wurde eine schon überquellende Marktlücke – fast per Zufall – entdeckt. Hier tritt glasklar zutage, dass jede Diskussion über Computer und Internet müßig ist, dass unsere Kids längst mit ihren digitalen Freunden gut und gerne leben gelernt haben.

In weiser Voraussicht hatten die Verantwortlichen des Wettbewerbs keine strengen Kategorien vorgegeben – und das war gut so: Die originellen Ideen und die kreativen Umsetzungen, die sich die Youngsters (die jüngste Teilnehmerin ist drei, die jüngste Prämierte acht Jahre alt!) in Sachen Computeranimation, Musik, Game, Service, Graphik u. a. einfallen ließen, zeigten deutlich, mit welchem Hunger man sich auf die Möglichkeit eines freien Kräftemessens stürzte. Zwar erkannte man bei der einen oder anderen Arbeit die straff leitende – bei der Jury sehr unbeliebte – Hand eines ehrgeizigen Lehrers oder eines wohlmeinenden Vaters, doch im großen und ganzen nützen die jungen Teilnehmer die Chance, uns alten Knackis zu zeigen, was man mit den interaktiven Medien so wirklich anstellen kann.

Das größte Problem der Jury – die übrigens von anderen Jurorenteams des Prix Ars Electronica um die Auseinandersetzung mit soviel frischem Wind und frischem Blut beneidet wurden – war also nicht, prämierenswerte Arbeiten zu finden, sondern in quälenden Ausscheidungsprozessen immer wieder schweren Herzens wirklich gute Einsendungen zu eliminieren, um auf die unwürdig winzige Zahl von 18 Preisträgern zu kommen. Dass Beiträge, die auf rein technischen Möglichkeiten und Know-how basierten, zugunsten von formeller und inhaltlicher Kreativität eher unberücksichtigt blieben, erleichterte die Sache zwar – doch auf der anderen Seite lastete die Verantwortung, eifrige und berührende Ideen von genialen Volksschulkindern (10 % der Einreicher waren jünger als elf) gegen die Geistesblitze von 18jährigen abzuwägen und allen gerecht zu werden, schwer auf unseren Schultern.

Nachdem drei Tage lang täglich an die zehn Stunden gesichtet, heiß diskutiert und aussortiert wurde, standen am Sonntag, dem 24. Mai, die 18 prämierten Arbeiten fest.


Goldene Nica

Die „Trophäe“ der U19, die Goldene Nica plus dem dicken Sachpreis – ein Multimedia-Pentium-PC und ein Jahr Internet gratis – ging an Valerian Wurzer, Michael Mossburger und Florian Nehonsky, Schüler der achten Klasse des BRG 6 in der Marchettigasse, Wien. Sie nannten ihr durchdachtes, mehrdimensionales Projekt Titanic – wohlgemerkt, ohne den wirklichen Kassenschlager jemals gesehen zu haben – und überzeugten mit der gelungenen Kombination des neuen Mediums Computeranimation mit Form, Stil und Ästhetik des Stummfilms, dem das Rendering-Konzept bewusst und witzig angepasst wurde. Die Idee hinter dem Beitrag – dem überteuerten Medienspektakel Hollywoods einen Kontrapunkt entgegenzusetzen und die visuelle Verarbeitung einer Katastrophe zum Gaudium der Massen zu kritisieren – ist den „anonymen Titanikern“ auf amüsant-parodistische Weise gelungen.


Auszeichnungen

Neben der Goldenen Nica wurden noch zwei Auszeichnungen plus dem auch nicht zu verachtenden Sachpreis – je ein Multimedia-Pentium-Notebook im Wert von öS 50.000 – vergeben. Unter den vielen Musikstücken höchst kreativer Jugendlicher wurde Midi Paint von Leonard Huber, 18, aus Wiener Neustadt deshalb ausgewählt, weil es eine der wenigen Arbeiten mit wirklich interaktivem Charakter war. Seine Idee, Zeichnungen sowohl während ihrer Entstehung als auch als fertiges Ganzes in Töne umzusetzen, realisierte er in Visual Basic. Obwohl die Verbindung von Form und Klang nicht neu ist, regt gerade die Verbindung mit dem Computer zum Experimentieren und Spielen an, außerdem ist das Screen-Interface von Midi Paint besonders gut und übersichtlich. Dieses Projekt hätte einiges an weiterem Entwicklungspotential, besonders, wenn es vom Teilnehmer Internet-tauglich gemacht würde.

Der Referate-Fundus – http://www.fundus.org des 18jährigen Stephan Mitterndorfer aus Bad Goisern ist eine der eindrucksvollsten Arbeiten des Wettbewerbs: Mittlerweile über 2.500 Referate und Seminararbeiten sind in einer Access-Datenbank gesammelt und können von interessierten Kids „downgeloaded“ werden, bereits 1000 Zugriffe am Tag hat der Fundus, der ständig durch per E-Mail neu eintrudelnde Fach-, Haus- und Seminararbeiten aufgestockt wird.

Da U19/Freestylecomputing mit Absicht auch kontroversielle Themen, die sich im Umfeld Computer und Internet ergeben, aufgreifen will, wurde Referatefundus u. a. deshalb prämiert, weil das Projekt mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine pädagogische Diskussion – wie sinnvoll ist es, Schülern und Studenten fix fertige Arbeiten am Servierteller zu präsentieren? – auslösen wird.


Anerkennungen

Von der Jury wurden insgesamt 15 Anerkennungen ausgesprochen, die eine große Vielfalt und auch enorme Altersunterschiede bei den Einreichern sichtbar machen.

Das Projekt 38911 Basic Bytes free von Kathrin Meralla und Paul Swoboda (18) reflektiert in Form einer C64-Installation kritisch das Trägermedium. Mit ihren acht Jahren zählt Verena Holzknecht, die Einreicherin des Projekts Nachthimmel zu den jüngsten Teilnehmern – eine einfache Computergraphik, aber für dieses Alter doch eine beachtliche Einzelleistung.

Im Vergleich dazu ist die zweite prämierte Graphik Lego Dogs von Helmut Klinger eine ebenso kluge wie ironische Auseinandersetzung mit der Pop- Kultur, besonders wenn man das Alter des Einreichers (17 Jahre) berücksichtigt.

Der virtuelle Blindenstock ist ein Projekt des HTLSchülers Paul Pak (19), das in besonderer Weise technisches Know-how für soziale Zwecke einsetzt. Im Bereich Computerspiele gab es innerhalb der Jury eine lange Diskussion, wie diese bewertet werden sollen.

Aus den eingereichten Arbeiten wurde schließlich die Arbeit Würstelstand von Futureware 2001 ausgewählt, die sich witzig mit einem typisch österreichischen Inhalt in der Tradition klassischer Handelsspiele auseinandersetzt.

Das Projekt 100 Jahre Pinzgau Bahn ist eines der gelungenen Beispiele für Web-Präsentationen von Tourismusregionen und Firmen durch Schulklassen, wobei auch hier das Alter der Teilnehmer (13 Jahre) besonderen Respekt abverlangt. Auf Grund der Fülle der in diesem Bereich eingereichten Arbeiten kann man sagen, dass sich hier sehr wohl ein Trend abzeichnet und Jugendliche immer stärker in einer lokalen Web-Realität tätig werden.

Generation 1.x von Markus Strahlhofer (17) ist das mit Abstand am professionellsten gemachte Online-Spiel aller Einreichungen und besticht durch eine gelungene graphische Umsetzung.

Die 9jährigen Schüler der 3.A-Klasse der Volksschule Vereinsgasse in Wien haben mit ihrer 3.A-Klassen- CD ein eindrucksvolles Web-Debut geliefert.

Lost Poem von Doris Mätzler (17) und Jürgen Bereuter (18) und Life in the 90ies is full of kindness von Thomas Oberhofer (19) sind eindrucksvolle Einzel- bzw. Selbstportraits im Internet.

Wie der Sieger, so ist auch die Computeranimation Evolution von Alexander Krasnicka (18) von besonders hoher Qualität und besticht zusätzlich durch eine enorme graphische Umsetzung.

Nightmareon Rainberg einer Schülergruppe des Gymnasiums Rainberg ist ein gelungener Kurzfilm, der Realsequenzen und Story mit Computeranimationen und Special Effects verbindet und gleichzeitig auch Hollywood-Genre-Filme wie Mars Attacks oder Men in Black in gekonnter Weise klont. Script, Kamera und Storyline sind gelungen.

Die Idee, einen Screen-Saver aus ASCII-Files zu programmieren, brachte Gottfried Haider (13) eine Anerkennung für Der Traum des Computers.

Well von Peter Plessas ist ein weiteres gelungenes Musikstück, welches stellvertretend für andere Musikstücke prämiert wurde, und der Roboter- Simulator New Mouse von Martin Ankerl (18) ist vom technischen Aspekt gesehen eine der aufwendigsten Einreichungen. Die Arbeit wurde zusätzlich in vorbildlicher Weise dokumentiert und dargestellt.

Dass weitere ausgezeichnete Arbeiten – etwa die Audio-CD Sound Club 2.0 des 15jährigen DJ Benedikt Schalk aus Schwechat – nicht in die Wertung kamen, dass in vielen Sparten und Altersgruppen oft nur ein Projekt stellvertretend für viele andere, die eine Anerkennung verdient hätten, herausgehoben werden konnte, sollte zuständige Behörden und potentielle Sponsoren dazu anregen, den Kids weitere Möglichkeiten zur Präsentation ihrer Kreativität zu geben.

Besonders die Schule, in der man ja bekanntlich nicht für sie selbst, – also nicht für die Schule und ihre tagesaktuellen Bedürfnisse – sondern für die Zukunft (und die ist nun einmal digital) lernt, müsste das Handling von Computer und Internet in viel größerem und engagierterem Maße in den Unterricht einbauen. Wobei sie manche Youngsters, für die das Netz schon selbstverständliches Kommunikationsmedium ist, wohl gar nicht mehr viel lehren wird können. Hieß es doch im begleitenden Text zur Klassenarbeit der 3.A der Volksschule Vereinsgasse:„Wenn die Direktorin nicht mehr weiterweiß, holt sie den Takuya ...“.

Der Prix Ars Electronica hat nach diesem gelungenen Einstand von Cybergenaretion U19/Freestylecomputing jedenfalls einen fundierten Wegweiser, wie sich dieser Wettbewerb in den nächsten Jahren weiterentwickeln könnte, und erwartet schon mit Spannung die kommenden Trends, die die Youngsters für ihre eigene Zukunft setzen werden. Hoffentlich konnte zumindestens ein weiterer Anstoß dazu gegeben werden, mit dem allgemein beliebten Vorurteil aufzuräumen, die Kids würden nur blöd Manderln abschießen und hinter dem Computer vereinsamen. Das genaue Gegenteil ist der Fall, wie man in Beiträgen wie Life in the 90ies is full of Kindness, Referatefundus und Virtueller Blindenstock leicht erkennen kann: Sie nützen das Medium zur kreativen Selbstdarstellung, zur Vermittlung von für sie wichtigen Inhalten und zur Kommunikation bis hin zu menschlich berührenden und sozialen Hilfsleistungen ...


 
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