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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
ORF Oberösterreich

Sehen und fühlen

Barbara Robertson

Die Jury der Kategorie Computer Animation / Visual Effects hat insgesamt 248 Einreichungen begutachtet und aus diesen drei Preisträger sowie sechs Anerkennungen ausgewählt. Um die Stärke der von uns prämiierten Stücke zu unterstreichen, verzichteten wir bewusst darauf, den möglichen Rahmen von zwölf Anerkennungen auszuschöpfen.

Es steht außer Zweifel, dass auch der diesjährige Gewinner der Goldenen Nica, „Monsters, Inc.“ (USA), eingereicht von Peter Docter von den Pixar Animation Studios, in künstlerischer wie technischer Hinsicht hervorragend ist – was man bei Arbeiten von Pixar inzwischen ja schon voraussetzt. Dies bedeutete aber, dass die Einreichung unsere Erwartungen noch weit übertreffen musste, und die Jury ist überzeugt, dass dies gelungen ist, besonders mit der Figur des Sully, einer wuscheligen Gestalt. Die für die Realisierung von Sullys Pelz entwickelte Technologie hat es den Künstlern erlaubt, eine Schwelle zu überschreiten: Es gibt im Film eine Szene, in der das kleine Mädchen Boo Sullys Pelz mit ihrem Finger sanft streichelt. Es ist eine emotionale Szene, weil das computeranimierte Fell erstmals ein realistisches taktiles Gefühl zu transportieren vermag. Dies haben wir bisher noch nie in einem digitalen Bild gesehen (oder gefühlt), und wir sind überzeugt, dass wir – sobald Künstler und Animatoren erkannt haben, welche neuen Möglichkeit sich für sie damit auftun – etliche tiefere und reichere computeranimierte Filme zu sehen (und zu fühlen) bekommen werden.

Der mit einer Auszeichnung gewürdigte Film „Harvey“ des australischen Filmemachers Peter McDonald hat zu unserer Freude eine Lücke geschlossen, die die vorjährige Entscheidung offen gelassen hatte, als die Jury ohne Erfolg Ausschau gehalten hatte nach wenigstens einem „Takeover-Werk“, das voller roher Energie, voller Innovation steckt, das begeistert und ein persönliches Statement darstellt. „Harvey“ ist genau das gesuchte Werk. Es hat zwar noch ein paar raue Kanten, aber es ist neuartig und signifikant. Es ruft den anderen Künstlern zu: „Befreit euch, packt diese seltsame Idee in eurem Hinterkopf und macht etwas draus!“

Der zweite Gewinner einer Auszeichnung, „Panic Room“ von BUF (Frankreich), zeigt einen als solchen absolut nicht erkennbaren Visual Effect, der ausschließlich zu dem Zweck geschaffen wurde, eine Kamerafahrt zu ermöglichen, und der das Vokabular des Filmemachens einschneidend verändern wird. BUF hat dem Regisseur von „Panic Room“ die Freiheit gegeben, seine Kamera ohne Einschränkung durch eine offenbar reale Szenerie fahren zu lassen – selbst durch eine Kaffeekanne hindurch, wenn er das denn so wollte. Im eingereichten Material demonstriert BUF auf sehr ausgereifte subtile Weise, wie dieser Effekt zustande kommt, und zeigt damit in eine Richtung, von der wir hoffen, dass sie in Zukunft auch von anderen Effects-Einreichungen aufgegriffen wird.

Und so lief der Entscheidungsprozess ab: Für die erste Runde beschlossen die Jury-Mitglieder, dass eine einzige Ja-Stimme eines einzelnen Jurors reichen würde, das Werk in der Auswahl zu behalten, dass aber für eine Ablehnung Einstimmigkeit erforderlich war. Sobald ein „Ja“ ertönte, wurde das Band angehalten und zur nächsten Einreichung weitergegangen; wenn jedoch Unsicherheit bestand, wurde die Einreichung in voller Länge betrachtet. Am Ende des Tages waren 47 Einreichungen im Rennen verblieben.

Für die zweite Runde am nächsten Tag wurde beschlossen, dass nunmehr zwei Ja-Stimmen für den weiteren Verbleib erforderlich sein würden. Nach der Betrachtung und Diskussion sämtlicher 47 Werke wurde das Feld auf 20 eingeschränkt.

In der dritten Runde wurden all jene Werke gezeigt, die die Juroren nochmals sehen wollten, es wurde gefragt und diskutiert, und dann stimmte jeder der Juroren für jene Werke, die er oder sie unter den Preisträgern und Auszeichnungen sehen wollte. Nach Eliminierung der Werke mit nur einer oder keiner Stimme hatten wir das Feld auf 15 reduziert.

An diesem Punkt begannen wir, nach den drei Preisträgern Ausschau zu halten. Am Ende des Tages hatten wir eine vorläufige Auswahl, aber sie schien uns nicht wirklich zu überzeugen. Wir betrachteten sie daher eher als Ausgangspunkt für weitere Diskussionen am folgenden letzten Tag – und so war es denn dann auch.

Am dritten Tag wurden erstmals ernsthaft die Kriterien diskutiert, nach denen die auszuwählenden Werke beurteilt werden sollten. Bei der nochmaligen Durchsicht der tags zuvor gewählten Werke wurde uns klar, dass wir sie zwar auf Basis ihrer künstlerischen und technischen Leistung ausgewählt hatten, dabei aber nicht bedacht hatten, ob sie eine kulturelle Wirkung haben würden. Es ist dieses dritte Kriterium, das unserer Ansicht nach im Verein mit den beiden anderen den Begriff „herausragend“ im Sinne des Prix Ars Electronica definiert und diesen von Filmfestivals und anderen Wettbewerben unterscheidet.

Darüber hinaus fanden wir uns mit zwei weiteren offenen Fragen konfrontiert, die bereits frühere Jurys geplagt hatten: Wie sollte man mit studentischen und unabhängigen Produktionen umgehen, die in der gleichen Kategorie wie die Werke der ganz Großen eingereicht wurden? Und: Wie sollten die Visual-Effects-Einreichungen behandelt werden?

Die erste der beiden Fragen – die Bewertung der Werke von Studenten und kleinen Firmen im Vergleich zu großen Studios – war bereits im Vorjahr so gut wie unbedeutend geworden, als die Jury mit freudiger Überraschung feststellte, dass die studentischen Arbeiten durchaus auf gleichem Niveau gegen die Werke der großen Studios angetreten waren. Diese Situation fanden wir heuer bestätigt: Die Filme „Mouse“ und „Kikumana“ seien als Beispiele für die erstaunliche Raffinesse genannt, die wir in studentischen Arbeiten gefunden haben.

Bemerkenswerterweise lieferten die Einreichungen selbst die Antwort auf die zweite Frage: Wie sollten die Visual Effects beurteilt werden? Hier kurz zusammengefasst unsere Problem- und Diskussionspunkte: Wenn es das Ziel der Visual Effects ist, dem Film zu dienen, in dem sie eingesetzt werden, können sie dann unabhängig von diesem Film beurteilt werden? Wenn nicht, würde sich unsere Beurteilung dann nicht eher auf die Entscheidungen des Filmregisseurs stützen als auf die Qualität der Effekte? Und wenn wir einen Preis für eine Visual-Effects-Einreichung an einen Film vergäben, der Effekte unterschiedlicher Studios vereint, würde der Preis dann an alle Studios gemeinsam gehen oder nur an die tatsächlichen Einreicher? Wie könnten wir einen Film auszeichnen, von dem wir nur einen Teil der Visual Effects gesehen haben? Diese Fragen führten zu einer Betrachtung der Visual Effects als in sich geschlossene Werke. Aber wenn wir die Effekte unabhängig von jenem Film beurteilen sollten, in dem sie erscheinen, welche Maßstäbe sind dann an sie anzulegen? Wir können zwar die Technologie beurteilen und eventuell auch die Auswirkungen auf die Kultur des Filmemachens, aber wie sollten wir den künstlerischen Aspekt bewerten?

Effects-Einreichungen sehen allzu oft aus wie Technik-Sammlungen, wie Demo-Bänder.

Mit diesem Rätsel haben wir uns herumgeschlagen, bis uns bewusst wurde, dass wir die Lösung eigentlich schon längst vor Augen hatten. Bei einer neuerlichen Durchsicht der Einreichungen wurde uns klar, dass manche Studios sich die Mühe gemacht hatten, die Effects eines Films selbst in künstlerischer Weise zu präsentieren. Die Visual Effects waren damit zu in sich geschlossenen Werken geworden und konnten von uns ohne Rücksicht auf den Film, in dem sie erschienen, begutachtet werden. Wir hoffen, dass sich jedermann Zeit nimmt, die Einreichungen zu Digital Domains „Time Machine“ und BUFs „Panic Room“ als Beispiele dessen anzusehen, was die Jury entdeckt hat.

Wir glauben, dass die Betrachtung von Visual-Effects-Einreichungen unter diesem Aspekt enorme Vorteile bietet: Zunächst erlaubt sie auch dem einzelnen Künstler, seine besten Arbeiten ohne Zusammenhang mit anderen Visual Effects im Film einzureichen, weiters können Effects eingereicht werden, die nicht in die Kinofassung übernommen wurden. Allerdings bedeutet das auch, dass diese Einreichungen über das Niveau von Demo-Bändern hinausgehen müssen. Kommerzielle Studios sind offensichtlich eher in der Lage, diesen Kriterien Genüge zu tun, und bei den billigen digitalen Schnittwerkzeugen, die heute schon zur Verfügung stehen, sollte dies eigentlich auch für Studenten machbar sein. Je länger wir dieses Problem diskutierten, umso begeisterter waren wir von dieser Lösung. Wir sind überzeugt, dass sie dem Grundgedanken des Prix Ars Electronica gerecht wird, und wir hoffen, dass in Zukunft auch das Einreichungsformular diesen Durchbruch widerspiegeln wird.


Die Anerkennungen

Als wir die drei Preisträger ermittelt hatten, sahen wir uns veranlasst, uns bei den Anerkennungen auf einige wenige, dafür aber besonders signifikante Werke zu beschränken. Jede der ausgewählten Arbeiten ist als solche bemerkenswert – wir können nur empfehlen, sie aufmerksam zu betrachten.

„Annlee, You Proposes“, eingereicht von Lars Magnus Homgren (GB): Hervorragende Integration von Grafik- und Audio-Elementen. Timing, digitaler Schnitt, die Mischung von Charakteren und die Energie, die in diesem abstrakten, überwiegend schwarz-weißem Stück stecken, sind faszinierend und von hoher Qualität.

Die Visual Effects zu „The Time Machine“, eingereicht von Digital Domain (USA), sind als solche bekannte Ideen, die auf neue Art umgesetzt werden; besonders beeindruckt haben uns die technischen Rafinesse, die sich etwa in den erodierenden Landschaften ausdrückt. Die Präsentation der Effekte auf dem eingereichten Band selbst entspricht genau dem, was wir als unsere Vorstellungen von einer Visual-Effects-Einreichung definiert hätten, wenn wir von vornherein dazu die Möglichkeit gehabt hätten.

„Polygon Family: Episode 2“ von Hiroshi Chida (J): Uns hat dieser perfekt ausgeführte Kurzfilm, der die Computerspiel-Ästhetik als satirisches Mittel einsetzt, sehr gefallen; besonders anerkennenswert ist dabei einerseits die bewusste Zurückhaltung, andererseits die hervorragende Animation.

„Kikumana“ von Yasuhiro Yoshiura (J): Erst nachdem wir diesen mit Strata 3D-Software erstellten Film ausgewählt hatten, wurde uns bewusst, dass er von einem erst 21-jährigen Studenten stammt. Einer der Juroren bezeichnete den Film als „schlichtweg wunderschön“. Besonders begeistert haben uns immer wieder überraschende Momente, die nahtlosen Übergänge zwischen 3D-Grafiken und handgezeichneten Bildern und die fesselnde Kameraführung.

„Mouse“ von Wojytek Wawsczczyk (D) beweist einmal mehr, dass man bei studentischen Arbeiten keine Augen zuzudrücken braucht und Technologie heutzutage keine Hürde mehr darstellt. Die exzellente Erzählweise und die Gestaltung der Figuren in diesem Film haben die Jury bezaubert.

„BMW Pool“ von Jason Watts (GB): Wenn sie gut sind, haben Visual Effects immer etwas von Zauberei an sich, und diese Einreichung bietet einen der besten Zaubertricks, den wir je gesehen haben.


Ein paar abschließende Gedanken

Aufgefallen ist uns die Häufung von Schwarz-Weiß-Animationen, von Animationen mit Stockpuppen oder Püppchen im „Anime-Stil“ und eine beängstigend hohe Zahl von Einreichungen, die unpassende oder ungeeignete Schriftfonts verwenden. Außerdem hatten wir den Eindruck, als würden wir unendlich viele Filme mit körperlosen sprechenden Köpfen vor schwarzem Hintergrund zu sehen bekommen. Einer der Juroren merkte an, Einreichungen in dieser Kategorie sollten zumindest ein Mindestmaß an Animation aufweisen. Und trotz all unserer Bemühungen war unter den abstrakten Arbeiten keine zu finden, die in irgendeiner Weise Neuland betreten hätte.

Gefallen hat uns, dass viele Filme – darunter vor allem die Anerkennungen „Annlee, You Proposes“ und „Kikumana“ – mit neuen Formen des Erzählens experimentieren. Es gab Filme, die wir nicht oft genug sehen konnten -- „Polygon Family“ etwa mit seinen zeitlich perfekt abgestimmten Überraschungseffekten und natürlich „Mouse“, das die Juroren dazu brachte, jeden Sitzungstag mit dem Sprechchor „Mouse, Mouse, Mouse!“ zu beginnen. „Mouse“ ist keineswegs innovativ (außer man wollte in der Tatsache, dass ein Student so ein Werk schaffen kann, etwas Neues sehen), aber es ist schlichtweg hervorragend.

Der Film, den wir einstimmig als den innovativsten anerkannt haben, ist auch der beunruhigendste, nämlich „Harvey“. Endlich ein verstörender Film, der ohne digitale Werkzeuge nicht hätte entstehen können, die hier dazu verwendet wurden, um Bilder zu schaffen, wie wir sie nie zuvor gesehen haben, Bilder, die für die Geschichte essenziell sind. Eine faszinierende Geschichte, die auf ganz erstaunliche Weise erzählt wird! Mehr davon! MEHR!

 
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