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Veranstalter
Ars Electronica Linz & ORF Oberösterreich
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Den klanglichen Ausdrucksmitteln gerecht werden
David Toop / Gordon Monohan / Naut Humon
Es ist ein Zeichen der Zeit, dass die fortschreitenden Entwicklung in Audio-Technologie und -Interfaces für die Entfaltung einer wachsenden Musik- und Klangkunst-Szene sorgt. Man erinnert sich noch an eine Zeit vor etwa 30 Jahren, als die Klangkunst-Szene so klein war, dass selbst die meisten zeitgenössischen Künstler noch nie von ihr gehört, geschweige denn sie erlebt hatten.
Der heutige Ansatz setzt einen Trend fort, der sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts aus der Obskurität hin zur Alltäglichkeit entwickelt hat: dass nämlich signifikante Musik durchaus auch von Leuten produziert werden kann, die sich nicht als „Full-Time-Künstler“ verstehen, sondern künstlich geschaffene Klänge einfach deswegen erzeugen können, weil sie einen Laptop samt Zugang zu jeder Menge Musik-Software erworben haben. In diesem Sinn wird etwas, das vor nur einer Generation eine künstlerische Randerscheinung war, zu einer Art Neuer Technologischer Volksmusik, die nicht länger nur die Domäne geschulter Musiker ist, sondern von Leuten unterschiedlichster Herkunft und Berufe gemacht wird.
Daran wird auch deutlich, dass die Musik in unserer zunehmend assoziativen Gesellschaft, die ihren Nährboden bildet, immer stärker an Bedeutung gewinnt. Vor hundert Jahren diente Musik entweder der Unterhaltung, der gehobenen Kultur oder der kultischen Verehrung. Heute ist die Musik weit über diese funktionalen Kategorien hinaus eingebunden und verändert sich in ihrer soziokulturellen interaktiven Signifikanz, indem sie sich hinsichtlich Theorie, Technik, Konzept, Wissenschaft, Umwelt und Lebensstil neu definiert.
Hand in Hand mit dieser Ausweitung in Gebrauch und Funktion geht die ständige Entwicklung des Genres, was besonders in Bezug auf die Kategorie „Digital Musics“ relevant ist. Wir haben Werke aus Deconstructed Pop gehört, traditionelle Musique Concrète, akademische Computermusik, Klangkunst und -Installationen, improvisierte instrumentale und Sampler-gestützte Musik, Laptop-Mixing, DJ-Arbeiten, erfundene Instrumente, Klangskulpturen, Musikvideos, hybride Klang-/Video-Installationen und Umwelt-Klanglandschaften, um nur einige der häufigsten Beispiele dessen anzuführen, was alljährlich auftaucht.
„Klang“ ist in seiner Essenz etwas Vages, und so muss auch die Bewertung von Musik etwas Subjektives bleiben. Oft genug irrte die diesjährige Jury in den Nebeln des Subjektiven herum auf der Suche nach einem klaren Zeichen, das uns zu einer halbwegs fundierten Entscheidung hätte führen könnte. Keine Kunstform kann jedes Jahr einen Sprung nach vorne machen, und 2004 war vor allem durch das Gefühl charakterisiert, sich in einer Warteschleife zu befinden: Man kreist eine Weile über dem Flughafen, in der Hoffnung auf eine baldige Landung, aber selbst in dieser unangenehmen Situation des Nirgendwo-Hingelangens genießt man die Möglichkeit, den Boden unter sich im Detail zu studieren.
Grob gesagt, klang nichts besonders neu oder überraschend, auch wenn die Quellmaterialien, die in fertige Klangwerke umgewandelt werden, immer exotischer und in einigen Fällen rätselhaft oder geradezu komisch waren. Betrachtet man den Klangursprung und nicht das gemeinsame Endformat auf CD-Rom, so entstanden die Stücke aus Stein, Papier, Bleistiften, Ton, Schlamm, Dampf, dem Hall einer öffentlichen Toilette, Heavy-Metal-Klischees, Schwankungen des Aktienmarktes, Hefezellen, Wettermessungen und den Wellen des Pazifiks. Die Begutachtung zweier Kompositionen, die beide aus Wetterdaten entstanden, war interessant, da der Unterschied im Hörerlebnis beträchtlich war. Offensichtlich kann aus Daten so ziemlich alles werden, wenn sie nur den ästhetischen Intentionen und technischen Fähigkeiten des Komponisten entsprechen.
Die Umwandlung von Daten als künstlerisches Anliegen gewinnt immer mehr an Bedeutung – was ein Beweis dafür ist, dass Computer eben immer stärkere Verbreitung finden und die Übersetzung von nicht-auditiven Informationen in etwas ermöglichen, das wir hören können, genauso wie auch Audio-Aufnahmen in Klänge verwandelt werden können, die wenig Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Quelle haben. Die Frage ist nur: Warum? Ob wir positiv auf Werke dieser Kategorie reagierten, hing häufig davon ab, ob wir das Gefühl hatten, hier auch eine Bedeutung wahrnehmen zu können.
Wenn in einem Hurrikan gesammelte Daten zu nichts anderem führen als zu etwas, das nach New-Age-Musik klingt, dann ist die Nutzung dieser Quelle sowohl anmaßend als auch tendenziös. Wenn sie aber andererseits ebenso komplex und dramatisch klingen wie ein Hurrikan, dann ist dies zweifellos ein anerkennenswerter Punkt.
Und Ähnliches kann auch zur Klangdiffusion gesagt werden, zur programmierten Bewegung von Klang im Raum. Die zunehmende Verbreitung der DVD garantiert für die Zukunft eine wachsende Zahl von Einreichungen, die nach vier, sechs oder acht Lautsprechern verlangen. Der Klang wird von Lautsprecher zu Lautsprecher zischen, was manchmal zu kraftvollen Effekten führt, manchmal aber zu nichts anderem als einem Gefühl der Indifferenz. Wiederum: Wozu das Ganze? So etwas muss einen guten Grund haben, und Leute, die ihre Motivation tatsächlich artikulieren können, die gibt es.
Eine etablierte Gestalt in diesem räumlichen Feld elektroakustischer Phänomene, die unsere gespannte Aufmerksamkeit zu fesseln wusste, war Horacio Vaggione.
Seine kontinuierlichen morphologischen Expeditionen ließen uns seine Leidenschaft für erfahrungsorientierten Klangausdruck erspüren, der manchmal unsere individuelle emotionale Hinwendung zu seinem ausgefeilten Ansatz in Frage stellte. Und wenn auch unsere individuelle Wertschätzung für signifikante akusmatische Errungenschaften ein wenig fließend war, sorgten Vaggiones aufwühlende Transformationen doch dafür, dass die Jury weiterhin gewisse Hoffnungen in dieses kontroversielle Genre setzte. Hier war ein bis heute relevanter Meister seiner Kunst am Werk, und dennoch blieben unsere ästhetischen Gefühle dieser Art von Musik gegenüber geteilt.
Das Thema „emotionales Engagement im Klang“ ist schwierig und höchst subjektiv, und dennoch tauchte es regelmäßig (wenn auch unausgesprochen) in unserer Bewertung auf. Dieses Jahr ließ sich ein gewisses Maß an Niedlichkeit oder schrägem Humor feststellen. Und wenn man viele grimmige klangliche Übungen in Computerrhetorik gehört hat, dann sind einem solch lächelnde Einschübe höchst willkommen. Computer können unerfahrenen und kaum entwickelten Klangkünstlern helfen, Werke zu produzieren, die, wenn schon sonst nichts, dann wenigstens professionell klingen — und während der Jurysitzung entspannten sich interessante Gespräche über die Ethik bei der Beurteilung so vieler so verschiedener Stile, Erfahrungshorizonte und Leistungsebenen.
Inzwischen versuchen Komponisten wie AGF und Christian Fennesz mit beträchtlichem Erfolg, Probleme im Zusammenhang mit der Fetischierung technischer Prozesse anzusprechen. Ihre Arbeiten akzeptieren und integrieren problematische Beziehungen zwischen Mensch und digitaler Technologie; die Bereitschaft, sich mit dem Potenzial und den Beschränkungen der Software auseinanderzusetzen, vermittelt in ihrer Musik ein starkes Gefühl dafür, was es heißt, in der Gegenwartswelt zu leben. Und genau das war auch der Fall bei Thomas Köners DVD-Einreichung Banlieue du Vide.
Einfach in seinen Komponenten, setzte das Stück die von Überwachungskameras downgeloadeten Bilder — meist einsame schneebedeckte Straßen im ländlichen Bereich — mit dem bereits aus Köners früheren Werken bekannten vollen, sehr beunruhigenden Brummen in Beziehung. David Toop erinnerte die Arbeit sofort an The Body Artist, einen Kurzroman von Don DeLillo aus dem Jahr 2001, in dem die Hauptfigur „Stunden am Computerbildschirm verbrachte, einen Live-Video-Stream betrachtend, der vom Rand einer zweispurigen Straße in einer finnischen Stadt eingespielt wurde. In Kotka in Finnland war es mitten in der Nacht, und sie beobachtete den Bildschirm. Es interessierte sie, weil es jetzt geschah, eben, als sie da saß, und weil es 24 Stunden am Tag geschah, gesichtslos, mit Autos, die in Kotka ein- oder ausfuhren, oder nur mit der leeren Straße in den toten Zeiten. Die toten Zeiten waren die besten.“ Viel mehr passiert auch auf Köners DVD nicht, und dennoch war der Effekt beunruhigend, hypnotisch, wunderbar umgesetzt und seltsam bewegend. Wir fanden uns in einer mysteriösen, spannungsgeladenen Stimmung der Einhelligkeit wieder: Das war die Goldene Nica. Hier war einer, der jetzt auch visuell das widerspiegelt, was seine Musik seit Jahren porträtiert hat: ein arktisch kaltes Gefühl einer desolaten klanglichen Tundra, die sich nur unendlich langsam verändert. Er wäre wohl so ziemlich der Letzte gewesen, dem wir einen Sieg prophezeit hätten, weil die Subtilität in seinem Klangkontinuum nach Konzentration und Zeit zum Nachdenken verlangen.
Was in aller Welt also ließ ein Werk dieser Art an die Spitze gelangen?
Nach etlichen Tagen, die damit verbracht wurden, Ausschnitte aus 600 Einreichungen anzuhören und nach dem Herausragenden zu suchen, schien sich durch viel des Gehörten ein Riss zu ziehen. Viele Leute interessieren sich für technische Entwicklungen, komplexe Programmierung, kompositorische Anliegen und so weiter. Dann gibt es jene, die eher darauf konzentriert sind, den Computer in einer konventionelleren, gesangsorientierten Weise einzusetzen. Ob dies die Ohren nur emotional, nur intellektuell oder doch in beiderlei Hinsicht anspricht, ist eine persönliche Angelegenheit. Wir fanden eine Anzahl von Beispielen, die diese fesselnde ästhetische Qualität in sich bargen.
Das Projekt Westernization Completed von AGF brachte eine lyrische Vokalpräsenz zu einigen sehr außergewöhnlichen Klangbett-Konstruktionen aus fragmentierten Beats und abstrakten tonalen Passagen. Fast ist es, als würde sie zeitgenössische HipHop- oder R&BAnklänge in winzige präzise Partikel zerteilen, die dann in einer weniger vorhersehbaren Weise pulsieren und koalieren. Ihre gesprochenen oder gesungenen Klangäußerungen reiten auf einem abgehackten Strom von Silben und Sätzen, die aus informellen Online-Emails oder dahinplätschernden Gesprächen ausgeschnitten wurden. Was teilweise ambivalent scheint, enthüllt ein Gefühl der Intimität, das sich eingehend mit den Widersprüche auseinandersetzt, die mit einer „Beziehung via Computer“ verbunden sind. Die Worte schienen gleichzeitig furchtlos, steif und doch verwundbar zu sein — manchmal beinahe schon verlegen machend —, ein Kontrast, der den Raum zum Schweigen brachte und die Juroren perplex machte. Und während uns diese Rätselhaftigkeit gefangen nahm, fiel auf, dass Antye Greie etwas tat, was die meisten hinter ihren Laptops versteckten Männer nicht tun würden: Sie ist fordernd, aber nachgiebig. Verwirrend, aber glaubhaft. Wir hatten unerwarteterweise eine würdige Preisträgerin für eine Auszeichnung gefunden, AGF hingegen ihre eigene distinktive Sprache.
Computerbearbeitete Gitarrenstücke scheinen derzeit eine Renaissance zu erleben. Nachdem wir einige viel versprechende Sechs-Saiten-Aufnahmen von Akira Rabelais, Desormais und anderen unter den Einreichungen fanden, destillierten wir noch ein paar für unsere Liste der Anerkennungen heraus.
Der Österreicher Christian Fennesz hat sich bereits als herausragender Laptop-Musiker etabliert. Seit über einem Jahrzehnt verzweigen sich seine grundlegenden Songwriting-Methoden und gipfeln im dunklen, melancholischen Release von 2004, Venice, einem Epos aus binärem Pop und texturalem Spill, das beim Label Touch erschienen ist. Auch wenn Fennesz schon beim Prix Ars Electronica 99 mit einer Auszeichnung geehrt wurde, waren wir 2004 ebenso, wenn nicht sogar noch mehr beeindruckt als damals … Auf ganz großartige Weise war ihm hier eine wohl berechnete Korrosion gelungen, indem Gitarrentöne in eine warme, eherne, dampfende Masse verschmiert wurden. Jeder Ansatz des Organischen wird bewusst durch zufällige Arten von Pops und Cracks und statischen Instabilitäten entweiht, die einen erkennbaren melodischen Kontext durchdringen. Als fast unnatürliche Interferenz mit diesen Naturkräften nimmt Fennesz ein Bad und ertränkt die Klänge in der strahlenden Leuchtkraft sublimen Untertauchens. Das hier war, wie unsere Goldene Nica, ein Meisterwerk, aber wir mussten noch abwarten.
Alle Arbeiten in unseren Top 20 waren gut. Bloß — es gab nicht genug Plätze für alle Favoriten. Beim Prix Ars Electronica zu gewinnen heißt nicht notwendigerweise, dass man besser oder populärer ist oder irgendeine Art von Meisterwerk geschaffen hat. Es geht vor allem darum, bei einer unberechenbaren und keineswegs perfekten Gruppe von Leuten, die auf unterschiedlichste Weise in und mit Musik leben, eine Resonanz hervorzurufen. Es geht darum, welches Signal oder welche Substanz des Ausdrucks bestimmte Stücke für die versammelte Jury und die internationale Community der digitalen Musik und Klangkunst darstellen. Es gibt Hunderte von wichtigen Projekten, aber wir können nur einige für unser Forum auswählen. Und so ging unsere Suche weiter. Anstatt dem Pfad unserer üblichen Erwartungen zu folgen, schnappte Anne Laplantine eine Gitarre und fand Akkorde und Melodien, die sie in eigentümlichen Passagen digital de- und re-konstruierte. Was Struktur und Komposition betrifft, so ist ihre Musik eher der barocken Fuge verpflichtet und kommt sehr „analog“ rüber, ohne jene starken und übersättigten Kurven, denen gemeinhin gefolgt wird. Sie hält sich aber auch von den typischen „Thema–Variation—Thema“-Repetitionen fern und bleibt auf einem spielerisch-transitorischen Weg substanzieller harmonischer Dichte, die den einzelnen Instrumenten Raum zum Atmen lässt. Ihr Werk ist ein persönliches Road-Movie, eine Suche nach der ultimativen Lösung, ein ständiges Bemühen, eine unendliche Klang-Geschichte, die unsere Neugier zu fesseln vermochte.
An einem bestimmten Punkt erschraken wir geradezu über das Hereinbrechen von etwas wie zermatschter, verwirrender, durcheinander gewürfelter Metal Music. Das war aber nicht der übliche Mash-Up-Audiojob. Chlorgeschlecht stach aus irgendwelchen Gründen heraus. Das Trio pflegte in Metal-Bands zu spielen, und deswegen versucht es, einige jener Songs, die ihm in Heavy Metal gefallen, in anderen Stilen wie Easy Listening neu zu fassen und sie anschließend mit einer Vielzahl von elektronischen Überlagerungen zu vermengen. Ziel von Chlorgeschlecht ist es, wegzukommen vom Image der Laptop-Musik als einer sehr introvertierten Sache für Spinner, sie wollen etwas Humor in die Praktiken bringen und dennoch ausdrücken, dass das alles nicht ironisch gemeint ist, sondern dass sie diese Songs und diese Musik lieben.
Ein anderer Künstler, dessen Performances stets etwas subtil Amüsierendes an sich haben und eine magnetische Anziehungskraft ausüben, ist Felix Kubin. Ein Keyboarder, der das Bild des verschrobenen Spinners in seinem Labor für elektronische Musik parodiert und eine Art „gefakete Popmusik“ erzeugt, die auf Einflüsse von der seriösen akademischen Musik über Dada bis hin zur Neuen Deutschen Welle der Achtziger verweist. Kubins seltsamer Zugang zur Musik (und seine Haartracht) beweisen, dass es doch so etwas wie einen deutschen Humor gibt, jedenfalls innerhalb eines überzeugenden Rahmens aus faszinierenden klanglichen Konstellationen.
Eine Kombination aus gleichen Teilen analog und digital, aus Instrument und Festplatte bietet das jüngste Full-Length-Album Phantom Orchard von Ikue Mori und Zeena Parkins, erschienen bei Mego. Ein absolut umwerfendes Dokument zweier Virtuosinnen, die simultan die Reichweite ihrer Instrumente — Perkussion und Harfe — über deren ursprüngliches Vokabular der prädigitalen Ära hinaus erweitern. Mori und Parkins beeindruckten die Jury vor allem mit der künstlerischen Tiefe, mit der sie dies im Duo-Format durchzogen. Und Phantom Orchard präsentierte sich nicht nur als instinktive kompositorische Zusammenarbeit, sondern auch als etwas ganz Besonderes unter den vielen Laufmetern computermanipulierter und -bearbeiteter Instrumentalarchive. Es ist toll, ein gut gespieltes Instrument in Zusammenhang mit elektronischer Musik zu hören. Und ebenso wertvoll ist es, einmal etwas zu hören, was nicht voller Klischees steckt. Auch wenn das Stück stellenweise ein wenig an Sci-Fi-Soundtracks der 1950er zu erinnern scheint, klang diese Kollaboration von Mori und Parkins anders als alles, was wir gehört haben. Die Chemie zwischen den beiden Musikerinnen schien auf beeindruckende Weise gleichermaßen komplex wie grundsolide zu sein.
Der Gewinner der anderen Auszeichnung, Janek Schaefer, schuf eine Klanginstallation, die sozusagen eine „rückentwickelte“ Form einer Low-Tech-Version des Turntableismus darstellt. Er hat einen alten Victrola-Plattenspieler mit einem Lautsprecher ausgestattet, der ins Horn des Grammophons hineinstrahlt, und dann eine noch nicht geschnittene Schellack-Platte aufgelegt. Durch das Zuspielen von Klängen in den Schalltrichter des Grammophons konnte Schaefer eine primitive Schallplatte mit inkonsistenten Rillen schneiden, die beabsichtigterweise ein „Skating“ verursacht, wenn sie auf einem modernen Plattenspieler abgespielt wird. Und diese Platte diente wiederum als Master für weitere Pressungen.
Diese Pressungen wurden in „Scratch-Skate“-Modus auf drei CDs aufgenommen, die ihrerseits simultan im Ausstellungraum einer Galerie abgespielt wurden, wobei die Rumpler und das Rauschen der selbst gemachten Vinylscheiben eine primitive Lichtshow aus Glühbirnen steuerten, die auf die Klänge aus den Lautsprechern reagierten. Diese Low-Tech-Installation stellt eine ausgefeilte De-Konstruktion eines einstmals verbreiteten, heutzutage aber verschwindenden Phänomens dar – der Erzeugung und Verwendung von Vinyl-Platten. Nicht zuletzt die Lebendigkeit, mit der Schaefer den gesamten Prozess auf dem der Jury eingereichten Videoband erläutert, hat ihm den Preis gesichert — als Beweis, dass ein Teil der Musik des 21. Jahrhunderts auch im weiten Feld der sozialen Unterhaltung, der hinterfragten Funktionalität, der Do-it-yourself-Forschung und der Konsum-Dekonstruktion beheimatet ist. John Duncans The Keening Towers war als Klanginstallation konzipiert und wurde als Teil der von Carl-Michael von Hausswollf kuratierten Ausstellung „Against all Events“ bei der zweiten Göteborger Biennale 2003 präsentiert. Vier an der Spitze von zwei 24 Meter hohen Türmen aus galvanisiertem Stahl angebrachte Lautsprecher gaben die bearbeiteten Stimmen eines 30-köpfigen Volksschüler-Chors wieder, wobei die Klänge von der Fassade des Museums reflektiert wurden und in dessen gewölbten Korridor hinein hallten. François Couture kommentierte: „Wer in das Gebäude hinein ging, hörte ätherische Drones, leises Grummeln und körperlose Kinderschreie, die auf allen Seiten von den Wänden widerhallten. Diese Schreie reißen einen aus dem Stuhl und jagen einen zum Fenster, in den Keller, ins Schlafzimmer oder wohin gerade die eigenen Kinder spielen, nur um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist.“
Abgesehen von diesen Sekunden eines blendenden Realismus funktioniert The Keening Towers auf einer eher unterbewussten Ebene. Die Kinderstimmen werden stark verlangsamt und mit gut gesteuerten Geräuschen verschmutzt. Die geistigen Bilder vervielfachen sich, wenn der Zuhörer die Klanglandschaft erforscht, die sehr stringent in der Wahl von Bearbeitung und Texturen ist: Kinder blicken von hohen Stahltürmen auf uns herab — diese Umkehr der Stellung ist für Duncan ein Weg, missbrauchten Kindern eine Stimme zu verleihen und das Stück in ein Lamento zu verwandeln. Dass das sich ergebende Werk irgendwie rau und beunruhigend ist, ist nicht weiter verwunderlich.
Ein langjähriger Mitwirkender in der Welt der Klangkunst ist der holländische Künstler Paul Panhuysen. Fans der Klangkunst der letzten 30 Jahre erinnern sich an seine Installationen, die eine Materialvielfalt von Klaviersaiten über Kanarienvögel bis zu selbst entwickelten mechanischen Klang erzeugenden Geräten umfassen. Sein Stück A Magic Square Of 5 To Look At and A Magic Square Of 5 To Listen To erhielt heuer eine Anerkennung.
Das Stück London Fix des seit über 30 Jahren in der Neuen Musik tätigen Komponisten Tom Hamilton erhielt ebenfalls eine Anerkennung. Dieses Werk konvertiert Goldpreis-Daten von der Börse in elektronische Klangsynthese und erzeugt eine Mehrkanal-Installation, die zugleich melodisch und statisch ist. Hamilton sagt: „Viele Komponisten versuchen, Musik in Gold zu wandeln – ich mache dasselbe umgekehrt.“ Neben seiner Kompositionstätigkeit arbeitet Hamilton seit Jahren hinter den Kulissen als Toningenieur mit Künstlern wie Robert Ashley und Phil Niblock.
Der Künstler hinter dem „Leafcutter John“-Projekt ist der Komponist John Burton, der elektroakustische Techniken verwendet, um eine eigene Welt zu komponieren. Alle Songs auf der Housebound-Spirit-CD sind aus Partikeln von Musik der unterschiedlichsten Genres aufgebaut. Sie umfassen Teilchen aus geplünderten Klassikern, Gitarren-Folk, Rock, Advanced Electronics, Broken Beats und vieles mehr. Dieses Album enthält so viele Stile, dass es völlig unklassifizierbar wird — „Mikro-Wiedergekautes aus der urbanen Peripherie“ sozusagen. Zum Live-Rig von Leafcutter gehören zwei Laptops, Mikrofone und ein spitzer BH mit einigen darauf installierten magnetischen Tonabnehmern, über die Burton Samples von der eigenen Brust auslöst. Hier haben wir jemanden gefunden, der nicht nur Neues versucht, sondern tatsächlich musikalisch Gutes zu liefern imstande ist.
Was mit OUR UR von Alvin Curran und Domenico Sciajno auf den Tisch kam, war eine proto-vernetzte Echtzeit-Kompositions-Action zwischen Live-Musikern, bei der mehrere Ebenen von Klang zu großartigem Effekt kombiniert werden. Leider war es wegen der Live-Natur des Stückes schwer, ihm in der Situation des Juryraums ganz gerecht zu werden, wo die verfügbare Zeit zum Hören einfach kurz ist. Wie Vaggione ist auch Curran schon lange im Geschäft und hat als Innovator großen Einfluss auf viele Musiker. Die Idee seiner Kooperation mit dem jüngeren Sizilianer Sciajno führte zu einem recht anregenden Zusammenspiel, das geschickt die Balance zwischen Zufälligkeit und subtiler Absicht hält. Wie Sciajno mit Currans Sample-Collagen aus Klavieren, Stimmen, Streichern und allgemeinem elektronischem Durcheinander umgeht, hält die Dinge doch meistens im Zaum, und seine Re-Modifikationen der dahingleitenden Panoramen ließen unseren Geist beschäftigt.
Die diesjährige Jury hatte die Absicht, neben den wohl etablierten Namen besonders heranwachsende Künstler herauszustreichen. The Sine Wave Orchestra ist ein Projekt junger japanischer Künstler, das teils „Happening“ der alten Schule, teils soziales „Audio Party“-Event ist. Das Publikum ist eingeladen, jedes beliebige Gerät mitzubringen, das eine Sinuswelle generieren kann, sodass die versammelten Mitwirkenden sich zusammentun, um ein unvorhersehbares Klangereignis zu produzieren, bei dem die Musik gleichzeitig zufällig und Brennpunkt ist. Auf diese Weise wird eine temporäre Community entwickelt, deren Interesse sich darauf richtet, wie der Audio-Output zwischen den aktiven Mitwirkenden fluktuiert. Dieser Genre-Typ ist ein Beispiel dafür, dass Musik auch außerhalb ihrer traditionellen Grenzen produziert wird, eine kollektive De-Konstruktion jenes „Egos der Selbstverwirklichung“, das in den meisten musikalischen Stilen vorherrscht.
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