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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
Ars Electronica Linz & ORF Oberösterreich

Im Rückspiegel: 1990–2004

Scott deLahunta / Peter Higgins / Hiroshi Ishii / Tomoe Moriyama / Elaine Ng

Das diesjährige Thema des Ars Electronica Festivals, TIMESHIFT, blickt zurück auf die Arbeit des Festivals in den 25 Jahren seit seiner Gründung 1979. „Ausgangspunkt ist die Analyse der bereits zurückgelegten 25 Jahre, Ziel sind die zukunftsweisenden Entwicklungen für die nächsten 25 Jahre in Kunst, Technologie und Gesellschaft.“ Wenn auch das Festival und der Prix Ars Electronica thematisch nicht verknüpft sind, so finden wir es doch angebracht, angesichts des Themas TIMESHIFT (und eingedenk der Tatsache, dass die Verleihung der Goldenen Nicas, Auszeichnungen und Anerkennungen im Rahmen des Festivals stattfindet) dieses Jahr in unserem Jury-Statement einen kurzen Rückblick auf die Geschichte des Prix Ars Electronica und die Kategorie „Interaktive Kunst“ zu werfen.

Der Prix Ars Electronica wurde 1987 erstmals ausgeschrieben und die Kategorie Interaktive Kunst 1990 eingeführt. Einschließlich 2004 hat die aus jeweils fünf regelmäßig wechselnden Mitgliedern bestehende Jury in dieser Kategorie 15 erste Preise (die Goldene Nica), 30 Auszeichnungen und 180 Anerkennungen zuerkannt. Betrachtet man diese Arbeiten in ihrer Gesamtheit, so erkennt man, dass sie gemeinsam ein veritables „Who’s Who“ des sich stets verändernden Feldes der „interaktiven Kunst“ bilden.(1) In ihrer relativ kurzen Geschichte hat die interaktive Kunst sich stets auf die Technologien des jeweiligen Moments gestürzt und sich mit ihnen verbündet. Und der Jury des Prix Ars Electronica kam die Aufgabe zu, sich kritisch mit jeder dieser Veränderungen auseinanderzusetzen — von der Interaktivität mit dem Betrachter zum Künstlichen Leben, von der Ästhetik der Software zur Politik der Informationskultur, vom Entstehen und Heranwachsen einer neuen Disziplin bis hin zu ihrer Integration in andere. Und das sind nur einige der Fragen, die ein Rückblick bis 1990 aufwirft.

Im ersten Jahr dieser Kategorie gewann Myron Krueger die Goldene Nica für Interaktive Kunst für sein 1977 entstandenes Werk Videoplace, ein kameragestütztes System, das einen oder mehrere Mitwirkende erkannte


und auf deren Bewegung in Echtzeit reagierte. Die Jury anerkannte auch Kruegers allgemeinen Beitrag zu dieser Kunstsparte, da er seit den späten 1960ern als ein Pionier vieler der technischen Entwicklungen der Interaktivität aufgetreten war. Die Jury schrieb damals, dass neue Technologien es dem Betrachter ermöglichten, selbst Teil des Kunstwerks zu werden: „Diese neuen Werke haben oft ungewöhnliche Formate, hinterfragen den Status des Betrachters und verlangen nach der Entwicklung neuer Kriterien zur Beurteilung der Werke.“

1991 lenkte das Jury-Statement die Aufmerksamkeit auf die künstlerische Anwendung der vielfältigen Fähigkeiten des Computers als eine wichtige Tendenz in der Interaktiven Kunst, und der Hauptpreis jenes Jahres ging an Paul Sermons Hypermedia-Arbeit Think about the people now (Think about the media now), das Computernetzwerke und Datenbanken einsetzte. 1992 wurde die Goldene Nica an Virtual City: Home of the Brain von Monika Fleischmann und Wolfgang Strauss verliehen, und die Jury merkte an, dass hier zum ersten Mal ein Werk prämiert wurde, „das Techniken der Virtuellen Realität dieser Art verwendet.“ Das Jury-Statement 1992 reflektierte ebenfalls Tendenzen in der interaktiven Kunst der damaligen Zeit, etwa die Tatsache, dass die Werke sich häufig hoch entwickelter Technik bedienten, die keineswegs jedem Künstler zugänglich waren, und dass sie vorwiegend in einem Zusammenhang mit Galerien oder Ausstellungsräumlichkeiten stünden.

1993 wies die Jury ausdrücklich darauf hin, dass viele der mit einem Preis oder einer Anerkennung ausgezeichneten Künstler mehrere Medien mischten. Und unter dem Eindruck der hohen Qualität der Einreichungen äußerte man sich anerkennend über die Einführung dieser Kategorie im Jahr 1990: Im Lichte der Qualität und ständigen Weiterentwicklung sei die damalige Entscheidung „völlig gerechtfertigt“ gewesen. Es wurde auch darüber spekuliert, ob nicht angesichts neu auftauchender Formen wie des interaktiven Kinos und der interaktiven Romane und Poesie Sub-Kategorien innerhalb des Genres einzuführen wären.

1994 war das erste Jahr, in dem ein Werk die Goldene Nica gewann, das die ausgefeilten Algorithmen des Künstlichen Lebens verwendete – A-Volve von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau. 1995 ging der Preis an die technischen Innovationen von Timothy Berners-Lee, die in die Schaffung des World Wide Web mündeten. Beim Prix Ars Electronica kam es immer wieder vor, dass Software oder technische Entwicklungen ausgezeichnet wurden, die als kreatives Werkzeug oder Plattform für andere Künstler, die im Bereich interaktiver Kunst arbeiteten, dienen konnten – auch 2004.

1995 ging auch erstmals ein Preis an eine „interaktive Performance“, und zwar an Michael Saups Binary Ballistic Ballet. „Interaktive Performance“ lässt sich wohl am besten beschreiben als ein Bühnenwerk, in dem interaktive Technologien und traditionelle darstellende Kunst veschmelzen, aber solche Werke traten im Zusammenhang mit der Kategorie Interaktive Kunst des Prix eigentlich erst dieses Jahr in signifikanter Menge auf, wie unsere Auswahl für die Anerkennungen belegt. Als wollte sie genau diesen Punkt unterstreichen, hat auch die Jury 1996 nochmals festgestellt, dass es am wichtigsten sei, dass interaktive Kunstwerke „einen offenen, expansiven Zugang zur Interaktion und Beteiligung der Teilnehmer und des Publikums aufweisen.“

1997 erhielt das Statement der Jury erstmals einen Titel — „Auflösung der Kategorien“ — und stellte fest, dass die Interaktive Kunst den Status einer „fest etablierten“ Kunstgattung erlangt hatte. Man kann durchaus spekulieren, dass das Statement des Jahres 1997 ein erster Hinweis auf den Einfluss des im Entstehen begriffenen Diskurses über Interaktive Kunst war — eine Tendenz, die bis zum heutigen Tag anhalten sollte, zumal die Statements immer länger und immer reflektierender wurden.(2) 1998 verwendete John Markoff das Statement als Gelegenheit zu erläutern, dass das Moore’sche Gesetz (von der rapiden Steigerung der Leistungsfähigkeit der Rechner) zumindest teilweise als Erklärung für die ungebrochene Entwicklung interaktiver Kunstwerke dienen könnte, und 1998 wurde das Jahr der Hochleistungsrechner, als die Goldene Nica an Maurice Benayoun und Jean-Baptiste Barrière für World Skin ging, ein Projekt für das virtuelle Environment CAVE. Diese Richtung kehrte sich im folgenden Jahr um, als die Jury 1999 beschloss, keine der Einreichungen für CAVE unter die Preisträger einzureihen; vielmehr fand die Jury, die stärksten Arbeiten seien jene, die sich konzeptuell und künstlerisch mir der Frage der Interaktivität als solcher auseinandersetzten und weniger mit der Leistungsfähigkeit der Technologie.

2000 war dann das „Jahr des frei wandernden Kunstwerks“, ein Terminus, den Joachim Sauter prägte und der auf die Diskussion jener neu entstehenden Klasse von Arbeiten abzielte, die „unterschiedliche Aspekte mobiler intelligenter Objekte“ erforschten. Die Jury bemerkte, dass sich „das Kunstwerk einen Zugang zum Betrachter sucht anstatt umgekehrt.“ Im Statement der Jury 2001 klingt auch auch ein wenig Frustration mit, wenn Masaki Fujihata beschreibt, was es bedeutet, Einreichungen von interaktiven Kunst bewerten zu müssen, die man nicht erleben und erfahren, sondern nur über Video, Bilder und Beschreibungen sich vorzustellen versuchen kann. Fujihata ruft nach der Erfindung einer neuen Sprache interaktiver Systeme, die die Komplexität des Genres besser auszudrücken imstande sein sollte.

2002 und 2003 kommentieren beide Jury-Statements die Zunahme an Kunstprogrammen für interaktive Medien an Schulen und Universitäten. Die Jury 2002 unterschied zwischen dieser „wachsenden Akzeptanz und Institutionalisierung von Interaktivität und interaktiver Kunst“ und jenen „Meistern des Genres“, die inzwischen ihre künstlerische Suche ausgefeilt und perfektioniert hatten. Dies spiegelte sich auch in der Entscheidung wider, die Goldene Nica für n-cha(n)t an David Rokeby zu verleihen, dessen interaktives Environment Very Nervous System bereits 1991 eine Auszeichnung erhalten hatte. 2003 konstatierte die Jury, dass „seit über einem Jahrzehnt bewährte Methoden“ der Interaktion überwogen, was sich in einer scheinbaren Redundanz der Ansätze ausdrückte. Sie unterstrich, dass deren Hauptkriterium ein starkes künstlerisches Konzept war, das sich nicht nur auf die „technologische Zauberei“ verlässt, sondern deren ästhetische und kulturelle Auswirkungen untersucht. Kommentiert wurde auch die Zunahme im Bereich der „Wiederverwertung“ kommerzieller Systeme wie Spiel-Engines mit der Anmerkung, dieses Gebiet könnte durchaus noch weiter erforscht werden. Und die Jury vergab eine der Auszeichnungen an eine darstellende Künstlergruppe, die Art Unit Maiwa Denki, die ihre eigenen einzigartigen elektronisch-mechanischen Musikinstrumente erzeugt und gleichzeitig ihr Projekt ironisch in den Rahmen der Pop-Kultur-Bewegung einordnet.

Heute: 2004

Die Juroren der Kategorie Interaktive Kunst des Prix Ars Electronica 2004 brachten einige gedankliche Schlüsselbegriffe in den Entscheidungsprozess ein, die schon 1999 aufgetaucht waren, als die Jury die Technologie als „reif genug“ bezeichnete, „um weniger sichtbar zu werden, um hinter die künstlerischen Fragen und Ausdrucksweisen zurückzutreten“. Die technologische Reife war auch ein Thema des Jury-Statements 2000, und im Jahr 2001 entwickelte die Jury Auswahlkriterien, die weniger Gewicht auf die Mensch-Maschine-Interaktion legten (zehn Jahre davor war der Computer absolut im Mittelpunkt dieser Werke gestanden). Wie erwähnt, fiel 2002 und 2003 auf, dass es immer mehr Arbeiten gab, die als „derivativ“ bezeichnet werden könnten und häufig in den Einreichungen gerade jüngerer oder studentischer Künstler anzutreffen waren. Wenn „Heranreifen“ der richtige Begriff ist, dann könnten die ersten neun Jahre nach Einführung dieser Kategorie als frühe Wachstums und Entwicklungsperiode bezeichnet werden, und die Zeit, die es braucht, um die feststehenden Konzepte im Verständnis dieses Genres grundlegend zu verändern, verlängert sich. Aber „Reife“ bedeutet keineswegs, dass es weniger Gelegenheit gäbe, originelle künstlerische Arbeiten zu schaffen, die neue Ideen der Interaktion erforschen und Mitwirkende wie Publikum stark einbeziehen; und genau dies wurde in der Breite der Vorstellungskraft und Kreativität der Einreichungen des Jahres 2004 deutlich.

Die enorm hohe Zahl an Einreichungen dieses Jahr (ursprünglich waren es 427) wies die gleiche Breite an „künstlerischen Tendenzen“ auf, die wir seit 1990 jedes Jahr in der Kategorie Interaktive Kunst zu sehen bekommen. Auch wenn wiederum eine Anzahl von Werken dabei war, die man als derivativ bezeichnen kann, so stellten wir doch fest, dass manche dieser Werke durchaus neu in ihrem heimatlichen Kontext waren — dort, wo lokales Publikum und Mitwirkende sie in der gleichen Weise für faszinierend und anregend halten, wie sie uns vor fünf Jahren vorgekommen wären. Außerdem stellten wir fest, dass Studenten auf frühere Arbeiten zurückgreifen sollten, denn natürlich ist ein gewisser Selbstbezug durchaus Teil dieses erwähnten Reifeprozesses. Wenn wir also den Eindruck hatten, ein Werk sei derivativ, so war das per se noch kein Ablehnungsgrund, aber diese Feststellungen zogen sich dennoch durch unsere Diskussionen. Uns war auch bewusst, dass wir hier Einreichungen aus unterschiedlichen Kulturen bewerten mussten, die teilweise unter Bedingungen entstanden sein mussten, vor allem was die Ressourcen betraf, die alles andere als optimal waren. Aber da wir nur spärliche Informationen über diese Bedingungen hatten, fiel es uns schwer, darauf Rücksicht zu nehmen.

Als sich die Mitglieder der Jury 2004 erstmals trafen, erkannten und akzeptierten wir unsere unterschiedlichen Expertengebiete und Hintergründe: darstellende Kunst (Tanz und Theater); zeitgenössische bildende Kunst; interdisziplinäre Design-Ansätze im öffentlichen Raum sowie Mensch-Computer-Interaktion, wie sie im wissenschaftlichen Bereich praktiziert wird. Unsere Bewertungskriterien entwickelten sich schrittweise über die drei Tage in dem Maße, in dem wir mit den gegenseitigen Bezugspunkten vertrauter wurden. Letztlich einigten wir uns auf drei Kriterien, die man vielleicht am besten als Beiträge zu einer „breiteren Definition von Interaktivität“ bezeichnen könnte. Diese waren:

1. Vermittlung durch den Computer ist keine zwingende Voraussetzung, was die von der Jury 1999 postulierte Annäherung an die Technologie ausdrückt;
2. Echtzeit-Anforderungen und Direktheit der Interaktion sollten eher großzügig gesehen werden;
3. Wir waren bereit, auch passive Interaktion gelten zu lassen.
Gerade die beiden letzten Kriterien eröffnen die Perspektive, dass Rezeption und Betrachtung eines interaktiven Werks nicht unbedingt nach jener „aktiven Mitwirkung“ verlangen, die in früheren Phasen der Entwicklung dieser Gattung so unabdingbar war. Dadurch wird auch verständlicher, warum manche dieser Arbeiten immer mehr eine gewisse Akzeptanz im Kontext der traditionellen darstellenden und bildenden Kunst finden. Eine Tendenz war dieses Jahr insofern erkennbar, als immerhin vier Werke, die direkt den Traditionen von Tanz und Theater verbunden sind, mit einer Anerkennung bedacht wurden. Mehr dazu später.

In unsere Preisträger-Auswahl haben wir Werke aufgenommen, die „einen zum Erinnern anleiten“, was nicht so sehr bedeutet, dass diese Arbeiten eine gewisse Nostalgie widerspiegeln, sondern eher, dass und wie ein kollektives und emotionales Gedächtnis durch ausgewählte Bilder und Formen angeregt werden kann. Gleichzeitig registrierten wir auch Werke, die einen Reflexionsprozess über zukünftige Möglichkeiten auslösten. Wir haben durchaus auch den Computer selbst anerkannt, indem wir Werke gewählt haben, die zeigen, dass durch kreative Technologieprojekte sehr wohl ein besseres Verständnis bzw. Lernen ermöglicht werden kann. Wir haben keine Unterscheidung zwischen den Meistern und den Lernenden diskutiert, aber unsere Auswahl trägt der noch kurzen Geschichte der interaktiven Medienkunst durchaus Rechnung. Wie bereits erwähnt, haben wir Software- oder technische Entwicklungen diskutiert und jene in unserer Auswahl sichtbar gemacht, die als kreative Werkzeuge oder Plattformen für all jene, die im Bereich interaktiver Kunst arbeiten, dienen könnten. Und wir haben anerkannt, dass es auch Personen gibt, die signifikant zur Geschichte der interaktiven Kunst beigetragen haben, indem sie ihre Software nicht patentiert haben, und die eine Anerkennung verdienen würden, aber niemals zum Prix Ars Electronica eingereicht haben. Vielleicht kann für solche Leute ja in der Zukunft eine eigene Form ehrender Anerkennung gefunden werden. Das alles sollte den Lesern ein Gefühl für die Überlegungen hinter der Auswahl von Preisträgern und Anerkennungen der Kategorie Interaktive Kunst beim Prix Ars Electronica 2004 vermitteln und ihnen mit dem kurzen Rückblick auf die 13-jährige Geschichte der Kategorie auch einen Einblick in den Gesamtzusammenhang verschaffen. Jetzt bleibt es jedem selbst überlassen, die Verbindung zwischen diesem Teil und den nun folgenden Kurzbeschreibungen der ausgewählten Werke herzustellen.

Anerkennungen

Folgende Werke erhalten eine Anerkennung: 1000 Deathclock in Paris von Miyajima Tatsuo und Tachibana Hajime lädt ausdrücklich dazu ein, an einer kollektiven und individuellen Meditation über die eigene Langlebigkeit, über Leben und Tod teilzunehmen.

Demi-pas von Julien Maire verwendet „Blickauflösung“, vor-kinematografische Prinzipien, experimentelle Projektionstechniken und Live-Performance, um subtile Geschichten zu transportieren.

Alert von Barbara Musil greift in das Alltagsleben der Menschen in Cluj (Rumänien) ein, indem es ihnen erlaubt, den Klang ihrer Auto-Alarmanlagen zu verändern.

Messa di Voce von Golan Levin, Zachary Lieberman, Jaap Blonk und Joan La Barbara vereint virtuose Software und Bühnendarstellung.

Loops von Marc Downie, Shelley Eshkar und Paul Kaiser stellt in einer Hommage an den renommierten zeitgenössischen Choreografen Merce Cunningham die alte Tradition der darstellenden Kunst der neuen Tradition der Software-Ästhetik gegenüber.

We interrupt your regularly scheduled program … von Osman Khan und Daniel Sauter integriert digitale und analoge Technologie in eine abstrahierte Geschichte des Fernseh-Sendesignals.

3 minutes2 von Naziha Mestaoui und Yacine Aït Kaci errichtet interaktive Habitate im öffentlichen Raum.

Topobo von Hayes Raffle und Amanda Parkes ist ein taktiles Montagesystem mit der Fähigkeit der gesturalen Aufzeichnung zur Erforschung eines kinetischen Gedächtnisses.

Iso-phone von James Auger, Jimmy Loizeau und Stefan Agamanolis bietet auf absurde, aber sublime Weise eine kontra-intuitive Option zum Denken und Erfühlen der Zukunft von Kommunikationsgeräten.

Turing Train Terminal von Severin Hofmann und David Moises schafft Wissen, während es gleichzeitig die frühe Hacker-Geschichte der Modellbahnenthusiasten erzählt.

Isadora ist eine Software von Mark Coniglio, die entworfen wurde, um Künstlern — besonders darstellenden Künstlern — zu ermöglichen, ohne große Computererfahrung mit digitaler Video-Manipulation in Echtzeit zu beginnen, und Future of Memory ist eine Performance von Mark Coniglio und Dawn Stoppiello, die die Isadora-Software einsetzt.

Abschließend bietet noch die Interactive Generative Stage (ein dynamisches Kostüm für André Werners Marlowe, the Jew of Malta) von Nils Krüger, Andre Bernhart, Andreas Kratky, Bernd Lintermann, Joachim Sauter und Jan Schröder einen Blick auf die Art von Medien-Szenografie, die zukünftig in der darstellenden Kunst möglich sein könnte.

Auszeichnungen

Eine der Auszeichnungen geht an den Pekinger Künstler Feng Mengbo für Ah_Q, eine Adaptierung von Quake III, einer Action-Adventure Game-Engine, bei der das letztliche Ziel ist, zu töten oder von seinen Feinden getötet zu werden. In seiner Version allerdings hat Feng alle gegnerischen Kämpfer mit animierten Versionen von sich selbst (dem Künstler) als Kriegskorrespondent ersetzt — bewaffnet mit einer Videokamera und einem Plasma-Gewehr. Der Künstler lädt zum Mitspielen ein, was aber nicht über das übliche Keyboard oder den Joystick passiert, sondern durch geschickte Beinarbeit auf einem Tanzbrett. Anfänglich erscheint das Spiel als eines der üblichen Baller-Videospiele, aber wie alle digitalen Arbeiten Fengs weist auch diese einen starken autobiografischen Zug auf. Feng gehört jener nach der Kulturrevolution groß gewordenen Generation an, die zur Zeit des „Vorfalls“ am Tiananmen-Platz 1989 und der Geburt des konsumorientierten Chinas erwachsen wurden. Auf einer Ebene reflektiert und kritisiert das Werk seinen persönlichen Kindheitstraum von einer Karriere als Militärmaler ebenso wie das kollektive Trauma bestimmter historischer Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit Chinas. Auf einer anderen Ebene kann man das Spiel durch das Prisma des sozialen Engagements eines Künstlers sehen, der einen Kommentar zu Militarismus und Gewalt — real wie virtuell — abgibt. Bei der zunehmenden weltweiten Popularität gewalttätiger Multiplayer-Videospiele und den überwältigenden Darstellungen von Verstümmelung und Blutbädern in den Medien beschäftigt sich Ah_Q mit der Frage, warum Gewalt eine solche Faszination auf uns ausübt, und beleuchtet die dunklere Seite der menschlichen Natur. Vom Gesichtspunkt des Auswahlprozesses dieser Jury her markiert Ah_Q auch die Bedeutung des interaktiven Medienkünstlers, der reflexive sozio-politische Gesten in den Rahmen von Sprache und Kontext der popularistischen neuen Medien einbaut. Es ist höchst interessant, ein solch zugängliches und doch ironisches Werk zu sehen, das den armseligen narrativen Inhalt der meisten Spiele nicht nur auf der intellektuellen Ebene in Frage stellt.

Die zweite Auszeichnung geht an den amerikanischen Künstler Ken Rinaldo für seine Arbeit Augmented Fish Reality. Aus der Sicht der Jurykriterien ruht dieses Werk fest in der Galerie-Tradition der ausgefeilten interaktiven Medienarbeiten, die sich — wie oben angesprochen — seit der Einführung dieser Kategorie entwickelt haben. Innerhalb dieser Tradition produziert Rinaldo sehr tiefgründige und professionelle Stücke, die auch eine fantasievolle Inspiration für das wissenschaftliche Feld des Mensch-Computer-Interfaces (oder im Falle dieser Arbeit eben Fisch-Computer-Interfaces) bieten.

Augmented Fish Reality untersucht „Interspecies- und Transspecies-Kommunikation“. Dies geschieht in einer interaktiven Installation von fünf beweglichen robotischen Skulpturen, die jeweils ein Aquarium tragen und im selben Raum beisammen stehen. Jedes der Aquarien enthält ein Exemplar des Siamesischen Kampffischs, der für seine scharfen Augen bekannt ist und einen hohen Grad an sozialer Organisation aufweist. An den Aquarien angebrachte Sensoren registrieren die Bewegungen dieser aktiven Lebewesen und setzen sie in die Bewegung der Skulpturen um. So reflektiert die Installation selbst das soziale Verhalten der Fische. Und da die Fische auch von der Anwesenheit von Menschen im Raum beeinflusst werden, manifestiert Augmented Fish Reality ein ganzes Set von Interaktionen, die gleichzeitig humorvoll und faszinierend sind, aber durchaus auch zum Nachdenken anregen. Der Einsatz von viel ausgefeilter Technik in der greifbaren Umsetzung des Projekts macht es besonders robust und zugänglich. Zu erleben, wie instinktive Reaktionen materiell umgesetzt und über eine breite Klasse (Fisch–Maschine–Mensch) hinweg kommuniziert werden, hilft uns, die Debatte über Echtzeit-Interaktivität noch zu vertiefen.

Goldene Nica

Die Goldene Nica für Interaktive Kunst 2004 wurde den beiden amerikanischen Künstlern Mark Hansen und Ben Rubin für ihre Multimedia-Installation Listening Post zuerkannt. Dieses Werk arbeitet mit Klang, Text und Internet, um den grenzenlosen Strom des weltweiten kollektiven Geschnatters wiederzugeben, das im Web stattfindet. In einem dunklen Raum erleuchten Wörter und Phrasen, die aus Online-Chatrooms zusammengesucht werden, 231 kleine, in einem gebogenen, einem Vorhang ähnlichen Gitter aufgehängte LED-Bildschirme. Gleichzeitig werden diese Worte in Stimmen umgesetzt und über acht Lautsprecher und zwei Subwoofer rund um den Raum abgestrahlt. Nur Teile und Ausschnitte werden eingefangen, und diese beginnen häufig mit „Ich bin …“, „Ich mag …“, „Ich liebe …“, was insgesamt einen Schnappschuss unserer Welt via Internet ergibt. Diese „Dialogscheibchen“ werden allerdings nicht nach dem Zufallsprinzip ausgewählt; Hansen und Rubin haben ein Computerprogramm auf statistischer Basis zum Messen und Analysieren der Daten entwickelt. Diese Form des „Lauschangriffs“ enthüllt den Fluss des Netzes, die soziale Komponente der Technologie und das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Kommunikation. Anders als viele Arbeiten, die sich als „Interaktive Kunst“ oder „Netz-Kunst“ klassifizieren lassen und in denen die menschliche Interaktion häufig — nämlich dort, wo sie über die klassische User-Bildschirm-Lösung erfolgt — ein isoliertes Interface perpetuiert, erlaubt uns Listening Post, die Totalität der Technologie und der Internet-Kommunikation auf eine gleichzeitig immersive und vermenschlichende Weise zu erfahren.

Aus der Perspektive der Juryauswahl 2004 macht Listening Post unsere Kriterien und die erweiterte Definition von Interaktivität insofern deutlich, als die Rezeption und Betrachtung dieses Werkes nicht jene aktive Mitwirkung des Publikums erfordert, die in früheren Phasen der Entwicklung des Genres noch so entscheidend war. Es muss klar gesagt werden, dass die Jury dabei keine neue Position bezogen hat, denn „System-Interaktion“ mit unterschiedlichem Grad von Publikumsbeteiligung war auch in früheren Jahren Teil der Definition möglicher interaktiver Arbeiten. Aber auf der Ebene der Goldenen Nica ist dies unseres Wissens nach bisher einmalig und eröffnet Ausblicke auf eine produktive zukünftige Zusammenarbeit interaktiver Arbeiten mit anderen Kunsttraditionen.

Die Jury der Kategorie Interaktive Kunst des Prix Ars Electronica 2004 möchte an dieser Stelle dem Team der Ars Electronica für die außerordentlich gut organisierte Veranstaltung danken. Ohne seine vorbereitende Arbeit in der Organisation, im Sortieren und Durchsehen der großen Zahl von Einreichungen (hier sei auch dem Jurymitglied Elaine Ng für die Extraarbeit gedankt!) und von der uns begleitenden Tätigkeit des unterstützenden Teams, das augenblicklichen Zugang zu Material in den unterschiedlichsten Formaten gewährte, hätten wir unsere schwierige Aufgabe nicht so kompromisslos, wohl überlegt und mit dem gebührenden Respekt den einreichenden Künstlern gegenüber erfüllen können.

Dieses Statement wurde von Scott deLahunta vorbereitet, anschließend von den anderen Jurymitgliedern Elaine Ng, Hiroshi Ishii, Peter Higgins und Tomoe Moriyama überarbeitet und ergänzt.

Anmerkungen

(1) Das Archiv auf der Ars Electronica Website unter http://www.aec.at macht all diese Materialien zugänglich.
(2) „Auflösung der Kategorien. Statement der Jury für Interaktive Kunst”, in: CyberArts. Internationales Kompendium Prix Ars Electronica (hrsg. von Hannes Leopoldseder / Christine Schöpf). Springer, Wien – New York, 1997, S. 106 ff.
3 Beispiele für den sich entwickelnden Diskurs:
Söke Dinkla, ”The History of the Interface in Interactive Art”. ISEA, 1994;
Erkki Huhtamo, ”Seven Ways of Misunderstanding Interactive Art”. In: Digital Mediations, Art Center College of Design, Pasadena, CA, 1995;
Simon Penny, ”From A to D and back again: The emerging aesthetics of Interactive Art”,in: Leonardo Electronic Almanac 1996

 
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