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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
Ars Electronica Linz & ORF Oberösterreich

Eine Herausforderung fürs Publikum

Samuel Lord Black, Dietmar Offenhuber, Shuzo John Shiota, Rita Street, Boo Wong

Die Mitwirkung in der Jury für Computeranimation / Visual Effects des Prix Ars Electronica bringt immer eine fesselnde Mischung aus Faszination und Erschöpfung, aus Frustration und Erleichterung. Die diesjährigen Mitglieder, Shuzo John Shiota (President von Polygon Pictures, Tokio), Samuel Lord Black (Vorsitzender des SIGGRAPH 2005 Computer Animation Festival, San Francisco), Boo Wong (Produzentin für Curious Pictures, New York), Dietmar Offenhuber (Professor an der Fachhochschule Hagenberg) und ich selbst, Rita Street (Managing Director von Radar Cartoons, Los Angeles), waren fasziniert von den neuen Arbeiten, die wir zu sehen bekamen, aber auch erschöpft von der großen Anzahl von Werken, die zu sichten waren. Wir waren frustriert, weil wir nur eine Goldene Nica vergeben konnten und letztlich doch erleichtert, dass wir uns auf einen Sieger einigen konnten.

Nach der Durchsicht von fast 500 Einreichungen, die aus Kurzfilmen, Werbespots, Ausschnitten aus Spielfilmen und Clips mit Special Effects bestanden, war unsere Jury verblüfft: Da hatten wir doch tatsächlich einen abendfüllenden Film und einen Kurzfilm im Zweikampf um die Goldene Nica. Der abendfüllende Film bewies, dass das berühmteste Computergrafik-Studio aller Zeiten, Pixar, noch immer in der Lage ist, „die visuelle Sprache der Computeranimation neu zu erfinden“, wie Dietmar es formulierte. Und dennoch, der Kurzfilm von Tomek Baginski war auf seine Art schockierend; ein Film, wie ihn niemand von uns erwartet hätte, ein Film über die psychischen Leiden des Krieges und die Leiden eines der Kunst gewidmeten Lebens.

Wie also entscheidet man zwischen einer Komödie eines großen Studios, die ein enormer Kassenerfolg war, die Herzen von Millionen gewonnen hat und noch auf Jahre hinaus als künstlerischer Meilenstein der Filmgeschichte anzusehen sein wird, und einem von einem Einzelnen gestalteten Film, der das Publikum herausfordernd mit einigen der wichtigsten Fragen des Lebens konfrontiert? Das war die Herausforderung an uns.
Shuzo erinnert sich:

The Incredibles von Pixar hat uns zweifellos vor eine Menge Fragen gestellt. Für mich – und vielleicht für viele der Juroren – ist er einfach der beste je geschaffene computeranimierte Film, perfekt in jeder Hinsicht. Aber wie vergleicht man The Incredibles mit so superben individuellen Einreichungen wie Tomek Baginskis Fallen Art? Wie lässt man einem Film die rechte Ehre widerfahren, der die Latte für alle zukünftigen Animationsfilme legt? Ich musste zugeben, dass The Incredibles auf eine fröhliche, aber durchaus bekannte Weise perfekt war, während Fallen Art trotz seiner kleinen Schwächen mir ein völlig neues – wenn auch etwas beunruhigendes – Gefühl vermittelte. Letztlich aber habe ich mir gedacht, dass der Prix Ars Electronica als Wettbewerb auch den Mut zur Herausforderung der Sinne und des Gewöhnlichen belohnen soll, und das gab dann bei mir den Ausschlag für Fallen Art.“

Dieser Standpunkt setzte sich bei der gesamten Jury durch, und so wurde Fallen Art einstimmig die Goldene Nica und The Incredibles eine der beiden Auszeichnungen zuerkannt.

Wie Samuel erklärt, ist Baginskis Fallen Art – eine verquere Geschichte von verrückt gewordenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs im Pazifik – „ein erstaunliches Stück. Es bietet fast zu viel Gesprächsstoff und lässt so viele Interpretationsmöglichkeiten offen, dass es wirklich als Kunstwerk anzusehen ist. Szenerie, Gestalten und vor allem die Musik werden mir auf immer in Erinnerung bleiben.“

Unsere zweite Auszeichnung ging an City Paradise von Gaëlle Denis von Passion Pictures. Wir haben uns diesen Film mehrere Male angesehen, und auch wenn wir bis jetzt noch nicht genau wissen, worum es dabei geht – er hat uns stets bezaubert. Vielleicht war es die hinreißende Hauptfigur, vielleicht die Musik, vielleicht war es tatsächlich Zauberei – auf alle Fälle hat dieser Film etwas Spezielles, wie Dietmar erklärt: „Eine mysteriöse Erzählung, eine überzeugende Mischung verschiedener Techniken – Live Action, 3D- und 2Danimation –, all das verbindet sich zu einem einmaligen unkonventionellen Design. Sam hat die Story als ein umgekehrtes Lost in Translation bezeichnet: ein japanisches Mädchen einsam in London beim Schnorcheln!“

Ja, die diesjährige Jury für Computeranimation / Visual Effects hat zweifellos ihrem eklektischen Geschmack freien Lauf gelassen. Wir haben alle ein Gefühl der Freude mitgenommen, immerhin hat jeder vier talentierte Profis kennen gelernt und gemeinsam mit ihnen die besten Animationen der Welt gesehen. Und, wie Boo kurz und bündig hinzufügt: „Es ist gut zu wissen, dass die digitalen Werkzeuge so eine Bandbreite bei der Schaffung von Kunst und Animationen bieten!“

Hier jetzt die Anmerkungen der Jury zu den zwölf Anerkennungen. Angemerkt sei, dass Boo wegen Terminproblemen hier keine Kommentare abgeben konnte. Allerdings lässt sie zukünftigen Einreichern zurufen: „Sprecht laut und deutlich und mit eurer eigenen Stimme!“ Wer mutig genug ist, dies zu beherzigen, wird auf jeden Fall die Aufmerksamkeit der Juroren auf sich ziehen.

Into Pieces (Animation)
Guilherme Marcondes (BR)
„Meiner Ansicht nach die beste der vielen collageartigen 2D-Animationen, die wir gesehen haben – simpel und süß.”
(Dietmar Offenhuber)
„Großartiges Design, einfache und ungewöhnliche Erzählung. Wir waren begeistert.“
(Rita Street)

9 (Animation)
Shane Acker (US)
„Eine erstaunliche Arbeit, getragen von der Vision eines Studenten. Auch wenn wir sie nur kurz kennen, haben wir die Figuren lieb gewonnen, und ich selbst bin eingetaucht in die Integration all dieser visuellen Elemente.“
(Samuel Lord Black)

Overtime (Animation)
Oury Atlan / Thibault Berland / Damien Ferrié (Supinfocom, FR)
„Eine hübsche Idee, wie die Puppen ihren Schöpfer ehren und mit ihm selbst spielen. Sie transportieren überraschend viel Emotion, obwohl sie so simpel aussehen. Die Hintergrundanimation ist ebenfalls wunderbar anzusehen.“
(Samuel Lord Black)

Monotreme (Animation)
Koji Yamada (Pixel Animation, JP)
„Mir haben Design und Konzept des Stückes gefallen. Ich habe es erstmals bei einem japanischen Wettbewerb gesehen und mir gedacht, so ‘un-japanisch’, wie es ist, könnte es perfekt für den Prix Ars Electronica sein – und das war es auch!“
(Shuzo John Shiota)

Kernseif (Animation)
Alexander Kiesl, Sebastian Stolle (Filmakademie Baden-Württemberg, DE)
„Ein gewöhnlicher alltäglicher Dialog auf Schwäbisch, der zwei unpassend niedlichen Gestalten in den Mund gelegt wird – eine seltsame Mischung und eine unterhaltsame studentische Arbeit.“
(Dietmar Offenhuber)

Man OS 1 / extraordinateur (Visual Effects)
Roland Seidel, Achim Stiermann (AT)
„So wie dies hier könnte ich mir vorstellen, dass auch Familie Feuerstein einen Computer einrichten würde. Hier wird ein unglaubliches Maß an Kreativität durch Einfachheit und Parodie im Gleichgewicht gehalten, um daraus wirklich etwas Bemerkenswertes zu gestalten.“
(Samuel Lord Black)
„Der Computer-Desktop als Theaterstück (und ursprünglich für eine Wiener Auslage gestaltet). Das Bemerkenswerte daran ist, dass alle von uns ständig benützten Metaphern der grafischen Benutzeroberfläche absolut wörtlich genommen werden. Auch wenn alles noch immer aussieht wie der typische Mac-OS-Desktop, ist doch jedes Element physisch und von Hand animiert – sozusagen reverse engineered animation.“
(Dietmar Offenhuber)

KASHIKOKIMONO (Animation)
Takahiro Hayakawa (KansaiTV, BACA-JA Office, JP)
„Eine abstrakte Animation über Geister. Perfekt synchronisiert mit der Musik, die die eigenständige Animation ergänzt. Es gibt eine zweite, noch individuellere Version des Stück, die mir sogar noch besser gefällt.“
(Shuzo John Shiota)

Van Helsing (Visual Effects)
Ben Snow, Scott Squires, Daniel Jeannette (Industrial Light & Magic, US)
„Zweifellos die besten unter all den Special Effects, die wie gesehen haben. Die Verwandlungen der Figuren sind so glaubhaft, dass ich mich fast gefragt habe, ob sie nicht doch echt sind!“
(Samuel Lord Black)

Tokyo City (Animation)
Yusuke Koyanagi (NHK BS-1, Digital Stadium Office, JP)
„Die größte Überraschung und Freude für mich war die Anerkennung für Tokyo City, ein Stück, das mich umgeworfen hat, als ich es das erste Mal in Japan sah, aber von dem ich nicht glaubte, dass es international ein Publikum finden könne. Ich war tief beeindruckt vom Einblick und Verständnis meiner Mitjuroren für das Werk, auch wenn es einerseits low-tech ist und andererseits ohne Untertitel kam (obwohl es auf Text basiert). Das Stück ist eine akkurate Darstellung des Tokio der Gegenwart, in dem das Haupt-Kommunikationsmittel das allmächtige ketai, das Handy, ist.“
(Shuzo John Shiota)

Electronic Performers (Animation)
Arnaud Ganzerli / Laurent Bourdoiseau / Jérôme Blanquet (Machine Molle, FR)
„Animation und Musik sind so ineinander verzahnt, dass sie sich nicht voneinander trennen lassen. Man kann die Musik sehen und die Animation hören und beide als ein Ganzes fühlen.“
(Samuel Lord Black)

Robots (Animation)
Chris Wedge (Blue Sky Studios, US)
„Die Non-Stop-Action und die flüssige Animation waren ein Vergnügen anzuschauen. Set und Design der Gestalten spiegeln die sprunghafte Entwicklung wider, die die Computeranimation in den letzten paar Jahren genommen hat, und zeigen den Weg auf zu zukünftigen Entwicklungen.“
(Samuel Lord Black)

Bigoudenn Migration (Animation)
Eric Castaing / Alexandre Heboyan / Fafah Togora (Gobelins, L’école de l’image, FR)
„Diese einfache Geschichte schlägt viele verschiedene Saiten an und sorgt für Lächeln. Und jetzt wissen wir auch, was bretonische Frauen zum Fliegen bringt:
Crèpes!“
(Rita Street)

 
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