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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
Ars Electronica Linz & ORF Oberösterreich

Ist uns langweilig?

Rob Young, Naut Humon

Wir fühlen uns nicht nur mit der Vergangenheit verbunden, sondern auch mit all jenen Zukünften, die nicht stattgefunden haben, und all den Variationen der Gegenwart, die wir verdächtigen, parallel zu jener einen zu verlaufen, in der zu leben wir beschlossen haben. (Brian Eno)

Wieder einmal ersucht unser kritisches Hörerkomitee im Lande des Prix Ars Electronica unsere internationalen elektronischen Klang- und Vision-Communities um Hinweise dazu, in welche Richtung wir uns bewegen. Laufen wir auf der Stelle? Ist die Zukunft, die wir gerade erleben, auch wirklich das, was man uns versprochen hat? Es war einmal eine Zeit, da war das Jahr 2000 näher als erwartet. Aber es scheint, als wäre ein guter Teil der „frischeren“ Musik dieses großen neuen Jahrtausends irgendwie doch nicht ganz so innovativ, wie es früher einmal den Anschein hatte. Wir haben uns eingerichtet, das Digitale ist allgegenwärtig, und es gibt eine globale „Schwarmbildung“ – ein Meer aus sättigenden Medien, das unsere krankhaften Aufmerksamkeitsdefizite festhält. Es gibt so viele Kanäle, aber was läuft eigentlich wirklich auf denen? Zwischen dem Geschichtsnetzwerk und den Vorschauen auf zukünftige Szenen scheint das, was sich entwickelt, auch nicht aus neuen oder „originellen“ Elementen zu bestehen, sondern aus Komponenten, die den Test der Zeit bestanden haben.

Die Saga der elektronischen Musik kann man auch als Reise verstehen – von ihrem Ursprung in der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Band- und Loop-Experimenten von Pierre Schaeffer und Pierre Henry bis zur gegenwärtigen Anwendung von Klangtransformationssoftware durch Gruppen wie Aphex Twin und Autechre waren Künstler, die im auralen Medium arbeiten, stets gezwungen, durch eine sich ständig verändernde Landschaft von Technologien und konzeptiven Ansätzen zu navigieren. Manche überleben diese Reise dank ständiger Anpassung, andere durch die schiere Kraft ihrer Entschlossenheit und Ausdauer.

Goldene Nica

Die diesjährige Gewinnerin der Goldenen Nica für Digital Musics gehört eher zu den Letzteren. Eliane Radigue, Jahrgang 1932, begann ihr musikalisches Leben unter den Fittichen der oben genannten französischen Pioniere. Die konventionelle Geschichtsschreibung dieser Pariser Schule, der Groupe de Recherche Musicale (GRM), neigt dazu, sich auf eine Handvoll (männlicher) Komponisten zu konzentrieren und die große Menge von Arbeiten zu vernachlässigen, die von einer Schar anderer Mitarbeiter sowohl als Bandmusik als auch rein elektronisch gestaltet wurde. Radigue begann ihre Arbeit mit Synthesizern in den 1950er Jahren. Sie verfolgte stets ihren eigenen Kurs und entwickelte dabei einen persönlichen Stil der langen Form – lange tonale Odysseen, Meditationen über Tod und Ewigkeit. Nach ihrer Arbeit in Paris und später in den Columbia-Princeton-Studios in New York machte sie den tibetischen Buddhismus zu ihrer Lebensphilosophie und zur Grundlage einer Phase neuer Kompositionen, die in der monumentalen Trilogie de la Mort (1988–93) gipfelten. Inzwischen wird die Mittsiebzigerin spät, aber doch als einer der Grundpfeiler der elektronischen Musik anerkannt. Ihre Werke werden bei internationalen Musikfestivals aufgeführt, und sie selbst ist eine wichtige Inspirationsfigur für mehrere Generationen jüngerer Musiker. Das 2004 ins Leben gerufene vierköpfige Digitalensemble The Lappetites umfasst mit Eliane Radigue, Kaffe Matthews, AGF und Ryoko Kuwajima vier Generationen innovativer Musikerinnen, die fesselnde neue Strategien für Komposition und Aufführung entwickeln.

Radigue arbeitet weiterhin an ihrem ARP-2500-Synthesizer, der das Basismedium für all ihre Musik war, und ihre preisgekrönte Einreichung L’île ré-sonante („Die [wieder]klingende Insel“) ist ein Stück von hinreißender klanglicher Schönheit und emotionaler Kraft. Es vermittelt ein etwas programmatischeres Gefühl als viele ihrer vorhergehenden Werke und nimmt den Hörer mit auf eine Reise tief ins Herz eines psychischen Raumes, in dem die „Insel“ sich irgendwann als Gewebe aus einem klanglichen Nebel subtil eingesetzter Vokalisierungen herausschält. Das Werk ist auf rein klanglicher Ebene ebenso mächtig wie auf emotionaler und konzeptueller und ist die Krönung eines Lebenswerks. Dank ihrer Beharrlichkeit, Hingabe und einem angeborenen Gefühl für die physische und emotionale Kraft der Musik hat Radigue ihre Insel erreicht, auf der ihre Goldene Nica sie erwartet.

Auszeichnungen

Klang und Musik haben eine große Bandbreite von Funktionen, und häufig wiegt der Unterhaltungswert oder Vertrautheitsfaktor stärker als Unkonventionalität in der Anwendung. Unsere beiden Auszeichnungen ehren diese entgegengesetzten Qualitäten. Das Werk des jungen Joe Colley aus San Francisco war allen Jurymitgliedern bis auf einen unbekannt, aber seine psychic stress soundtracks faszinierten alle mit ihrer Intensität der klanglicher Details, der präzisen Produktion – und weil Colley seiner Absicht, die Hörer zu desorientieren und zu traumatisieren, absolut treu blieb. Bei seinen „instabilen Klängen“ wechseln Passagen stiller Bedrohung mit plötzlichen an CattleProd gemahnenden Ausbrüchen; das digitale Audio hält die Aufmerksamkeit mit einer Art grausamer Schönheit fest. Die Jury anerkannte auch die Tatsache, dass diese anpassungsfähige Musik thematisch sowohl als Performance als auch via CD reproduziert werden kann; Colleys Einsatz von Klangskulpturen und verstärkten Objekten fügt einem Genre, das sich allzuoft damit begnügt, seine eigenen formalen Charakteristiken zu untersuchen, eine faszinierende Dreidimensionalität hinzu. Auf diese Weise erinnert psychic stress soundtracks auch an jüngste Berichte über die Verwendung extrem lauter Musik zum Schlafentzug und zur Desorientierung in den Folterkammern des Nahen Ostens – eine zeitgenössische politische Resonanz, die dazu beitrug, das Werk über die Mitbewerber zu heben.

Sonic Bed_London der britischen Künstlerin Kaffe Matthews (2005) bot eine willkommene Erholung von Colleys infernalischen Machinationen. Das als Installation entwickelte und bereits in Galerien in Großbritannien und China gezeigte Stück beeindruckte die Juroren mit seiner eleganten Einfachheit. Matthews hat ihre Kompositionspraxis aus Live-Improvisationen auf der Violine entwickelt, die über MIDI-Sampling verarbeitet wurden, wobei sie nach und nach auf das Instrument verzichtete, um sich auf reinen Software-Einsatz zu konzentrieren. Ihre Installationswerke verwenden oft subtil verwandelte häusliche Möbelstücke, die für klangliche Zwecke adaptiert werden. Sonic Bed_London schließt beide Richtungen ihrer Arbeit auf elegante Weise ein: Es besteht im Wesentlichen aus einer Matratze, installiert in einer Box mit einem Netzwerk von Lautsprechern, die extrem hohe und tiefe Frequenzen wiedergeben können, sodass die Audio-Komponente des Werks als physischer Effekt auf Haut und Knochen erlebt wird, wenn die Obertöne den im „Bett“ liegenden Körper massieren und durch ihn hindurchgehen. Uns hat auch gefallen, wie das Stück dank seines partizipatorischen Ansatzes in der Galeriesituation unerwartete soziale Interaktionen fördert und dass seine Einfachheit es für jede Altersgruppe zugänglich und verständlich macht. Daneben bietet es noch eine alternative Möglichkeit, Klang von traditionellen CD- oder Konzertmedien zu erleben. Und es macht neugierig auf die physikalischen Eigenschaften von Klangfrequenzen und suggeriert praktische Anwendungen für „generatives“ oder sich entwickelndes Audio, das allzu oft in einem abstrakten Zustand stecken bleibt.

Anerkennungen

Bei den anderen Einreichungen, die es nicht bis zu einem der drei Preise geschafft haben, liefen die Diskussionen in der Jury letztlich oft auf die Frage hinaus, ob die Form dem Inhalt vorzuziehen sei oder nicht. „Abstrakte“ formale Studien machen seit jeher einen großen Teil der elektronischen und elektroakustischen Musik aus, aber es gibt einen klaren Trend zu etwas, das als „mimetisches“ oder „Simulacrum-Sampling“ bezeichnet werden könnte, bei dem signifikante Objekte als Quellmaterial verwendet werden.

The Rose Has Teeth In The Eye Of A Beast von Matmos ist eine Serie von Audio-Biografien über die die Gruppe inspirierenden „Helden“: Für einen Track „über“ Ludwig Wittgenstein oder William Burroughs etwa wird das Leben dieser Personen studiert, relevante Objekte werden gesammelt und aufgenommen oder wichtige
Ereignisse in ihrer Biografie nachgespielt, wobei die Ergebnisse wieder aufgezeichnet werden. All das wird dann als Audio-Farbpalette für die Schaffung unabhängiger Tracks verwendet, die häufig keinen unmittelbaren Bezug mehr zu ihrer Inspirationsquelle haben, außer jenem, dass die Erinnerungsassoziationen in die aufgenommenen Objekte sozusagen eingeschlossen sind. Zu loben ist die imaginative Energie von Matmos’ Design ebenso wie ihre Hingabe an die Sache (ein Track erfordert, dass ein Gruppenmitglied mit einer Zigarette gebrannt wird). Wir haben deren Werk jenem von Matthew Herbert vorgezogen, der eine sehr ähnliche Philosophie des signifikanten Klangobjekts verwendet, aber Plat Du Jour, sein Versuch, die globale Lebensmittelindustrie zu kritisieren, schien uns trotz seines bewundernswerten Konzepts im Ergebnis doch allzu abstrahiert. Den Kraftstoff, der verschwendet wurde, um einen Panzer über ein Mahl rollen zu lassen, das einst Blair und Bush serviert worden war (ganz zu schweigen vom Kochen der besagten Mahlzeit), hätte man besser gespart, denn es ist unmöglich, irgendeine aurale Spur dieses tatsächlichen Ereignisses zu entdecken. Die theatralische Seite solcher Werke bietet zwar genug Stoff für unsere Vorstellungskraft, aber allzu oft ist dieser Erfindungsreichtum im klanglichen Ergebnis nicht mehr spürbar.

Das Projekt Spire vom Label Touch bietet eine andere Größenordnung von Theatralik. Das vierstündige CDSet von Spire dokumentiert ein groß angelegtes Performance-Ereignis, bei dem die klanglichen Qualitäten von Kathedralen-Orgeln untersucht werden. Die Version aus der Kathedrale von St. Pierre in Genf beginnt mit mehreren zeitgenössischen Orgelwerken von Komponisten wie Xenakis, Messiaen und Jolivet, also quasi mit einer Einführung in die Geschichte der Wiederentdeckung dieses ehrwürdigen Instruments im 20. Jahrhundert. Dann wird das Publikum eingeladen, im Bauwerk herumzugehen und die Seitenkapellen und die Krypta zu besuchen, wo es auf experimentelle Musiker wie Christian Fennesz, BJ Nilsen und Philip Jeck trifft, die elektronisch Variationen über den Orgelklang verarbeiten. Lob gab es für Spires Integration mehrerer unterschiedlicher musikalischer Techniken, für den umfassenden Überblick über die jüngste Geschichte der Orgelmusik, für den Versuch, diesem Instrument auch außerhalb des kirchlichen Kontexts eine Stimme zu verleihen, und nicht zuletzt für die spektakuläre Ausnützung der Kathedralenräume.

Eine lebhafte Debatte kreiste um Zap Meemees des japanischen Künstlers Satanicpornocultshop (alias *Es, Lisa, Vinylman, Ugh, Liftman, Frosen Pine & Meu). Die Jury war ob der „plündrofonischen“ Annäherung an die moderne Popmusik zwar geteilter Meinung; der unmittelbare Eindruck der digitalen „Dayglo“-Texturen stand jedoch ebenso außer Zweifel wie die rücksichtslose Einstellung, mit der erkennbare Pop-Samples in den Strudel des Mixes geworfen wurde – aber war diese die Aufmerksamkeit fesselnde Produktion gut genug, um auch mehrfaches Anhören zu ertragen? Und ist wiederholte Hörbarkeit ein Kriterium, das man auf die letztliche Entscheidung anwenden darf? Einige von uns hielten dieses Werk für einen frischen Klang, eine geistvolle, respektlose Satire auf die Pop-Kultur, andere fühlten, seine Selbstbezüglichkeit wäre zu beliebig, um für eine Auszeichnung in Frage zu kommen.

Ähnliche Argumente wurde gegen zwei andere interessante Projekte vorgebracht, die heftigen Gebrauch von Sampling machten: Voodooluba der Kölnerin Niobe (Yvonne Cornelius) und A Life Without Fear des Berliners Ekkehard Ehlers. An Niobes üppigen, verführerischen Beschwörungen einer latino-angehauchten Form von Exotica schieden sich die Geister, aber ihre magisch-realistische klangliche Vorstellungskraft verlieh ihr sicherlich eine der individuellsten Stimmen unter den diesjährigen Einreichungen. Ehlers hat sich in seinem Stück, das Teil der „Plays“-Serie mit Hommagen an die vergangene Musik von Robert Johnson, Albert Aylers oder Cornelius Cardew ist, des Blues angenommen. Jedenfalls war es erfrischend, elektronische Musik zu hören, die sich auf einen Dialog mit einem anderen musikalischen Genre einlässt, das ihr einen Bezugsrahmen außerhalb der eigenen Parameter bot. An Ehlers fiel vor allem die intellektuelle Strenge hinter seinem Ansatz zur Erforschung des musikalischen Erbes auf.

Yannis Kyiakides’ Wordless samplet die Stille im Sprechmuster diverser Individuen, die er aufgenommen hat: Personen, die auf unterschiedliche Art exiliert sind, machtlos und ohne „Stimme“ in der Gesellschaft. Das bisherige Gesamtwerk Kyriakides’, das quer durch politisch geladene digitale Kompositionen, Installationen und Tanzstücke geht und auch Improvisationarbeiten mit der holländischen Anarchistengruppe The Ex umfasst, stieß zwar auf großes Lob, aber die Jury fand, dass dieses spezielle Stück – keineswegs das erste, das „Sprechpausen“ in der digitalen Musik isolierte – in dieser Gesellschaft einfach nicht stark genug war, um eine Auszeichnung zu verdienen.

Im Reich der Elektroakustik und der Echtzeit-Transformation von Live-Instrumenten ragten zwei sehr unterschiedliche Projekte heraus. von Nikolaus Gansterer, Katharina Klement und Josef Novotny setzt beim Begriff des präparierten Pianos an: Zahlreiche elektrische Motoren und andere Stimulantien wurden an den 88 Saitengruppen eines mit Kontaktmikrofonen versehenen Flügels angebracht und verrichteten dort ihre Arbeit, während die Klänge in Echtzeit elektronisch bearbeitet wurden. Der Klang und der Ansatz erweckten unser Interesse, aber auch nicht mehr – bis der Gesamtumfang der Aufführungskontexts enthüllt wurde: Gansterer erweitert den Sound mit einem humorvollen und bewusst irreführenden „Vortrag“ über den sich entfaltenden Prozess, mit einer Overhead-Projektion in der Komplexität der Konstrukte eines William Heath Robinson. Wir mochten den Charme und die Selbstabwertung dieses Ansatzes, der die übliche höchst ernsthafte Präsentation elektroakustischer Musik unterläuft.

february sessions des japanischen Laptop-Trios Yoshihisa Suzuki, Kensuke Tobitani und Satoshi Fukushima präsentierte eine viel jüngere und zeitgemäßere Stellungnahme zur Praxis von Live-Elektronik. Die Musik brauchte eine Weile, um anzukommen – sie sollte auf jeden Fall in einem Live-Kontext erlebt werden! –, aber dann entdeckten wir eine fesselnde, flüssige und vitale Präsenz in diesen Digitalisierungen von Echtzeit-Instrumenten, die in hierarchischer Weise eingespielt und im Lauf der Live-Output-Permutationen formlos gemacht wurden.

Black One des amerikanischen Gitarrentrios Sunn O))) provozierte eine Debatte über den Umgang mit einer Gruppe, die offen das Fallenstellen von Black Metal bei einer Digital-Musics-Kategorie einreichte. Stephen O’Malleys Neuerfindung des Genres als schlagzeugloses Doom-Creep ist in der Underground-Musik in den letzten paar Jahren zum Kultobjekt avanciert, und sein Eintauchen in Electronic Jazz oder Musique Concrète gibt einen interessanten Bezugsrahmen für diesen ritualistischen, halb scherzhaften dichten Rock. Die pure Kraft des dämonischen Zusammenspiels der Gitarren der Gruppe und ihrer bilderstürmerische Präsentation hat die meisten Jurymitglieder beeindruckt, selbst jene, für die das alles völlig überraschend kam.

Radio_Copernicus, eine von Sabine Breitsameter angeregte kollaborative Rundfunkstation, war eine umstrittene Wahl. Es bestand kein Zweifel über den Wert eines Netzwerks von Senderknoten zwischen deutschen und polnischen Radiostationen, das einzig den Zweck verfolgt, ein neues Sendeschema und „Kunst-Musik“ zu fördern und zu verbreiten – zu einem großen Teil Musik, wie sie üblicherweise dieser Jury vorgelegt wird. Wir diskutierten die ethische Frage, ob man einen Geldpreis an ein Unternehmen vergeben kann, das ohnehin schon erhebliche öffentliche Gelder erhält, und wir haben uns durchaus gefragt, was Radio_Copernicus über und jenseits all die vielen Radiostationen weltweit heraushebt, die aus irgendwelchen Gründen nicht eingereicht hatten. Außerdem ist es schwierig, den Output einer Station zu beurteilen, wenn insgesamt 27 CDs vorgelegt wurden, ohne Dokumentation in englischer Sprache und ohne klare Stellungnahme zu den Zielen der Radiostation. Aber ungeachtet unserer Zweifel schien dieses Projekt doch ein wichtiges Beispiel für eine vorwärtsgerichtete Philosophie der Erstellung von Modellen zur Förderung abenteuerlustiger Formen von Radiokultur zu sein.

Die seit langem aktive Avantgardemusik-Organisation Staalplaat hat unter dem Titel Yokomono ein ganzes Portfolio innovativer Installationen und Performances ihres Soundsystems eingereicht. Da einige der Arbeiten älter als zwei Jahre sind (und daher mit den Einreichregeln des Prix Ars Electronica kollidierten), wäre eine Bewertung des Gesamtwerks problematisch gewesen. Anklang bei der Jury fand jedoch die bei dieser Gruppe typische flächendeckende Verwendung von umgewidmeten Haushaltsgeräten, etwa die Installation von Dutzenden Waschmaschinen, Staubsaugern und einem Netzwerk beleuchteter Plastikobjekte auf Wasser. Das Premierenstück Yokomono konfrontiert seine Zuschauer mit zehn Plattenspielern, auf denen kleine Modellautobahn-Fahrzeuge ihre Kreise auf den Vinylscheiben ziehen und die Klänge von zehn eingeladenen Künstlern auf zehn Kanälen mehrerer FM-Radiostationen vermitteln, die ihrerseits auf beweglichen Modelleisenbahnen oder an ausgewählten Stellen rund um den Raum übertragen werden. Andere der vorher aufgezeichneten Platten enthalten etwa 55 Schleifen digitaler Stille: Wenn die kleinen „Nadel“-Fahrzeuge ihre Runden ziehen und die Platten „beschädigen“, werden die Geräusche der Abnutzung kabellos an das Mischpult übertragen, wo zwei „erosive“ Operators die langsam nachlassende Batterieleistung dieser Miniatur-„Vinyl-Killer“-Autos editieren und manipulieren. Staalplaats Präsenz in den Top 15 spiegelt sowohl die langjährige Tätigkeit der Gruppe im Dienste der experimentellen Musik wieder – das Label und sein Postversand sind seit den 1980ern ein Fixpunkt und sozusagen die Rettungsleine –, als auch den Erfindungsreichtum und die unterhaltende Natur dieser Werke aus umfunktioniertem Müll.

Unter der Vielzahl von Stücken, die sich an Musique concrète orientieren, fanden wird ein kraftvolles, donnerndes Werk mit hoher Oktanzahl: Storm! Einigen von uns war der Autor Ambrose Field nicht unbekannt, aber als diese kompromisslos unnachlässige „Audensität“ erst einmal an unsere Ohren drang, waren wir auf seltsame Weise hingerissen: Hier war ein Komponist und Klangdesigner, der alle seine Karten auf den Tisch legte und dennoch unserer kollektiven auralen Vorstellungskraft viel Spielraum ließ. Spannung, Dramatik und Effekte wurden durch verbesserte gitarrenähnliche Klangströme und starke kinematische Effekte intensiviert, die den Zuhören in persönliche Momente klanglicher Intimität oder in weite Beschleunigungen hineinziehen, die fast überlebensgroß wirken. Eine überzeugende Surround-Komposition aus aufgenommenen Umweltklängen und eigenen Computer-Metamorphosen zu konstruieren, ist immer eine musikalische Herausforderung, und die ungewöhnlichen Ergebnisse, die wir hier vorfanden, halfen mit, eine profunde akusmatische Welt mit neuen auditiven Einsichten aufzuladen.


 
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