www.aec.at  
 
 
 

Prix Ars Electronica
Archive

Prix-Jury

 
 
Veranstalter
ORF Oberösterreich

Auflösung der Kategorien

Als der Prix Ars Electronica eine eigene Kategorie für Interaktive Kunst schuf, mußten die Organisatoren eine Vorstellung gehabt haben von den Rahmenbedingungen, nach denen eine solche Kategorie beurteilt werden könnte.

Und wahrscheinlich (all das sind Vermutungen, weil ich nicht dabei war) waren die gesuchten Qualitäten im interdisziplinären und instabilen, offenen Charakter dieser Kunstwerke zu suchen, der der Produktion, Perzeption und Distribution von Kunst neue Impulse gegeben hat. Es wird wohl nur eine ferne Ahnung gewesen sein, daß sich diese Kategorie so explosiv entwickeln und auf alle Richtungen und Plattformen der Kunst und Kultur übergreifen würde. Jetzt, 1997, hat sich diese Kategorie offensichtlich bei den ünstlern und in der Kunstwelt etabliert. Es entstehen die vielfältigsten Werke, die alle traditionellen Kategorien innerhalb und außerhalb der Kunst hinter sich lassen. Auch die diesjährigen Einreichungen in der Sparte Interaktive Kunst überlappten sich häufig mit anderen Kategorien des Prix Ars Electronica ­ ein Zeichen dafür, daß es nicht wirklich möglich ist, die Interaktive Kunst so zu kategorisieren, wie wir Kunst generell noch vor zehn Jahren kategorisieren konnten. Die allgemeinen Begriffe, mit denen Interaktive Kunst normalerweise bewertet wurde, reichen nicht mehr aus, ihre speziellen Qualitäten zu beschreiben und weiterzuentwickeln. Der Begriff "Interaktivität" in seiner allgemeinen Bedeutung wird inflationär verwendet und ist kaum mehr als Generalbegriff geeignet, die oftmals sehr komplexen Interaktionsmuster innerhalb der Kunstwerke zu beschreiben. Interaktion findet in diesen Werken zwischen Menschen statt, zwischen Mensch und Maschine oder zwischen Maschine und Maschine und wirft damit eine ganze Reihe von Fragen auf, die sich alle damit beschäftigen, wie wir die Qualität von Kunst bewerten. Überlegungen über "Maschinen und Ästhetik" hinterfragen nicht nur Aspekte wie Originalität und Einzigartigkeit ­ Anliegen, die schon seit einigen Jahren in der Medienkunst diskutiert werden ­, sondern auch die Intention des Künstlers, die Urheberschaft und die Aufteilung der Entscheidungsmomente zwischen Mensch und Maschine. Kunstwerke sind komplexe Maschinerien geworden, in denen der Benutzer weniger das Werk individuell steuert, sondern vielmehr kooperiert, stört, leitet.
Daraus ergibt sich ein dynamisches Interaktionsmuster, innerhalb dessen das Werk sich entwickelt.

Genetische Algorithmen, künstliche Intelligenz, das Internet als Medium der Kommunikation und selbstorganisierende Systeme werden eingesetzt, um Kunstwerke zu schaffen, bei denen die Aktionen von Mensch und Maschinen kaum mehr auseinanderzuhalten sind. Diese komplexe Interaktion führt zu ganz unerwarteten Ergebnissen, was die Art und Weise betrifft, wie das Werk letztlich erfahren wird. Interaktion bedeutet hier, an einem Prozeß teilzunehmen, bei dem individuelle Aktionen zu Kollisionen und/oder zu Zufallsereignissen führen können. Hier manifestiert sich das Kunstwerk als dynamischer Prozeß, als Erfahrung und nicht als ästhetisches Objekt. Die Projekte von Knowbotic Research (Anerkennung) stehen exemplarisch für diese Art von Werk. Wenn wir jedoch alle Einreichungen in der Sparte Interaktive Kunst betrachten, so ist eine derart summarische Beschreibung der Interaktivität längst nicht repräsentativ. Obwohl es zweifellos eine wachsende Komplexität bei den interaktiven Aspekten der meisten Werke gibt, zeigt sie sich doch auf sehr unterschiedliche Weise.

In diesem Jahr hat die Jury rund 200 Arbeiten begutachtet, aus denen drei Preisträger ermittelt wurden. Weitere zwölf Werke erhielten Anerkennungen. Die Einreichungen waren höchst unterschiedlich sie variierten stark in den Interaktivitätsmustern, im Design der Interfaces und in der Zielsetzung der Anwendung. Um diese Verschiedenheit zu illustrieren, möchte ich kurz die diesjährigen Preisträger und die Meinung der Jury über sie zusammenfassen.

Die Musik-Performance "Music Plays Images x Images Play Music" von Toshio Iwai und Ryuichi Sakamoto steht in der Tradition einer Entwicklung, die zu Beginn dieses Jahrhunderts in Europa begann und auf die Beziehung zwischen Klang und Bild abzielte. Diese synästhetische Erfahrung, in der die Stimulation eines Sinnes einen anderen aktiviert, wurde von Musikern wie Skrjabin erforscht, die so eine umfassende Kunsterfahrung erreichen wollten "Music Plays Images x Images Play Music" anerkennt diese Tradition, die sich seit ihren Anfängen beständig weiterentwickelt hat. In diesem Stück spielen Computergraphiken Klavier und Klaviere malen Computergraphiken. Aber es beschränkt sich nicht auf das Spiel der Maschinen miteinander. Ryuichi Sakamoto und das Publikum nehmen an diesem Spiel der Bilder und Klänge mit Hilfe erfindungsreicher Interfaces aktiv teil. Sakamoto befindet sich selbst auf der Bühne, aber das Publikum greift über das Internet ein und steuert eines der beiden Klaviere. Über das Feedback des realen Spielers hören die Internet-Mitwirkenden auch die tatsächliche Performance. Und all das fließt nahtlos von einer Domäne in die andere. In diesem Sinne folgt das Stück einer japanischen Tradition, die in der Interaktion nicht Konflikt und Kontroverse sucht, sondern den Zusammenschluß, die Verschmelzung der Mitwirkenden. Die ästhetische Komponente wird maximiert, was zu einer eindringlichen Erfahrung führt. Die Arbeit selbst behandelt mehrere Aspekte, die die gegenwärtige Diskussion über die Beziehung zwischen Medientechnologie und Kunst kennzeichnen: Öffentlich­privat, lokal­global, Multi-User-Interaktion über Netzwerke und die Schaffung einer offenen Struktur definieren Qualitäten, die die Interaktion in der Kunst weiter voranbringen. Im Gegensatz zu Toshio Iwais Werk beschäftigt sich "Border Patrol" ("Grenzpatrouille") von Paul Garrin und David Rokeby aktiv mit dem Konflikt, der zwischen der Technologie als Kontroll- und Machtinstrument und dem von der Technologie kontrollierten und gesteuerten Publikum herrscht. Die Arbeit untersucht die sozialen und politischen Aspekte der Technologie, Paul Garrin fragt nach dem Einsatz der Technologie seitens sozialer oder kultureller Minderheiten als Mittel zum Überleben und zum Ausdruck ihrer Botschaften. Andererseits spricht er die Tatsache an, daß die historischen Kräfte der Gesellschaft ­ Staat und Wirtschaft ­ sich selbst durch die Technologie verstärken und dabei eine bestimmte Kontrolle über den öffentlichen Raum ausüben. Er betrachtet die Vereinnahmung des Medienfeldes durch diese
Kräfte als Versuch, sowohl das Individuum als auch die Gesellschaft zu kontrollieren ­ eine Entwicklung, die in scharfem Gegensatz zur Medienbotschaft steht, die von ideologischen Gruppen und vom Marketing verbreitet wird: die Dezentralisierung der Macht.

Bei "Border Patrol", das in Südkorea Premiere hatte, befindet sich das Publikum in einer militärischen Festung, in der dessen Bewegungen von Videokameras verfolgt werden. Diese "klammern" sich an einzelne Personen im Publikum fest und verhalten sich wie Heckenschützen, die versuchen, dieses "feindliche Objekt" zu eliminieren. Auf Monitoren, die in Sandsack-Wände eingelassen sind, sehen sich die Personen selbst, wie sie von den Kameras gefangen sind. "Border Patrol" ist direkt und insofern auch in seiner Interaktion mit dem Publikum beschränkt, es läßt der Phantasie nur wenig Spielraum und spekuliert mit dem Gefühl der Unterdrückung, das es auslöst. Eine Auszeichnung geht an ART+COM aus Berlin für das Projekt "The Invisible Shape of Things Past", und zwar aus Gründen, die mit den oben genannten nichts gemeinsam haben. "The Invisible Shape of Things Past" ist ein Werkzeug, das gefilmte Bilder in 3D-Objekte verwandelt. So knapp beschrieben, scheint es als Werkzeug ziemlich simpel zu sein, aber die Einreichung zeigte mehrere Anwendungen, die die Dimensionen des
Projektes eindrucksvoll demonstrieren. Die 3D-Objekte aus den gefilmten Bildern werden teilweise aus der Kamerabewegung geformt (Zoom, Schwenk, Kippen), wodurch unregelmäßige Formen entstehen. Die Objekte können aus historischem wie aktuellem Filmmaterial entwickelt werden. Im vorliegenden Fall stammten sie aus historischen Aufnahmen von Teilen Berlins (Straßen, Plätze, Gebäude). Diese Filmobjekte können in eine Darstellung der Stadt, in ein virtuelles Berlin, eingebaut werden.

Diese virtuelle Stadt wiederum kann über eine Zeitleiste erschlossen werden (Berlin 1910, Berlin 1930 usw.), und dann finden die historischen Aufnahmen ihren Platz genau an jener Stelle der virtuellen Stadt, an der sie gedreht wurden. Man kann auch die Bilder an dieselbe Stelle, aber in eine andere Zeit verschieben, wodurch sich zahlreiche Querverbindungen zu Entwurf, Organisation und anderen Fragen der Stadtgestaltung ergeben. Der User kann von unterschiedlichen Kamerapositionen aus durch dieses virtuelle Berlin reisen und so die Aufstellungsorte von gefilmten Objekten wählen und danach durch diese Bilder ­ entweder als Filmsequenz oder als VR-Objekte ­ wandern. Das Projekt läßt sich mit Datenbanken oder dem Internet verknüpfen, es enthält daher ein großes dynamisches Potential und bietet zahlreiche Anwendungen, u. a. in Architektur, Film oder Bildung. Die Jury war von der Stärke eines solchen Werkzeuges beeindruckt, das verschiedene Interfaces verwendet. Allerdings besteht bei solchen Projekten immer die Gefahr der Monopolisierung. In einem solchen Fall würden Auswahl und Inhalt der Datenbanken bald von den kurzfristigen kommerziellen Interessen von Firmen bestimmt werden, wohingegen die wahre Kraft eines derartigen Projektes in seiner offenen Struktur liegt, die für unterschiedlichste Anwendungen geeignet ist.

 
© Ars Electronica Linz GmbH, info@aec.at