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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
ORF Oberösterreich

Ein Blick in die Zukunft

Barbara Robertson


Zum ersten Mal in seiner Geschichte hatte der Prix Ars Electronica heuer zwei Goldene Nicas, vier Auszeichungen und insgesamt 24 Anerkennungen im Bereich der Computeranimaton und der Visual Effects zu vergeben.

Und die diesjährige Jury - Maurice Benayoun, Larry Cuba, Mark Dippé, Rudolf John, Peter Kogler, Barbara Robertson und Michael Wahrman - hat auch alle zur Verfügung stehenden Preise vergeben. Unter den Einreichungen war nicht das alles überragende Werk zu entdecken, wir haben auch nicht die neue Ästhetik entdeckt, aber wir haben faszinierende Ausblicke auf die Entwicklung neuer ästhetischer Konzepte gesehen, oder wie Mark Dippé es ausgedrückt hat: "Wir haben bereits einen Blick auf die Zukunft erhascht." Die Änderungen in den Ausschreibungen zum Prix Ars Electronica und die Großzügigkeit der Prix Ars Electronica-Sponsoren haben uns die Möglichkeit eröffnet, viele jener auszuzeichnen, die bereit waren, ein Risiko einzugehen, wenn es auch nicht so viele waren, wie wir gerne gehabt hätten.

Es ist noch nicht lange her, daß die Verwendung von Computeranimation im Kinofilm selten war, wunderbar, unverfälscht - und simpel. Nie zuvor hatte man so etwas gesehen wie den Mann aus flüssigem Metall in "Terminator 2", und es hätte ohne den Computer auch nicht entstehen können. Dann kamen zwei Filme, die sich stark auf die Computergraphik gestützt haben: Disneys "Die Schöne und das Biest" (1991) und Steven Spielbergs "Jurassic Park" (1993), und beide wurden enorme Kassenschlager. Hollywoods Meinung über Computeranimation änderte sich von "riskant" zu "machbar", und die Schleusen wurden geöffnet. Jedes Jahr brachte einen neuen Durchbruch in der Computergraphik. Bis es dann letzten Sommer den Anschein hatte, daß nahezu alle Action-, Abenteuer- und Science-Fiction-Filme aus den Studios Hollywoods sich auf Computeranimation verließen - von den "unsichtbaren" Visual Effects in "Speed 2" bis zu den umwerfenden Charakteren in "Men in Black" und "Spawn". Heuer waren die Visual Effects in allen für den Special-Effects-Oscar nominierten Filmen weitestgehend mit Bildern aus dem Computer erzeugt.

Als Abbild dieser Entwicklung haben in den letzten Jahren die Einreichungen zum Prix Ars Electronica aus den finanziell und personell wohldotierten professionellen Studios in einem Maß zugenommen, daß sie die Leistungen unabhängiger Animatoren, Filmemacher und Forscher zu überrollen drohten. Und es ist kein Zufall, daß in den letzten beiden Jahren die Goldene Nica für Computeranimation und Effekte in den abendfüllenden Filmen an "Toy Story" bzw. "Dragonheart" vergeben wurden, und das völlig zu Recht. Aber es wurde immer deutlicher, daß es früher oder später für ein kurzes, experimentelles Werk unmöglich werden würde, gegen die in kommerziellen Großstudios produzierten Arbeiten anzutreten. Und dennoch sind beide Bereiche unabdingbar für die Entwicklung dieser Kunstform, jeder hat seine eigene Bedeutung, jeder muß anerkannt werden. Und so wurde heuer beschlossen, die hochkommerziellen und die weniger kommerziellen Einreichungen in gleicher Weise zu honorieren, ohne dabei die einen gegen die anderen zu stellen.

Mit dieser Freiheit im Kopf traten die Jurymitglieder ihre Aufgabe an, in drei Tagen aus 350 Einreichungen dreißig herauszufiltern und dann aus diesen dreißig eine Goldene Nica und zwei Auszeichnungen für die unabhängigen Künstler und Forscher sowie eine weitere Goldene Nica und zwei Preisträger im Bereich der kommerziellen High-End-Produktionen finden.

Wie wir die dreißig gefunden haben? Manchmal ist es wahrlich einfacher zu erklären, warum wir die anderen nicht ausgewählt haben. Wir haben Werke ausgeschieden, die sich als ein Katalog des Machbaren dargeboten haben, oder, wie Maurice Benayoun über eine Einreichung bemerkte: "Zuerst zeige ich euch Wassertropfen, dann zeige ich Euch Linsenreflexionen!" Nicht, daß wir unbedingt eine "Story" oder Charaktere gebraucht hätten - wie ja die Auszeichnungen beweisen -, aber wir wollten eine überzeugende Gestaltung sehen, eine gute Idee - und einen kompletten Film. Wir haben uns in einige
Einreichungen verliebt, die wir später ausgesondert haben, obwohl sie wunderbare Stories erzählten und offensichtlich mit Hilfe des Computers geschnitten wurden, aber fast keine Computeranimation enthielten. Allzuviele Einreichungen begannen gut, und dann, nach drei Vierteln ihrer Zeit, haben sie verloren. Wir haben den Atem angehalten in der Hoffnung, der Animator würde seine Geschichte durchziehen oder unser Interesse wachhalten können, aber leider - wir haben ganz viele Gummihühner gesehen, Tunnel, Gebläse, belebte Schatten und Augäpfel - so viele, daß sie in unseren Köpfen einen
festen Platz bei den billigen Computeranimations-Klischees fanden, gleich neben den fliegenden Logos aus Chrom. Rückblickend stellen wir fest, daß wir alle Animationen ausgeschieden haben, die Charaktere mit flachem Relief vor einer dreidimensionalen Szenerie präsentiert haben. Und obwohl die sieben Mitglieder der Jury selbst völlig unterschiedlichen Hintergrund haben, hatten sie alle genug von anthropomorphen Toastern, Bohnen, Schreibutensilien und dergleichen. "Wir erwarten jetzt Computeranimationen, die nicht nur einfach dümmlich sind", sagte Dippé, "sie können dramatisch sein oder voll Action, dunkel, kraftvoll - Ich möchte jedenfalls etwas finden, was auf irgendeine Art die Grenzen ausweitet."

Und wir haben tatsächlich einige Werke gefunden, die die alten Grenzen überwinden - ein Ausblick in die Zukunft, wenn man will. Wir haben mehrere hervorragende Bewegungsstudien ausgezeichnet, wir haben einige Animationen mit einem effizienten Einsatz von Tiefenschärfe und anderen Filmtechniken gefunden. Wir haben energievolle Stücke gesehen, die eine Zukunft voller animierter "Babes" vorhersagen - mit Waffen, ringend, auf Motorrollern - boxende Girlies. Wir haben andere wunderschöne Trends entdeckt: "Es gab einige recht gute, menschliche Arbeiten", bemerkte Michael Wahrman, "von denen wir mehrere abgeschmettert haben. Viele der Stücke, die mir im Gedächtnis hängen bleiben werden und über die ich mich freue, sind keine Gewinner."

Wir erinnern uns alle besonders an eine kurze Animation mit einer jungen - brillant realisierten - Frau, an einen Mann mit bemerkenswerten Händen, an eine der ersten realistischen computergenerierten Seniorinnen. Leider waren bei vielen Einreichungen mit menschlichen Charakteren diese zwar schön entworfen und gerendert, aber häufig nicht in der gleichen Qualität animiert, oder aber die Story wurde nicht durchkomponiert. "Es reicht nicht, ein gutes Bild zu gestalten, man muß versuchen, daraus auch etwas zu machen", meinte Maurice Benayoun.

Einige vielversprechende Anzeichen einer interessanten Zukunft waren etliche Animationen mit stilisiertem Rendering. Sie reichten von lyrischen Abstraktionen, bei denen der Künstler eher auf die Schaffung einer Atmosphäre denn auf die Wiedergabe der Realität abzielte, bis zu Animationen mit Charakteren in einer Cartoon-ähnlichen Darstellung - kurzum, eine sinnvolle Re-Visualisierung der Welt aus der Perspektive eines Malers, wie einer der Juroren das bezeichnet hat.

"Die Animatoren haben aufgehört, einfach Walt Disney zu imitieren", sagte Mark Dippé, "sie schaffen eine neue Welt, die uns glaubhaft scheint, weil sie uns fesselt."

Etwas enttäuscht waren wir, weil nur wenige Einreichungen aus dem Bereich der wissenschaftlichen Visualisierung kamen, nur wenige satirische Stücke, nur wenige Arbeiten mit politischer Aussage. Andererseits haben wir zu unserer Freude einige hervorragende Beispiele für abstrakte Arbeiten in der Computergraphik entdeckt.

Wir haben "The Sitter" die Goldene Nica zuerkannt, einer Arbeit von Liang-Yuan Wang vom Pratt Institute. Dies war die erste Einreichung, die in der Vorrunde ein einstimmiges Votum der Jury erhalten hatte, und dieser Konsens hat durch alle Abstimmungen gehalten. "The Sitter ist ein Beispiel für einen kompletten Film, nicht-kommerziell, voll überraschender Ideen und ein interessanter Ein-Personen-Film", sagte Michael Wahrman.

Als Nächstplazierte und Gewinner der Auszeichnungen folgten der Streifen "Runners" von Kazuma Morino über Form und Bewegung, und "Landscape", eine poetischen Schwarz-Weiß-Arbeit von Tamás Walicky. "Das Werk von Tamás Walicky ist die perfekte Fortsetzung seiner früheren Arbeiten, in denen die Grenzen von Zeit und Raum erforscht werden. Die Landschaft besteht aus einem dreidimensionalen Stop-Motion-Raum, der Live-Aufnahmen und Computergraphik-Regen in einen poetischen Blick auf eine ,eingefrorene? Welt verschmilzt", meinte Maurice Benayoun. "Die Faszination von Runners liegt in der Verwendung repetitiver Elemente (laufende, aus Würfeln zusammengesetzte Männlein) in einer abstrakten Choreographie, die mit Rhythmus, Raum und Bewegung spielt. Dies ist nicht einfach ein formalistischer Essay, sondern zeigt ein wenig den ,Sysiphos-Ansatz? in der Welt der Computergraphik."

Als wir uns den Einreichungen im Feld der High-End-Produktionen zuwandten, entdeckten wir bereits in den insgesamt zehn eingereichten Spielfilmen bemerkenswerte Beispiele visueller Effekte, die alle auf ihre Art hervorragend und dennoch nicht so herausragend innovativ wie "Jurassic Park" oder "Toy Story" zu ihrer Zeit waren. Bei der endgültigen Entscheidung stimmten wir alle mit Mark Dippé überein, der feststellte: "Das Stück, das wahrscheinlich den größten langfristigen Einfluß auf die Filmwelt haben wird, ist ''''''''Titanic''''''''." Wir fanden, daß auch die Effekte in Lost World zu den besten ihrer Art zählen, aber die Einreichung war eben doch nur die neuerliche Umsetzung eines bereits erprobten Konzeptes, und wir haben die nahtlosen Effekte
in "Red Corner" bewundert.

"Es ist eine Art Grundregel, daß die populärsten Filme mit Visual Effects als die mit den besten Visual Effects beklatscht werden, weil sie in den Augen des Publikums wirklich die eindrucksvollsten visuellen Effekte sind," meinte Michael Wahrman, "und häufig werden die wirklich nahtlos eingebauten Effekte völlig übersehen, weil deren tatsächliche Schwierigkeiten eben nicht so augenscheinlich sind." Die beiden Auszeichnungen gehen an Men in Black, eingereicht von Rob Coleman, und an Spawn, eingereicht von Christophe Hery, die beide Computeranimationen von Lebewesen in einen gefilmten Hintergrund einbinden. "Bei ''''''''Titanic'''''''' wird versucht, etwas Existierendes nachzuschaffen, während diese Filme sich bemühen, Dinge zu erschaffen, die eben anders sind", meinte Maurice Benayoun. "Und ich halte diesen Ansatz für den interessanteren", fügte Wahrman hinzu, "''''''''Men in Black'''''''' war ein Beispiel für eine splendid gemachte Animation als Visual Effects in einem kommerziellen Rahmen. Die Jury war heuer scheinbar besonders von Schleim und Blut angetan, aber ich würde mich nicht darauf verlassen, daß dies ein Trend für die Zukunft ist!"


Und die Anerkennungen? Einen Tusch, bitte:

Für reine geometrische Schönheit: "A-Light"
Für eine wunderbare, wohldurchdachte, wohlentworfene und wohlausgeführte Animation, die wie ein wirklich guter Witz wirkt: "CPU" Weil es Eier aussehen läßt, als wären sie so ...: "Ellipsoid" Weil es so französisch ist: "Fifth Element"
Für die beste schauspielerische Leistung von grünem Schleim: "Flubber"
Für wirklich gute Bewegung - kein Siegertyp, aber ein sicherer Platzläufer: "Gallop Racer II" Fürs absolut Exquisite: "Geri''''''''s Game"
Für die Fülle der Beweise als Beweis der Fülle: "Homage to Hilbert"
Für die beste architekturrekonstruktion seit der Römerzeit: "La Tour de Vésone"
Für die Flut der Bilder: "Le ressac"
Für außergewöhnliche jurassische Technologie: "Lost World"
Für eine brillante Animation, die beweist, daß wir mehr Preisträger als
Preise hatten: "Migrations"
Für die beste Nagetier-Simulation: "Mousehunt"
Weil es happy ist ? eine Animation, die man mehrmals ansehen sollte: "Pinka"
Für überwältigende Bühnengestaltung: "Monsters of Grace"
Für seine Originalität: "Replica"
Für brillante Momente in einem kurzen, süßen Werk: "Roccoco #506"
Für Fortschritte in der Käfertechnologie: "Starship Troopers"
Für guten Geschmack: "Sweet Extreme"
Für den virtuosen Einsatz von Motion Capture zur Animation einer menschlichen
Figur: "Trade Secrets from the Violin Masters"
Für Special Effects als Kunst: "U_Man"
Für Verdienste um die Sensualität - weil nicht alle synthetischen Schauspielerinnen
brave Mädchen sein werden: "Virtual Actress Move Test"
Für eine wirklich originelle Idee bei Ride-Filmen: "Virtual Museum of History"
Für die rein computergraphische Wilde Jagd durch eine exotischen Straßenszenerie:
"Zaijian"

"Meiner Ansicht nach war dieses Jahr insgesamt besser als die letzten beiden - ich glaube, wir hatten wirklich eine schöne Dynamik", meinte Michael Wahrman, der schon 1996 und 1997 in der Jury war, "und wie in den anderen Jahren gab es keine formalen Vorgaben für unsere Vorgehensweise. Die Jury konnte handeln, wie sie wollte, was für sich genommen sehr gut ist. Und was folgende Ergebnisse bringt:

(1) Die Gesamtgruppe der Arbeiten scheint sehr gut, wenn man alle Gewinner
in ungereihter Folge betrachtet;
(2) es gibt einige exzellente Stücke, die ebenso gut sind wie die Anerkennungen,
die es aber nicht geschafft haben, und ich könnte nicht erklären, warum;
(3) wie schon vor zwei Jahren gab es durchaus auch politische Aussagen
in den Visual Effects, aber die Juroren haben sich heuer weniger dafür
interessiert, und
(4) ein einzelner Juror mit fester Überzeugung kann durchaus einigen Einfluß
in der Jury haben."

"Ich kann zwar erklären, warum uns die beiden Auszeichnungen in der Animation so gut gefallen haben, nicht aber, warum der Sieger uns so fasziniert hat", fuhr Wahrman fort, "und ich kann begründen, warum wir auf den Sieger bei den Visual Effects verfallen sind, aber nicht, warum auf die Auszeichnungen. Diese Rangfolge war für mich das Ergebnis unserer eigenen formalen Methode zur Erreichung eines Ergebnisses innerhalb der vorgegebenen Zeit. Was man den Leuten aber am schwersten erklären kann, ist, daß wir die meiste Zeit damit verbracht haben, die Liste von 350 auf 90 zu reduzieren, dann von 90 auf 50, dann von 50 auf 30, und daß wir relativ wenig Zeit für alles andere hatten."

Insgesamt soll festgehalten werden, daß die Jury über die Regeländerung sehr erfreut war, die es erlaubt, eine so unterschiedliche Vielfalt von Werken auszuzeichnen, und es war uns eine Ehre, die erste Jury zu sein, die ein so weites Aufgabenfeld zugesprochen bekam. Auch wenn uns bis fast zum Schluß nicht ganz klar war, in welche Kategorie denn jetzt eigentlich Kurzfilme von kommerziellen Studios fallen sollten, wenn es um die höchsten Ehren ging, glauben wir doch, daß wir durch die beiden Preiskategorien wirklich die Freiheit hatten, die höchst erfolgreichen Beispiele von Visual Effects ebenso zu ehren wie jene kleineren Blicke in die Zukunft, die von unabhängigen Filmemachern kamen.

 
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