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Veranstalter
ORF Oberösterreich
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Das Moore'sche Gesetz und die digitalen Künste
John Markoff
In den neun Jahren, seit beim Prix Ars Electronica die Kategorie Interaktive Kunst geschaffen wurde, ist es immer augenscheinlicher geworden, daß diese Kategorie sich genauso schnell entwickelt, wie sich die Informationstechnologie verändert.
Da ja beinahe jeder Aspekt im Bereich Computer und Kommunikation von jenem industriellen Prozeß vermittelt wird, der als "Moore'sches Gesetz" bekannt ist - die Anzahl der Transistoren, die auf die Oberfläche eines IC-Chips geätzt werden kann, hat sich alle 18 Monate verdoppelt, und das seit 30 Jahren -, ist es kein Wunder, daß sich auch die Natur der in diesem Medium geschaffenen Kunst ebenso schnell verändert hat.
Eine der vielleicht klarsten Demonstrationen der Auswirkungen des Moore'schen Gesetzes in der Interaktiven Kunst ist die Entscheidung der diesjährigen Jury, Maurice Benayoun und Jean-Baptiste Barrière für "World Skin" die Goldene Nica zu verleihen. "World Skin" bietet eine aufrüttelnde Tour über ein modernes Schlachtfeld aus der Sicht eines Photojournalisten. Während sie durch die Landschaft touren, können die Zuseher "Fotos" aufnehmen, die ein Bild aus der Szenerie stehlen.
Die Geräusche der Kameras reflektieren als Echos zunehmend die Geräusche des Schlachtfeldes, während die Betrachter durch die endlose Bilderflut aus Schlächterei und Krieg rollen - In diesem Jahr haben zum ersten Mal Künstler Werke zum Prix Ars Electronica eingereicht, die auf den immersiven CAVE-Environments aufbauen, die am National Center for Supercomputing Applications in Illinois entwickelt worden sind. Diese CAVEs waren von den Forschern des Center als Mittel zu einem weniger restriktiven oder sogar gemeinschaftlichen dreidimensionalen Environment entworfen worden. CAVEs verwenden leistungsfähige Supercomputer, die dreidimensionale Umgebungen schnell genug aufbauen können, so daß eine kleine Besuchergruppe mit stereoskopischen Brillen den Eindruck erhält, in eine surreale Welt einzutauchen. Wenn sie auch ursprünglich für die Visualisierung von Datenströmen gedacht waren, die in so verschiedenen computergestützten Wissenschaftsbereichen wie der Astronomie und der Molekularbiologie anfallen, so haben diese Werkzeuge doch schnell ihren Weg in Bereiche außerhalb der Naturwissenschaften gefunden.
"World Skin" war eine von drei CAVE-Anwendungen unter den diesjährigen Einreichungen. Die Tatsache, daß die CAVE-Technologie so schnell von den interaktiven Künstlern aufgegriffen wurde, unterstreicht einmal mehr, wie stark und grundlegend sich die Computertechnik verändert. Bis zum Ende des Kalten Krieges sickerte die Computertechnologie langsam von großen Unternehmen und militärischen Bereichen abwärts, wobei die letzteren historisch gesehen die Führung in der Anwendung von Hochleistungsrechnern hatten. Aber seit den frühen 90er Jahren wird eine bemerkenswerte Umkehrung dieser Tendenz sichtbar. In zunehmendem Maße tauchen die ausgereiftesten Computertechnologien - von der Datenverarbeitung über Speicherung und Displays bis hin zur Kommunikation - eher in Anwendungen für Endverbraucher als in Firmenbereichen auf.
Diese Veränderung hat einige bemerkenswerte Implikationen: Zunehmend mehr der ausgereiftesten und leistungsfähigsten Computertechnologien werden von Firmen entwickelt und verkauft, deren Produkte man unter dem Christbaum zu finden pflegt!
Für Kybernetikkünstler ist dieser Trend Anlaß zur Freude wie zur Sorge. Man fragt sich, wie wohl die Künstler der Renaissance reagiert hätten, wenn sie gewußt hätten, daß sich die Eigenschaften ihrer Malerleinwand, mit der sie arbeiten, von Jahr zu Jahr verändert.
In diesem Jahr gab es unter den 211 Einreichungen zahlreiche andere Beispiele dafür, wie Computeranwendungen aus den Grenzen des Rechenzentrums, ja, sogar des PC hinausgewachsen sind. Eine der beiden Auszeichnungen wurde an Peter Broadwell und Rob Myers für eine beeindruckend klare interaktive Erläuterung der politischen wie der Bürgerrechtsprobleme vergeben, die durch die Kryptographie auftauchen, eine einst den Königen, Spionen und Generalen vorbehaltene Technologie. Nun aber - dank der aufgrund des Moore'schen Gesetzes stark fallenden Rechnerkosten - kann praktisch jedermann in dieser Gesellschaft sich an geheimen Informationen bedienen. Und weil sie für die Entwicklung des elektronischen Handels genauso wichtig geworden ist, wie sie eine mögliche Bedrohung der staatlichen Sicherheit bedeuten kann, ist die Verschlüsselungstechnologie plötzlich in den Mittelpunkt der politischen Debatte in den USA wie in Europa gerückt.
"Plasm: Not a Crime" ist eine interaktive Installation, die lebhaft eine kürzlich von Ron Rivest, dem Verschlüsselungsexperten des MIT, vorgestellte Idee illustriert: Wie man geheime Informationen mit anderen teilt, ohne sie erst zu verschlüsseln. Wenn sie klar und deutlich zeigen, wie man die nationalen Gesetze umgeht, die den Gebrauch leistungsfähiger Kryptographie verbieten, glauben Broadwell und Myers, dann beweisen sie damit auch, wie sinnlos sich die Versuche der Regierungen erweisen werden, den Zugang zur Verschlüsselung einzuschränken.
Eine Auszeichnung gewann auch Christian Möller für seine "Audio Grove"-I nstallation, einen Wald aus hohen Metallrohren, der die Besucher in ein Bad aus Klang und Licht eintaucht, wenn sie durch diesen "Hain" schreiten. Unterschiedliche Berührungen an den Rohren rufen unterschiedliche Kombinationen von Licht und Klang hervor.
Die Jury bestand dieses Jahr aus zwei Kuratoren, einem Technologen, einem interaktiven Medienkünstler und einem Journalisten. Wir haben uns bemüht, einen Mittelweg zu finden zwischen Implementation und Innovation, während wir Projekte begutachtet haben, die auf CD-ROM aufbauen, auf dem World Wide Web, auf kleinen mikroprozessorgesteuerten Bauklötzen und auf gut einem weiteren Dutzend Medien. Und es zeigt sich, daß eine stärkere Diversität eher die Regel ist als die Ausnahme, und daß jeder Vergleich günstigstenfalls als riskant anzusehen ist. Dennoch gab es auch dieses Jahr einige wiederkehrende Themen: Fünf der Einreichungen haben auf irgendeine Weise Shakespeare zitiert, vier haben aufgezeichnete Fernseh- oder Nachrichtensendungen als Dokumentation ihrer Projekte verwendet, drei Versuche zur Schaffung interaktiver Bücher wurden eingereicht, zwei Einreichungen verwendeten den menschlichen Herzschlag interaktiv, und drei andere tasteten Gehirnwellen ab.
Neben den drei Preisträgern hat die Jury zwölf weitere Einreichungen mit Anerkennungen bedacht, die wiederum ein weites Feld abdecken. So erinnert etwa "Crime-Z-Land" von Stephen Wilson an die Ideen des Computerwissenschaftlers David Gelernter von der Yale University, dessen 1991 erschienenes Buch Mirror Worlds viel in Gedanken vorwegnimmt, was später im World Wide Web aufgetaucht ist.
"Crime-Z-Land" verwendet ein unbebautes Grundstück nahe dem Rathaus von San Francisco, um Verbrechensdaten graphisch detaillierter zu zeigen, als sie jemals selbst in den Statistiken der Polizei auftauchen würden.
Bei "Boundary Functions" benutzt Scott Sona Snibbe Computerbildtechniken, um dynamische Linien aus Licht auf den Boden zwischen die Besucher zu projizieren. Während sich eine Gruppe von Leuten im Kreis bewegt, illustrieren die sich ständig ändernden Linien am Boden die unterschiedlichen Vorstellungen von komfortabler sozialer Distanz.
In einem Fall hat die Jury beschlossen, daß auch eine Einreichung, die ganz offensichtlich noch nicht über das Konzeptstadium hinausgekommen ist, auch Kunststatus haben kann und eine Anerkennung verdient. Christoph Ebener und Uli Winters brachten die Idee von "Byte" vor - eine teuflische computergesteuerte Skinner-Box, in der nach ihrer Ansicht eine spezielle Sorte Mäuse gezüchtet werden soll, die in der Lage ist, Computernetzwerkkabel zu zerstören. Die Maus könnte - so ihre Idee - als Waffe gegen Computernetze eingesetzt werden.
Konzept oder Wirklichkeit? Wenn das Moore'sche Gesetz auch sonst nichts garantieren mag, sicher ist, daß bei der dramatischen Zunahme der Rechnergeschwindigkeit in den nächsten Jahren zukünftige Prix-Ars-Electronica-Juries es immer schwerer haben werden, zwischen beiden zu unterscheiden.
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