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Prix Ars Electronica
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Prix-Jury

 
 
Veranstalter
ORF Oberösterreich

Weiterleiten an die Welt

Kodwo Eshun


Es ist ebenso amüsant wie bizarr, die vielen E-Mails zu lesen, die sowohl die Sieger der Kategorie Digital Musics 1999 wie die Jury wegen ihre Entscheidungen kritisieren. Bevor wir uns über die diesjährigen Entscheidungen auslassen, erscheint es uns deshalb angebracht, nicht etwa unsere vorjährigen Entscheidungen zu verteidigen – diese haben wir im Jury-Statement 1999 ausführlich begründet –, sondern jene Annahmen zu analysieren, die den Kritiken zugrunde liegen.

Die Feindseligkeit konzentrierte sich vor allem auf die Gewinner der Goldenen Nica 1999, den Musikvideo-Regisseur Chris Cunningham und den Produzenten Aphex Twin. Es wird deutlich, dass unsere Kritiker in der akademischen Elektroakustik-Gemeinschaft eine tiefgehende Abneigung gegen populäre Kultur haben. Aus Sicht dieses Bereichs lag der gesamte Wert des inzwischen begrabenen "Computermusik"-Preises des Prix Ars Electronica in seiner Existenz als Zuflucht vor, als direkter Gegenpol zu und als Bereich garantierter ästhetischer Überlegenheit über die allgegenwärtige Vulgarität der Pop-Musik.

Im vergangenen Jahr wurde diese Haltung von der Jury ganz grundlegend durchbrochen, weil sie die Computermusik-Kategorie in eine Sackgasse aus Irrelevanz und tödlicher Langeweile geführt hat. Für unsere Kritiker ist in einem ernsthaften Wettbewerb für digitale Musik kein Platz für Musikvideos, weil diese Form ex definitione die Unterhaltungskultur verkörpert – unseriös, frivol, wertlos.

Aber Cunningham und Aphex – und ganz zu schweigen vom Label Mego und von Ikue Mori – wegen ihres frivolen Kommerzialismus anzuprangern, beweist nur eine erstaunliche Unkenntnis ihres Einflusses und ihrer Bedeutung in der zeitgenössischen digitalen Musik. Krude Begriffe wie "Kommerzialismus", "Unterhaltung" und "populäre Musik" sind deswegen irrelevant, weil ihnen die Fähigkeit fehlt, die preisgekrönten Einreichungen in irgendeiner sinnstiftenden Weise zu analysieren. Und das ist auch ihr Hauptzweck: nicht dieses digitale Moment zu verstehen, sondern eine Analyse zu verhindern, ein Nachdenken über sie zu vermeiden und stattdessen Verhöhnung und Verachtung an ihre Stelle zu setzen.

Liest man sich so durch die eingelangten E-Mails – Mails, die von verwundeter Eitelkeit triefen –, könnte man fast meinen, wir hätten die Goldene Nica an Christine Aquilera verliehen. Hätten wir das nur! Ars Electronica ist genauso weit von der Welt des Teenypop, von Boygroups, alt.country, pop artificielle, 2Step Garage, Broken Beats, von militantem Rhythm & Blues, vom Turntablism, Nu Electronic Dub, Playa Hiphop, Post-Rock, Avant-Rap, Nu Afrobeat und von Eurotrance entfernt wie eh und je.

Im Gegenteil: Die Gewinner des Prix Ars Electronica stehen für eine digitale Innovation und Ernsthaftigkeit, die so weit von Britney Spears entfernt ist, wie es nur möglich ist. Und wenn jemand anderes glaubt oder behauptet – wie das unsere Kritiker tun –, dann heißt das, die eigene Unkenntnis der heutigen Musikszene stolz hinausposaunen. Klanglich betrachtet geben sich unsere Kritiker Mühe, die Welt auszuklammern, in dee der Rest von uns lebt. Akademische Komponisten bestehen darauf, Distanz zur extremen Komplexität der modernen digitalen Musik zu halten.

Die Jury wurde eingeladen, weil sie mit dieser Komplexität vertraut ist. Man könnte glauben, ihr zimperlicher Ekel vor der heutigen digitalen Musik unsere Gegner disqualifiziere sie, unsere Entscheidungen zu beurteilen, aber paradoxerweise fühlten sie sich umso mehr zu recht seltsamen persönlichen Attacken gegen die Juroren berufen, je demonstrativ ignoranter sie sich erweisen.

Dies kann nur daraus herrühren, dass ihre Isolation als extreme Minderheit nicht als fatale Behinderung empfunden wird, sondern als wertvolle Eigenschaft. Was wiederum die Frage aufwirft, warum die Welt der populären Musik, der Unterhaltungskultur und der kommerziellen Musik so automatisch verachtet wird? Was ist an diesen Bereichen denn so Schreckliches? Warum werden sie mit absoluter Selbstverständlichkeit als Beleidigung betrachtet? Stehen diese Gebiete tatsächlich jeder Originalität feindlich gegenüber? Aber natürlich nicht. Nähme man das Gegenteil an, so würde man die Position eines reaktionären Avantgardismus beziehen, der in einer Nach-Greenberg'schen Kunstwelt schon längst diskreditiert ist.

Diese defensive, ängstliche und sterile Haltung wurde in der engen Welt der akademischen Musikkomposition herangezüchtet und zur Blüte gebracht. So erleben wir, dass die Erben der Elektroakustik, der Musique Concrète und der akusmatischen Tradition sich so verhalten, als würde die (illusorische) Distanz, die ihre Musik zum Markt einnimmt, dieser automatisch eine ästhetische Überlegenheit verleihen. Und umgekehrt wäre dann eine über den Markt vertriebene Musik automatisch minderwertig. Aber der Kommerzialismus korrumpiert die Musik nicht, wie die Akademiker glauben, im Gegenteil: Er multipliziert und verwandelt alle Medien in Netzwerke audiosozialen Verlangens.

Unsere Kritiker verwandeln Netzwerke in Werthierarchien. Der Prix Ars Electronica ist ganz und gar nicht naiv anti-hierarchisch; im Gegenteil, wir freuen uns darauf, zu reihen, einzustufen, zu bewerten. Es ist eine Frage der kulturellen Macht – wessen Bewertung, wessen Definition zählt hier? All diese Beschwerden über Kommerzialismus weisen auf eine akademische Gemeinschaft hin, die dabei ist, jene kulturelle Autorität und jenes historische Privileg zu verlieren, die sie für garantiert und immerwährend gehalten hat. Die uns entgegenschlagende virulente Feindseligkeit ist nur ein Indikator für etwas, was wir alle wissen: Die Zeit des "Ancien Régime" der Elektroakustiker ist abgelaufen. Erstaunt uns oder verschwindet!

Die führenden Kräfte der digitalen Musik des 21. Jahrhunderts sind nämlich woanders. Wie Naut Human – der mehr als irgendjemand anderer dazu beigetragen hat, diese Änderung herbeizuführen – sagt: "Der Prix Ars Electronica holt schön langsam auf gegenüber jenen Veränderungen, die überall im Gange sind. Und das ist entscheidend, wenn Ars Electronica selbst am Puls der Zeit bleiben will." Aber für unsere Gegner ist selbst dieser winzige Schritt einer zu viel. Dabei haben wir noch nicht einmal wirklich etwas gehört. Die ganzen Abenteuer liegen noch vor uns.

Damit der Preis für Digitale Musik seinen Gründungsprinzipien gerecht werden kann, muss er die einflussreichsten lebenden Produzenten ehren, jene Komponisten, die aktiv die heutigen Ansätze und Denkprozesse geformt haben. Nur eine aktive Anerkennung kann die schreckliche Bürde des Akademismus auflösen, unter der sie noch immer leidet. Die Komponistin und Musikerin Zeena Parkins, selbst Jurorin beim diesjährigen Wettbewerbs, bemerkte: "Ich habe den Prix Ars Electronica immer als konservativ und akademisch angesehen. Mein Eindruck hat sich erst gebessert, als Ikue gewonnen hat – das war für mich eine tiefgreifende Veränderung."

Die Pioniergestalten sind keineswegs mysteriös – jeder, der der Musik der letzten Dekade aufmerksam gelauscht hat, wird sie erkennen. Und aus heutiger Sicht haben diese Pioniere Generationen von hilflosen Akoluthen in die Welt gesetzt, was es umso nötiger macht, diese Innovatoren entsprechend hervorzuheben.

In diesem Jahr wurden 288 Werke eingereicht. Die Vorverlegung des Einreichungstermins um einen Monat hat die Zahl reduziert, und zweifellos haben auch einige Komponisten angesichts der Rechtswendung in der österreichischen Politik bewusst auf Einreichungen verzichtet. Bei intensivem Anhören der elektroakustischen Einreichungen kam der Produzent Peter Rehberg zu einem vernichtenden Urteil: "Diese Art von Musik ist zu einer Formel geworden, sie ist formalisiert worden. Das ist eine Cover-Version von Leuten wie Pierre Schaeffer und François Bayle. Das ist alles schon da gewesen, das ist alles dokumentiert, das ist alles im Museum."

Diese Komponisten verändern und verbessern das Erbe, auf das sie zurückgreifen können, oft nur minimalst und häufig hat man den Eindruck, je subtiler und unmerklicher die Änderungen, desto größeren Applaus erwarten sie. Es ist nur ein kleiner Schritt zur Schlussfolgerung, dass der Fehler nicht bei ihrer Unfähigkeit zur Neu-Erfindung liegt, sondern bei uns, den Juroren, die wir zu grob und zu dumm sind, sie zu würdigen.

Jene Musik aber, die wir tatsächlich gewürdigt haben, modernisiert die extremen Traditionen der Elektroakustik und den Zukunftsschock der Musique Concrète des 20. Jahrhunderts, indem sie "die Wahrnehmung der Prozesse und die Prozesse der Wahrnehmung" steigert. Sie verwirft die institutionellen Strukturen und ersetzt sie durch unabhängige Labels, durch Netzwerke informeller Unterstützungssysteme. Im Übergang von den Cut-and-Mix-Techniken der 1980er Jahre zu den Click-and-Cut-Techniken zu Anfang des neuen Millenniums führt uns "die digitale Umleitung von auf Klang basierenden Gedanken" zum heutigen digitalen Minimalismus.

Als Glitch, als Microsound oder schlichtweg als "von kolossalen Verschiebungen in der Dynamik, Tonalität und Frequenz" bestimmte digitale Musik verstanden, ernährt sich das heutige Audio von "den technischen Fehlern und ungeplanten Ergebnissen einer elektrischen Gesellschaft". Man stelle sich das vor als "Musik einer urbanen Umwelt – die Kybernetik des Alltagslebens, die den Verfall der natürlichen Rhythmen in der Stadterfahrung ebenso reflektiert wie in den gefurchten Hochebenen des Virtuellen".

Die Anerkennungen der Kategorie "Digital Musics" gehen an Veteranen unter den Komponisten wie Tone, Amacher und Troyer, aber als Zeichen der Unterstützung auch an junge Produzenten wie snd, Dat Politics, Errorsmith und Radian.

Es herrschte Einstimmigkeit bei unserer Wertschätzung für die endlose immersive Monotonie von Maryanne Amachers "Sound Character" ("making the third ear"; USA); für das mesmerisierende Sustain in Kaffe Mathews "Cécile" (GB); für das Straffziehen der Amplituden in Yasunao Tones "Wounded Man" (J); für das warme minimalistische Umfeld der "makesnd cassette" von snd (GB) ebenso wie Radian für das fusselfrei polierte Samll-Jazz-Trio von TG11 (A).

Das An- und Abschwellen der Obertöne in Markus Schmicklers "Sator Rotas" (D) beeindruckte uns ebenso wie extremen Fluktuationen in "Villiger" von Dat Politics (F), wie Kevin Drumms abrupte Rücksprünge in "Three" (USA), wie die körnigen, brutzelnden Klänge von Uli Troyers "NOK" (I) und wie errorsmith (D) mit seinen plötzlichen Jumpsplices und Frequenzverschiebungen in "EP1" -- übrigens die erste 12er-Vinylscheiber, die in der Kategorie Digital Musics Anerkennung gefunden hat.

Unsere erste Auszeichnung geht an GESCOM, das englische Trio der Produzenten Rob Brown und Sean Booth und dem Designer/Künstler Russell Haswell, für "MiniDisc". Zum ersten, weil es innovativ ist - "MiniDisc" ist die erste unabhängige Produktion, die ausschließlich auf Minidisc erscheint. Es integriert die digitale Kompression des Formats in seine Ästhetik, indem es 45 Micro-Tracks mit 88 Cue-Punkten bringt, die alle im Shuffle-Modus abgespielt werden können. In den abgekürzten Perforationen und Pockennarben von "Is We" und "Vermin" und in den brütenden Meditationen von "Shoegazer" und "Dan Dan Dan" zeigte "MiniDisc" eine bezaubernde Bandbreite von digitaler Signalverarbeitung, Transformationen und Effekten.

Der zweite entscheidende Faktor ist, dass GESCOM das Alter Ego von Booth und Brown ist, die zusammen als das immens einflussreiche Duo Autechre aufnehmen, das mit seiner nicht-linearen Programmierung und extremen digitalen Signalverarbeitung ganz wesentliche Impulse für jene Post-Techno-Welt des Glitch und Microsound gegeben hat, die wir jetzt bewohnen. Wie Aphex Twin entstand das Duo in den frühen 90-ern und nahm bei Warp Records auf, einem der ehrwürdigsten Elektronik-Musik-Labels der Welt. Aus Erfahrung merkte Rehberg an: "Es gibt so viele Autechre-Kopierer heutzutage. Müssten wir unseren Lieblingsstrack von Autechre festlegen, würden wir drei Tage lang streiten. Die einen würden "LP 5" wählen, andere vielleicht "Chiastic Slide" – aber das ist in Ordnung, denn hier finden wir ein ernsthaftes Konzept und wir sind uns alle einig, dass es wichtig ist."

Unsere zweite Auszeichnung geht an den Aufnahmeingenieur Chris Watson für seine CD "Outside the Circle of Fire". Watson, der früher für Cabaret Voltaire und das Hafler Trio gearbeitet hat, präsentiert auf seiner preisgekrönten CD 22 Vor-Ort-Aufnahmen von Säugetieren, Vögeln und Insekten, die von über dem Sambesi kreisenden Ziegenmelkern bis zum Klopfen der Holzwürmer in alternden Bodenbrettern reichen. Mit Hochleistungsmikrofonen hat Watson diese Klänge von ganz nahe aufgenommen und verblüfft den Hörer mit dem wild-aggressiven Klang des Ungewöhnlichen.

Das Geheimnis liegt – wie Parkins angemerkt hat – darin, "wie aus Außenaufnahmen Musik entsteht". Rimbaud wies darauf hin, dass "Outside the Circle of Fire" "wie digitale Klangbearbeitung klingt, es aber nicht ist". Die Jury anerkannte, wie Watsons über Funk übertragene Audio-Events sozusagen von hinten zu einer elektroakustischen Komposition wurden – indem sie höchst präzise und frei von Fremdeinflüssen per Mikrofon aufgenommen wurden und nicht durch elektronische Bearbeitung entstanden sind. Laut Naut Humon hat Watson "die Elektroakustik abgestreift", um ein Mikrofon und einen Geier in unvermutet brillante Komponisten zu verwandeln. Parkins wies auch auf Watsons fast schon obsessive Anmerkungen hin – ein Fall, wo die Information zur Vertiefung der Mystik beiträgt anstatt die Faszination wegzunehmen.

Und schließlich hat die Jury die Goldene Nica 2000 für Digital Musics an "20’ to 2000" des Berliner Produzenten und Klangkünstlers Carsten Nicolai für Noton, dem Label heruns des Produzenten Olaf Bender, verliehen. Einerseits fiel die Entscheidung nicht schwer – das ambitionierte Projekt stellte alle anderen in den Schatten.

Andererseits waren wir unsicher, ob wir ein Projekt auszeichnen sollten, an dem einer der Juroren – Robin Rimbaud als Scanner – mitgewirkt hat. Keiner von uns - und am allerwenigsten Scanner selbst - wollte wegen Nepotismus angeprangert werden. Scanner enthielt sich deshalb auch bei der Schlussabstimmung der Stimme. Wir anderen überlegten, diskutierten, argumentierten und verglichen die Situation mit der früherer Jahre und ähnlich gelagerten Fällen in anderen Kategorien. Letztlich entschieden wir, dass Ausrichtung, Umfang und die brillante Durchführung von "20’ to 2000" so großartig waren, dass sie die Goldene Nica absolut verdienten.

"20’ to 2000" begann im Jänner 1999 mit Frank Bretschneiders bzw. Komets nadelspitzer Nanosyncopation. Im Februar kamen dann die jaulenden, gleitenden, vibrierenden Frequenzen von Pan Sonics Ilpo Vaisanen. Ryoji Ikeda präsentierte seine "Variations for modulated 440Hz sinewaves" im März – ein fast schmerzendes Treble, das wie ein U-Boot-Sonar pulsiert. Das Kraftwerksgewumme von Ivan Pavlov / CoH’s "memories of s-tone" für Gavin Bryars folgte im April.

Als nächstes kam Olaf Benders bzw. Byetones Projekt der abstürzenden Frequenzen, während im Juni Jens Massel / Senking bösartiges Dröhnen losließen. Thomas Brinkmanns "Ester Brinkmann" brachte seine stetige Minimal-House-Musik im Juli heraus, während Scanners zystischer "electric blue" die ängstlich-präzise Stimme von Jenny "Walkabout" Agutter in Schleifen laufen ließ (August). Noto aka Nicolais "noto.time.dot-sea blue" kam im September heraus – ganz "rips, pocks and shreds".

Im Oktober publizierte Mika Vainio von Pan Sonic "flash flood roar" und schmelzende Blasmusikklänge. Die immersiven Surges und Spitzen von Wolfgang Voights "20 minuten gas" im November waren sofort erkennbar, während John Balance, Drew MacDowell und Peter Christopherson von Coil unter dem Namen Elph mit dem brillanten "Zwölf" die Serie beschlossen – einem Abgrund auditiver Turbulenz.

Indem es Produkt und Kunstwerk, Konzept und Design, die Reihenform und individuelle Signatur in eine gemeinsame Event-Struktur umgießt, ist "20’ to 2000" die ultimative Form einer kuratierten Serie. Mit einer unterschiedlichen Produktion für jeden Monat des letzten Jahres des 20. Jahrhunderts schließt es die Faszination der 90-er Jahre für Serienprojekte ein (und wahrscheinlich ab), wie wir sie von Produzenten wie Richie Hawtin und Thomas Brinkman und von Labels wie Kompakt kennen. Es ist schwer vorstellbar, wie jemand den lockeren Touch dieser ernsten Serie in beschränkter Auflage noch übertreffen könnte.

"Für mich", kommentierte Parkins, "ist das, wie wenn man eine Serie im Fernsehen anschaut und bei der letzten Folge draufkommt, dass sie mehr ist als nur die Summe der Einzelfolgen." Rehberg meinte, dass Kuratoren derzeit sehr wichtig seien, weil es da draußen so viel Information gebe. Die Reihen-Natur dieses Projekts macht daraus eine Klangkusnt-Kollaboration zwischen einigen der Schlüsselgestalten unter den Produzenten des Post-Techno-Minimalismus des 21. Jahrhunderts.

Rehberg lenkte die Aufmerksamkeit der Jury auch auf das hervorragende Design von Desirée Heiss und Ines Kaag von Bless, dem brillanten Konzept-Mode-Duo aus Berlin. Jede der transparenten CDs wird durch Information, die um die Nabe angeordnet ist, und durch farbige Punkte rund um das Mittelloch identifiziert; die CDs selbst sind in transparente CD-förmige Boxen mit schmaler Basis eingelegt, die von einem Magneten zusammengehalten werden. "Der Magnet war’s letztlich bei mir", meinte Rehberg. "Die zwölf Magneten, die in das Loch passen und aneinander haften. Das ist etwas, das man auch auf den Schreibtisch stellen kann – das ist ein Objekt geworden."

Als Objekt, das eine gewisse Mystik ausstrahlt, fasst "20’ to 2000" zahlreiche Tendenzen des mikroskopischen Audios der End-Neunziger und des beginnenden 21. Jahrhunderts beispielhaft zusammen: Die Tendenz zu Anonymität, Pseudonymen und Äquivalenz, zu einem Vielflieger-Internationalismus, der Produzenten aus Tokio, London, Köln, Berlin und Barcelona mit einschließt. Die Tendenz zu einem als Signatur dienenden Klang als Markenzeichen, zu einer Nüchternheit im Klang, zu einer visuellen Reduktion auch durch die konsequente Kleinschreibung. Und zur Klangkunst: Nicolai, Ikeda, Pan Sonic und Scanner produzieren alle auch Installationen für so prestigeträchtige Kunsträume wie das Centre Pompidou, das Hayward und das ICC.

Vor allem aber typifiziert "20’ to 2000" die Tendenz zur Zusammenarbeit zwischen Label, Kurator/Produzenten und Designern, die ein Teil dieser post-medialen Praxis ist. Wie der Medientheoretiker Howard Slater argumentiert, entsteht ein postmedialer Operator immer dann, wenn die Praktiken "der institutionellen Kontrolle der Industrie und der Medien entfliehen" und damit sich den "dominanten repressiven Modellen einer ererbten Subjektivität" entziehen.

Anstatt sich dem Wettbewerb und der Mühe des Erfolgs auszusetzen, operiert der Komponist "außerhalb dieser monetären und konzeptuellen Zwänge". Gleichzeitig entwickelt sich eine neue experimentelle Attitüde, die uns "das Ende der Notwendigkeit, dem Erwarteten und dem ‘Verstandenen’ zu entsprechen," signalisiert. Das Ergebnis ist eine erneuerte "Wertschätzung der Idiosynkrasien des Klangs und die Überwindung der Wahrnehmungsgewohnheiten, die sie inspirieren."

Morgen wird es schon anders sein, aber "20’ to 2000" fasst die Gegenwart zusammen.


Referenzen

1 "perception of processes", siehe Sascha Kosch, Covertext zu Clicks and Cuts, Mille Plateaux, 2000

2 "the digital routing …", siehe Sascha Kosch, Covertext zu Clicks and Cuts, Mille Plateaux 2000

3 "the technical errors …". siehe Rob Young, Worship the Glitch, in: "The Wire 190/191", NewYear 2000

4 "practices escape …", siehe Howard Slater, "Post Media Operators", S. 398f, in: "Read Me Read Me Read Me", Autonomedia, 1999


 
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