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Prix2002
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


GOLDENE NICA
They Rule
Futurefarmers, Josh On


Datenbankvisualisierung ist ein wichtiger Bereich des interaktiven Designs. "They Rule" ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Projekte dieser Art. Das Projekt versucht, die Beziehungen zwischen einigen der einflußreichsten wirtschaftlichen Führungskräfte Amerikas aufzuzeigen, indem gezeigt wird, mit welchen Firmen sie verbunden sind, und wie diese Firmen davon profitieren könnten.

Die USA sind eine in Klassen unterteilte Gesellschaft. Es gibt keinen größeren Widerspruch in diesem Land als die Tatsache, dass die meisten der Leute, die die Arbeit verrichten, nicht zu jenen gehören, die deren Früchte ernten. 1998 besaß das reichste Prozent der Bevölkerung 38 Prozent des Gesamtvermögens, und die obersten fünf Prozent der Besitzstatistik besaßen über 60 Prozent (Quelle: www.inequality.org/fatcsfr.html).
Das war die Situation in den Boom-Jahren. Nun könnte man über diese Ungleichheit hinwegsehen, solange die Menschen am unteren Ende der Skala alles haben, was sie brauchen. Aber dem ist nicht so. Nach den Angaben des „CIA World Fact Book“ leben 12 Prozent der Amerikaner unter der Armutsgrenze. Es gibt genug für alle, wir haben bloß kein System, das das Einkommen gerecht verteilen würde. Wir haben ein System, das die Anhäufung bei jenem sehr kleinen Teil der Bevölkerung von Vermögenswerten auf Dauer festschreibt, der in sozialistischer Terminologie „die herrschende Klasse“ genannt wird.
„They Rule“ ist ein Versuch, einige der internen Beziehungen innerhalb dieser herrschenden Klasse aufzuzeigen. Genauer gesagt, bildet es die Verknüpfungen zwischen den Vorständen und Aufsichtsräten der hundert reichsten Unternehmen im Jahre 2001 ab. Die Vorstandsmitglieder dieser Unternehmen sitzen nämlich häufig in mehr als einem der Fortune-100-Boards (und nicht selten auch noch in weiteren). „They Rule“ hat eine Datenbank all dieser Unternehmen und ihrer Führungskräfte und erlaubt es die Besucher der Website über eine grafische Oberfläche, diese Verbindungen abzufragen.
Besucher können eine der 100 Firmen auswählen und das zu deren Aufsichtsrat und Vorstand gehörige Symbol auf den Bildschirm ziehen. Ein Klick auf das Pluszeichen neben dem Tischsymbol öffnet ein Menü von Optionen, darunter auch die Möglichkeit, sich den Vorstand anzeigen zu lassen. Die Vorstandsmitglieder werden als kleine Männchen angezeigt, die mit dem Tisch durch graue Linien verbunden sind. Manche der Direktoren sind rundlicher als andere, was darauf hinweist, dass sie in mehr als einem Fortune-100-Unternehmen sitzen. Ein Klick auf ihre Aktenkoffer ermöglicht es, ihre Verbindungen darzustellen und ihre anderen Aufsichtsrats- bzw. Vorstandsposten anzuzeigen; das gesamte Direktorium jener Unternehmen erscheint dann wiederum auf dem Bildschirm mit weiteren Verbindungslinien, und so fort. Einige wenige Interaktionen auf diesen Ebenen genügen, um den Bildschirm mit einem dichten Geflecht von Verbindungen zu füllen.
Im Jahr 2001 teilten mehr als 90 Prozent der 100 größten US-Unternehmen mindestens ein Direktoriumsmitglied mit einem anderen solchen Unternehmen. Das ist weder eine besonders erstaunliche noch eine beneidenswerte Tatsache. Bei der Auswahl von Direktoriumsmitgliedern eines profitablen Unternehmens mag zwar Anciennität eine Rolle spielen, ebenso wichtig aber ist Erfahrung. Es macht – aus Sicht eines Unternehmens – Sinn, Leute in den Vorstand oder Aufsichtsrat zu berufen, die Erfahrung in der Leitung mächtiger Firmen haben. Und tatsächlich sind viele der Direktoren auch stolz auf ihre vielen verschiedenen Sessel. Dass diese Erkenntnis nicht neu ist, macht sie um nichts weniger faszinierend, herausfordernd und für viele – auch für mich selbst – abstoßend.
Im Jahr 1914 wurde im Zuge der Anti-Trust-Gesetzgebung der so genannte Clayton Act beschlossen. Nach dessen Artikel 8 ist es einer Person verboten, „als Aufsichtsratsmitglied oder Amtsträger in zwei Aktiengesellschaften zugleich“ zu wirken. Es gibt eine Reihe von Ausnahmen und Schlupflöchern, die die Wirksamkeit dieses Gesetzes einschränken, und die Strafen sind vernachlässigbar gering. Ein Amtsträger, der dieser Klausel zuwider handelt, wird nicht strafrechtlich belangt oder eingesperrt. Es würde lediglich eine behördliche Untersuchungskommission eingesetzt, die die Firmen auf Preis- und andere Absprachen zum Nachteil des Wettbewerbs überprüft.
Wenn man durch die Vielzahl von Verknüpfungen in „They Rule“ browst, so könnte die Fantasie schon mit einem durchgehen, wenn man sich die Vielzahl möglicher Wettbewerbsbehinderungen vorstellt, die in diesen Vorständen ausgehandelt werden. Es ist bekanntlich äußerst schwer, solche Absprachen zu beweisen, und jene, die die Macht dazu hätten, haben möglicherweise kein großes Interesse an einer Verfolgung. Ich möchte mit „They Rule“ Verschwörungstheorien weder nähren noch abschwächen, ich will lediglich aufzeigen, dass wir hier ein System vorfinden, das wirtschaftliche Absprachen geradezu fördert. Die in „They Rule“ dargestellten Verbindungen sind ja nur eine Auswahl aus einem kleinen Ausschnitt der herrschenden Klasse. Einige unter diesen Verbindungen sind in Wirklichkeit weniger wichtig, als sie auf der Site erschienen mögen, andere könnten wieder wesentlich bedeutungsvoller sein. Der Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens könnte im Aufsichtsrat eines anderen mit dem Vorstandsvorsitzenden eines dritten Seite an Seite sitzen, ohne dass zwischen den beiden je irgendein unerlaubtes Wort fiele. Genauso aber könnten zwei Direktoren konkurrierender Unternehmen dem gleichen Golfklub angehören und ihre Absprachen eben auf dem Putting Green treffen.
Spekulationen sind natürlich erlaubt, aber ich wollte mit „They Rule“ zunächst einen Überblick über die Fakten bieten. „They Rule“ enthüllt mit seiner grafischen Oberfläche die erste Ebene der Wirklichkeit einer eng vernetzten herrschenden Klasse, aber es ermuntert Besucher auch, tiefer zu gehen. Es ist leicht, eine Suchabfrage über Unternehmen und Einzelpersonen direkt von der Site aus zu starten, und nicht selten fördert eine solche Suche nach einem der Direktoren im Internet als Erstes dessen Namen in Verbindung mit einem Regierungskomitee, einem Beraterstab zu Tage, oder man entdeckt überhaupt, dass der Betreffende früher einmal Mitglied der Regierung war. Zu den Leuten in „They Rule“ gehören ein Ex-Präsident, ein Ex-Finanzminister sowie diverse ehemalige Kongressabgeordnete. Der noch immer nicht ausgestandene Enron-Skandal, der auch auf der Site viele Aktivitäten ausgelöst hat, zeigt, wie eng der Staat mit der Unternehmenswelt verknüpft ist. Nach Marx ist der Staat „das Exekutivkomitee der herrschenden Klasse“. Hoffentlich kann „They Rule“ uns diese Ansicht entweder bestätigen oder widerlegen.
Die Zuordnung signifikanter Beziehungen in „They Rule“ ist manchmal schwierig. Es wurde vorgeschlagen, ein Werkzeugset bereitzustellen, das mithilfe mathematischer Algorithmen die diversen Direktorien und ihre Angehörigen so auf dem Bildschirm platziert, dass ihre strukturelle Bedeutung im Netzwerk besser sichtbar wird. Solche Werkzeuge könnte man zwar einführen, aber ich bin, wie gesagt, nicht einmal sicher, ob allen diesen Verbindungen überhaupt eine gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Eine mathematische Formel wird diesem Ungleichgewicht nicht wirklich gerecht, auch wenn sie vielleicht für die Zukunft potenzielle weitere Untersuchungsfelder hervorbringen könnte. „They Rule“ verwendet ein soziales Filtersystem: Besucher der Site können die von ihnen gefundenen Verbindungen arrangieren und mit Notizen versehen, einige ausblenden, andere verstärken und URLs mit qualitativen Informationen (bzw. Desinformationen) hinzufügen. Am einfachsten ist es, sich die von anderen Besuchern erstellten „Landkarten“ anzusehen – einige der erstaunlichsten und interessantesten davon wurden von Besuchern auf eine Weise arrangiert, die kein mathematisches Programm je zu Stande brächte.
„They Rule“ versteht sich nicht als Autorität in Fragen der herrschenden Klasse, es stellt allerdings einiges von deren inzestuöser Existenz bloß. Vielleicht regt es ja manche Leute an, darüber nachzudenken, wie ein so kleiner Prozentsatz der Welt so vieles beeinflussen kann und wie sich so etwas mit dem Begriff der Demokratie vereinbaren lässt.
Es gäbe viel, was diese Welt sicherer machen könnte, und ich bin davon überzeugt, dass die meisten unter uns sich dies wünschen würden. Als Individuen wird uns das nicht gelingen, wir müssen uns zusammentun und für unsere gemeinsamen Interessen kämpfen, die meiner Ansicht nach jenen der wenigen Herrschenden entgegengesetzt sind. Ich hoffe jedoch, dass wir eines Tages eine Welt haben, in der wir mit Recht sagen können „We Rule!“