AUSZEICHNUNG
Das geheime Leben der Zahlen
Golan Levin
Wenn wir sagen, es gibt „viele“ Gorillas oder „17“ Gorillas oder „knapp 20“ Gorillas, so treffen wir eine auf unseren Interessen und Fähigkeiten basierende Entscheidung. Diese Interessen und Fähigkeiten drücken sich systematisch in den Zahlen aus, die wir auf die Welt loszulassen belieben. Das Internet bietet uns eine umfassende und sehr diversifizierte Datenbank all jener Dinge, die Menschen in die Welt hinaus gesandt haben, und dazu gehört natürlich auch eine große Anzahl von Zahlen. Seit 1997 haben wir in gewissen Intervallen ein neuartiges Datenset über die Popularität von Zahlen zusammengetragen: Indem wir eine umfangreiche automatisierte Internet-Suche nach ganzen Zahlen zwischen 0 und 1.000.000 durchführten und all jene Seiten zählten, auf denen diese Zahlen jeweils vorkommen, haben wir ein Abbild der numerischen Vorlieben und Neigungen der Internet-Community erhalten. Die interaktive Visualisierung des Ergebnisses dieser Suche will einige der auffälligsten Trends sichtbar machen. Unsere Daten können punktweise erforscht oder in größeren Sets betrachtet werden und führen zu einem Einblick in die kognitive Struktur von Rechenkenntnis, Kultur und Gedächtnis.
Bestimmte Muster werden im Daten-Browser sofort sichtbar, etwa die Vorliebe der Leute für Vielfache von 10 oder für Zahlen mit Verdopplung von Zifferngruppen (1010, 1111, 1212 usw.). Während amerikanische Postleitzahlen kein solch zusammenhängendes visuelles Muster ergeben, sind sie dennoch recht prominent vertreten, und anders als bei der Betrachtung von Städten aus dem Weltraum, wo nur die größeren sichtbar werden, leuchten hier die größeren und die interessanteren hell heraus. Weitere Highlights in den Daten zeigen eher verschwommenere Spiegelungen unserer Aktivitäten: Helle Flecke wie für 80486 und 68040 belegen nicht nur unser Interesse für Technologie, sondern sagen auch etwas über den Status der Technologie zur jeweiligen Zeit aus. Und die Popkultur lässt natürlich auch ihre Anwesenheit spüren, wenn auch etwas weniger als erwartet. Sprachwissenschaftler haben festgestellt, dass das Idealkonstrukt einer „Sprache“ stark von ihren Gebrauchsformen abweicht, was nahelegt, dass das linguistische „Ideal“ eine blasse Abstraktion einer viel stärker nuancierten und texturierten Praxis ist. Auch wenn wir Zahlen gerne als objektiv und losgelöst von unserem eigentlichen Leben betrachten, so scheint es doch, als zeigten sie Elemente einer „Praxis“. Die „Bewohner“ der Zahlenreihe sind nicht die reinen Automaten oder Gruppenwerkzeuge, als die wir sie gerne ansehen: Jeder hat Persönlichkeit, Talente, Gemeinsamkeiten – und manchmal auch das gewisse Etwas. Sie spiegeln uns wider. Und diese ungewöhnliche Widerspiegelung steht im Mittelpunkt unseres Projekts.
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