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Prix2003
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


ANERKENNUNG
Mantis
Jordi Moragues


Schön sind sie und Fleischfresser. Manchmal frisst das Weibchen das Männchen noch bei der Kopulation auf. Ihnen ist eine besondere Eleganz zu eigen, als wären sie bei ihren gemessenen und gezielten Bewegungen tief in Gedanken versunken. Viel mehr wusste ich nicht über Gottesanbeterinnen, als ich erstmals auf den Gedanken kam, einen Film über sie zu machen, und so begann ich mich damit zu beschäftigen, wie sie wirklich leben, sich bewegen, jagen, sich paaren, sich fortpflanzen und sterben. Diese Forschungsphase sollte Art und Intention des gesamten Projekts verändern.

Ich verbrachte etliche Wochen im Insektenhaus bei der Beobachtung, Zeichnung und Aufnahme von Gottesanbeterinnen. Ich freundete mich mit dem Insektenwärter an, der mir erlaubte, sie anzugreifen und zu füttern. Ich konnte ihren blitzschnellen Zugriff bei der Jagd beobachten. Ich drehte Stunden von Filmmaterial. Ich verschlang jedes kleine Detail, das ich über ihre Art zu leben eruieren konnte.

Ich fand die verschiedenen Aspekte des Lebens der Gottesanbeterin faszinierend und wollte diese Faszination vermitteln. In der Welt der Natur gibt es weder Gut noch Böse, es gibt keine Moral. Nur Leben, Veränderung und Tod – aber immer wieder von neuem Leben. Ich steckte mir das Ziel, eine poetische Meditation über diesen Zyklus und den Überlebens- und Arterhaltungsinstinkt zu zeigen. Das kannibalistische Sexualverhalten, das in meinen ersten Exposés noch eine große Bedeutung hatte, trat ebenso in den Hintergrund wie andere Charakteristika dieser Gattung.

Doch ich wollte erzählerisch sein und eine Erfahrung vermitteln, nicht eine Lektion in Naturkunde. Meine Faszination für diese Insekten war so intensiv geworden, dass ich den biologischen Fakten treu bleiben wollte. Nur ein paar Mal ließ ich der dramatischen Ader freien Lauf.

Auch wollte ich eigentlich einen größeren Maßstab anlegen, wollte die Sonne und die Erde zeigen, ich wollte zeigen, wie Ebbe und Flut auch das Leben im kleinen Maßstab beeinflussen, das Leben der Insekten. All das fühlte sich kontemplativ an, ursprünglich und subtil. Ich musste also entscheiden, wie das aussehen sollte. Ich war mit der Kunst des Ostens vertraut, mit der Kalligrafie, den Reispapierrollen mit ihren zart dargestellten Blumen und Vögeln, den kraftvollen Wasserfällen, den fließenden Linien, die Landschaften, Fische oder Insekten beschreiben. In meinem Film finden sich viele dieser Elemente wieder. Die Grazie und Schlichtheit dieser Zeichnungen, die Art und Weise, wie ihr Nicht-Realismus die Essenz ihres Objekts viel besser einfängt, als es ein Foto könnte, machten meine Wahl einfach. Ich begann also zu lernen, wie orientalische Künstler die Welt malen. Ihr Zugang zur Komposition, Perspektive, Farbe, Balance, zu Licht und Schatten ist einmalig. Sie interessieren sich nicht dafür, wie ein Objekt aussieht, sondern was das Objekt ist oder was es darstellt.

Aber ich wollte ja ein Programm für dreidimensionale Animationen verwenden, das Objekte als feste Körper im Raum behandelt und nicht als stilisierte Darstellungen. So musste ich eine Methode finden, 3D-Objekte in malerische Formen zu übersetzen.

Das Geheimnis liegt im Rendering-Prozess: Durch die Kombination von Umrissen der Objekte, die einer Tuschfederzeichnung ähneln, mit verformten bunten Füllungen, die an verwischte Wasserfarben erinnern, produzierte ich ein Bild, das wie ein asiatisches Gemälde anmutet und dennoch ein Gefühl von Raum und Dreidimensionalität vermittelt.

Der Sound zu Mantis entwickelte sich auf eine ähnliche Weise und wurde mit der Zeit einfacher und einfacher. Von Anfang an war klar, dass der Soundtrack naturalistisch und atmosphärisch zu sein hatte. Auch hielt ich es für wichtig, irgendeine Form von Musik zu haben, um bestimmten Szenen einen emotionalen Tonfall zu geben.

Der endgültige Sound ist aus zwei Schichten zusammengesetzt. Die eine besteht aus den Klängen der Insekten und ihrer Umwelt, die andere aus subtilen, abstrakten Melodien. Diese beiden sind eng miteinander verwoben und ergeben zusammen eine musikalisch gefärbte Atmosphäre. Wie das Bild gibt auch der Klang nicht immer die Wirklichkeit wieder, drückt aber ihre Essenz aus.