ANERKENNUNG
Cabinas Públicas de Internet / Peru
In den Städten Perus sind seit 1998 ohne Unterstützung vom Staat, von NGOs oder Privatfirmen tausende cabinas públicas de Internet entstanden. Dank dieser Einrichtungen kommen viele einkommensschwache Teile der Gesellschaft in den Genuss einer preiswerten und allgemein zugänglichen IKT-Anbindung. Mehr als 85 Prozent der peruanischen Internetnutzung geschieht von den cabinas aus. Trotz der Beschränkungen durch Armut und der geringen Telefondichte ist Peru nach Chile zum Land mit dem zweithöchsten Anteil an Internetnutzern in Lateinamerika geworden.
Die Existenz der cabinas schlägt sich sichtbar in der peruanischen Gesellschaft nieder. Sie sind zu einer vertrauten urbanen Einrichtung in allen Stadtvierteln geworden. Nach Aussage der Nutzer hat die Verwendung des Internet ihr Alltagsleben spürbar verbessert, vor allem bei Jugendlichen und im „sector popular“. Computer- und Internetnutzung durch Schüler und Studierende ist zum Gemeingut geworden. Den Lehrern zufolge verbessert der Einsatz von Computern die Qualität der Bildung. Die Peruaner haben ihre Freizeitgewohnheiten verändert, und seit 2002 ist der Besuch der cabina ihre häufigste Freizeitbeschäftigung. Zudem sind sie nun viel besser mit ihren Verwandten im Ausland verbunden, wodurch sich deren Geldtransfer in die Heimat erhöht hat. Im städtischen Kontext bieten die cabinas eine Reihe von Leistungen, die den ärmeren Vierteln systematisch vorenthalten wurden. Die Bibliotheken, Postämter, Freizeiteinrichtungen, Studienorte, Jugend- und Ausbildungszentren, die in den armen Vierteln immer gefehlt haben, existieren nun in Form der vielfältigen, von den cabinas gebotenen Services. Seit kurzem haben öffentliche und private Institutionen die grundlegende Bedeutung der cabinas für die IKTAnbindung erkannt und beginnen nun, sie durch verschiedene Programme als Bindeglied zwischen Bürger und Regierung bzw. Institutionen zu verwenden.
Diverse cabinas-Netzwerke fördern gegenwärtig E-Government-Aktivitäten, die Bezahlung von Steuern und Strafgeldern und erleichtern die Verwendung des Internet durch kleine und mittlere Unternehmen. Wichtiger aber ist, dass die cabinas zu einem Thema geworden sind, an dem auch die Allgemeinbevölkerung großen Anteil nimmt. Die Peruaner sind stolz auf ihre cabinas, die sie als nationale Errungenschaft betrachten. Es gibt eine große Affinität der Bevölkerung zu diesen neuen Technologien, was anscheinend durch das verbreitete Streben nach sozialem Aufstieg begünstigt wurde, wofür Bildung als Voraussetzung gilt. Der „Sector Popular“ gehörte zu den Ersten, die das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologie für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen erkannten. Gruppen dieses Sektors werden zunehmend initiativ und verlangen bessere Serviceleistungen, Einrichtungen und ein stärkeres Regierungsengagement im Bereich der Telekommunikation.
Andererseits besteht die größte Beschränkung dieses kommerziellen Modells in seiner Konzentration auf die technische Anbindung. Denn auch wenn der Zugang wichtig ist, so ist er doch kein Selbstzweck, sondern lediglich ein erster Schritt zur allgemeinen Verfügbarkeit von Informationen. Aber dieser erste Schritt ist für die Armen viel wichtiger als für die Wohlhabenden. Ist das Internet für die, die im Wohlstand leben, nur eine neue Erfindung, die andere Mittel der Telekommunikation wie Telegraf, traditionelle Post, Fax und lokale oder internationale Telefonverbindungen ergänzt und allmählich ablöst, so macht der Internetzugang für die sich entwickelnde Welt einen gewaltigen Unterschied aus, weil er Leuten eine Kommunikationsmöglichkeit bietet, die früher wegen des Fehlens, der Beschränktheit, der Ineffizienz oder der Unerschwinglichkeit der traditionellen Kommunikationsmittel mit von ihnen entfernt lebenden Personen überhaupt nicht in Kontakt treten konnten. So gesehen eröffnet er eine neue Welt, die vorher gänzlich verschlossen war.
Die cabinas gelten heute als das „peruanische Modell der IKT-Anbindung“, das die Beamten der Weltbank als „brauchbarstes Modell“ (für den universellen Zugang) in Entwicklungsländern gelobt haben. Das peruanische Modell ist ein Beleg für den großen Anbindungsbedarf an die Informations- und Kommunikationstechnologie, den es unter einkommensschwachen Gruppen, vor allem in den Städten, gibt. Es beweist, dass auch von unten entwickelte Alternativen eine effiziente IKT-Anbindung zustande bringen können. Es bestätigt, dass es keinen allgemein gültigen Weg zur „Informationsgesellschaft“ gibt, sondern dass er je nach den Gegebenheiten anders verlaufen wird. Und es zeigt schließlich, dass die Befriedigung des Anbindungsbedarfs einkommensschwacher Gruppen an die Informations- und Kommunikationstechnologie eine Zukunftsinvestition ist, die sich bezahlt macht.
Aus: Ana-Maria Fernandez-Maldonado, „Cabinas Públicas de Internet“, in: Akhtar Badsha, Sarbuland Khan, Maria Garrido (Hg.), Connected for Development. Information Kiosks and Sustainability, United Nations Information and Communication Technologies Task Force, 2003
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