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Prix2008
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
Ars Electronica Linz & ORF Oberösterreich
 


ANERKENNUNG
Bleu Remix
Yann Marussich


Bleu Remix ist eine Weiterentwicklung des Stücks Bleu Provisoire von 2001. Soviel ich weiß, war es das erste vollkommen bewegungslose Tanzstück und in der aktualisierten Version wird es sogar zu einem regelrechten Manifest der Bewegungslosigkeit. Es geht darum, eine Stunde lang vollkommen stillzuhalten; die einzige Handlung ist das Fließen meiner blau gefärbten Körpersekrete.

Es ist also eine Reise durch die Haut. Biomedizinische Verfahren ermöglichen es, unsere inneren Vorgänge jenseits des für den Tänzer selbstverständlichen und vertrauten anatomischen Gerüsts verständlich zu machen. Während ich auf meinen Körper - seine Muskeln, seine Haut - höre, versuche ich, etwas zum Anblick des Körpers beizutragen. Dabei interessiert mich Bewegung, die Vorstellung der Bewegung und Vorstellungen, die imstande sind, Bewegung zu vermitteln. Für mich wird alles zum Tanz. Eine Show ohne erkennbares Drama, ohne Geschichte, ohne Abstraktion. Einfach der - wie ein Spiegel - nackt hingestellte Mann. Rohe Einfachheit. Eine unbewegte Skulptur, eine unblutige Häutung des Körpers. Eine Halluzination des eigenen Körpers, vermischt mit biologischen Tatsachen. Endlose Verwirrung von Wahnsinn und Konkretheit. Die Choreografie eines Tanzes blauer Sekrete. Die banale und doch auf eine reiche Geschichte zurückblickende Farbe Blau führt uns weg vom Rot des Blutes. Sie lässt eine andere Beziehung zwischen Körper und Farbe entstehen. Ich arbeite mit Ärzten zusammen, um eine Mutation meines Körpers durch biochemische Veränderungen zu simulieren. Meine Sekrete werden blau. Alles ist kalkuliert; ich werde zum Gegenstand von Experimenten. Poetischen Experimenten, ohne etwas über die biologische Zukunft des Menschen sagen zu wollen.

Die Herausforderung, der ich mich stelle, ist die, ein Stück über Bewegungslosigkeit zu machen, zu beweisen, dass sie die Grundlage jeder Bewegung ist. Den Körper zu einer monochromen Vibration werden zu lassen, der auf die Beziehung zwischen äußerer Bewegungslosigkeit und innerer Bewegung hindeutet, darauf, was im Körper vor jeder sichtbaren Bewegung vor sich geht. Die Vorbewegung ist bereits dem Körper eingeschrieben. Meinem Körper. Einem singulären Raum. Ohne Affekte. Ohne Beziehung zu einem anderen Körper. Ohne Handlung, einfach nur dem Publikum ausgesetzt, in all seiner Komplexität und zugleich biologischen Einfachheit. Stockstill zu stehen ist eine anstrengende Angelegenheit, deren Schwierigkeitsgrad nicht zu beziffern ist. Das Blut sinkt in Hände und Füße, man hat eine schwache Zirkulation, Arme und Beine schlafen ein. Es erfordert äußerste Konzentration, seine Gegenwart zu bewahren und sich nicht dem körperlichen Schmerz zu ergeben. Ich möchte nicht das Leiden selbst, sondern die Stärke zeigen, die man daraus ziehen kann.

Im Kontext des Tanzes war Bewegungslosigkeit nie etwas anderes als eine fast schon pantomimische Geste, die immer nur dazu verwendet wurde, didaktisch eine Intention zu unterstreichen. Der überzeugendste Ansatz ist wohl der des Butoh, obwohl es dabei eigentlich weniger um Bewegungslosigkeit als um ganz langsame Bewegung geht. Das soll den Menschen dem Rhythmus der Natur näher bringen, es ist ein Versuch, sich der auferlegten Zeit zu entziehen und einem natürlichen, beinahe pflanzlichen Rhythmus anzunähern. Äußerste Bewegungslosigkeit ist hier nicht Provokation, sondern hat vielmehr mit einer Rückkehr zu tun, dorthin, wo alles anfängt. Es kommt darauf an, den Tänzerkörper als lebendes Monochrombild, als reine Vibration zu zeigen. Wenn ich noch extremer sein wollte, könnte ich einfach einen leblosen Körper zeigen. Nur würde dann etwas Wesentliches fehlen: Präsenz. Präsenz und die brodelnde Mobilität des Körperinneren, die das Komplementärbild zum bewegungslosen Körper darstellen. Performance heißt, etwas ohne vorgegebene Rolle, meist die eines anderen, zu spielen. Der Künstler spielt dabei seine eigene Rolle. Kunst ist dann nicht länger Repräsentation, sondern Präsentation eines kontinuierlichen inneren Zustands vor Dritten.