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Prix2000
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


GOLDENE NICA
In the Beginning was the Command Line (Excerpts)
Neal Stephenson


Computer betreiben Arithmetik auf einzelnen Stückchen Information. Menschen verarbeiten diese Stückchen zu bedeutungsvollen Symbolen. Aber diese Unterscheidung scheint sich durch die Entwicklung moderner Betriebssysteme, die die Kraft der Metapher verwenden (und manchmal auch missbrauchen), um Computer für ein größeres Publikum zugänglich zu machen, zu verwischen – oder zumindest zu komplizieren.
Leute, die ausschließlich über grafische Benutzeroberflächen wie MacOS oder Windows mit Computern interagiert haben – und das ist fast jeder, der einmal einen Rechner benutzt hat –, könnten erschrecken, wenn sie von dem Telegrafenapparat erfahren, über den ich 1973 mit einem Computer kommuniziert habe. Aber es gab (und gibt) gute Gründe für die Verwendung dieser speziellen Art von Technologie. Menschen haben verschiedene Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren – Musik, Kunst, Tanz, Gesichtsausdruck – und einige davon eignen sich besser als andere, in einer Kette von Symbolen ausgedrückt zu werden. Schriftliche Sprache ist die einfachste von allen, weil sie logischerweise von Anfang an aus einer Kette von Symbolen besteht. Wenn das Symbol nun einem phonetischen Alphabet angehört (zum Unterschied von z. B. Ideogrammen), so ist es eine triviale Aufgabe, sie in Bits umzuwandeln, und dies wurde technologisch auch im frühen 19. Jahrhundert gelöst – eben mit der Einführung des Morse-Codes und anderer Formen der Telegrafie.
Wir hatten eine Mensch-Computer-Schnittstelle schon hundert Jahre, bevor wir Computer hatten. Und als zur Zeit des Zweiten Weltkrieges dann auch die Computer entstanden, war es nur natürlich, dass die Menschen die bisherigen Technologien zur Umwandlung von Buchstaben in Bits und zurück auf sie übertrugen: Fernschreiber und Lochkartengeräte.Als Ronald Reagan noch Radiosprecher war, kommentierte er Baseball-Spiele, indem er die trockenen Beschreibungen las, die über den Telegrafendraht hereintröpfelten und auf einem Papierstreifen ausgedruckt wurden. Er saß da, allein mit einem Mikrofon in einem schallgedämpften Raum, und das Papierband lief aus der Maschine über seine Hand, bedruckt mit kryptischen Abkürzungen. Wenn das Ergebnis auf drei und zwei umsprang, dann beschreib Reagan die Szene, wie er sie vor seinem geistigen Auge sah: „Der stämmige Linkshänder steigt vom Schlagmal und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Der Schiedsrichter kratzt den Sand von der Home Plate ...“ und so weiter. Wenn das Kryptogramm auf dem Papier einen Base Hit meldete, schlug Reagan wohl mit dem Bleistift auf die Tischkante – ein kleiner Soundeffekt – und beschrieb den Flug des Balls im Bogen, als könnte er ihn wirklich sehen. Seine Hörer – von denen wohl viele überzeugt waren, Reagan säße tatsächlich im Stadion und beobachte das Spiel – rekonstruierten die Szene dann in ihrer Fantasie nach Reagans Beschreibungen.
Genau so funktioniert auch das World Wide Web: Die HTML-Dateien sind die trockene Beschreibung auf dem Papierstreifen und der Webbrowser ist Ronald Reagan. Und für grafische Benutzeroberflächen gilt ganz allgemein dasselbe. Deshalb ist ein Betriebssystem ein Stapel von Metaphern und Abstraktionen, das zwischen dir und dem Telegrafen steht, und schließt verschiedene Tricks ein, die der Programmierer eingebaut hat, um die Information, mit der du arbeitest – seien das jetzt Bilder, E-Mails, Nachrichten, Filme oder Textdokumente –, in jene Perlenkette von Bytes umzuformen, die das Einzige sind, was Computer verstehen können. Als wir tatsächlich noch Telegrafen-Equipment (nämlich Fernschreiber) oder ihre etwas weiterentwickelten Substitute (wie „Glas-Fernschreiber“ oder die Befehlszeile von MS-DOS) verwendet haben, waren wir dem Grund dieses Stapels noch sehr nahe. Wenn wir aber moderne Betriebssysteme einsetzen, so wird unsere Interaktion mit der Maschine stark mediatisiert. Was immer wir tun, wird interpretiert, übersetzt und wieder übersetzt, während es sich den ganzen Weg hinunter durch die verschiedenen Ebenen von Metaphern und Abstraktionen arbeitet.Es ist nicht schwer, im Netz Microsoft-feindliche Aussagen zu finden und sie vermischen zwei Grundrichtungen: Die einen sind sauer, weil Microsoft angeblich zu mächtig ist, die anderen, weil sie es für schäbig halten. Das erinnert alles stark an die Blütezeit von Kommunismus und Sozialismus, als die Bourgeoisie von beiden Seiten her gehasst wurde: Von den Prolos, weil sie das ganze Geld hatte, und von den Intellektuellen wegen ihrer Tendenz, es nur für Gartenzwerge und dergleichen auszugeben. Microsoft ist der Inbegriff moderner High-Tech-Prosperität – kurzum, es ist bourgeois – und so zieht es genau die gleichen Nörgeleien an.
Leute, die sich arm und unterdrückt fühlen, vermuten hinter allem, was Microsoft tut, einen hinterhältigen orwellschen Plan. Leute, die sich als intelligent und als informierte Anwender von Technologie verstehen, reiben sich an der Schwerfälligkeit von Windows, an den herausstehenden Schrauben und den tropfenden Dichtungen.

Es ist auch auf den ersten Blick etwas beunruhigend, sich Apple als Überwachungsfreaks vorzustellen, weil das im Widerspruch zu Apples Firmenimage steht. Sind das nicht die Leute, die die berühmte Super-Bowl-Anzeigenkampagne gestartet haben, in der Manager im Nadelstreif mit verbundenen Augen wie die Lemminge über eine Klippe spazierten? Ist das nicht das Unternehmen, das jetzt auch Anzeigen schaltet, die den Dalai Lama (außer in Hongkong) und Einstein und andere Querdenker zeigen?
Ja, es ist dasselbe Unternehmen, und dass es ihm gelungen ist, dieses Selbstbild als kreative und rebellische Freidenker in die Köpfe von so vielen intelligenten und medienerfahrenen Skeptikern einzupflanzen, gibt einem zu denken. Es ist der Beweis für die hinterhältige Kraft teurer, eleganter Werbekampagnen und bis zu einem gewissen Grad wohl auch ein wenig das Wunschdenken der Leute, die sich dafür begeistern. Es stellt sich die Frage, warum Microsoft so schlecht im PR-Bereich ist, wenn doch die Geschichte von Apple zeigt, dass man durch das Ausstellen von anständigen Schecks an gute Werbeagenturen ein Firmenimage in die Köpfe von Leuten einpflanzen kann, das mit der Wirklichkeit nun gar nichts zu tun hat. (Für Leute, die keine Damoklesfragen mögen: Die Antwort lautet, dass sich Microsoft, seit es das Herz und Hirn der schweigenden Mehrheit – der Bourgeoisie – gewonnen hat, einen Dreck um ein schickes Image kümmert, genauso wenig wie Richard Nixon das getan hat. „Ich möchte glauben“, das Mantra, das Fox Mulder in Akte X an der Bürowand hängen hat, passt auf unterschiedliche Weise auf beide Firmen: Mac-Anhänger wollen an das Image von Apple glauben, wie es ihnen in den Super-Bowl-Spots gezeigt wird, und daran, dass Macs sich irgendwie ganz grundlegend von anderen Computern unterschieden, während die Windows-Fans glauben wollen, dass sie was für ihr Geld bekommen, das sie bei einer respektablen Transaktion zahlen.)

Vor ein paar Jahren bin ich einmal in einen Laden gekommen und habe mich dort mit folgendem Tableau vivant konfrontiert gesehen: Nahe dem Eingang stand ein junges Paar vor einem große Kosmetik-Ständer. Der junge Mann hielt tapfer den Einkaufskorb in seinen Händen, während seine Partnerin eine Blisterpackung nach der anderen schnappte und in den Korb warf. Seit damals ist dieser Mann für mich die Personifizierung einer interessanten menschlichen Tendenz: Wir sind nicht nur nicht beleidigt, wenn wir künstlich fabrizierten Bildern gegenüber stehen, wir mögen sie sogar. Wir bestehen beinahe darauf. Wir sind in unserer Verblendung sogar gierig, zu Komplizen zu werden: Indem wir für eine Themenpark-Fahrt zahlen; indem wir jemanden wählen, der uns ganz offensichtlich belügt; indem wir den Korb halten, der mit jeder Art von Kosmetik gefüllt wird. Ich war kürzlich in Disney World, besonders in jenem Teil, der Magic Kingdom genannt wird, und bin die Main Street USA hinaufgewandert. Das ist eine lebkuchenartige viktorianische Kleinstadt, die – bizarrerweise – in einer Disney-Variante von Neuschwanstein gipfelt. Es war sehr voll, und wir wurden eher geschoben als dass wir gegangen wären. Direkt vor mit war ein Mann mit einem Camcorder. Und zwar mit einem von jener neuen Sorte, bei denen man statt durch ein Okular auf einen farbigen Flachbildschirm von der Größe einer Spielkarte schaut, der live das wiedergibt, was der Camcorder sieht. Der Mann hielt das Gerät nahe an sein Gesicht, so nahe, dass er nichts anderes im Blick hatte. Anstatt sich gratis eine echte Kleinstadt anzusehen, zahlte er gutes Geld dafür, eine vorgetäuschte zu betrachten, und anstatt sie mit seinen Augen anzusehen, betrachtet er sie im Fernsehen. Und anstatt zuhause zu bleiben und ein Buch zu lesen, habe ich ihn beobachtet ...
Wenn man ein intellektueller Typ ist, ein Leser oder Autor von Büchern, dann ist das Netteste, was man über Disney World sagen kann, dass die Ausführung superb ist. Aber schnell findet man das gesamte Umfeld ein wenig umheimlich, weil irgend etwas fehlt: die Umsetzung des Inhaltes in klare explizit geschriebene Worte, die Zuordnung der Ideen zu bestimmten Leuten. Es scheint, als würde da über eine Menge Dinge einfach drübergetüncht, als würde Disney World uns eins überstülpen und mit einer Menge verquerer Gedanken und versteckter Annahmen davonkommen.
Das ist genau das, was wir auch beim Übergang von der Befehlszeile zur grafischen Benutzeroberfläche verlieren.
Disney und Apple/Microsoft sind im gleichen Business tätig, nämlich anstrengende, explizite verbale Kommunikation durch aufwendig designte Interfaces kurzzuschließen. Disney ist dabei eine Art User-Interface zu sich selbst – und mehr als rein grafisch, man könnte es ein sensorisches Interface nennen. Das kann man auf alles in dieser Welt anwenden, ob real oder imaginär, aber zu einem hohen Preis.
Warum weist unsere Kultur explizite, auf dem Wort basierende Interfaces zurück und stürzt sich auf die grafischen oder sensorischen – ein Trend, der sowohl die Erfolge von Apple/Microsoft wie jene von Disney erklärt?
Eine Antwort ist sicherlich, dass unsere Welt nun einmal sehr kompliziert geworden ist – sehr viel komplizierter als jene des Jägers und Sammlers, mit der klarzukommen sich unser Gehirn entwickelt hat – und wir können einfach nicht mehr alle Details selbst behandeln. Wir müssen delegieren. Uns bleibt nichts anderes übrig, als irgendeinem namenlosen Künstler bei Disney oder einem Programmierer bei Apple/Microsoft zu vertrauen, der für uns einige Entscheidungen trifft, ein paar Optionen ausschließt und uns eine handlich verpackte Zusammenfassung anbietet.
Aber noch entscheidender ist die Tatsache, dass in diesem vergangenen Jahrhundert der Intellektualismus versagt hat und dass jeder es weiß. Wir haben uns darauf eingelassen, eine Menge traditioneller Volkskultur, eine Menge Brauchtum und Religion sausen zu lassen und die Intellektuellen sind mit dem Ball auf und davongegangen und haben alles durcheinandergewürfelt und aus dem Jahrhundert ein Schlachthaus gemacht.
Wir [US-]Amerikaner sind die einzigen, die sich nicht irgendwann dabei haben einseifen lassen. Wir sind frei und prosperieren, weil wir politische und Wertsysteme geerbt haben, die von einem ganz speziellen Kreis von Intellektuellen des 18. Jahrhunderts fabriziert wurden, die sie zufällig richtig hinbekommen haben. Aber wir haben den Bezug zu diesen Intellektuellen verloren – und zum Intellektualismus schlechthin, bis zu dem Punkt, dass wir keine Bücher mehr lesen, auch wenn wir keineswegs Analphabeten sind. Wir scheinen uns wohler zu fühlen, wenn wir diese Werte an spätere Generationen nonverbal weitergeben, wenn wir das harte Brot der Werte sozusagen durch Eintunken in die Medien mundgerechter machen. Dies scheint bis zu einem gewissen Grad auch zu funktionieren, denn die Polizei in etlichen Ländern beschwert sich, dass Festgenommene darauf bestehen, dass ihnen ihre Rechte vorgelesen werden, wie sie es von den Bösewichten aus den amerikanischen Fernsehkrimis kennen. Offenbar verbreiten Wiederholungen von Starsky and Hutch auf lange Sicht mehr Menschenrechtsbewusstsein als die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten.
Dass eine große, reiche, atombewaffnete Kultur ihre Grundwerte als mediale Häppchen propagiert, scheint keine allzu gute Idee. Das Risiko des Abirrens vom Weg ist offensichtlich. Das Wort ist das einzige unabänderliche Medium, das wir haben, deshalb wurde es ja auch für so extrem wichtige Konzepte wie die Zehn Gebote, den Koran und die Deklaration der Menschenrechte gewählt. Wenn die von unseren Medien transportierten Botschaften nicht irgendwie an ein fixes, geschriebenes Set von Grundregeln gebunden sind, können sie in jede Richtung davon treiben und möglicherweise jede Menge Schrott in die Gehirne der Leute pflanzen.
Orlando hatte eine militärische Einrichtung namens McCoy Air Force Base, mit langen Rollbahnen, von denen B52-Bomber abheben und mit einer Ladung Atomwaffen nach Kuba – oder überall sonsthin – fliegen konnten. Aber McCoy ist aufgelassen und umgewidmet worden. Es ist eingebunden in den Zivilflughafen von Orlando. Die langen Rollbahnen dienen dazu, 747er-Ladungen von Touristen anzukarren, aus Brasilien, Italien, Russland, Japan, damit sie nach Disney World kommen und eine Weile in unsere Medienwelt getunkt werden.
Für die traditionellen Kulturen – insbesondere für die auf dem Wort aufbauenden wie den Islam – ist dies unendlich bedrohlicher, als es die B52 jemals waren. Jedem außerhalb der USA ist klar, dass unsere Lieblings-Modewörter „Multikulturalismus“ und „Unterschiedlichkeit“ eine falsche Fassade sind, hinter der sich ein (teilweise unbewusster) globaler Trend zur Ausrottung kultureller Unterschiede verbirgt. Das Credo eines wahren Multikulturalismus (oder des Respektierens von Verschiedenheiten oder wie immer man das nennen möchte) besteht darin, dass die Menschen aufhören, einander zu beurteilen – dass sie aufhören festzustellen (und irgendwann zu glauben), dass dies richtig ist und das falsch, dies wahr und das unwahr, das eine schön und das andere hässlich, dass Gott existiere und diese oder jene oder andere Eigenschaften habe.
Das 20. Jahrhunderts lehrt uns, dass eine große Zahl von Kulturen nur dann friedlich auf diesem Globus (ja, selbst auf einem klar umgrenzten Raum) zusammenleben können, wenn die Menschen eine derartige Form von Beurteilung aufgeben. Daher kommt auch (so möchte ich argumentieren) unser Vorbehalt – und unsere Abneigung – gegenüber allen Autoritätsfiguren in der modernen Kultur. Wie David Foster Wallace in seinem Essay E Unibus Pluram dargestellt hat, ist dies die Kernbotschaft des Fernsehens; es ist jedenfalls die Botschaft, die die Menschen mit nach Hause nehmen, wenn sie lange genug in unseren Medien eingeweicht wurden. Natürlich wird das nicht in so hochtrabenden Worten ausgedrückt. Es schlägt durch als die Annahme, dass alle Autoritäten – Lehrer, Generäle, Polizisten, Minister, Politiker – heuchlerische Narren sind und eine hippe elegante Coolness der einzige Weg des Seins ist.
Problematisch ist nur, dass, sobald einmal die Fähigkeit zu urteilen über Richtig und Falsch, Wahr und Unwahr und so weiter ausgeräumt ist, keine wirkliche Kultur mehr übrig bleibt. Was bleibt, ist Holzschuhtanz und Makramee. Die Fähigkeit, Urteile zu fällen, Dinge zu glauben und an Dinge zu glauben – das ist die Essenz der Kultur generell.Durch die Verwendung von grafischen Oberflächen haben wir uns dummerweise auf einem Grundstück eingekauft, das nur wenige Leute akzeptiert hätten, wenn es ihnen unverblümt angetragen worden wäre: nämlich dass schwierige Aufgaben einfach werden und komplizierte Dinge simpel, wenn wir ihnen nur die richtige Oberfläche draufsetzen.

Was alte Epen wie jenes von Gilgamesch so stark und so langlebig gemacht hat, war die Tatsache, dass sie lebende Erzählungen waren, dass viele Leute sie auswendig wussten und sie immer und immer wieder erzählt haben – mit den jeweiligen persönlichen Ausschmückungen, wo immer es dem Erzähler angebracht erschien. Schlechte Beifügungen wurden ausgepfiffen, gute hingegen von anderen aufgenommen, poliert, verbessert und im Laufe der Zeit in den Kanon der Erzählung eingegliedert. Genauso ist Unix deswegen bei so vielen Hackern bekannt, geliebt, verstanden, weil es jederzeit von Grund auf neu konstruiert werden kann, wenn jemand es braucht. Das ist schwer zu verstehen für Leute, die sich daran gewöhnt haben, Betriebssysteme als Dinge zu betrachten, die auf jeden Fall gekauft werden müssen. Aber zahlreiche Hacker haben mehr oder weniger erfolgreich Neu-Implementationen des Unix-Ideals auf den Weg gebracht. Jede(r) bringt neue Verschönerungen mit. Manche davon sterben schnell, manche verschmelzen mit ähnlichen, parallelen Innovationen anderer Hacker, die vor dem gleichen Problem standen, wiederum andere werden freudig begrüßt und ins Epos mit eingebaut. So hat sich Unix langsam rund um einen simplen Kernel entwickelt und eine Art von Komplexität und Asymmetrie entwickelt, die nachgerade als organisch anzusehen ist – wie das Wurzelwerk eines Baums oder die Verzweigungen eines Adernetzes. Unix zu verstehen ist eher eine Frage der Anatomie als der Physik.
Die Entwicklung von Linux wird üblicherweise seinem Namensgeber Linus Torvalds zugerechnet, einem Finnen, der das Ganze ins Rollen brachte, als er einige der GNU-Werkzeuge einsetzte, um die Grundlage einen Unix-Kernels zu schreiben, der auf PC-kompatibler Handware lauffähig wäre. Und Torvalds verdient alle ihm dafür verliehenen Ehren und noch viel mehr. Aber er hätte dies nicht allein zustande gebracht, genauso wenig wie dies Richard Stallmann gekonnt hätte. Um überhaupt Code schreiben zu können, brauchte Torvalds billige, aber leistungsfähige Entwicklungswerkzeuge – und die kamen aus Stallmans GNU-Projekt. Und er brauchte billige Hardware, auf der er diesen Code schreiben konnte. Billige Hardware bereitzustellen ist viel schwieriger als billige Software – ein einzelner Mensch (Stallman) kann Software schreiben und sie zum kostenlosen Download ins Netz stellen, aber um billige Hardware herzustellen, bedarf es einer kompletten industriellen Infrastruktur und das ist unter keinen Umständen billig. Der einzige Weg, Hardware wirklich preisgünstig zu machen, ist, eine unglaubliche Menge an Exemplaren zu produzieren, sodass die Stückkosten irgendwann sinken. Aus den bereits erwähnten Gründen hatte Apple kein Interesse daran, dass die Hardwarepreise fallen. Der einzige Grund dafür, dass Torvalds billige Hardware bekam, war Microsoft.
Microsoft weigerte sich, ins Hardwaregeschäft einzusteigen, es bestand darauf, seine Software auf einer Plattform laufen zu lassen, die jeder bauen konnte – und so entstanden die Marktbedingungen, unter denen die Preise purzeln konnten. Um das Linux-Phänomen verstehen zu können, dürfen wir also nicht einen einzelnen Innovator betrachten, sondern wir müssen uns eine Art bizarrer Dreifaltigkeit vorstellen: Linus Torvalds, Richard Stallman und Bill Gates. Würde einer von den dreien fehlen, gäbe es kein Linux.


Auszüge aus: Neal Stephenson, In the Beginning … Was the Command Line, Avon Books 1999.



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http://www.well.com/user/neal/

In einem Postscriptum zu seinem bahnbrechenden Sience-Fiction-Roman Snow Crash von 1992 beschreibt der Autor Neal Stephenson, dass er dafür nicht ganz freiwillig die Form eines traditionellen Romans gewählt hatte, doch musste er feststellen, dass die damalige ineraktive CD-Technologie noch nicht leistungsfähig genug war, um seine Vision einer neuen Art von Cyber-Universum zu tragen.
Im daraus resultierenden text-basierten Roman bezeichnete er diese computer- und netzwerkgenerierte Welt als "Metaverse". Diese Idee fügt William Gibsons ursprünglicher Ansicht von Cyberspace eine Geographie hinzu, und obwohl Stephenson seinen ursprünlichen Plan eines interaktiven Computerromans aufgegeben hatte, wurden doch viele seiner Leser von dieser Vision inspiriert.
Die Vorstellung, dass dem Cyberspace eine Struktur zu Eigen sei und diese mehr sei als nur die Summe der über IP-Adressen verbundenen Maschinen, entspricht durchaus der heutigen Wirklichkeit. VRML ist ein im Web wohl etabliertes Protokoll und wird mittlerweile von einem breiten Spektrum dreidimensionaler Navigationsprotokolle ergänzt.
Während viele Autoren zu einer einzigen Vision gelangen und dort stecken bleiben, fährt Stephenson fort, sich selbst neu zuerfinden, eine Abfolge von Technologien und ihren Einfluss auf die Welt zu erforschen.