ANERKENNUNG
Asymptote
Douglas Edric Stanley
Im mathematischen wie im übertragenen Gebrauch beschreibt der Begriff „Asymptote" ein Paradoxon: Zwei Elemente, von Natur aus inkompatibel, erstrecken sich bis zu einem Punkt im Unendlichen, an dem ihre eigentlich unmögliche Berührung den noch stattfindet.
Die Installation Asymptote geht von Heinrich von Kleists Essay Über das Marionettentheater aus dem Jahr 1810 aus. Obwohl Kleist darin wörtlich auf die Asymptote anspielt, dreht sich die zentrale Allegorie doch um die ähnlich paradoxe Beziehung zwischen der Marionette und dem Puppenspieler, die als ein von Kräften der Gravitation befreites Objekt das emotionale Gewicht ihres Operateurs übernimmt und so einen Transfer oder besser eine Translation zwischen der Materie und der disjunkten Imaginati on des menschlichen Subjekts vollzieht. Die Schwerkraft-gebundenen Gesten des Puppenspielers werden in einen Zustand der Grazie erhoben, was Kleist als eine Art geistiger Prothese beschreibt. Die Übertragung dieses Transfers erfolgt mit Hilfe der Drähte, die beide Welten zugleich verbinden und trennen.
Im Zentrum eines verdunkelten Raums steht ein kleines zylindrisches Podest. Eine Reihe von dünnen Drähten geht von der Oberfläche des Zylinders aus und ist über Rollen mit drei Computern in der Zylinderkammer verbunden, die durch die transparente Grundfläche sichtbar sind. Die Drähte sind straff gespannt und bieten einen Wider stand, wenn man an ihnen zieht. Wird an den Drähten gezogen, so reagieren interaktive Videobilder, die auf die Wände der Installation projiziert werden, mit verschiedenen Reaktionen: Bilder erscheinen, verschwinden oder bewegen sich als Reaktion auf den Rhythmus der Gesten des Interagierenden. So löst beispielsweise ein heftiger Ruck an einem bestimmten Draht das Erscheinen einer Marionettenhand aus, die frenetisch im Kreis wirbelt und sich selbst bei jeder Umdrehung schlägt. Ein sanfter Zug an einem anderen Draht wiederum veranlasst eine Marionettenhand, zart das Haar einer dritten Mario nette zu streicheln. Wenn die Besucher an den Dräten ziehen, entwickelt sich also langsam eine inter aktive Erzählung, die auf Geschichten aus Kleists Text basieren. Diese Geschichten werden - wie bei Kleist - durch einen Dialog zusammengehalten, den der Erzähler mit einem zufällig im Park getroffenen renommierten Balletttänzerführt. In dem Maße, in dem der oder die Interagierenden das Draht-lnterface bearbeiten, entwickelt sich dieser Dialog, nimmt unerwartete Wendungen oder gabelt sich irgend wann, um den Inkonsistenzen und Abweichungen in der Interaktion zu folgen.
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