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Prix1992
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


AUSZEICHNUNG
Not Knot
Charlie Gunn, Delle Maxwell


Die Computeranimation "Not Knot" von Charlie Gunn und Delle Maxwelle spielt im hyperbolischen Raum - dabei wird die mathematische Erklärung von Knoten erläutert.

"Not Knot" erzählt die Geschichte von einer der Möglichkeiten, wie Mathematiker Knoten verstehen.

In ihrer vollständigen Version dauert die Animation 15 Minuten; die für den Prix Ars Electronica eingereichte Version stellt nur einen Ausschnitt dar, der die Höhepunkte der vollständigen Version zeigt.

Das Projekt wurde begonnen, um einige der aufregendsten Resultate zu veranschaulichen, die die Mathematiker am Geometry Center in der dreidimensionalen Topologie erzielt haben. Insbesondere handelt es sich dabei um die Ergebnisse der Arbeit von William Thurston über die Klassifikation von dreidimensionalen Räumen. Seine tiefen intuitiven Erkenntnisse im Bereich der Geometrie boten sich, wie wir meinten, für eine Visualisierung mittels Computer geradezu an.

Als Thema wählten wir den hyperbolischen Raum, weil er sowohl mathematisch gebildetes als auch nicht-gebildetes Publikum anspricht. Er erlaubt es den Menschen, das Konzept des gekrümmten oder nicht-euklidischen Raums auf realistische Art und Weise zu erfahren, ein Konzept, das in vielen physikalischen Theorien der Naturwissenschaften von zentraler Bedeutung ist. Es ist ein Bereich, der dank der Computergraphik nun erstmals veranschaulicht werden kann, und ist daher ein schlagkräftiges Argument für die Bedeutung der Computergraphik als Fenster zu unsichtbaren Welten. Es trifft sich außerdem besonders gut, daß 1992 der 200. Geburtstag des russischen Mathematikers und Erziehers Nikolal Lobachevskil gefeiert wird, der im frühen 19. Jahrhundert die hyperbolische Geometrie mitentdeckt hat.

Das Video beginnt mit einer Einführung in die Welt der Knoten und erklärt deren Definition und Eigenschaften. Dann wird die Frage nach der Komplementärmenge eines Knotens aufgeworfen. Es beginnt mit der einfacheren Frage nach der Komplementärmenge einer Geraden. Nach der Beantwortung dieser Frage wendet sich die Arbeit der schwierigeren Fragestellung zu und untersucht das Komplement eines komplizierteren Knotens, der aus drei ineinandergreifenden Kreisen besteht, die als "Borromäische Ringe" bekannt sind. Diese Untersuchung führt den Zuschauer hinaus aus dem alltäglichen Raum und hinein in die unbekannte, faszinierende Welt der hyperbolischen Geometrie und läßt ihn durch eine rechtwinkelige zwölfflächige Tessellation des hyperbolischen Raumes fliegen.

Das Video wurde innerhalb eines Zeitraums von achtzehn Monaten, zwischen November 1989 und Mal 1991, von einer Arbeitsgruppe geschaffen, deren Mitglieder am Geometry Supercomputer Project an der Universität Minnesota - heute als Geometry Center bekannt - arbeiten. Die Mitglieder dieser Arbeitsgruppe brachten ihr Wissen aus den Bereichen Mathematik, Computeranimation, Kunst, Design und Computerwissenschaften in die Arbeit ein.

Das Video verzichtet auf eine technische Sprache, obwohl es Konzepte der höheren Mathematik veranschaulicht. Unser Ziel war es, den Mathematikern zu zeigen, daß Computergraphik reif genug ist, um schwierige Konzepte zu kommunizieren, ohne sie ihrer Tiefe zu berauben. Uns war es auch wichtig, ein Publikum ohne mathematische Vorbildung anzusprechen und ihn die Botschaft "Mathematik ist aufregend und anschaulich" zu vermitteln.

Technischer Hintergrund
15 min
SW: Softimage (Inc. Montreal), Pixar (Inc. Richmond), Wolfram Research, Champain (IL), Raysmade Craig Kolb

Der hyperbolische Raum in "Not Knot"
Dana S. Scott

Was mittels Computergraphik und Animation in "Not Knot" so brillant dargestellt wird, könnte man als "Virtuelle Unwirklichkeit" bezeichnen, nämlich in dem Sinne, daß dem Betrachter gezeigt wird, wie es denn wäre, könnte man durch einen hyperbolischen Raum innerhalb eines Gitters verschiedener Arten von nicht-euklidischen, regelmäßiger Überdeckungen des Raumes fliegen. (Natürlich würde es noch mehr Spaß machen, real-time ein interaktiv simuliertes hyperbolisches Raumschiff zu fliegen, aber das würde eine enorme Computerleistung voraussetzen.) Selbst wenn wir innerhalb eines solchen nicht-euklidischen Raumes lebten, könnten wir nur einen so winzigen Ausschnitt dieses Raumes sehen, daß praktisch kein wahrnehmbarer Unterschied zur gewohnten euklidischen Geometrie der Schulbücher bestünde. Deshalb präsentiert "Not Knot" die hyperbolische Geometrie in wahrhaft kosmischen Proportionen, um die wichtigen Unterschiede zu unserem gewohnten "Raum" aufzuzeigen. Die imaginäre Geometrie sieht darin wegen der ständigen Veränderungen der scheinbaren Größe von Objekten sehr real und visuell höchst beunruhigend aus.

Der bekannte Graphiker M. C. Escher zeichnete viele Bilder von hyperbolischen Tessellationen des zweidimensionalen Raums, und man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß er recht glücklich gewesen wäre, hätte er sich, dank all der graphischen Einrichtungen, die diese Animation erst möglich gemacht haben, in die dritte Dimension bewegen können.

Das Hauptziel von "Not Knot" ist nicht wirklich ein künstlerisches, sondern die möglichst attraktive Präsentation einiger recht fortgeschrittener mathematischer Gedanken aus der Topologie und Geometrie. Es ist schwer, solche mathematische Konzepte für ein breites Publikum auch nur einigermaßen verständlich zu machen, und eine Menge pädagogisches Wissen ist in diese Animation eingeflossen. Zweifellos war es eines der Hauptziele der Schöpfer, die Leute zum Weiterlernen anzuregen.

Was die Animation illustrieren soll, ist die Frage, wie Konzepte der Topologie und Geometrie uns Werkzeuge liefern können, die uns zeigen, warum verschiedene, aus geschlossenen Kurven bestehende Knoten und Verkettungen so grundlegend verschieden sind. Wir können fragen, was "Topologie" eigentlich ist. Kurz gesagt, ist Topologie die Lehre von dem Zusammenhang und dem stetigen Übergang zwischen Punkten, Linien, Flächen und Körpern. "Geometrie" fügt der Topologie noch die Begriffe von Maß und Größe hinzu: Länge, Fläche, Volumen, Winkel, Krümmung.

Topologisch gesprochen besteht kein Unterschied zwischen dem hyperbolischen und dem euklidischen Raum, da beide Raumformen topologisch äquivalent zum (endlichen) Raum innerhalb einer (euklidischen) Kugel (Billiardkugel) oder eines Ellipsoids (Ei) sind. Was aber die Maße betrifft, so sind diese Räume jedoch unterschiedlich: Der euklidische Raum ist unendlich, aber die Kugel ist endlich; der euklidische Raum ist flach, aber der hyperbolische ist gekrümmt (in einem geeigneten mathematischen Sinne, der eine gleichmäßige negative Krümmung von -l ergibt).

Wie kommen wir nun von Knoten zur Geometrie? Knoten existieren etwa im "gewöhnlichen" euklidischen Raum, und die Frage, ob ein Knoten aufgelöst oder ob gezeigt werden kann, daß er äquivalent zu einem anderen Knoten ist - ohne den vorgegebenen Raum zu verlassen - ist topologisch genau definiert. Das einzige Problem ist, daß die Entscheidung über die Äquivalenz von Knoten gar nicht einfach ist, weder praktisch noch theoretisch.

Der erste größere Schritt in das Verständnis des Problems war die Erkenntnis, daß der Raum außerhalb des Knotens wichtig ist. (Das ist jener Teil des euklidischen Raumes, der übrigbleibt, wenn ein Wurm den Knoten gefressen hat. Er umfaßt alles, was nicht der Knoten ist.) Die Erkenntnis, daß dieser Raum berücksichtigt werden muß, ist schon vor einigen Jahrzehnten aufgetaucht, aber der Beweis, daß der topologische Typus des Nicht-Knoten-Raums die Knoten bis hin zur Verbindungs- und Nicht-Verbindungsäquivalenz charakterisiert, gelang erst 1989! Was die Verkettungen betrifft, so charakterisiert der externe Raum sie zwar nicht (was eine eher technische Frage ist), er bleibt jedoch immer noch recht bedeutsam.

Wo kommt die Geometrie ins Spiel? Bisher haben wir rein topologisch gesprochen. Beim Verständnis von Räumen ist es hilfreich, sie als geometrische Objekte mit metrischen Eigenschaften darzustellen. Ein und derselbe Raum kann verschiedene Darstellungen haben. Die Oberfläche einer Kugel und die eines Würfels sind topologisch äquivalent; die symmetrische sphärische Darstellung zeigt uns aber visuell, wie viele nützliche, sehr stetige Transformationen es für einen solchen Raum gibt - etwa Drehungen oder Spiegelungen. In "Not Knot" wird gezeigt, wie die Räume gewisser Verkettungen in recht schöner Form dargestellt werden können (mit sehr viel Symmetrie), wenn ein hyperbolischer statt eines euklidischen Raumes verwendet wird.

Warum ist der hyperbolische Raum so interessant? Abgesehen davon, daß er dem Wort "Geometrie" einen Sinn verleiht, der die Unabhängigkeit vom Parallel-Postulat Euklids festlegt - ein Problem, das den Mathematikern über Jahrhunderte hinweg schlaflose Tage bereitet hat -, erlaubt der hyperbolische Raum eine Vielzahl verschiedener Arten von Überdeckungen der regelmäßigen Flächendeckungen, die im euklidischen Raum unmöglich sind. Wenn wir regelmäßige "Kacheln" (Polygone) verwenden wollen, können wir den euklidischen Raum z. B. nur mit regelmäßigen Dreiecken, Quadraten und Sechsecken gleichmäßig überdecken. Das regelmäßige Fünfeck kann die euklidische Ebene nicht ohne Überschneidungen füllen. Im hyperbolischen Raum können wir jedoch eine Ebene mit regelmäßigen Fünfecken überdecken, ja, überhaupt mit regelmäßigen n-Ecken mit einer beliebigen Seitenanzahl. Dies hat Escher gewußt und ausgenützt. Allgemeiner gesagt, erlaubt diese Tatsache dem hyperbolischen Raum, viele Arten von symmetrischen Mustern zu repräsentieren, wenn der euklidische Raum dies nicht mehr ohne Verzerrung kann.

In der hyperbolischen Geometrie ist die umme der Winkel eines Dreiecks echt kleiner als 180°. In der euklidischen Geometrie ist die Winkelsumme bekannterweise genau 180° (der parabolische Fall), und in der sphärischen Geometrie (mit Großkreis-Bögen als Linien) ist die Winkelsumme eines sphärischen Dreiecks größer als 180° (der elliptische Fall). Alle diese Geometrien erlauben eine freie Bewegung im Raum, ohne daß Form oder Größe verändert würden.

Aber in der hyperbolischen Geometrie gibt es einen Haken: Die Winkelsumme des Dreiecks bestimmt seine Fläche, weshalb es keine Ähnlichkeiten und keine Vergrößerungen gibt. Im hyperbolischen Raum existiert kein Quadrat mit vier rechten Winkeln, und man kann bestenfalls ein Viereck mit vier gleichen Winkeln haben, die alle kleiner als 90° sind. Der Unterschied zu 90° bestimmt die Größe des "Quadrats" und die Länge seiner Seiten. Die Beziehung zwischen Seitenlänge und Fläche bzw. Volumen ist im hyperbolischen Raum natürlich ebenfalls anders als im euklidischen.

Im Video wird das so erklärt: "Ein hyperbolisches halbkugelförmiges Schwimmbecken mit 25 m Durchmesser enthält 23mal das (gewöhnliche) Volumen der Erde". In gewissem Sinne gibt es im hyperbolischen Raum also "mehr Platz zum Herumspielen", und deshalb ist er auch für verschiedene Arten von Darstellungen besser geeignet.

Ist der hyperbolische Raum unwirklich? Nun ja, er ist unwirklich in dem Sinne, daß er ungewöhnlich ist, aber als geometrisches System ist er völlig konsistent - und in dieser Konsistenz und Symmetrie wunderschön. Philosophisch gesprochen ist der euklidische Raum insofern genauso unwirklich, als er auch nur eine mathematische Abstraktion ist. Er scheint uns nur recht vertraut, weil im täglichen Leben und in der platonischen und Newton'schen Kosmologie die Annahme, der Raum sei euklidisch, einfach nützlich und hilfreich ist. Die Konsistenz der hyperbolischen Geometrie kann sogar mit Hilfe einer euklidischen Darstellung demonstriert werden - dies wird ja auch in dieser Computeranimation verwendet.

In ihrer einfachsten Form kann die hyperbolische Ebene als das Innere einer runden Scheibe dargestellt werden, in der die Linien der Geometrie als Kreisbögen dargestellt werden, die zum Außenkreis der Scheibe normal stehen. In dieser Darstellung sind die euklidischen Winkel zwischen einander schneidenden Kreisbögen eine exakte Darstellung der korrekten hyperbolischen Winkel; die Abstände dagegen werden sehr verzerrt (da man sich den Außenkreis als unendlich weit entfernt vom Mittelpunkt vorzustellen hat). Und die "Linien" sehen in der Darstellung "gekrümmt" aus. Aber dies ist nur eine Darstellung, die Eigenschaften sind richtig, auch wenn die bildliche Wiedergabe seltsam aussieht.

Diese Darstellungsweise hat auch Escher für einige seiner Zeichnungen benutzt. Die Schöpfer der Animation mußten einen Schritt weiter gehen und eine hyperbolische Optik und Perspektive berechnen, um den Flug durch den Raum darstellen zu können. Die "Bewohner" des hyperbolischen Raumes finden, daß die Dinge anders aussehen, als ihre euklidischen Kollegen erwarten würden. Diese Demonstration ist ein interessanter Nebenaspekt, der sich bei der Herstellung dieser Animation ergeben hat.

Und wie geht es weiter? Nun, es gibt noch viele Knoten und Verkettungen, viele andere Flächenmuster und Raumgitter und viele weitere Dimensionen zu erforschen. Jetzt, wo wir eine virtuelle Kamera für diese Geometrie haben, sollten eigentlich viele andere Diashows und Reisen folgen. Und irgendwer sollte Eschers "Bleistift" aufnehmen und uns mehr Bilder seiner Art zeigen. Schließlich haben die Mathematiker die notwendigen Theorien schon ausgearbeitet.

(Dana S. Scott, Professor für Computerwissenschaft, Philosophie und Mathematische Logik an der Hillman University und der Carnegie Mellon University)