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Prix1992
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


GOLDENE NICA
Liquid Selves / Primordial Dance
Karl Sims


Die Animationsfilme "Liquid Selves" und "Primordial Dance" von Karl Sims zeigen technisch perfekt gerenderte Bilder. "Primordial Dance" erinnert an die Farbstrukturen eines Kaleidoskops. In "Liquid Selves" werden Gesichter verformt und (auch inhaltlich) als Masken entlarvt - untermalt von der Musik von P.Gabriel.

""Primordial Dance" ist eine experimentelle Animation, die eine progressive Weiterentwicklung abstrakter Texturen und Muster enthält. Sie ist eine Studie überauftauchende und sich verändernde mathematische Gleichungen, die als "visuelle Musik" verstanden werden kann, weil sie versucht, mit den ihr zugrundeliegenden Strukturen und ihrer Komplexität Emotionen hervorzurufen, ohne auf spezielle Darstellungseinheiten zurückzugreifen.

Schaffung der Bilder dieses Stücks wurden Techniken eingesetzt, die natürlichen biologischen Prozessen vergleichbar sind, und das Ergebnis sind ungewöhnliche organische Effekte, die vielleicht das Wesen der angewendeten Methoden widerspiegeln.

Techniken der "künstlichen Evolution" führten zur Entdeckung komplexer Gleichungen, die automatisch eine Vielzahl verschiedener Texturen, Farben und Formen generieren. Ein Künstler und ein Computer arbeiten in diesem interaktiven Prozeß zusammen, um ein Ergebnis zu erzielen, das keiner von beiden für sich allein hätte hervorbringen können. Der Computer nimmt sich der Gleichungen und prozedurellen Informationen an, und der Künstler liefert die ästhetischen Informationen, die das Ergebnis des Prozesses bestimmen: Zuerst generiert der Computer eine Sammlung einfacher Gleichungen oder "Genotypen", die jeweils einen mathematischen Prozeß beschreiben, der ein Bild oder einen Phänotyp erzeugt. (Dies entspricht – in Analogie - der DNS, die die Entwicklung oder Synthese eines Organismus beschreibt.) Der Benutzer beobachtet die entstehenden Bilder und wählt jene aus, die den ästhetischen Anforderungen entsprechen. Im nächsten Schritt reproduziert der Computer die Gleichungen dieser ausgewählten Bilder und vollführt zwischen ihnen zufällige Mutationen und Übergänge, um eine weitere Generation von Bildern zur Auswahl zustellen. Manche der Mutationen führen nur zu unwesentlichen Abwandlungen der Gleichungen, während andere signifikante Veränderungen und manchmal eine größere Komplexität nach sich ziehen. Wiederum wählt der Benutzer jene Bilder aus, die ihm am meisten zusagen, und der Zyklus wird einige Generationen lang wiederholt. Die Gleichungen und die ihnen entsprechenden Bilder können mit Fortschreiten des Prozesses immer interessanter werden, und irgendwann können recht ungewöhnliche und komplexe Ergebnisse entstehen.

Der Zyklus aus wiederholter Variation und Selektion hat Ähnlichkeit mit der biologischen Evolution, obwohl hier die "Organismen" nur einfach Bilder sind und die Überlebensfähigkeit oder ,Eignung" interaktiv durch einen gottähnlichen Betrachter festgestellt wird.

Eine andere Erklärung dieses Prozesses könnte sein, daß der Computer versucht, vom Benutzer zu "lernen", wie man ästhetisch ansprechende Bilder erzeugt. Der User liefert ein positives Feedback zu jenen Bildern, die ihm am besten gefallen, und der Computer reagiert darauf, indem er weitere Bilder in dieser Richtung generiert.

Ein wichtiger Vorteil in der Anwendung dieser Technik liegt darin, daß der Benutzer die darin eingebundenen komplexen Gleichungen nicht zu verstehen braucht. Dadurch können Künstler Zugang zu dieser Art von algorithmischen Werkzeugen finden, ohne sich mit mathematischen Details belasten zu müssen. Und tatsächlich ist es möglich, daß Gleichungen entstehen, die komplexer sind als alles, was ein Mensch zu zeichnen oder zu verstehen in der Lage wäre. Die Bewegungen wurden durch "genetisches Überblenden" von Paaren ähnlicher Gleichungen erzeugt. Der Computeranalysiert die Gleichungen und berechnet automatisch dazwischenliegende Näherungen, um eine glatte Interpolation von einem Bild zum anderen zu ermöglichen. Die Animation bei "Primordial Dance" entstand auf diese Weise durch Interpolation und "genetische Splines" über ganze Sequenzen vieler verschiedener entwickelter Bilder. Eine Variation der künstlichen Evolutionsmethoden läßt sogar Gleichungen entstehen, die für das Image-Processing auf einem gegebenen Frame eingesetzt werden können. Das Bild eines menschlichen Gesichtes wurde mit Hilfe solcherart entwickelter Prozeduren für die Schlußsequenz des Stückes manipuliert und gewölbt.

"Liquid Selves" stellt den zukünftigen Kampf zwischen der virtuellen und der physischen Seite unseres Selbst dar. Im Zeitalter der Virtuellen Welten, das uns die Technologie bringt, wird unsere Existenz immer weniger von unserem physischen Sein abhängig. Unsere virtuelle Identität wird mächtiger und flexibler, aber auch instabiler und schwerer zu definieren. Unsere konsistenten, erkennbaren Gesichter bleiben zurück und werden wie alle Gesichter zu Masken. Die Möglichkeit, aus dem allen zur Verfügung stehenden Informationspool zu schöpfen und ihm etwas hinzuzufügen, wird wesentlich verbessert, und dies wird die Weiterentwicklung der Zivilisation beeinflussen, aber die tatsächliche Zerstörung unserer Körper ist eine mögliche Folge davon.

Technischer Hintergrund

Eine Vielzahl verschiedener Techniken wurde bei der Produktion dieser Animation eingesetzt. Partikel-Systeme, künstliche Evolution, Morphing und verschiedene Bildbearbeitungs- und -kompositionsmethoden kamen zur Anwendung. Für ungewöhnliche Manipulationen sowie die Assemblierung und Disassemblierung von Bildern wurden Partikel-Systeme verwendet. Jedes Pixel eines zweidimensionalen Bildes wurde in ein selbständiges Teilchenumgewandelt, so daß ein aus Partikeln bestehendes Bild in drei Dimensionen manipuliert werden konnte. Bilder wurden verdreht, herumgewirbelt und in Teile zerlegt, und zwar mit einer Partikelverhaltensbeschreibung, die eine prozedurelle Steuerung mehrerer Tausend Partikel liefert. Verschiedene Kräfte ziehen die Partikel von ihren ursprünglichen Positionen am Bild weg, und Wirbel-Operationen versetzen die Teilchen in kreisende Bewegungen, wie wir sie von Flüssigkeiten kennen.

Zwei verschiedene Anwendungen von "künstlicher Evolution" trugen zur Schaffung des Stücks bei: Gleichungen, die dreidimensionale Formen erzeugen, und solche, die zweidimensionale Bilder bearbeiten und verzerren, wurden interaktiv eingesetzt. Dreidimensionale Oberflächen entstanden prozedurell durch parametrische Gleichungen, die vom Benutzer mutiert, vereinigt und interaktiv ausgewählt wurden, um interessante Formen zu finden. Interpolationen zwischen diesen entwickelten Oberflächen produzieren ungewöhnliche dreidimensionale Übergänge von einer Form zur anderen. Auf diese sich verändernden Formen wurden dann wieder Bilder von Gesichtern projiziert.

Auch Bildbearbeitungstechniken und Verwerfungen wurden mit Hilfe der Techniken der künstlichen Evolution erzeugt. Bilder menschlicher Formen wurden durch Gleichungen bearbeitet, die vom User bei der Suche nach geeigneten Effektenmutiert, kombiniert und ausgewählt werden können. Morphologische Techniken wurden für die Übergänge zwischen zweidimensionalen Darstellungen von Gesichtern und Masken eingesetzt; die ursprünglichen Bilder wurden gleichzeitig verzerrt und aufgelöst, um fließende Interpolationen hervorzurufen.

Andere prozedurelle Bildmanipulationen, Kompositionstechniken und Textur-Generierung wurden ebenfalls angewendet. Prozedurelle Noise-Texturen wurden für einige der Hintergründe ebenso eingesetzt wie Wirbel- und Verwerfungstechniken für die Darstellung der Wolken- und Gesichtermuster am Himmel. Schließlich wurden noch Darstellungen glänzender menschlicher Gesichter eingefügt, die mit den traditionellen3D-Polygon-Rendering-Techniken entstanden.

HW: Connection Machine System
SW: Original Particle System, Artificial Evolution, Image Processing SW