AUSZEICHNUNG
The City of Lost Children
Marc Caro, Jean-Pierre Jeunet
"Die Stadt der verlorenen Kinder" ("La cité des enfants perdus") von Marc Caro und Jean-Pierre Jeunet zeigt in einem hervorragenden Spielfilm eine hohe Qualität auf dem eher traditionellen Gebiet der Computeranimation und der visuellen Effekte. Das Rendering und die Verbindug der Computeranimation mit Live-Action stecken auf beeindruckende Weise die Grenzen der derzeitigen Möglichkeiten der Computeranimation ab.
In Frankreich hatte noch niemand einen abendfüllenden Film mit so vielen verschiedenen Special Effects - direkt, CGI und digital - gemacht: 144 von 800 Aufnahmen, 17 Minuten, ein Fünftel des gesamten Films. BUF Compagnie übernahm die CGI für "The City of Lost Children". Im Laufe ihres zehnjährigen Bestehens hat sich BUF Compagnie einen guten Ruf im Bereich der 3D-computergenerierten Special Effects erworben und bereits seit langem mit Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro zusammengearbeitet. Beide sind bekanntlich abenteuerlustig, und in "Die Stadt der verlorenen Kinder" beweisen sie sich neuerlich.
Floh
Pulex irritans, ein rötlich-bräunliches Insekt, das sich als Parasit von Menschenblut ernährt, jede Größe - bis zu 4 mm - erreichen kann und fröhlich durch die Szene hüpft und gierig seinen Stachel in die zufällig Vorbeigehenden sticht.
Woraus besteht dieser Floh überhaupt? Er ist weder ein elektronisches Modell noch ein digitalisiertes Photo, sondern eine hübsche kleine, in CGI gebastelte Chimäre, die von ihren Erzeugern bei BUF Compagnie modelliert, gefürchtet und animiert wurde. Dazu wurde eine mythologische Methode der Mathematik angewendet, wofür Hunderte von Stunden am Computer benötigt wurden.
Zur Bildung der Oberflächenstruktur wurden verschiedene Schichten folgender schöner Materialen verwendet: Kieselsteine vom Strand, grüne Bohnen, Schlangenhaut, Schweinshaut, Leder usw. Die Animatoren studierten stundenlang Dokumentarfilme, um herauszufinden, wie Flöhe sich in der Natur verhalten. Sie wissen inzwischen alles darüber, wie Flöhe hüpfen, springen, landen, stechen, trinken und die unzähligen gemeinen, juckenden Tricks vollziehen, mit denen sie sich ihren weltweiten Verruf eingehandelt haben.
Da eine Vielfalt an Aufnahmen mit dem Floh im Mittelpunkt geplant waren, modellierten die Animatoren eine Reihe von Flöhen mit einem unterschiedlichen Definitionsgrad. Für den am feinsten definierten Floh wurden nicht weniger als 800.000 Polygone verwendet. Und diese waren noch nicht die größten vom Floh verursachten Komplikationen; ihn richtig aussehen und benehmen lassen, war ein Kinderspiel gegen die Schwierigkeiten, ihn richtig ins Bild einzupassen. Der Floh konnte noch so echt wirken, es wäre alles umsonst gewesen, wenn er aussähe, als wäre er auf einem künstlichen Dekor aufgeklebt. Wie könnte man von einer Großaufnahme auf eine Nahaufnahme des Flohs übergehen? Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein Programm, das die Tiefe eines Feldes berücksichtigen konnte. Also schrieben die Techniker ein neues - innerhalb von nur drei Monaten!
Traum-Flaschen
Für diese "Figur" stellte sich Caro ein grünfarbenes, leicht leuchtendes Etwas vor, das wie Rauch aussieht, wie besorgte Gesichter, und sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit von "langsam und zögernd" bis "schnell" bewegen könnte. Es gab wieder keine Programme, die mit dieser Art Rauch arbeiten konnten.
BUF Compagnie entwickelte wieder innerhalb von drei Monaten ein eigenes Programm. Es ist eine Art Teilchensystem, in dem jedes Teilchen sich wie ein Teilchen Rauch verhält. Doch Rauch ist kapriziös, und das Programm neigte dazu, auch echten Rauch zu produzieren. So mußten ungefähr dreißig Parameter hinzugefügt werden, um diesen Rauch einigermaßen zu zähmen. Für ein einziges Bild des Rauchs werden ein oder zwei Stunden Rechenarbeit benötigt, und das Endresultat kann man nur auf Grund der Errechnungen für die Gesamtaufnahme beurteilen. So wird es leicht verständlich, daß die Traum-"Figur" das schwierigste Element war, sich aber letztendlich als die schönste Überraschung zeigte.
Ein weiteres Problem beim Rauch ist, daß er durchsichtig ist. Der Traum-Rauch geht durch vergitterte Fenster hindurch, hüpft über den Boden und springt über Pfützen ... Dadurch war es unmöglich, eine Matte zu verwenden, was die übliche Lösung gewesen wäre. Um den Effekt zu erzielen, daß der Rauch über die vielen verschiedenen Oberflächen hinzieht, mußten 3D-Modelle des gesamten Bühnenbilds nach den Zeichnungen und Maßen des Bühnenbildners angefertigt werden; danach wurde Bild für Bild eine Rotoskopie aller Aufnahmen gemacht, in die der Traum eingearbeitet werden sollte.
Verwandlung von Krank und Miette
Die Vorbereitungszeit für die berührende Szene, wo Miette alt und Krank jung wird, war so aufwendig, daß die Szene ganz bis zum Schluß der Aufnahmen verschoben wurde. Zunächst versuchte das Besetzungsbüro verschiedenaltrige Doubles für die Schauspieler zu finden: jünger und jünger für Krank, älter und älter für Miette. Dann versuchte BUF Compagnie, die Doubles zu morphen, nahm zuerst einen, dann den nächsten, und versuchte, die besten Kombinationen zu finden. Es war kein Problem, das Mädchen älter werden zu lassen, aber alle Versuche, Krank zu verjüngen, schlugen fehl. Während der gesamten Metamorphose mußten sie einen Teil der Gesichtsmorphologie behalten und den Ausdruck in den Augen von Emilfork, dem Schauspieler, der Krank darstellt, verwenden. Für diesen Effekt wurde sein Gesicht in Stereophotogrammetrie modelliert. Während Krank und Miette sich verwandeln, wird Kranks Laboratorium verzerrt; diesen Vorgang bemerken die Zuschauer kaum, da sie sich auf die Veränderungen der Figuren konzentrieren. Trotzdem verlangte diese Verzerrung die vollständige dreidimensionale Modellierung des Laboratoriums nach den Plänen des Bühnenbildners.
Die Fotos des Bühnenbildphotographen Eric Caro wurden gescannt und mit Blitzlicht auf das Modell aufgezeichnet. So konnte die Szene verzerrt werden, ohne an Volumen zu verlieren, selbst wenn Teile davon unsichtbar sind.
|