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Prix1987
Prix 1987 - 2007

 
 
Veranstalter:
ORF Oberösterreich
 


AUSZEICHNUNG
Concerto Grosso
Richard Teitelbaum


Bei "Concerto Grosso" verwendet Richard Teitelbaum ein Drei-Piano-System mit zusätzlich einem Vierkanal-MIDI-Interface, das er selbst entwickelt hat.

Concerto Grosso

Das Konzept des "Concerto Grosso" (1985) erwuchs aus meiner früheren Arbeit mit dem computerunterstützten Mehr-Spieler-Piano-System, welches ich seit 1982 entwickelte. In Werken wie "Solo für drei Pianos" (1982) und "Digitale Piano Music" (1984), die sich dieses Systems bedienen, wird das von einem Komponisten-Solisten live gespielte Material sofort in ein Computer Memory eingelesen und dort verarbeitet (verlangsamt, unterlegt verschleift, transponiert, beschleunigt oder verlangsamt, randomisiert etc.). Gleichzeitig wird es von zwei Marantz-Pianocorder-Vorsetzer-Einheiten gespielt, die an zwei weitere Flügel angeschlossen sind. Hierdurch erzielt ein einzelner Pianist bei seinem Auftritt die gleichzeitige Kontrolle über drei Flügel. Dieses System wurde über die Patch Control Language (PCI), die 1983 in den USA in Zusammenarbeit mit dem Software Engineer Mark Bernard geschrieben wurde, programmiert.

Das "Concerto Grosso" verwendet dieses Drei-Piano-System sowie zusätzlich ein Vierkanal-MIDI-Interface, das während meines Aufenthaltes in Berlin 1984-85 entwickelt wurde. Dieses Interface ermöglicht die Kontrolle des Pianocorder-Vorsetzers über eine MIDI Synthesizer Klaviatur und / oder die Kontrolle der MIDI Synthesizer über die Klaviertastatur. Durch den zusätzlichen Einsatz eines Tonhöhen-MIDI-Umwandlers wird die Kontrolle der beiden Flügel und der Synthesizer durch Holz- und Blechblasinstrumente möglich gemacht.

Das "Concerto Grosso" verwendet diese technischen Möglichkeiten zur Schaffung eines Werkes, in dem jedes Mitglied einer Gruppe von drei Instrumentalisten (Piano, Holzblasinstrumente und Posaune) im Rahmen einer "Concertino"-Gruppe des traditionellen Concerto Grosso gleichzeitig das computerisierte "Ripieno" steuern kann, bestehend aus zwei mechanisch gesteuerten Flügeln, Digital FM Synthesizern (aus der Yahama DX und TX Serie) und digital angesprochenen Streichinstrumenten und Schlagzeugen etc. (Kurzweil 250).

Durch ein komplexes MIDI-Netzwerk werden die musikalischen Ausführungen eines jeden Spielers über ein oder mehrere speziell entworfene Computerprogramme geleitet und sprechen so im Echtzeit-Verfahren die Synthesizer oder mechanischen Pianos an. Hierbei kommen auch PCL-Programme, die aus meinem Digital-Piano-Musikwerk abgeleitet sind, zur Anwendung; diese wurden von Stefan Tiedje programmiert. Außerdem werden weitere Systeme, die die von George Lewis entwickelten Programme verwenden, eingesetzt. Zusammengebunden sind sie durch eine Programmkette mit einer Anzahl von einzeln ansprechbaren MIDI-Kanälen.

Unter den verschiedenen erzielbaren Klangstrukturen und Kombinationen gibt es Solos, Duos und Trios der menschlichen Konzertgruppe, ähnliche Kombinationen zwischen dem robotischen Ripieno und interaktive "begleitete" Soli, Duos oder Trios zwischen und innerhalb der beiden Gruppen. So beginnt zum Beispiel das "Concerto Grosso" mit einem Trio untereinander verbundener Pianos (eins menschlich und zwei robotisch gespielt) und einem unabhängigen Saxophon-Solo. Zu anderen Zeiten interagieren das Saxophon (und die Posaune) mit den computergesteuerten Synthesizers, ausgewählten akustischen Instrumenten und sogar mit den maschinell gespielten Pianos.

Die Programme sind so gestaltet, daß sie den lnstrumentalisten "zuhören" und auf Aspekte der gespielten Musik reagieren und ihrem eigenen Output entsprechend variieren. Es werden keine vorprogrammierten musikalischen Folgen gespielt, sondern der musikalische Output wird generiert in Beantwortung des jeweiligen menschlichen Musikmaterials, und beide spielen miteinander in Wechselwirkung und in Wechselwirkung mit dem künstlichen Ripieno, das wiederum hierauf eingeht.
Mir ist es jetzt von essentieller Wichtigkeit, daß es eine Akzeptanz des Echtzeit-musikalischen lnputs als Stimulus für responsives Verhalten gibt.

Technischer Hintergrund

Das Werk wurde mit dem Real-Time interaktiven Multipiano-Performancesystem (drei Flügeln, gesteuert über zwei Apple II Computer, ein D-track 68000 Computer mit Vierkanal-MIDI-Interface), einem Kurzweil 250 Synthesizer, einem TX 816-Synthesizer vernetzt für eine Real-Time-Performance, realisiert. Interpretiert von Richard Teitelbaum (Flügel und Keybords), Anthony Braxton (Blasinstrumente u. a.), George Lewis (Trombone u. a.).

Iro Wa Nihoedo

Text und Titel leiten sich von einem der berühmtesten und ungewöhnlichsten Gedichte der japanischen Sprache her. Es wurde der Legende zufolge von Kukai (Kobo Daishi), dem Gründer des Shingon-Buddhismus, zugeschrieben, vor rund 1000 Jahren, um das neue Hiragana-Alphabet zu demonstrieren. Es weist die bemerkenswerte Eigenheit auf, daß alle 47 Silben des Hiragana-Alphabets genau einmal auftauchen. Deshalb wurde es von Generationen japanischer Schulkinder benutzt, um ihr ABC (i-ro-ha) zu memorieren. Es ist stark vom Buddhismus geprägt und, wenn nicht von Kukai selber, so doch sehr wahrscheinlich von einem seiner Nachfolger verfaßt worden. Obgleich die Sprache sehr blumig und kaum zu übersetzen ist, sei hier eine grobe Umschreibung des Inhalts versucht.

Obwohl die Farben (Blumen) duften
werden sie vergehen.
In unserer Welt
Ist nichts von Dauer

Jeden Tag kreuze ich den hohen Berg
der Illusionen dieses Lebens
Es wird keine seichten Träume
keine Vergiftungen mehr geben.

Musikalisch habe ich versucht, meine Komposition entlang der Linien des traditionellen Shingon-shomyo-Gesanges zu gestalten. Dieser Gesang besteht aus rund 60 melodischen Formeln. Eine kleine Untergruppe aus zehn bis 15 Formeln wird dazu benutzt, jedes vorkommende Stück zu bilden. Die Notation benutzt neumenartige Symbole, wobei jedes Symbol eine einzelne Note bezeichnet.
Die Symbole können auch kombiniert werden, um ausgedehntere melismatische Bildungen zu finden. Es handelt sich um die graphische Repräsentation der ornamental ausgeschmückten Linien mit ihren mikrotonalen Intervallen und jener subtilen Nuancierung, die so typisch für den Shingon-sho-myo ist. Eine Singweise, die mit der westlichen Notation nie beschrieben werden könnte.

Ich habe Gruppen dieser Neumen (und natürlich auch die melodischen Bildungen, die von ihnen repräsentiert worden) genommen und versucht, neue Sho-myos zu komponieren, die aus den alten Strukturen gewonnen sind, diese aber auch erweitern.
Das Stück lehnt sich an die traditionelle Nika-Hoyo-Zeremonie an. Die Eingangssektion basiert auf einem Tengu (Lobeshymne) , "shichi no bongo" (der Sanskrit-Ausdruck für die vier Weisheiten), der Mittelteil auf einem "Bai" (besänftigender Gesang), dem Schluß liegt der berühmte "Sange" (Gesang der fallenden Blumen), bei dessen Ausführung innerhalb der Zeremonie Blütenblätter gestreut werden, zugrunde.

Unter meinen kompositorischen Mitteln finden sich auch Zufallsoperationen nach dem I Ging, um Originalsequenzen von Neumen zu erhalten, die dann bestimmten Modifikationen unterworfen werden. Hierbei stand mir Herr Kojun Arai mit stilistischem Rat zur Seite. In der Partitur finden sich auch freiere, graphisch notierte Partien, die aus der traditionellen Hakase-Neumenschrift gewonnen wurden. Diese dienen als Grundlage für lmprovisationen (eine Technik, die dem Sho-myo fremd ist).